Doppelcheck: Der Erfolg des Fanlieblings und Artist's Artist Christophe Blain findet Nachahmer – was deren Comics leider nicht immer hilft

In letzter Zeit werde ich öfter ein bisschen enttäuscht, und ich habe das Gefühl, als wäre daran ein gewisser Christophe Blain schuld. Obwohl gerade dieser Blain selber meistens nichts dafür kann, sondern die Leute, die ihn imitieren. Und davon gibt es gerade ziemlich viele.
Flugwurst mit Zahnstochern
Christophe Blain ist einer der ziemlich Großen der letzten zehn, 15 Jahre. Seine Geschichten sind lakonisch und übertrieben zugleich, Parodie und Hommage in einem: Das Comicverführer-Logo auf diesem Blog ist von ihm. Das Pferd ist eindeutig „Pferd im Sprung“, aber eben auch „Flugwurst mit Zahnstochern“, und ungefähr so porträtiert Blain auch Menschen.

Das finde nicht nur ich prima, sondern auch noch eine Menge Zeichner. Weshalb Blains Stil immer mehr Nachahmer findet (kürzlich etwa schon Zanzim). Einer der ersten und besten, die mir damit auffielen, war Mikael Ross, vor allem mit seinem „Umfall“. Aber jüngst sind zwei dazugekommen, bei denen die Blain-Elemente eher hinderlich sind als hilfreich.
„Coming of H“: Blain als Bremsklotz

Kandidat Nummer 1: Hamed Eshrat mit seiner ausgesprochen unterhaltsamen Graphic Novel „Coming of H“. Eshrat erzählt seine eigene Geschichte, die einer iranischen Einwandererfamilie in Deutschland, seinen Kampf um Anerkennung, eine normale Jugend, erste Liebe, erste Drogen, erster Alkohol, erste Erfolge als Zeichner.
Das sind lauter Themen, die gleichzeitig normal und bedeutungsschwer sein können – was eigentlich fürs Blainen spricht: Denn das besteht darin, dass man lächerliche Momente sehr gewichtig betont. Und sehr bedeutende Momente verhunzt. Bei beidem zeigt man aber die handelnden Personen in tiefem, heiligen Ernst mit einer ausdruckslosen Mimik á la Buster Keaton – „deadpan“ lautet der Fachbegriff für diese Mimik einer Bratpfanne.
Die Mimik einer Bratpfanne
Eshrat gelingt das anfangs gut, aber allmählich weniger. Der Grund: Man muss zum Blainen mit diesen Momenten skrupellos umgehen. Blain fällt das leicht, weil er meist Erfundenes erzählt. Eshrats Leben ist aber nicht erfunden, und je länger er erzählt, desto mehr liegen ihm die Episoden sichtlich am Herzen. Für sehenswerte Bilder reicht das zwar immer noch, aber die Leichtigkeit des Anfangs gehen verloren. Jetzt wird der Blain-Stil zur Hürde.

Blainlos kann es leichter fallen, wie man bei Helena Baumeister sehen kann, die in „Oh, Cupid“ gerade eben Selbstironie, Autobiographisches, Schweres und Leichtes stimmiger unter einen Hut brachte – im eigenständigen Bleistiftstil. Aber erstens muss nicht immer alles klappen, zweitens hat „Coming of H“ trotzdem (zu Recht) eine Menge Lob eingesammelt, und drittens blaint Eshrat deutlich besser als Kandidat 2.
Blainen heißt: Kürzen, nicht dehnen

Der heißt Pierre-Henry Gomont und startet gerade die Serie „Die neuen Russen“. Wir sind in den 90ern. Der bedenkenlose Alleshändler Dimitri und sein Partner, der etwas sanftmütigere Ex-Künstler Slava, verhökern die Reste der Sowjetunion, indem sie leerstehende Partei-Immobilien plündern. Sie begegnen anderen Gangstern, enttäuschten Arbeitern, da steckt viel drin, das aber nicht konsequent rausgeholt wird.

Zwar ist die Story recht munter, zwar gelingen Gomont in seinem verschneiten Russland immer wieder sehr schöne Panels mit kräftigem Schwarz, entschlossenen Farben, gerne in stalinistisch-faschistischer Faszinationsarchitektur. Aber dann redet Gomont erst zu viel und dann zu wenig.

Zuviel, weil: „Deadpan“ bedeutet auch, dass man nicht alles zerquatscht – Pfannen reden nicht. Und zu wenig, wenn Gomont wieder einen typischen Blain-Gag überstrapaziert: Die Bildblase, die den Gedanken in ein Symbol übersetzt. Eshrat macht es einmal mustergültig vor, als sein Vater irritiert ein deutsches Kastenbrot heim bringt. Der fladenbrotverwöhnte Jung-Eshrat denkt: Ziegelsteine (s. Bild). Gut geblaint.
Gomont hingegen lässt Dimitri sich im Schnee verirren, und füllt nacheinander vier Blasen (s. Bild) mit „Steinschlag“-Verkehrsschild, „Einfahrt verboten“-Verkehrsschild, Wenden-Zeichen, Russischfluch. Das ist zu viel und wirkt auch noch zu schwach, weil alles zu nahe am eigentlichen Gedanken ist. Kann allerdings auch daran liegen, dass Gomont generell zu viel Platz hat: Es sind auch die 95 Seiten, die Pointen und Handlung langatmig machen.

Aber okay: „Die neuen Russen“ haben ihre Momente, Hamed Eshrat hat sie sowieso. Und soll man schimpfen, weil gute Leute sich an (bislang noch) besseren Leuten orientieren?
Hamed Eshrat, Coming of H, avant-verlag, 26 Euro
Pierre-Henry Gomont, Resel Rebiersch (Üs.), Die neuen Russen, Schreiber & Leser, 22,80 Euro
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Locker-leichtes Schwergewicht: Pascal Rabatés Graphic Novel „Der Schwindler“ ist eine fünf Pfund schwere Reise in die russische Revolutionszeit – bitter, brutal und alptraumhaft schön

Ich weiß auch nicht, warum mich das so beschäftigt, aber: Der Comic ist schwarz-weiß getuscht. Ja, schon klar, ist ja nicht so, dass man noch nie einen schwarz-weißen Comic gesehen hätte, aber der hier ist, als hätte ihn jemand bunt gezeichnet (wie das Cover, beispielsweise) und dann schwarz-weiß eingescannt. Hat der Jemand aber nicht: Er hat sich für die ganzen Farben offenbar entsprechende Grautöne ausgedacht, und diesen Gedanken finde ich einerseits spannend, andererseits verwirrend kompliziert: Wie dunkel ist Grün, wenn man es in Grau übersetzt? Heller als Rot? Aber zugegeben, die eigentliche Frage lautet: Ist der Comic gut? Und das ist er, oh ja. „Der Schwindler“ heißt er und stammt von Pascal Rabaté.
Fünf Pfund Buch: lustig, spannend, bitter
Ein ziemlicher Wälzer, das vorweg, über 500 Seiten im Albumformat, über fünf Pfund Buch, das ist manchmal recht unpraktisch – aber sehr lustig, sehr spannend, sehr bitter. Rabaté hat den gleichnamigen Roman umgesetzt, von Tolstoi, aber dem anderen, Alexej: Eine Geschichte vom Vorabend der russischen Revolution.
Eine Wahrsagerin prophezeit dem Hallodri Semjon Newsorow, er würde reich werden. Fortan begleiten wir diesen rückgratlosen Windbeutel dabei, wie er eifrig versucht diese Prophezeiung umzusetzen. Erster Erfolg: Er begegnet einem Antiquitätenhändler. Reiche Russen versuchen in der unsicheren Zeit das Land zu verlassen, brauchen Bargeld und verkaufen ihre Sachen günstig. Als der Händler überfallen wird, schnappt sich Newsorow sein Vermögen: Er tötet den Verletzten mit einem schweren Schrank und setzt mit dem Geld nach Moskau ab, wo er sich als Graf ausgibt, sich ein Liebchen sucht, vögelt, kokst und einen Spielsalon eröffnet.
Ein stümperhafter Romanheld
Als die Bolschewiki sich durchsetzen, wird der Salon geschlossen, Newsorow setzt sich ins von Deutschen besetzte Charkow ab und lässt sich dort – selbst nicht die hellste Kerze am Leuchter – ein Landgut aufschwatzen. Als die Deutschen abziehen, stecken die wütenden Bauern das Gut in Brand, Newsorow flieht nach Odessa, wird als Spion angeheuert, lügt und betrügt sich recht stümperhaft durch die Gegend, das ist an sich schon mal recht unterhaltsam. Ob sich’s als Roman gut liest, weiß ich nicht, aber Pascal Rabaté macht einen hervorragenden Comic daraus, obwohl seine Kunst zunächst recht unscheinbar wirkt.
Seine Seitenaufteilung zum Beispiel ist ziemlich konservativ, im Prinzip besteht die Seite aus sechs Panels, da werden dann manchmal welche quer oder längs zusammengefasst. Aber wie Rabaté den Bildausschnitt wählt, das ist schon ganz großes Kino.
Enthemmte Welt mit schönen Bildern
Er lässt Newsorow etwa in ein verlassenes Dorf stolpern, ein Pferd stehlen – und beim Davonreiten bemerken, warum das Dorf verlassen ist: Die ehemalige Bevölkerung hängt an der Landstraße, aufgeknüpft an den Drähten der Telegrafenleitung, über Kilometer hinweg. Rabaté zeigt es wortlos, lässt seine Kamera vom Boden aufsteigen und wählt dann die Hunderte von Krähen für den Vordergrund, die an den Leichen knabbern, bis er den Abschluss komponiert, seitengroß, die immer neu hinzukommenden Vögel, während Newsorow entsetzt in die weite Ebene davonreitet – obwohl klar ist, dass diese Welt auch woanders völlig unmenschlich sein wird. Bauern, die nach den Kämpfen zwischen roten und weißen Truppen die Toten ausplündern und die Verletzten zu Toten machen, damit sie nicht davon berichten können. Erstaunlich ist, dass Rabaté in dieser völlig verwahrlosten, enthemmten Welt immer wieder schöne Bilder findet.
Verführerisch arrangierte Stadtansichten von Istanbul oder Odessa zum Beispiel. Überhaupt findet Rabaté Schönheit überall, wo es sonnig ist und Hoffnung für Newsorow aufscheint, und dieser unterhaltsame, spindeldürre Dreckskerl findet jede Menge Hoffnung in dieser chaotischen Welt: Frauen, Alkohol, verheißungsvolle Betrügereien – wechseln sich ab in erstaunlich variantenreichen Szenen. Drei Geschäftemacher treffen sich in einer Bar, das gibt zwar viel Dialog, optisch aber eigentlich nicht viel her – doch wie Rabaté da zwischen den Perspektiven umherspringt, Gesten mit Mimik kombiniert, über wechselnde Schultern oder auch ganz woanders hin schaut, das ist eine rechte Freude. Ein Teil des Spaßes liegt auch in der faszinierenden Beobachtung, dass da jemand in schwarz-weiß so knallbunt arbeiten kann, dass man hinterher schwören könnte, man hätte die Farben gesehen.
Nicht totzukriegen
Nicht minder erfreulich: der Schluss. Ohne zu viel zu verraten: Newsorow überlebt. Er habe es versucht, ihn umzubringen, sagt Romanautor Alexei Tolstoi im Nachwort, aber einer wie Nemsorow sei schlichtweg nicht totzukriegen. Rabaté hat das Schlusswort mit abgedruckt – neben vielen Cover-Entwürfen für die Originalalben, die in Frankreich in vier Bänden erschienen. Diese Cover sind übrigens tatsächlich knallbunt. Nur für den Fall, dass einer meint, Rabaté könne das womöglich gar nicht.
Pascal Rabaté, Der Schwindler, Schreiber & Leser, 39,80 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
Fünf Jahre lang hing Matieu Sapin „am Rockzipfel“ von Gérard Depardieu. Ergebnis: eine freiwillige Schleimspur und eine unfreiwillige Erklärung für Phänomene wie #MeToo

Es ist eine eigenwillige Form von Comic-Journalismus – oder wie soll man es sonst nennen? Fünf Jahre lang, sagt Zeichner Mathieu Sapin, hätte er für „Gérard“ am „Rockzipfel von Gérard Depardieu“ gehangen. Herausgekommen ist eine Art Doku-Comic, der den Leser reichlich verstört zurücklässt. Auch, weil der Report offenbar eher unfreiwillig in der Lage ist, die #MeToo-Debatte zu bereichern.
Herangehensweise: planlos
2012 bekommt Sapin, 43, das Angebot, Depardieu für eine Dokumentation zu begleiten. Die Doku folgt den Spuren von Alexandre Dumas’ Aserbaidschanreise 1858, und weil Dumas damals einen Zeichner dabeihatte, wollen die Fernsehleute ebenfalls einen mitnehmen. Sapin, als Doku-Zeichner im Präsidentschafts-Wahlkampf und im Elysée-Palast aufgefallen, sagt zu. Und von vorneherein fällt seine seltsame Herangehensweise auf. Man kann sie „unvoreingenommen“ nennen, zutreffender aber ist: planlos.
Man merkt es allerdings nicht gleich, weil Sapin die bizarre Situation mit einem eher komisch-niedlichen Stil verschleiert. Sapin zeichnet Depardieu als schwitzenden, knollennasigen Koloss, vereinfacht, aber nicht karikierend. Sich selbst stellt er als kleines dünnes Männchen mit Riesenkopf dar, stets eingeschüchtert von dem gigantischen Menschenmassiv des Schauspielers. Sie drehen gemeinsam die gewünschte Doku, Depardieu fasst Vertrauen zu Sapin, der sich von dem Filmstar ins Schlepptau nehmen lässt. Und von Anfang an fragt man sich: wozu?
Was ausbleibt, ist die Satire
Sicher, Sapin zeichnet, wie Depardieu wohnt: mit viel Platz, viel Kunst, vielen Geschenken von anderen berühmten Leuten. Er zeichnet Depardieu, wie er in Unterhosen telefoniert. Wie Depardieu Leute anraunzt und abmeiert, wie er freundlich ist, wie sein Umfeld ihn behandelt. Das wirkt so lange satirisch, bis man feststellt, dass da keine Satire ist, weil sich die ganze Geschichte an nichts reibt. Sapin schildert einfach vor sich hin. Und wenn man das festgestellt hat, denkt man darüber nach, ob man so wenigstens etwas über Leben und Wirkung des alternden Weltstars erfährt.
Mal sehen: Depardieu stopft sich offenbar den Tag mit Menschen zu. Manager, Agenten, ein Comic-Zeichner. Er schwafelt gern über Gott und die Welt, redet meist von oder über sich, hin und wieder kommen Halbweisheiten dabei heraus wie „Schönheit ist Geld und Großzügigkeit“. Oder: „Geld interessiert mich nicht.“
Wo der Zeichner dem Star auf den Leim geht
Letzteres ist immerhin ein Widerspruch zu seiner Steuerflucht. Oder zu seinen zwei Schlössern und seiner Kunstsammelei, die ja auch bezahlt sein wollen. Es könnte reizvoll sein, diese Widersprüche gegeneinander zu stellen. Aber bei Sapin findet man sie unter einer Menge belanglosem Quatsch derart beiläufig, dass man annehmen muss, er hätte sie gar nicht bemerkt oder gar vergessen, sie zu löschen. Denn umgekehrt macht Sapin sich mehrfach eindeutig und unnötig mit seinem Star und seinen Launen gemein.
Als Gérard „Geld interessiert mich nicht“ Depardieu etwa seinen Gärtner um den Lohn prellt, ergreift Sapin sofort Partei: Der Garten wurde „verunstaltet“, behauptet er ohne jeden Beleg. In jedem Gespräch merkt Sapin in kleinen Fußnoten an, welche Geschäfte Depardieu kauft, welches Buch er gerade zitiert, welchen Film er meint. Depardieus Politiker-Freundschaften leuchtet er weniger genau aus. Im Gegenteil: Den aserbaidschanischen Kultusminister lobt Sapin als „verdammt guten Mann“ – in einem Land, das auf dem Demokratieindex 2016 Platz 148 einnahm, gefolgt von Afghanistan. Auch für das Gesangsduett Depardieus mit der Tochter des autoritären Präsidenten Kasachstans gibt’s nur neutrales Staunen.
Putins Kumpel
Während einleuchtet, warum sich fragwürdige Herrscher gern mit berühmten Schauspielern die Diktatur verschönern, bleibt schleierhaft, warum sich Depardieu dafür hergibt. Fünf Jahre hatte Sapin Zeit, das herauszufinden, aber er will die Antwort nicht wissen – oder nicht zeichnen. Er lässt dafür Depardieu unwidersprochen behaupten: „Was ich nicht ertrage, ist Korruption.“ Obwohl er es problemlos im Russland seines Kumpels Putin aushält, das auf dem Korruptionsindex 2016 auf Platz 131 landet, ranggleich mit der von Depardieu scharf kritisierten Ukraine. Man könnte derlei wenigstens in einer von Sapins beliebten Fußnoten erwähnen, aber: Fehlanzeige. Es kristallisiert sich allenfalls heraus, warum dieses Projekt so furchtbar schiefgeht.
Sapins Rechenfehler
Denn Sinn ergibt all das sofort, wenn man davon ausgeht, dass der Autor alles, was Depardieu tut, für wichtig hält. Sapin liefert keine Berichterstattung, sondern Verehrung in Form der Speichelleckerei. Er reiht sich damit nahtlos ein unter die Depardieu-Lakaien, die dasselbe tun und unablässig mit der Formel vom „größten lebenden Schauspieler Frankreichs“ dem Star und sich selbst lobhudeln. Was letzten Endes angesichts einiger fragwürdiger, komplett ignorierter Bemerkungen über Frauen dann immerhin noch zu wenigstens einer Erkenntnis führt: #MeToo wird erklärlicher, wenn man sich vorstellt, dass Weinstein & Co sich alle mit derartigen Ja-Sagern und Ja-Zeichnern umgeben.
Mathieu Sapin, Gérard, Reprodukt, 24 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.