Die Leinwand als Comic-Stoff: Zwei Biografien beleuchten die Karrieren von Ava Gardner und Hedy Lamarr. Sehenswert sind beide, aber nur eine überzeugt
Zwei echte weibliche Hingucker sind gerade auf dem Comic-Markt, und - bitte? Ja, das kann man so sagen. Das muss man sogar so sagen, denn wenn die beiden Frauen keine Hingucker wären, dann würde überhaupt niemand einen Comic über sie machen. Man hat sie explizit so bezeichnet: Hedy Lamarr war die „schönste Frau der Welt“, Ava Gardner laut Regisseur/Autor Jean Cocteau sogar „das schönste Tier der Welt“. Beides würde man heute wohl nicht mehr so formulieren, verspricht aber ansehnliche Comics. Frage: Sind sie auch gut?
Es riecht nicht nach Rauch
Hängt ein bisschen davon ab, was man sich erhofft. Beide Comics führen uns zurück in eine glamourös nostalgische Welt: In „Ava“ sind es die 50er mit ihren Hotels, Salons, die Ana Miralles sehr einladend illustriert. Ava Gardner ist gerade auf Promo-Tour in Rio, wir sehen viele Interieurs von Flugzeugen, Hotels, Limousinen, Nachtclubs, Bars, polierte Autos und gottseidank sehen wir nicht, wie all das riecht.
Nach kaltem Rauch nämlich, weil praktisch jeder überall quarzt. Aber Miralles und Szenarist Emilio Ruiz schwelgen erkennbar gern in der guten alten Zeit, die sie eingängig frankobelgisch zeichnen, beinahe schon buck-dannyesk. Den Star-Appeal von Gardner nutzen sie weidlich und besonders gern mit einer Zigarette in der Hand. Bei Hedy Lamarr ist das deutlich differenzierter.
Sie drehte mit Stewart, Gable, Tracy
Zeichner Sylvain Dorange zeichnet weit weniger realistisch. Seine 30er, 40er, 50er Jahre sind stilisiert, reduziert, und wenn er die Demonstrationen im Wien der 30er zeigt, will man nicht unbedingt dabei sein oder gar einen Kaffee ordern. Das Umfeld eines Filmstars kann auch er attraktiv zeigen, Lamarrs Schönheit lässt er in Filmplakaten oder Zeitungsausschnitten aufblitzen, aber er schwelgt nicht: Seine Geschichte hat ihm Szenarist William Roy auch deutlich anders angelegt.
Es funkt
Die schöne jüdische Schauspielerin hat bereits ihren ersten Kinoerfolg erlebt, als sie 1937 (weniger vor den Nazis als vor ihrem besitzergreifenden Mann) nach Amerika flieht. Dort nimmt sie Filmmogul Louis B. Mayer unter seine Fittiche und baut sie zur „schönsten Frau der Welt“ auf. Mayer erlaubt ihr zwar (wie damals üblich) nicht, die Rollen frei zu wählen. Aber dennoch wird sie ein Weltstar, dreht (mehrfach!) mit James Stewart, Spencer Tracy, ihr Name steht gleich groß neben Clark Gable oder Claudette Colbert, so dass man sich wirklich wundert, wieso man bei allen TV-Wiederholungen so selten auf Lamarr stößt. Wesentlich präsenter ist ihr Wirken hingegen bei der Bluetooth-Technik.
Sie haben richtig gelesen: Die technisch interessierte Schauspielerin entwickelte mit dem Komponisten George Antheil ein Verfahren zum Frequenzwechsel im Funkverkehr. Gedacht war‘s für Torpedos, genutzt wurde es lang nach dem Krieg zur Telekommunikation. Weshalb Lamarr letztlich zu Lebzeiten und posthum mehr Ehrungen für ihr technisches Wirken erhielt als für ihre Filmkarriere.
Szenarist William Roy hat einen festen Plan: Mit gut gewählten Episoden will er eine selbstbewusste, auch technisch einfallsreiche Frau zeigen, die Szenen werden dabei nicht ausgewalzt, sondern präzise geschnitten. Was ist dagegen der Plan bei Emilio Ruiz?
Ein Traum von Kleid und Cadillac
Es fällt erst nicht so recht auf, aber der Vergleich mit „Hedy Lamarr“ zeigt: Es gibt im Gardner-Band nicht viel Plan jenseits von „schön“ und „Star“ und allenfalls noch Howard Hughes, denn der heikle Tech-Tycoon hatte ein konfliktreiches Verhältnis mit ihr. Aber Ruiz mag es nicht zur Hauptsache machen, und so ist der prominente Dauerknatsch nur eine von vielen Szenen, die Ava mal feurig, mal leidend durchsteht. Was seine Vorzüge hat, ich sehe schon recht gern, wie Frau Gardner in einem Traum von Kleid und Cadillac zum Flughafen schippert. Doch der Person komme ich dabei nicht näher. Von der Geschichte Hedy Lamarrs bleibt hingegen nachher einiges hängen, und genau das macht den Unterschied.
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Bittertrüb, hässlich und perspektivlos kriminell: So wie im Comic „Der Schleuser“ haben Sie die Lagunenstadt garantiert noch nicht gesehen
Es dauert noch ein bisschen, bis der neue Gipi erscheint, aber bis dahin empfehle ich Ihnen schon mal eine vergleichbar erstklassige Gangsterchenballade. Sie heißt „Der Schleuser“, ist von Christophe Dabitch und Piero Macola, und – bitte? Sie wissen nicht, was eine Gangsterchenballade ist? Das müssen wir ändern. Dringend!
Abgehängter Touristentraum
Dass Sie‘s nicht kennen ist okay, das Genre ist brandneu, ich hab’s grad erfunden: Es geht dabei um Jungs irgendwo zwischen 14 und 17, die sich erwachsen fühlen, es aber nicht sind. Die Eltern sind eher arm, abwesend, arbeiten oder saufen, die Jungs machen kleinkriminellen Quatsch, meist in abgehängten Gegenden. Diesmal etwa in Venedig. Wobei, hm: Ist denn Venedig überhaupt abgehängt?
Das ist überhaupt eine der Entdeckungen dieses Comics: ein Venedig, das kaum jemand kennt. Paolo sucht seinen verschwundenen Vater, der als Fischer in der trüben Lagune arbeitet. Und so klappert Paolo alle möglichen Verstecke ab, die Inseln, die Fischgründe neben den Fabriken, Vaters Stammnutte. Nebenher versucht er, mit seinen drei Freunden zu Geld zu kommen: Sie verkaufen für Drogenhändler rosa Pillen, müssen aber feststellen, dass jemand ihr Versteck geplündert hat – jetzt haben sie keine Ware mehr und sind verschuldet. Bei Leuten, die keinen Spaß verstehen. Und auf Paolos Spuren sehen wir ein Venedig, das Touristen meistens entgeht.
Leere Gassen, die's wirklich gibt
Herbstlich ungemütlich ist es da. Wir sehen die Werften und abgelegenen, heruntergekommenen Schuppen. Die illegalen Arbeiter in panischer Angst vor Polizeikontrollen. Die Menschenschmuggler. All das gibt es tatsächlich: Wer sich Venedig von der Festlandsstadt Mestre oder (wie ich selber grade eben) per Fahrrad über die Laguneninseln nähert, sieht mitunter erstaunliche Hässlichkeit. Das von Pfostenpyramiden gesäumte Wasser wirkt mitunter so trüb, dass man kaum glauben mag, dass etwas darin lebt. Und auch die leeren Gassen, die der Comic für eine einsame Verfolgungsjagd nutzt, existieren wirklich.
Während sich auf den Passantenhighways zu den Hotspots die Touristen samt Rollkoffern gegenseitig halb tottreten, ist nur wenige Ecken weiter kein Mensch mehr zu sehen. Wo kein Selfie mit Wiedererkennungswert winkt, geht man gar nicht erst hin. Jenseits der großen Touristenfassaden existiert ein reales Schattenvenedig, und „Der Schleuser“ führt uns mitten hinein in diese Stadt ohne Zukunft.
Stadt ohne Zukunft
Die Bilder, mit denen Piero Macola Dabitchs Szenario illustriert, sind wortkarg, oft ruhig, aber nicht idyllisch. Die Landschaften sind einsam, die Häuser will niemand fotografieren und eher als hierher ziehen die Leute von hier fort. Was den Traum von Venedig ungewöhnlich konterkariert: Man sieht sich die Bilder so gern an, weil man gerade eben nicht da leben muss.
Und nach Zuklappen des lesenswerten Comics sofort wieder daheim ist.
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Bitter, blutig, einfühlsam: In „Die Nächte des Saturn“ kreuzt Pierre-Henry Gomont die klassische Gangsterballade mit einer ungewöhnlichen Lovestory
Donnerwetter. Echter Knaller. Ein Krimi, eine Gangsterballade, eine Augenweide mit hohem Actionanteil – und noch dazu von einem Autor, von dem ich nicht viel erwartete, weil ich hier über seine „Neuen Russen“ schon ein bisschen geschimpft habe: Pierre-Henry Gomont. Aber es liegt auch daran, dass Gomont diesmal vieles anders und so viel besser macht.
Atmosphäre tonnenweise
Das tut er natürlich nicht wegen mir: denn „Die Nächte des Saturn“ hat er schon 2015 gezeichnet, sie erscheinen aber erst jetzt auf deutsch. Was dabei auf Anhieb überzeugt, ist die Optik. Gangsterballade heißt ja: Atmosphäre ist superwichtig, Alain Delon im Trenchcoat und im Regen kann schon den halben Film ausmachen. Hier haben wir viel Nacht, viel Autofahren, Leute, die warten und rauchen, lenken und reden, leere Straßen, nächtliche Autobahnen. Gomont bringt tonnenweise Atmosphäre in dunklem Blaugrün, schummrigem Leuchten, diesigem Nebel, viel aquarellige Fläche, durch die sich weißes Licht schneidet. Jetzt müssten diese Leute nur noch was Sinnvolles zu tun bekommen...
Und hier hat Gomont diesmal Hilfe. Er hat einen Roman des Franzosen Marcus Malte adaptiert. Wie der sich im Original liest, weiß ich nicht – aber die Adaption ist aus einem Guss, 160 geschickt getimte Seiten, das muss man auch erst mal hinbekommen.
Rache nach 15 Jahren Knast
Die Story: Der alternde Clovis kommt nach 15 Jahren aus dem Knast. Er besucht seinen Kumpel Charles, organisiert eine Waffe und beginnt die Suche nach einem Faber. Rache, klar. 1984 sollten Faber und Clovis für Charles einen Fremden über die Grenze fahren, was extrem schiefging. Faber hatte seither mal eine Disco, ist dann aber untergetaucht.
Um Faber zu finden, benötigt Clovis die Disco-Bedienung Cesaria, die sich in ihn verliebt. Klingt erst wie bei 007, Superhengst trifft Superbrezel, aber falsch: Cesaria ist eine anlehnungsbedürftige Transe, was Clovis teils schätzt (bläst gut), aber teils eklig findet (bin doch nicht schwul!). So dass ihn die Geister seiner Knastvergangenheit schallend auslachen.
Die Kälte der Großstadt
Vor dem Hintergrund dieser teils hingebungsvollen, teils widerstrebenden Beziehung entfaltet Gomont Action und Drama. Es gibt Rückblenden zur verhängnisvollen Nacht 1984, mit exzellenten, knappen, oft fast unwillig geführten Dialogen. Es gibt Ansichten von nächtlichen Großstädten, Tankstellen, so voll Sehnsucht und Kälte, vertraut und ungemütlich, wie ich es sonst nur von Gipi kenne (den er als eines seiner Vorbilder angibt).
Aber im Gegensatz zum supermelancholischen Gipi wird viel rasant gefahren, es wird tödlich geschossen. Und trotzdem findet bei aller Härte, die man am Genre liebt, auch diese Hassliebe zwischen Verletzlichkeit und Schwulenängsten ihren Platz, wird ernstgenommen und trotzdem nicht totgesülzt, es ist eine einzige, seltene Freude. Die neugierig macht, was dieser wandelbare Gomont denn sonst noch so fabriziert hat. Denn im Backkatalog des Mittvierzigers gibt es noch eine Menge, die ich mit meinem grausigen Französisch nicht lesen kann. Übersetzen, bitte!
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