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Comicverfuehrer

Die Outtakes (26): Mit einem redefreudigen Kater auf Abwegen, einem Werbe-Bestschenker und Blutsaugern vom Lande

Illustration: Joann Sfar - avant-verlag
Illustration: Joann Sfar - avant-verlag

Übersehene Geschichte


Er macht es einem wieder einmal nicht leicht, der maxundmoritzbepreiste Joann Sfar: Der inzwischen fünfte Teil der „Katze des Rabbiners“ ist zwar zuverlässig munter und ansehnlich, aber zunehmend nutzt Sfar den kratzbürstigen Kater, um alle Themen abzuhandeln, die ihm so durch den Kopf gehen. In der ersten Hälfte ist das die Suche nach Gott und den Wundern, die ihn beweisen sollen, das wird dann schon sehr theoretisch. In Teil zwei stolpern wir hingegen in einen häufig übersehenen Teil der Geschichte: Nach dem ersten Weltkrieg wurden Teile der französischen Armee nicht in den Frieden entlassen, sondern gleich zur Bekämpfung der russischen Revolution weitergeschickt (und zur Eintreibung der russischen Auslandsschulden). Den barbarisch-blutigen Horror des russischen Revolutionschaos schildert Sfar bizarr, brachial, dämonisch gut, Literaturhinweise inklusive, so dass nicht nur historisch Interessierte was davon haben.

 


Vernünftiges von der Versicherung

Illustration: Franz Gerg/Monika Sattrasai/Doris Ertel-Zellner/Reinhold Zellner - Kult Comics
Illustration: Franz Gerg/Monika Sattrasai/Doris Ertel-Zellner/Reinhold Zellner - Kult Comics

Nach „Alex der Rabe“ folgt hier ein weiterer Blick in die Werbevergangenheit: „Max & Luzie“ entstand 1983-2002 im Auftrag der Allianz-Versicherung, in tadelloser „Knax“-Qualität – mit allen Vorzügen und Nachteilen. So merkt man durchweg Zeichner Franz Gerg sowie dem Autorentrio Monika Sattrasai/Doris Ertel-Zellner/Reinhold Zellner die Gewissenhaftigkeit und die Liebe zum Produkt an. Doch das Ergebnis ist hm, sehr vernünftig. Die optischen Vorbilder von „Asterix“ bis „Boule & Bill“ schimmern jederzeit auf, die Personenkonstellationen verschrecken weder Leser noch Investor, und der erklärende Textteil sorgt für allgemeines und vor allem erwachsenes Wohlwollen. Bis zu 500.000 Hefte druckte die Allianz, genug, dass sich „Max & Luzie“ offenbar ganzen Generationen ähnlich ins Kindheitsgedächtnis brannten wie das von den Sparkassen spendierte „Knax“. Was in beiden Fällen nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die Serien weder mit religiösem Eifer gesammelt wurden noch am Kiosk jemals konkurrenzfähig gewesen wären. Heißt: Nostalgische Erinnerungen machen den Lesespaß vermutlich größer und nicht zuletzt auch wahrscheinlicher.

 


Cousine mit Biss

Illustration: Alexandre Fontaine Rousseau/Cathon - Schwarzer Turm
Illustration: Alexandre Fontaine Rousseau/Cathon - Schwarzer Turm

Grusel-Comedy auf dem Level von „Tanz der Vampire“ ist schwer und selten. Daran ändert auch „Vampircousinen“ von Alexandre Fontaine Rousseau und Zeichnerin Cathon nichts. Die geschwätzige Camillia wird von ihrer Cousine Friederike ins Schloss ihrer Jugend eingeladen. Untern im Dorf reden alle finster über das Schloss, im Supermarkt gibt’s nur Knoblauch, aber Camillia glaubt nicht an Vampire – obwohl doch gerade eben jene Friederike (und da kommen Sie nie in diesem und auch nicht im nächsten Leben drauf) selber ein Vampir ist! Ausgerechnet Friedrike! Potzblitz! Und weil man sich den Rest exakt genauso wenig denken kann, erwartet Sie jetzt also ein Füllhorn an Überraschungen oder ein müdes Schmunzelchhrrr.

 





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Zwei Bände beleben ein altes Genre neu: Der Star ist das Tier – und die Zähne hat dabei nicht nur der Haifisch

Illustration: Gregorio Muro Harriet/Alex Macho - Schreiber & Leser
Illustration: Gregorio Muro Harriet/Alex Macho - Schreiber & Leser

Feiern Tier-Comics ein Comeback? Okay, weg waren sie nie so ganz: Mangas mit niedlichen Katzen gibt’s schon länger tonnenweise, Hunde etwas weniger, aber das ist ja alles Zuckerzeug. Was ich meine ist die Story, wo „das geil aussehende Tier“ der Star ist. Ohne vermenschlicht zu werden. Und davon gibt’s gerade zwei neue Comics: den „geil aussehenden Tiger“ und den „geil aussehenden Hai“. Comics, bei denen schon das Cover sagt: Der Star ist die Bestie! Und das will ausprobiert sein!


Mafia auf dem Holzweg

Bild: G. M. Harriet/A. Macho - Schreiber & Leser
Bild: G. M. Harriet/A. Macho - Schreiber & Leser

Gutes Cover, oder? Und tatsächlich,

bei „Tiger“ der Comic dahinter hält alles, was es verspricht: Der Stil ist tadellos konsumierbar, franko-belgischer Realismus, es gibt reichlich Action und natürlich ordentlich Tigerbilder. Die Story spielt in Sibirien, beleuchtet den Holzab- und Holzraubbau, eine (deutsche) Doku-Filmerin reist an, will Tiger beobachten und dabei geraten sie und ihr Team der Holzmafia in den Weg – und alle zusammen einem Sibirischen Tiger in die Quere. Etwa die Hälfte braucht das Doppel-Album für die Exposition, aber dann fackeln Texter Gregorio Muro Harriet und Zeichner Alex Macho ein Art „Weißer Hai an Land“-Szenario ab.

Alles für die Killerkatz


Für meinen Geschmack stiefeln dabei immer wieder einige Leute etwas zu plakativ allein in den Wald, so wie bei Zombiefilmen immer irgendwer allein in den Keller latscht – aber dafür gehen Harriet/Macho schön rücksichtslos zu Werke und für jeden Knalleffekt ordentlich über Leichen, Motto: Alles für die Killerkatz. Und, ja: Vor allem in Hälfte zwei gibt es jede Menge aufregender Tigerbilder, im Sprung, mit Biss. Ich hab mich schon mal mehr gelangweilt. Dafür gibt's schon mal ein: Hoch die Tatzen!

Illustration: Gregorio Muro Harriet/Alex Macho - Schreiber & Leser
Illustration: Gregorio Muro Harriet/Alex Macho - Schreiber & Leser

Flossen hoch!


Noch eine Spur weiter gehen Christophe Bec und sein Zeichner Paolo Antiga in „Megalodon“. Erstens, weil sie nicht nur irgendeinen Hai zum Star machen, sondern gleich den titelgebenden Superhai der Vorzeit (dreimal größer als Spielbergs Beißfisch). Und zweitens, weil sie eine Perspektive wählen, die ich zuletzt in alten Jugendbüchern gesehen habe: Die Story kommt ohne menschliches Hilfspersonal aus, der Hai erzählt selbst. Übrigens sehr konsequent: Der Hai schwafelt nicht, er ist nachvollziehbar wortkarg. Recht so! Und was erzählt er uns?

Illustration: Christophe Bec/Paolo Antiga - Splitter Verlag
Illustration: Christophe Bec/Paolo Antiga - Splitter Verlag

Unser Megalodon ist Teil einer Gruppe, wär gern der Chef, packt’s aber (noch) nicht so ganz. Wir sehen ihn, wie er jagt, sich paart und im Kampf gegen andere Meeresmonster. Und all das ist erstaunlich gut gemacht: Denn wenn man all die ruhigen Phasen aus einem Hai-Life entfernt, kann der Rest schnell mal zum lieblosen „Best-of-Actionszenen“ werden. Nicht hier, Bec/Antiga bleiben solide im erträglichen Bereich und spielen im Gegenzug rücksichtslos die Stärke des Themas aus: Endlose blaue Weiten mit dreidimensionaler Tiefe, blutige Beißereien, furchtbare Viecher, und durch den Zeitsprung gibt’s ja auch lauter unbekannte Gegnervarianten.

Effektbewusst statt effekthascherisch

Das Wichtigste: Antiga ist nicht brillant, aber ein sehr guter Tierzeichner, und zusammen mit seiner Fähigkeit, geschickt Szenen in Panels zu arrangieren, das Richtige nur im richtigen Moment aufzublasen, ergibt das ein schönes Spektakel, noch nicht effekthascherisch, aber auf jeden Fall sehr effektbewusst. Was will man mehr?

Illustration: Christophe Bec/Paolo Antiga - Splitter Verlag
Illustration: Christophe Bec/Paolo Antiga - Splitter Verlag

Eines: Ein Making-of, der Anhang wäre diesmal tatsächlich schön gewesen. Wie nahe sind wir am erforschten Wissensstand, ob man modernes Haiverhalten auf Vorzeithaie übertragen darf, das fragt man sich hinterher schon ein bisschen, deshalb hätte man den Leser gerne mal mit den üblichen Blicken hinter die Kulissen versorgen können. Aber sonst: alles tierisch gut.


Illustration: Christophe Bec/Paolo Antiga - Splitter Verlag
Illustration: Christophe Bec/Paolo Antiga - Splitter Verlag



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Die Outtakes (12): Tödliches aus Indien, Urgesteiniges aus Deutschland und das normale Elend aus der Ukraine

Illustration: Ram V/Filipe Andrade - Cross Cult

Der Tod wird arbeitslos


Exotisch: „The many deaths of Laila Starr” macht neugierig. Die Geschichte spielt in Indien, wo die Göttin des Todes plötzlich arbeitslos wird, weil ein Mensch bald die Unsterblichkeit erfinden wird. Die Göttin wird in einen menschlichen Körper versetzt, dem von Laila Starr. Sauer über die Rückstufung beschließt sie, den Unsterblichkeits-Erfinder zu töten. Dabei kommt sie selbst um, wird aber vom Gott des Lebens (der seinen Job ja noch hat) wieder zurückgeholt. Ab da versucht sie es in großen Zeitabständen erneut. Das Ganze ist nicht so klamaukig, wie es sich vielleicht liest, im Gegenteil sogar eher philosophisch angehaucht. Die Zeichnungen von Filipe Andrade sind frisch und ungewöhnlich, erinnern an Bill Szienkiewicz, das indische Setting von Ram V ist reizvoll. Aber die Story ist halbgar: Eine sterblich gewordene Göttin, die nicht stirbt – wo ist da der Unterschied zu vorher? Und wenn sie alle zehn, 20 Jahre bei ihrem Nicht-Opfer vorbeischaut, was macht sie eigentlich in der wesentlich längeren Zwischenzeit? Denn gerade weil die Dialoge sich derart dick über den Sinn des Lebens unterhalten, wäre es doch interessant, wie die eifrig Sinnierenden denn ihre eigenen unendlichen (!) Leben gestalten. Wer das jedoch nicht vermisst, kann mit Laila Starr recht viel Spaß haben.

 


Blass from the Past

Illustration: Chris Scheuer - edition aleph

Schade, da war mehr drin: Chris Scheuer ist Max-und-Moritz-Preisträger (1984), ein Urgestein vom Kaliber Gerhard Seyfried. Und auf den ersten Blick würde man seine schwarz-weiße Autobiographie „Buch I“ auch zwischen Reinhard Kleist und Frank Schmolke einsortieren. Aber dem Vergleich hält sie dann doch nicht durchgehend stand. Woran's liegt? Die Auswahl: Vieles ähnelt den Stories anderer 68er. Drogen genommen, Sachen geklaut, im Knast gewesen, kommt bekannt vor. Der richtige Tonfall könnte helfen, aber Scheuer kann sich weder zur Komödie noch zum Drama entschließen. Zudem entkräftet der latent cartoonige Stil auch ernster gemeinte Episoden, hübsche Hommagen an Will Eisner oder Gilbert Shelton machen das leider nicht wett. Oder haben sich die Maßstäbe seit den 80ern verändert? Kann gut sein: Marjane Satrapi („Persepolis“) oder Riad Sattouf haben inzwischen Jugenderinnerungen nicht nur eleganter erzählt, sondern auch mit direkteren Bezügen zur Gegenwart.


Der gewöhnliche Krieg

Illustration: Nora Krug - Penguin Verlag

Gutes Design. Pastellfarben. Künstlerisch ansprechend. Inhaltlich ehrgeizig: Nora Krug zeigt Einblicke in den Ukraine-Krieg. Ein Jahr lang sprach sie für „Im Krieg“ jeweils einmal wöchentlich mit einer Ukrainerin und einem Russen – und fasste das Ergebnis auf einer Doppelseite zusammen, links Ukraine, rechts Russe. Das Ergebnis ist doppelt frustrierend: Einerseits wegen der Tatsachen, andererseits aber auch, weil Krug nach zwei Jahren Krieg die Erschütterung des Anfangs kaum zurückholen kann. Was an der Gewöhnung liegt – und an der Erwartbarkeit des Beschriebenen. Selbst die Ereignisse von Butscha sind in der Rückschau nicht empörender als am Tag ihrer Enthüllung. Überraschendes entlockt Krug ihren Gesprächspartnern leider selten. Obendrein nutzt sie die Möglichkeiten des Comic allenfalls illustrativ: Dass sie rasch den Bildanteil von drei Panels auf eines pro Seite reduziert, ist da nur konsequent. Allerdings ist dann der Rest in Blöcken zusammengefasster Text. Und so sehr dieser Krieg Aufmerksamkeit brauchen würde, so sehr fühlt er sich an wie dieser Comicband: ermüdend. Womit Krug der Realität leider erstaunlich nahe kommt.

 



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