Ralf König, der Herr der Knollennasen, zeichnet sich durch die Urzeit: „Stehaufmännchen“ ist erstaunlich vielseitig, überraschend wandelbar und dennoch angenehm vertraut
Irgendwann hab ich Ralf König ein wenig aus den Augen verloren. Ich kann nicht mal sagen, dass es seine Schuld war, oder naja, höchstens ein ganz kleines bisschen: Ich fand wohl „Bis auf die Knochen“ eher mau, aber wenn ich jetzt so mal in seinem Gesamtwerk nachblättere, dann war das ja schon 1990, und dann kamen doch ziemlich schnell danach schon Konrad und Paul, die eigentlich wieder sehr gut waren. Hm. Woran lag’s also dann? Wieso kommt’s mir so vor, als wäre „Stehaufmännchen“, der neue Ralf König-Comic, ein Comeback nach einer jahrzehntelangen Auszeit?
Über den Tellerrand hinaus in den Hosenstall
Womöglich hielt ich meine König-Phase und damit meine Toleranzausbildung für beendet. Das war ja auch exzellent gemacht, damals in den 80ern: Humor und schwuler Sex gemischt und dann aber nicht nur der Gay-Community angeboten, sondern den neugierigen Heteros untergejubelt. Wer damals König gelesen hat, war superaufgeschlossen, der hat über den Tellerrand hinausgesehen, direkt in den Hosenstall.
Und weil aber die Schwulen bei König keine besseren Menschen sind, sondern eben nur dasselbe in rosa, hat man eben doch eigentlich nur über sich selber gelacht. Naja, und natürlich halb neugierig, halb neidisch verfolgt, ob und wie die über Sex reden und ob sie mehr und besseren oder anderen Sex haben als man selber, weil: sind ja am Ende des Tages doch alles Männer, und die denken dann wohl ebenfalls alle immer nur an das Eine. Das könnte doch Manches vielleicht etwas einfacher machen.
Das Provokante schwindet, das Schwule wird normal
Letztlich hat man bei König gelesen, dass es dann aber wohl offenbar doch nicht alles einfacher ist und wohl deshalb hab auch ich allmählich das ganz große Interesse an König verloren. Aber genau so war es doch auch gedacht gewesen, oder? Dass Schwulitäten auf diese Art so normal werden, dass sie das Provokante verlieren und man allenfalls noch mal die Augenbraue hochzieht, wenn einer mal „Faustfickvideo“ sagt. Und damit konnte man doch König beruhigt zu den Akten legen. Aber „Stehaufmännchen“ zeigt, dass man so auch Einiges verpasst haben könnte. Zum Beispiel zeichnerisch.
Klar, seinen Stil, schon ganz früh (und ganz offiziell, nie bestritten) von Claire Bretécher übernommen, ändert König nicht mehr. Aber diesen Stil hat er stets um einige Elemente erweitert, beispielsweise hat er irritierend ansehnliche Erektionen in Szene gesetzt, die hm, eigentlich kaum noch Karikaturen waren. Und jetzt, weil „Stehaufmännchen“ zu der Urzeit spielt, als die Frühmenschen von den Bäumen in die Savanne wechseln, da nimmt er sich immer mal wieder die Freiheit, Landschaften ganz- oder doppelseitig und in Farbe auszubreiten.
Eine seiner Stärken: Dialoge
Das kann er sehr hübsch, dochdoch, wusste ich vorher nicht. Das ist auch nicht nur Spielerei: König will da nicht nur Bilder haben, sondern auch Lesepausen, weil er, wie immer, viele Dialoge hat, die er nicht einfach so abklappern mag.
Diese Dialoge sind eine weitere Stärke von ihm, die er mit den Jahren weiter verfeinert hat: König war ja schon immer gut, wenn er die alltäglichen Gespräche und Beziehungsstreits nachgespielte. Er hat aber schnell gemerkt, dass Dialoge, die mit Lecken und Blasen funktionieren, eigentlich mit jedem anderen kontroversen Thema ähnlich gut klappen könnten. Eine Zeit lang hat er sich dann ein bisschen arg an der Religion abgearbeitet, aber vielleicht war das nötig, um die jetzige, deutlich elegantere Form zu entwickeln.
Feuer taugt nicht, aufrecht gehen ist ungesund
Das Elend mit der Welt, behauptet König in „Stehaufmännchen“, begann, als die Menschen von den Bäumen stiegen. Und die Debatten darüber, ob man nun auf dem Baum hocken soll oder runtersteigen und aufrecht gehen, die lässt er vorwiegend von Hockfreunden und Stehgegnern führen, und das auch noch möglichst unsachlich an jedem sinnvollen Punkt vorbei. Entscheidende Argumente sind: Wo hat man mehr Sex, Feuer taugt nichts, aufrecht gehen ist ungesund und früher im Baum war alles besser. Ob es überhaupt noch Bäume zum Obenbleiben gibt, wird praktisch nicht thematisiert, und das ist natürlich – wie wir beim sehr hübschen Blick in die weite, weite Savanne oft genug sehen – der Hintersinn des Ganzen. Würde uns heute natürlich nicht mehr passieren, oder kennen wir das nicht von irgendwoher?
Reaktionär wie ein Erzbischof
All das ist recht angenehm und entspannt und dennoch zielführend: König kann so weit gehen, seinen homosexuellen Hauptprotagonisten Flop zum fanatischen Zwangsschwulen zu machen, dass darauf beharrt, dass Männchen einander notgedrungen vögeln, weil nur das Anführer-Männchen des Stammes die Weibchen bekommt. Denn der Sachverhalt „von Natur aus schwul“ ist noch nicht entdeckt, weshalb Flop aus Angst, womöglich Sex mit Frauen haben zu müssen, zur Verteidigung seiner praktischerweise so wunschgemäß erzwungenen Homosexualität reaktionärer wettert als jeder verkalkte Erzbischof.
Sicher, handwerklich und pointentechnisch kommt einem bei König durchaus einiges bekannt vor. Und trotzdem macht es Freude, ihm dabei zuzusehen, wie er die menschlichen Wünsche, Vorstellungen, Egoismen und Sehnsüchte munter durcheinanderwürfelt und gegeneinander ausspielt. Ich muss wohl dringend einige mittelalte Königs nachlesen.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
Lustlose Zeichnungen, schiefe Vergleiche und Gags, die man erklären muss – wie Star-Cartoonistin Liv Strömquist mit ihren Bestsellern die Frauenbewegung sabotiert
Nie hätte ich gedacht, dass man Frauen heute noch so behandeln darf. Dass man ihnen Sachen so erklärt, als wären sie etwas zurückgeblieben. Dass man sie mit schiefen Argumenten abspeist und glaubt, sie würden es nicht merken. Dass man ihre Möglichkeit zum eigenverantwortlichen Handeln einfach ignoriert – kurz: dass man sie so behandelt wie es Liv Strömquist tut.
Vielleicht erwarte ich das Falsche: Cartoons mit Witz
Die 41-Jährige ist eine schwedische Feministin, Cartoonistin und Bestsellerautorin, jedenfalls im Comicmaßstab. Ihre Bände „Der Ursprung der Liebe“ und „Der Ursprung der Welt“ verkaufen sich tüchtig, sie wurde gelobt („sehr witzig“/RBB, „hinterfotzig“/NZZ), auch hier und hier bei Spiegel Online („überzeugende Witzarbeit“). Jetzt erscheint ihr dritter Band „I’m Every Woman“. Nach der Lektüre bin ich enttäuscht, gelinde gesagt. Aber vielleicht erwarte ich auch das Falsche. Zum Beispiel Cartoons, die a) witzig sein sollten, womöglich sogar durch b) die Zeichnung.
Ich gebe zu, dass weder a) noch b) leicht fallen, wenn der Cartoon darin besteht, dass man entweder eine Figur zum einer randvollen Sprechblase stellt oder die Figur lieber gleich ganz weglässt, um eine handschriftliche Bleiwüste zu drucken. Es kann aber auch daran liegen, dass Strömquist erhebliche Probleme mit dem Konzept von „Humor“ hat. Wie erklärt sich sonst ihr Simpsons-Cartoon?
Erkennt Strömquist Satire, wenn sie davorsteht?
Die „Simpsons“ karikieren seit 30 Jahren die Ehe von Marge und Homer. Ein fetter, träger Depp ignoriert seine Frau, die deutlich cleverer ist als er, weshalb der Zuschauer sofort denkt: „Das ist nicht okay.“ Und Strömquist? Sie zeichnet Homer und Marge mit vertauschten Rollen: Marge sitzt fett auf dem Sofa, ein sportlich-schlanker Homer muss ihr Bier holen und das Kind hüten. Sinn ergibt das nur, wenn Strömquist den Simpsons-Machern unterstellt, sie hielten diese Ehe für vorbildlich. Kann doch nicht sein.
Oder?
Nun ja. Strömquist glaubt auch, dass man Witze erklären muss. Eine Cartoonserie von ihr schreibt tierisches Verhalten Menschen zu: Nachts geil schreien, bis ein Sexpartner kommt. Oder eigene Kinder anderen vor die Tür legen. Muss man Katze oder Kuckuck dazu schreiben? Strömquist muss.
Waren die Eagles wirklich im Hotel California?
Doppelbödiges kennt sie nicht. Strömquist reiht auch Sting in die Liste der „unsäglichsten Lover der Weltgeschichte“, weil „Every Breath You Take“ Stalker ermutigt. Glaubt Strömquist wirklich, dass jede/r alles meint, was er/sie in der ersten Person singt? Waren die Eagles echt im Hotel California? Nee, oder? Aber wenn sie das nicht glaubt, was bleibt dann von dem Gag übrig? Okay, witzarme Cartoonisten gibt’s öfter. Aber bissige, überzeugende Argumente kann man schon erwarten, nicht wahr? Leider hat Strömquist gerade die nicht im Repertoire. Stattdessen gibt es Windschiefes im Dutzend billiger.
Arschloch findet Frau, die bei ihm bleibt – wer ist schuld?
Die übrigen 19 Seiten der „Unsägliche-Lover“-Story etwa: Marx, Munch, Picasso, Strömquist zählt Egoisten auf, die sich wohl auch arschlochmäßig verhalten haben. Kann man tadeln, muss man tadeln, aber – im Gegensatz zu ihrer Whitney Houston/Bobby Brown-Story – unterstellt hier nicht einmal Strömquist selbst diesen Ärschen, die Frauen gezwungen zu haben, sich so behandeln zu lassen. Wenn aber die Frau jederzeit aufstehen und gehen könnte, dann bleibt vom „unsäglichsten Lover der Weltgeschichte“ nur noch ein Arsch, der eine Dumme gefunden hat. Man könnte also auf dieser Basis mit derselben Berechtigung die Liste der „Dümmsten Geliebten der Weltgeschichte“ erstellen.
Exakt auf diese wacklige Argumentation hat sich Strömquist im neuen Band leider spezialisiert. Wir kriegen dasselbe von Elvis Presley erzählt, von Jackson Pollock, John Lennon oder von Stalin. Und sogar bei Stalin belegt Strömquists Schilderung nichts weiter als dass der Fall erledigt ist, sobald man den Arsch sitzenlässt. Warum sie nicht einfach bessere Beispiele sucht? Es liegt nahe, dass es ihr wichtiger ist, Promis postmortal einen reinzuwürgen als stringent zu argumentieren. Denn Trug- und Scheinschlüsse ziehen sich wie ein roter Faden durch ihr Werk.
Strömquists Skandal: Formwandler wählt falsche Form
Sie findet, dass Modekonsum Ausbeutung ist: Teures T-Shirt hier gleich ausgebeutete Arbeiter dort. Ist das so? Nö: Das Problem ist nicht das Shirt, sondern dass die Arbeiter keine angemessenen Löhne kriegen. Eigentlich könnte niemand das besser wissen als eben – eine Frau. Aber Strömquist schimpft auch, dass Barbamama feminin gerundet ist, Barbapapa hingegen ein Klumpen. Ja, die zwei aus der Trickserie. Wo ist der Sinn des Vorwurfs, wenn die Zauberfiguren mit einem Fingerschnippen jede Form annehmen können? Sicher, man kann den Körperkult kritisieren – aber wieso mit Protagonisten, die ihre Optik so mühelos wechseln wie ein Chamäleon die Farbe?
Übertreibe ich? Möglich. Es tut einfach in der Seele weh, wenn eine gute Sache so lausige Fürsprecher hat. Und Strömquist ist Wiederholungstäterin. Im „Ursprung der Liebe“ kritisiert sie über zig Seiten, wie die Menstruation verteufelt wurde. Nicht mit simplem Verweis auf die Natur, sondern indem sie anführt, wie oft die Menstruation als gute Magie verehrt wurde. Dass die Magie des einen auch nichts anderes ist als die Hexerei des anderen – scheißwurscht. Kann sein, dass Strömquist so sehr an ihre Sache glaubt, dass sie davon ausgeht, automatisch Recht zu haben. Aber dann argumentiert sie genauso schlampig, beliebig und selbstgefällig wie jeder 90-jährige Landrat der CSU.
Argumente wie von einem CSU-Landrat
Okay: Warum sollten Frauen sich mehr Mühe geben als Männer?
Weil Männer ihre Gleichberechtigung schon haben. Und weil Frauen daher starke Verbündete gut brauchen könnten: Ideenreichtum etwa, Charme oder souveräne und witzige Überzeugungskraft.
Bedeutet: So lange Frau Strömquist dran arbeitet, haben Männer wenig zu fürchten.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
Der Karikaturist Gerhard Seyfried überrascht mit dem neuen Band "Zwille": Der 70-Jährige ist etwas bequem geworden - doch den absurden Biss hat er noch immer
Neulich habe ich über Brösels neuen „Werner“ gemault und darüber, dass man nicht sturheil den alten Sums weiter vernudeln kann, wenn sich die Welt (samt Zeichner) doch reichlich verändert hat. Da hatte ich bereits übersehen, dass mit weit weniger Gedöns ein weiterer Altstar Neues vorgelegt hat: Gerhard Seyfried. Aber, seltsam: Obwohl Seyfried mit inzwischen 70 nochmal zwei Jahre älter ist als Brösel und ebenfalls dem eigenen Kosmos treu bleibt, habe ich mir bei ihm keine so großen Sorgen gemacht. Und womit?
Mit Recht.
Freak-Brothers-Liebhaber, Sponti-Ikone
Denn Seyfried… den kennen Sie doch, oder? Nicht? Okay, für die Jüngeren aus der U-40-Liga: Gerhard Seyfried ist ein in München geborener linksalternativer, eher harmloser Anarchist, der in den 70ern nach Berlin geflohen und dort mit der Sponti-Szene verwachsen, aber nicht verschmolzen ist. Entscheidend war seine Begegnung mit Gilbert Sheltons Serie „The Fabulous Furry Freak Brothers“, eine Parodie, die die Hippie-Bewegung boshaft kritisierte und zugleich aber zutiefst mit ihr sympathisierte. Seyfrieds besondere, zweifellos bundesverdienstkreuzwürdige Leistung: Ähnlich wie Harald Schmidt in punkto Late Night oder Ralf Husmann bei The Office schuf er – inspiriert vom US-Vorbild – eine durch und durch eigenständige deutsche Variante, die man ohne jegliches Fremdschämen genießen kann.
Seine Cartoons wie „Haschisch! – Gesundheit!“ oder „Pop! Stolizei“ gehörten in den 80ern an jeden anständigen Kühlschrank und altern dort heute noch erstaunlich gut. Denn wie Shelton machte Seyfried immer auch klar, dass die Linken, Alternativen und Spontis vielleicht Gutmenschen, aber keine besseren Menschen sind: mitunter einfallsreich und witzig, aber vor allem eher widerspenstig und dabei meist bequem, genusssüchtig und ähnlich dusselig wie Staat und Polizei.
Gutmenschen sind gut, aber nicht besser
Mit zunehmendem Alter erweiterte Seyfried sein Spektrum: In „Starship Eden“ oder den grandios bitteren „Future Subjunkies“ schickte er sein Personal in die Zukunft, nur um dort spöttisch immer wieder dieselben Mechanismen aufzudecken: Gier, Gutgläubigkeit, Geltungsbedürfnis und die stets allgegenwärtige Werbung, die bei Seyfried immer besondere Freude macht, weil sie entweder brachial-platt daherkommt („Schweinefleisch-Sensation!“, „Buy more cheap junk!“) oder hauchdünn übertrieben wie im neuen Band, wo wir gleich im ersten Panel hinter Titelheld „Zwille“ ein schönes Plakat entdecken für „All you can see – Flatrate Sightseeing“.
Die Story beginnt, als Zwille und seinem Kumpel MacÖko die Sozialhilfe für Comicfiguren gestrichen wird: Weil Comicfiguren nämlich nicht altern und damit den Sozialstaat Jahrhunderte lang belasten. Also suchen beide bei ihrem Zeichner einen neuen Job in einem neuen Comic. Das ist, zugegeben, nicht der stärkste Plot. Wie überhaupt Seyfried möglicherweise auch ein wenig bequem geworden ist.
Nach wie vor: Der Gag steckt im Detail
Die Zeichnungen, früher penibel getuscht, bleiben jetzt erstaunlich bleistiftlastig, stellenweise sind sogar die Text-Linien noch zu sehen, das kannte man von Seyfried bislang nicht. Der größere Verlust ist, dass er seitenweise Dialoge ohne Hintergründe zeichnet, die Figuren vor schlichtem Hellblau abbildet – dabei ist Seyfrieds Stärke das Beobachten von Kleinigkeiten, nach wie vor: Seine Wimmelbilder sind unnachahmliche Städte- und Massenportraits, bei denen jedes noch so kleine Plakat einen Gag liefert, und sobald Seyfried einen Alternativ-Markt, die Getränketafel in einem Coffee-Shop oder eine Straßenszene zeichnet, ist der anarchische Witz noch immer genauso da wie vor 40 Jahren.
Überwacht von der "Drohne Maja"
Von den Wänden wirbt „Zahlando“, auf Plakaten grüßt die SPD-Chefin „Infer Nahles“, auf dem Alternativmarkt gibt es Pflastersteine zu kaufen, aufgetürmt wie Äpfel, „Sorte 1. Mai“, und in Berlin servieren sie nur noch Burger: Döner-Burger, Haggis-Burger und Sushi Burger im „Happy Dolphin“. An der Wand warnt ein Graffito vor der „Drohne Maja“, und wann immer er Lust hat, stellt Seyfried in den Hintergrund bizarre Bausünden, die er so oder ähnlich in Berlin beobachtet.
All das ergibt eine schaurig-schöne Bestandsaufnahme der Gegenwart, die empört und zugleich versöhnt, die so entwaffnend und präzise kritisiert, dass man Seyfried nie wirklich böse sein kann, ihm aber dennoch permanent zustimmen muss. Wenn in 50 oder 100 Jahren Historiker oder Filmausstatter auf der Suche nach authentischem Material unserer Zeit sind, ist gut vorstellbar, dass sie bei Seyfried landen werden. Das gilt auch für „Zwille“, obwohl der Band diesmal nicht so zum Überlaufen vollgestopft ist mit optischen oder sprachlichen Pointen wie sonst.
Der Alltag braucht mehr Seyfried
Man möchte Seyfried mehr durch unseren Alltag schicken, mehr von unserem Leben durch seine Augen sehen, aber, wie er der taz verriet: „Comicmachen ist ein teures Hobby“. Inzwischen lebt er mehr von seinen Romanen, weil da die Vorschüsse höher sind und er davon die Miete besser und zuverlässiger zahlen kann. Das ist verständlich, zumal deutsche Comic-Zeichner üblicherweise nur zwei Altersvorsorge-Optionen besitzen: Hoffen und Bangen. Aber es ist zugleich auch unendlich schade.
Gerhard Seyfried, Zwille, Westend-Verlag, 16 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.