- 6. Mai 2023
Ein Horrorfisch und eigenwillige Folterwitze: Manche Idee klingt überzeugender als ihre Umsetzung – die Outtakes (2)

Fish out of water
Leidlich angespaßt, jedoch recht vorhersehbar: „Grizzlyshark“ ist einerseits eine Splatterparodie, die Haie im Wald blutreich zubeißen lässt. Andererseits kann sich der Comic nicht gegen die Faszination der Haie und Bären wehren. So sind die Gags letztlich nur Vorwand für absurd-aufregende Pics: ohne Hai wären die Gags nicht stark genug, aber mit Hai sind sie eigentlich überflüssig. Weshalb der Spaß sehr schnell nachlässt und sich aufs „Krass, Alter, schau dir das an!“ beschränkt.
Hübsch, aber ohne Härte

Die Arbeit des Duos Kerascoët muss sich leider immer wieder an „Jenseits“ messen lassen, bei dem Marie Pommepuy und Sébastien Cosset ihre niedlichen Zeichnungen mit einer exzellent greulichen Geschichte konterkarierten. Das ist ihnen seither nicht mehr gelungen, und auch „Mit Mantel und Worten“ (Text: Flore Vasco) ist zwar immer wieder schön anzusehen, lässt aber Doppelbödigkeit vermissen.
Erzählt wird das Abenteuer eines cleveren, einfallsreichen Mädchens, das sich am Hof der französischen Königin gegen allerlei Intrigen durchsetzt. Ungewöhnlich ist neben einigen erotischen Anspielungen vor allem eine schwarzhumorige Zutat in Form von Folterwitzen. Denn die wirken angesichts einer weltweiten Folterrenaissance wie eine recht orientierungslose Provokation. Insgesamt ein schöner, optisch oft an Sempé erinnernder Band, der dennoch zwischen brav und boshaft auf halber Strecke versumpft.
Kerascoët (Zeichnungen), Flore Vesco (Text), Ulrich Pröfrock (Üs.), Mit Mantel und Worten, Reprodukt, 24 Euro
Gut gespart, Löwe!

So lass ich mir den Computer eingehen: Für „Zur Sonne“ nutzt Matthias Lehmann gerade nicht die Opulenz der Möglichkeiten, sondern er spart an allem. Keine Farben, viel Weiß, einige Linien, viele großflächige Schatten, die fünf versammelten Episoden sehen schon sehr schön aus, geradezu bastienviveshaft. Leider sind die Storys um Kneipenwirt Frank nicht so interessant wie ansehnlich. Schon klar, das Große im Kleinen und so, aber ein bisschen was sollte einen schon reinziehen. Ich gebe aber zu: Normale Leute machen normale Sachen, das ist als Thema schon eine von den härteren Nüssen.
Freundlich nur für Follower

Sind furchtbare Töchter im Trend? In „Höre nur, schöne Márcia“ gab’s grade eine, die nächste findet sich in Aude Picaults „Amalia“: Benimmt sich wie der Rotz am Ärmel, und kann nur dann freundlich sein, wenn sie Schminktipps für ihre paar Follower ins Internet stellt. Aber auch Amalia und ihr Mann jagen in „Amalia“ einem seltsamen Glück der Perfektion nach. Aude Picault hat das bereits mit dem gut beobachteten „Ideal Standard“ thematisiert, doch diesmal gelingt es ihr nicht so gut – auch, weil in der sympathisch gezeichneten Geschichte vieles zu plakativ daherkommt. Wenn Amalias Mann unter dem furchtbaren Industriebrot seiner Fabrik leidet, soll er halt irgendwo Ökobrot backen. Wenn Amalia Stress hat, soll sie halt lernen, auch mal „nein“ zu sagen. Während „Ideal Standard“ geschickt die persönliche Entwicklung der Hauptfigur aufzeigte, repariert „Amalia“ alles, als läge für jedes Problem der passende Tesafilm einfach herum.
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- 3. Apr. 2023
Doppelcheck: Der Erfolg des Fanlieblings und Artist's Artist Christophe Blain findet Nachahmer – was deren Comics leider nicht immer hilft

In letzter Zeit werde ich öfter ein bisschen enttäuscht, und ich habe das Gefühl, als wäre daran ein gewisser Christophe Blain schuld. Obwohl gerade dieser Blain selber meistens nichts dafür kann, sondern die Leute, die ihn imitieren. Und davon gibt es gerade ziemlich viele.
Flugwurst mit Zahnstochern
Christophe Blain ist einer der ziemlich Großen der letzten zehn, 15 Jahre. Seine Geschichten sind lakonisch und übertrieben zugleich, Parodie und Hommage in einem: Das Comicverführer-Logo auf diesem Blog ist von ihm. Das Pferd ist eindeutig „Pferd im Sprung“, aber eben auch „Flugwurst mit Zahnstochern“, und ungefähr so porträtiert Blain auch Menschen.

Das finde nicht nur ich prima, sondern auch noch eine Menge Zeichner. Weshalb Blains Stil immer mehr Nachahmer findet (kürzlich etwa schon Zanzim). Einer der ersten und besten, die mir damit auffielen, war Mikael Ross, vor allem mit seinem „Umfall“. Aber jüngst sind zwei dazugekommen, bei denen die Blain-Elemente eher hinderlich sind als hilfreich.
„Coming of H“: Blain als Bremsklotz

Kandidat Nummer 1: Hamed Eshrat mit seiner ausgesprochen unterhaltsamen Graphic Novel „Coming of H“. Eshrat erzählt seine eigene Geschichte, die einer iranischen Einwandererfamilie in Deutschland, seinen Kampf um Anerkennung, eine normale Jugend, erste Liebe, erste Drogen, erster Alkohol, erste Erfolge als Zeichner.
Das sind lauter Themen, die gleichzeitig normal und bedeutungsschwer sein können – was eigentlich fürs Blainen spricht: Denn das besteht darin, dass man lächerliche Momente sehr gewichtig betont. Und sehr bedeutende Momente verhunzt. Bei beidem zeigt man aber die handelnden Personen in tiefem, heiligen Ernst mit einer ausdruckslosen Mimik á la Buster Keaton – „deadpan“ lautet der Fachbegriff für diese Mimik einer Bratpfanne.
Die Mimik einer Bratpfanne
Eshrat gelingt das anfangs gut, aber allmählich weniger. Der Grund: Man muss zum Blainen mit diesen Momenten skrupellos umgehen. Blain fällt das leicht, weil er meist Erfundenes erzählt. Eshrats Leben ist aber nicht erfunden, und je länger er erzählt, desto mehr liegen ihm die Episoden sichtlich am Herzen. Für sehenswerte Bilder reicht das zwar immer noch, aber die Leichtigkeit des Anfangs gehen verloren. Jetzt wird der Blain-Stil zur Hürde.

Blainlos kann es leichter fallen, wie man bei Helena Baumeister sehen kann, die in „Oh, Cupid“ gerade eben Selbstironie, Autobiographisches, Schweres und Leichtes stimmiger unter einen Hut brachte – im eigenständigen Bleistiftstil. Aber erstens muss nicht immer alles klappen, zweitens hat „Coming of H“ trotzdem (zu Recht) eine Menge Lob eingesammelt, und drittens blaint Eshrat deutlich besser als Kandidat 2.
Blainen heißt: Kürzen, nicht dehnen

Der heißt Pierre-Henry Gomont und startet gerade die Serie „Die neuen Russen“. Wir sind in den 90ern. Der bedenkenlose Alleshändler Dimitri und sein Partner, der etwas sanftmütigere Ex-Künstler Slava, verhökern die Reste der Sowjetunion, indem sie leerstehende Partei-Immobilien plündern. Sie begegnen anderen Gangstern, enttäuschten Arbeitern, da steckt viel drin, das aber nicht konsequent rausgeholt wird.

Zwar ist die Story recht munter, zwar gelingen Gomont in seinem verschneiten Russland immer wieder sehr schöne Panels mit kräftigem Schwarz, entschlossenen Farben, gerne in stalinistisch-faschistischer Faszinationsarchitektur. Aber dann redet Gomont erst zu viel und dann zu wenig.

Zuviel, weil: „Deadpan“ bedeutet auch, dass man nicht alles zerquatscht – Pfannen reden nicht. Und zu wenig, wenn Gomont wieder einen typischen Blain-Gag überstrapaziert: Die Bildblase, die den Gedanken in ein Symbol übersetzt. Eshrat macht es einmal mustergültig vor, als sein Vater irritiert ein deutsches Kastenbrot heim bringt. Der fladenbrotverwöhnte Jung-Eshrat denkt: Ziegelsteine (s. Bild). Gut geblaint.
Gomont hingegen lässt Dimitri sich im Schnee verirren, und füllt nacheinander vier Blasen (s. Bild) mit „Steinschlag“-Verkehrsschild, „Einfahrt verboten“-Verkehrsschild, Wenden-Zeichen, Russischfluch. Das ist zu viel und wirkt auch noch zu schwach, weil alles zu nahe am eigentlichen Gedanken ist. Kann allerdings auch daran liegen, dass Gomont generell zu viel Platz hat: Es sind auch die 95 Seiten, die Pointen und Handlung langatmig machen.

Aber okay: „Die neuen Russen“ haben ihre Momente, Hamed Eshrat hat sie sowieso. Und soll man schimpfen, weil gute Leute sich an (bislang noch) besseren Leuten orientieren?
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- 6. März 2023
Härtetest für Kindercomics (8): „Das unsichtbare Raumschiff“ spart mit Licht, aber nicht mit Gags. Ob Julia (11) das zu schätzen weiß?

Ein umstrittener Band, wie man hört. Man sieht nämlich nicht sehr viel, und das, so verrät der Verleger Sebastian Oehler, hat Einigen nicht gefallen. Aber was soll man zeigen? Denn in „Das unsichtbare Raumschiff“ fliegt ein Raumschiff im Unsichtbarkeitsmodus, und der Modus funktioniert hervorragend. Weshalb die Crew das Raumschiff nicht mehr sieht. Wir sind, alles klar: in einer Komödie, und das Nicht-Sehen ist der Gag von det Janze. Was keine Bestnoten bei Leuten gibt, die ihr Schnitzel vor allem nach der Größe beurteilen. Motto: Lauter schwarze Bilder, so leicht möchte ich mein Geld auch mal verdienen.
Jederzeit angeschmunzelt
Aber, um im Bild zu bleiben: Die Größe des Schnitzels kann hier nicht aus möglichst vielen bunten Bildern bestehen, sondern aus möglichst vielen Pointen: Und liefern Patrick Wirbeleit, Andrew Matthews und Uwe Heidschötter diese Gags? Ja, sogar nicht zu knapp. Sie erfinden eine Menge Probleme für Leute auf einem unsichtbaren Raumschiff, eine Menge Verwicklungen und Wendungen, und auch wenn man als Erwachsener nicht mehr ganz so oft überrascht ist, ist man doch jederzeit schwer angeschmunzelt. Außerdem bin ich ja nicht wirklich die Zielgruppe, oder?
Julia zum Beispiel stört sich an den schwarzen Panels schon mal gar nicht. Sie kapiert sofort, dass man die vier unterschiedlichen Crewmitglieder anhand der Farbe der Sprechblasen identifizieren kann. Sie lacht, weil die Crew den Knopf nicht findet, mit dem man den Unsichtbarkeitsmodus abschaltet, weil ja auch der Knopf unsichtbar ist. Dass sich die Crew im Raumschiff verläuft. Dass Honk den falschen Knopf drückt, nämlich den für die Lüftung, die sofort superstark losbläst, und dann hängt er quer in der Luft und kann sich kaum noch festhalten. Julia beschreibt das Bild genau, was erstaunlich ist, denn dieses Bild gibt es gar nicht: Es ist schwarz, und doch gluckst sie und malt sich alles aus.
Verlaufen im eigenen Raumschiff
Ähnlich zählt sie viele andere Pointen auf, die bei ihr hängengeblieben sind: Wie sie sich in der Kantine verabreden und dann merken, dass sie im Lift sind. Weil's zu eng ist für die Kantine! Und spannend ist die Sache auch, als nämlich die Crew irrtümlich den Knopf für die Selbstzerstörung drückt. Da hat Julia sogar kurz ein bisschen Angst.
Die beste (weil lustigste) Stelle: Wie Honk „Honk!“ sagt. Und der Captain es für seine Offizierin übersetzt: Eine ganz volle Sprechblase. Und noch ein. Und noch eine! Obwohl der doch nur „Honk!“ gesagt hat.
Die niedlichste Stelle: Es ist wirklich sehr dunkel auf dem Schiff.
Julias Entscheidung

Fast schon routinemäßig frage ich nach „Boris und Babette“, aber es zeigt sich schnell: Das mysteriöse Haustier hat keine Chance gegen die fliegende Finsternis. Andererseits ist auch das andere Weltraum-Epos „Alldine“ ungefährdet. Aber schon „Zack!“ wackelt, und zwar ganz erheblich!
Und so...
1. Alldine & die Weltraumpiraten
2. Das unsichtbare Raumschiff
3. Zack!
4. Hugo & Hassan forever
5. Boris, Babette und lauter Skelette
6. Trip mit Tropf
7. Willkommen in Oddleigh
8. Karl der Kleine: Printenherz
9. Superglitzer
