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Comicverfuehrer

Die Outtakes (29): Diese Comics möchten wichtige Themen auf den Punkt bringen - und landen jeweils knapp daneben



Illustration: Lisa Frühbeis - Carlsen
Illustration: Lisa Frühbeis - Carlsen

A Debberla dudd si hald hardd


So ist’s eigentlich recht: Mit Lisa Frühbeis widmet sich in „Der Zeitraum“ eine gestandene Max-und-Moritz-Preisträgerin der Problematik alleinerziehender Frauen. Und Medien quer durch die Republik haben Frau Frühbeis dafür auf die Schulter geklopft, dass es nur so staubt. Nach der Lektüre wundert man sich allerdings ein wenig, wofür.

Lisa Frühbeis‘ Protagonistin ist eine junge Musikerin, die in sieben Tagen eine wichtige Komposition abgeben muss, aber eben leider/gottseidank auch noch zwei Kinder an der Backe hat. Was tut die junge Mutter also? Sie fährt mit den Kindern in den Urlaub. In ein Tiny House, das praktisch nur aus zwei Räumen besteht, so gut wie keine Rückzugsmöglichkeiten besitzt, auf einer Insel liegt, damit man die Kinder auch nicht mal per Bus ins nächste Kino schicken kann. Ich weiß nicht, wie’s Ihnen geht, aber ich denk dabei sofort: Warum nimmt sie eigentlich nicht noch ihren dementen Großvater mit, drei Hunde und vermietet eines der zwei Zimmer an einen kokainsüchtigen Studenten? Ja, optisch sieht das alles klasse aus: Für die Nöte findet Lisa Frühbeis schöne, sehenswerte Bilder, lebendige Farben. Aber all das hilft nicht mehr viel, wenn man Protagonistin samt Anliegen vom Start weg diskreditiert und es noch nicht einmal merkt. Denn so illustriert man nicht die Nöte alleinerziehender Mütter, sondern allenfalls die selbstgemachten Probleme unbedarfter Menschen. Oder, wie der Franke sagt: „ A Debberla dudd si hald hardd.“



Verzockt

Illustration: Jean Zeid/Émilie Rouge - Carlsen
Illustration: Jean Zeid/Émilie Rouge - Carlsen

Gutes Thema, schlimme Umsetzung: „Gaming“ von Szenarist Jean Zeid will die Entwicklung des Videospiels nachzeichnen, und da lacht ja zunächst das Herz des alten Mannes. Tatsächlich ist das Wiedersehen mit all den Erinnerungen angenehm, die Darreichung hingegen erschütternd altbacken. Zeid muss zwei Gestalten das Ganze erzählen lassen, einen Klugi (sich selber) und ein Doofi (Zeichnerin Émilie Rouge), und als ob das nicht genug wäre, muss auch noch ein Computerkästchen mit herumschweben wie diese Uhr in „Es war einmal der Mensch“. So spannend die Infos sind, so sehr treibt einem die Erzählweise Tränen in die Augen. Wie soll man das erklären… es ist so ziemlich wie seekrank aufm Traumschiff. Und das Ärgerlichste: Vor lauter Erklären übersehen die beiden wichtige Themen wie eingebaute Suchtmechanismen, In-Game-Käufe, all den fiesen Kram, der aus der schönen Spielerei immer öfter eine üble Abzocke macht.


Falsch eingelocht

Illustration: Sarah Hübner - Jaja-Verlag
Illustration: Sarah Hübner - Jaja-Verlag

Verlockend: Sarah Hübner legt mit „Unruhe“ eine schön reduziert bebilderte Parabel vor. In einem Bergdorf samt Postbotin entsteht auf einmal ein riesiges Loch. Irre tief, unfüllbar. Das beunruhigt die Menschen. Es kommen Geologen, die sagen, das Loch wäre sicher – aber wer weiß? Vielleicht lügen die Experten? Die Menschen ändern sich, jemand verkauft Streichhölzer als Amulette, und von einer alten, weisen Frau bekommt die Postbotin den Tipp: Nicht das Loch ist schuld, es gibt einen Brandstifter, der die Leute verdreht, und…

Hier ist dem Leser das Ziel längst klar: Eine Verschwörungsparabel soll's sein, die den Irrsinn elegant veranschaulicht. Doch dazu passt eines leider nicht: das Loch. Das Problem mit Corona oder Klimawandel ist doch, dass sie Unangenehmes verlangen (Masken, neue Heizung, weniger Schnitzel). Darum fliehen die Leute lieber in eine Quatschwelt. Doch das Loch verlangt – nichts. Man könnte es sogar als Touristenhotspot nutzen. Und so kann Hübner die Schwurbel-Symptome eben nur aufzählen, aber nicht: erklären oder entlarven (was der Sinn einer Parabel wäre). Vollends bricht die Analogie zusammen, als die Dörfler die Seilbahn abreißen, weil sie dort die Schuld suchen. Selbst der Dorfdepp weiß: Die Seilbahn braucht er noch, weshalb reale Mobs zuverlässig lieber Hexen jagen oder jüdische Seilbahnbetreiber. Das einfache Loch-Bild ist so verführerisch, dass man leicht übersieht, wie schief es ist – Hübner (Jahrgang 1998) hat das wohl unterschätzt. Kann vorkommen, aber so tendiert die Parabel zum gutgemeinten Pamphlet. Da war deutlich mehr drin!

 

 



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Raus aus der Vanille-Bubble: Diese zwei Comic-Bände bieten erstaunlich gute Unterhaltung – wenn man sich drauf einlässt

Illustration: Tara Booth - Edition Moderne
Illustration: Tara Booth - Edition Moderne

In München gibt’s eine Eisdiele, die macht unter anderem Eis der Sorte: „Gurke-Joghurt-Dill“. Das klingt vielleicht zuerst nicht nach einer guten Idee, aber ich schwöre, wer’s probiert, sagt „das hat was“. Oder: „Das geht!“ Oder: „Das geht sogar sehr gut!“ Und deshalb gibt’s heute für Sie zwei Comics der Sorte „Gurke-Joghurt-Dill“. Weil man manchmal einfach raus muss aus der Vanille-Schoko-Erdbeer-Bubble.


Exzellent unbehaglich


Wissen Sie, was ein „Tequila Rambo“ ist? Ein grandios bescheuerter Drink, und eines der lustigsten Elemente aus Olivier Schrauwens bizarrem Band „Sonntag”, den die New York Times als eine der acht besten Graphic Novels 2024 lobt – und da ist was dran. Nur comicverführerisch ist „Sonntag“ nicht, dafür exzellent verschroben und unbehaglich.

Illustration: Olivier Schrauwens - Edition Moderne
Illustration: Olivier Schrauwens - Edition Moderne

Schrauwen schildert einen Sonntag im Leben seines (realen? erfundenen?) Cousins Thibault. Der ist allein zuhaus, die Freundin wird irgendwann am Abend aus einem längeren Urlaub zurückkommen, aber bis dahin hat er frei und die Bude ganz für sich. Und anfangs klingt der Sonntag auch superentspannt, verheißungsvoll, der Tag, an dem man endlich dies machen könnte oder jenes, aber rasch wird klar, dass nichts davon passiert, vom Sonntag wird nichts bleiben als der üble Nachgeschmack verschwendeter Lebenszeit.


Wie die Zeit verplätschert


Kommt Ihnen bekannt vor? Genau das ist die Stärke des Bandes, der Fremd- und Eigenscham auf ungeahnte Höhen treibt. Man macht sich noch einen Kaffee, man öffnet noch E-Mails, man bleibt hier hängen und dort, und so verplätschert die Zeit. Was in diesem Fall ein sehr eigenwilliger Genuss ist.

Illustration: Olivier Schrauwens - Edition Moderne
Illustration: Olivier Schrauwens - Edition Moderne

Denn dieser gedruckte Tag voll Zeitmüll liest sich leicht, schnell und mit einer sensationellen Gefühlsanalogie: Die Zeit verstreicht wie die Seiten, auf Seite 250 ist es Nachmittag und man sitzt gefühlt selbst noch immer im Bademantel da. Man fühlt sich irgendwie elend, und dabei hat man doch – anders als Thibault! – schon praktisch einen ganzen, fetten Comicband weggelesen. Was für eine bizarre Erfahrung!


Geheimrezept „Tequila Rambo“


Das Weglesen klappt deshalb, weil Schrauwens in zwei Punkten mogelt: Zum einen eröffnet er eine zweite Handlungsebene um den nervigen Rik, der unterwegs ist um Thibault zu  überraschen. Und zweitens ist sein Protagonist nach etwa einem Drittel eine deutliche Spur zu verschroben – was dem Leser eine kleine Ausflucht bietet: „Na, so einen Dachschaden hab ich gottseidank doch noch nicht.“ Aber sonst wäre vermutlich auch die akribische Füllung von 16 vertrödelten Stunden nicht so gut möglich gewesen. Fazit: Großartig, aber eben nicht verführerisch, und ... bitte? Der „Tequila Rambo“?

Illustration: Olivier Schrauwens - Edition Moderne
Illustration: Olivier Schrauwens - Edition Moderne

Ach ja, also der geht so: Man nimmt ein Glas Tequila, eine Zitronenscheibe und Salz.

Erst spritzt man sich den Zitronensaft ins Auge.

Dann schnupft man das Salz.

Dann kippt man den Schnaps.

Zuviel versprochen?

 

Hemmungsloses Farbkompott


Illustration: Tara Booth - Edition Moderne
Illustration: Tara Booth - Edition Moderne

Was für ein lustiges Farbkompott! Die Kolorierung ist die munterbunte Eintrittskarte zu Tara Booths „Überwindungen“. Schon das Innencover: Eine ganze Seite blau, mit lauter schwarz weißen Stinktieren. Nächste Seite: Tanzende graue Mäuse auf knallrotem Grund, dazwischen lauterprallgelbe Käseecken. Dann: Erstes Selbstporträt Tara Booths, eine klobige Klumpenfrau, aber mit grasgrünen Schuhen, einer gelben Hose, auf der blaue Elefanten sind. Auf der nächsten Seite trägt sie ein T-Shirt, Aufschrift: „Protect me from what I want“, und ich komme garnicht dazu „oje, Psychokacke“ zu denken, wegen der buntgemusterten Hose, den knalligen Farben. Noch nie war Psychokacke so attraktiv, so lebendig!

Illustration: Tara Booth - Edition Moderne
Illustration: Tara Booth - Edition Moderne

Denn tatsächlich geht es darum: „Überwindungen“ ist autobiographisch, Booth schreibt über ihre Meisen und Dachschäden, Essstörungen, Alkoholprobleme, sarkastisch, schonungslos, manchmal sehr witzig. Sie ist beziehungsunfähig, findet Partner, mit denen sie gut klarkommt unattraktiv und daher plötzlich attraktiv, sobald die die Lust verlieren. Und jedesmal, wenn mein Kopf denkt: „Blablabla, das hatten wir doch schon alles“, protestieren meine Augen: „Aber nicht so fröhlichfrisch.“ Und ich muss zugeben, die Augen sehen das ziemlich richtig!

Illustration: Tara Booth - Edition Moderne
Illustration: Tara Booth - Edition Moderne

Tara Booth produziert endlos optische Ideen, ein müheloser Mustergeysir. Beispiel: Die These „Meine sexuelle Orientierung ist ,interessiert an allem was mir Aufmerksamkeit schenkt‘, illustriert sie mit sieben  Szenen von sich und einer anderen Person. Ergibt bei ihr nicht 1+7 verschiedene Shirts/Oberteile, sondern zwölf, alle knallkoloriert, frech – und funny, weil eine der Personen eine Plastiktüte ist und eine weitere ein Blumentopf.


Das Big-Bändchen


Eine Graphic Novel (wie von der New York Times behauptet) ist das nicht, eher eine locker verknüpfte Cartoonsammlung, aber wen juckt das, wenn jedes Panel so belebend ist wie eine Schüssel Eiswasser ins Gesicht? Selbst schwächere Pointen oder ihre schwarz-blauen Depressions-Cartoons ergeben noch immer ein starkes Wandplakat – oder ergäben es, denn das 400 Seiten starke Big-Bändchen ist mit 12 x 16,5 cm kleiner als die meisten Mangas. Bin ich jetzt herzlos oder was? Ich denke: Nein. Tara Booth hat hier hoffentlich einen unterhaltsamen Weg gefunden sich selbst zu therapieren, der sie nebenher auch noch ernährt: Die Skunks auf blauem Grund gibt's bei Frau Booths Homepage als Hose oder T-Shirt.


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Sehnsüchtig, halbtraurig und verträumt: Mariko und Jillian Tamakis sensibles Teenie-Ferienabenteuer „Ein Sommer am See“

Illustration: Mariko Tamaki/Jillian Tamaki - Reprodukt
Illustration: Mariko Tamaki/Jillian Tamaki - Reprodukt

Schon Lust auf Sommer? Noch ist's da ein bisschen hin, aber einen Vorgeschmack hätte ich schon: „Ein Sommer am See“. Berührend und bezaubernd. Nicht ganz neu (aber dafür günstig, s.u.!). Und wie so oft findet man sowas, indem man nach der Vergangenheit von Leuten guckt, die was auffallend Gutes gemacht haben, in diesem Fall einmal mehr Mariko und Jillian Tamaki.


Der Sommer scheint durchs Fenster


Es ist Sommer. Rose (zwölf? dreizehn?) fährt mit ihren Eltern ins Ferienhaus am See. Rose sitzt auf dem Rücksitz des Autos, blättert in Comics, sieht außen die ersten vertrauten Gebäude. Man hört die Reifen förmlich über den Kies knirschen, sieht die Dorfkids (winkt, um nicht arrogant zu wirken/wird für arrogant gehalten, weil man winkt). Rose lässt sich beglückt auf ihr vertrautes Ferienbett fallen, der Sommer scheint durchs Fenster. Dann nimmt sie ihr Rad und fährt zu ihrer Freundin Windy, die zwei Häuser weiter ebenfalls Ferien macht – ebenfalls wie immer.

Illustration: Mariko Tamaki/Jillian Tamaki - Reprodukt
Illustration: Mariko Tamaki/Jillian Tamaki - Reprodukt

All das ist saugeschickt umgesetzt: abwechslungsreiche Kameraführung, mit vielen glaubwürdigen Details. Das Fahrrad steht im Schuppen mit Vorhängeschloss, Roses Zimmer ist zurückhaltend ferienhausgerecht eingerichtet. Und wie sie aufs Bett plumpst: endlich angekommen. Dazu Rose selbst: harmlos-hübsch, blond, bohnendünn, Windy dagegen etwas jünger, rundlich, dunkle Haare. So viel Idylle, soviel Hoffnungen auf so viel Sommer, dass man beinahe vergisst, dass doch bestimmt irgendwas passieren muss, weil man ja sonst keine Geschichte zu erzählen hätte. Aber was?


Heimlicher Horror


Mariko Tamaki wählt wie schon in Roaming das Unscheinbare: Die Mädchen reden erstmals über Titten, ein wenig ratlos. Sie haben keine Lust mehr auf Zeichentrickfilme, und überhaupt geschehen in ihrem Leben auf einmal seltsame Dinge. Roses Eltern verstehen sich nicht gut. Und in dem Dorfladen, in dem Rose und Windy erstmals heimlich Horrorvideos leihen, reden die Jungs merkwürdige Sache über die Mädchen. Übrigens tatsächlich das perfekte Setting für einen Horrorfilm.

Illustration: Mariko Tamaki/Jillian Tamaki - Reprodukt
Illustration: Mariko Tamaki/Jillian Tamaki - Reprodukt

Aber Mariko Tamaki arbeitet viel eleganter, ohne Auflösung: Rose versucht ihre eigenen Gefühle einzusortieren. Warum ist ihr der Typ vom DVD-Verleih so wichtig, warum will sie wissen was mit seiner Freundin ist? Warum ist Mama so eine Spaßbremse? Praktisch nichts wird ausdiskutiert, stattdessen sehen wir eine zunehmend überforderte Rose, die sich wundert, wo die unkomplizierte Vergangenheit hin ist. Was wiederum genau die Frage ist, die man sich als erwachsen(d)er Leser selbst stellt, sehnsüchtig, halb traurig, halb träumerisch.


Chaos hinter der Oberfläche


Sowas funktioniert aber nur, wenn man auch die richtigen Bilder hat, und die zeichnet Jullian Tamaki en masse. Schön eskalierende Szenen wie der Nachmittag am Strand, kleine Einstellungen wie ein nackter Mädchenfuß, der gelangweilt ein Sektglas umschubst, oder auch die verwirrte Rose von oben, wie sie an einem ordentlichen Holzzaun vorbeigeht, hinter dem das White-Trash-Müllchaos lagert. Wir sehen, was hinter der Zaunoberfläche liegt, Rose sieht es nicht, weil sie nicht groß genug ist. Sinnbild? Zufall?

Illustration: Mariko Tamaki/Jillian Tamaki - Reprodukt
Illustration: Mariko Tamaki/Jillian Tamaki - Reprodukt

Die Tamakis werden’s bestimmt nicht aufklären, und eben dieses Selbstentdecken, Nachfühlen und -denken macht an ihrem Comic so unglaublich viel Spaß. Den es übrigens für wenig Geld gibt, 9,90 Euro als Taschenbuch, das ist eigentlich schon Mangatarif. Aber wenn Sie vor lauter Blödwinter den Sommer nochmal richtig genießen wollen, nehmen Sie die größere, gebundene Version.

 




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