- 31. Juli
Die Outtakes (30): Kindgerechte Gespenster, Kneipen-Konversationen und Wünschen mit kleinen Fehlern

Mürkwerdig
Tja, ich mag Taiyo Matsumoto, einen Preis der japanischen Mangazeichnervereinigung hat „Gogo-Monster“ auch gekriegt, aber ich weiß trotzdem leider nicht recht wofür. Es geht wieder mal um Kinder, eines von ihnen glaubt Kontakt zu Geistern zu haben, die im gesperrten dritten Stock der Schule wohnen. Die anderen Kinder denken, der Junge hätte ein Rad ab, zwei von ihnen mögen den Geisterbuben dennoch ganz gern. Eines dieser beiden rennt den ganzen Tag mit einem Pappkarton über dem Kopf herum. Und so weiter und so fort. Wir Leser sehen weder die Geister noch wird überhaupt klar, wohin die Geschichte führt, die ich Matsumoto zuliebe bis zum Schluss durchgelesen habe. Dann begriff ich: Ich weiß es immer noch nicht. Und Matsumotos sonstige Stärke, die kleinen großen Gefühle, sind ihm diesmal auch irgendwie durch die Finger gerutscht. Merkwürdig, mürkwerdig, mürb werd ick. Aber immerhin: Der Einband ist hübsch.
Flasche nicht leer

Ordentlich exotisch: Deena Mohameds „Shubeik Lubeik“ kommt aus Ägypten, liest sich mangahaft von rechts nach links, ist märchenhaft und ansehnlich und über 500 Seiten dick. Alles ist bereit für den Überraschungserfolg, der leider ausbleibt, obwohl es launig losgeht. Mohamed erzählt aus einem orientalischen Land, in dem man Wünsche kaufen kann. Billige, die beim Erfüllen mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen. Teure, die wesentlich präziser funktionieren. Dazwischen malt Mohamed immer wieder reizvoll aus, wie der Staat Herstellung, Verkauf und Umgang mit den Wünschen zu regeln versucht. Das ist teils satirisch, teils ernst, was sich ergänzen könnte, aber hier gegenseitig verwässert. Die eigentliche Handlung eiert ebenfalls halbentschlossen zwischen herzzerreißend und Satire (wie ja überhaupt die ganze Wünscherei auch den orientalischen Umgang mit modernen Freiheiten spiegeln möchte). Am meisten bremsen indessen Mohameds endlose Erwägungen, Debatten, Bedenken rund ums Problem des kaufbaren Wunschs die Lesefreude aus. Die sind selbst als Parabel für moderne Sehnsüchte arg langatmig geraten. Oder es ist landestypischer Stil: Dann möge zugreifen, wer ihn mag.
100 Bullets, gewaltfreie Version

Eindeutig gut, aber auch eindeutig spröde: Die Wiederveröffentlichung von „Joe’s Bar“ macht es dem Leser nicht leicht. So sind die Geschichten rund um Bar, Besucher und Betreiber allerdings auch nicht gedacht: Die Argentinier José Munoz (Zeichnungen) und Carlos Sampayo (Text) rücken immer wieder Passanten, Fremde, Mittrinker samt ihren Gesprächsfetzen in den Vordergrund, wechseln ständig das Personal, so dass man oft schon Mühe hat, die Hauptfigur rauszufinden. Das ist liebevoll und boshaft gezeichnet, durchdacht angelegt – aber auch so kunstwillig, dass ich mir ständig vorkomme, als sähe ich statt einer Erfolgsserie nur das Spin-Off einer Nebenfigur, von der ich leider noch nie gehört habe. Tatsächlich erinnern die je 20-seitigen Tauchgänge ins pralle Leben stark an die Serien „100 Bullets“ und „Sin City“ – aber eben ohne die kommerziell hilfreiche Gewaltzutat.
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- 3. Apr.
Die Outtakes (26): Mit einem redefreudigen Kater auf Abwegen, einem Werbe-Bestschenker und Blutsaugern vom Lande

Übersehene Geschichte
Er macht es einem wieder einmal nicht leicht, der maxundmoritzbepreiste Joann Sfar: Der inzwischen fünfte Teil der „Katze des Rabbiners“ ist zwar zuverlässig munter und ansehnlich, aber zunehmend nutzt Sfar den kratzbürstigen Kater, um alle Themen abzuhandeln, die ihm so durch den Kopf gehen. In der ersten Hälfte ist das die Suche nach Gott und den Wundern, die ihn beweisen sollen, das wird dann schon sehr theoretisch. In Teil zwei stolpern wir hingegen in einen häufig übersehenen Teil der Geschichte: Nach dem ersten Weltkrieg wurden Teile der französischen Armee nicht in den Frieden entlassen, sondern gleich zur Bekämpfung der russischen Revolution weitergeschickt (und zur Eintreibung der russischen Auslandsschulden). Den barbarisch-blutigen Horror des russischen Revolutionschaos schildert Sfar bizarr, brachial, dämonisch gut, Literaturhinweise inklusive, so dass nicht nur historisch Interessierte was davon haben.
Vernünftiges von der Versicherung

Nach „Alex der Rabe“ folgt hier ein weiterer Blick in die Werbevergangenheit: „Max & Luzie“ entstand 1983-2002 im Auftrag der Allianz-Versicherung, in tadelloser „Knax“-Qualität – mit allen Vorzügen und Nachteilen. So merkt man durchweg Zeichner Franz Gerg sowie dem Autorentrio Monika Sattrasai/Doris Ertel-Zellner/Reinhold Zellner die Gewissenhaftigkeit und die Liebe zum Produkt an. Doch das Ergebnis ist hm, sehr vernünftig. Die optischen Vorbilder von „Asterix“ bis „Boule & Bill“ schimmern jederzeit auf, die Personenkonstellationen verschrecken weder Leser noch Investor, und der erklärende Textteil sorgt für allgemeines und vor allem erwachsenes Wohlwollen. Bis zu 500.000 Hefte druckte die Allianz, genug, dass sich „Max & Luzie“ offenbar ganzen Generationen ähnlich ins Kindheitsgedächtnis brannten wie das von den Sparkassen spendierte „Knax“. Was in beiden Fällen nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die Serien weder mit religiösem Eifer gesammelt wurden noch am Kiosk jemals konkurrenzfähig gewesen wären. Heißt: Nostalgische Erinnerungen machen den Lesespaß vermutlich größer und nicht zuletzt auch wahrscheinlicher.
Cousine mit Biss

Grusel-Comedy auf dem Level von „Tanz der Vampire“ ist schwer und selten. Daran ändert auch „Vampircousinen“ von Alexandre Fontaine Rousseau und Zeichnerin Cathon nichts. Die geschwätzige Camillia wird von ihrer Cousine Friederike ins Schloss ihrer Jugend eingeladen. Untern im Dorf reden alle finster über das Schloss, im Supermarkt gibt’s nur Knoblauch, aber Camillia glaubt nicht an Vampire – obwohl doch gerade eben jene Friederike (und da kommen Sie nie in diesem und auch nicht im nächsten Leben drauf) selber ein Vampir ist! Ausgerechnet Friedrike! Potzblitz! Und weil man sich den Rest exakt genauso wenig denken kann, erwartet Sie jetzt also ein Füllhorn an Überraschungen oder ein müdes Schmunzelchhrrr.
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- 16. Jan.
Die Outtakes (24): Mit einem emanzipierten Grusel-Praktikum, einer Perle des Militär-Cartoons und einer sehr nachsichtigen KI-Kritik

Es feuchtenbergert
Los geht’s gut: Anfang des letzten/Ende des vorletzten Jahrhunderts beginnt eine Handvoll Studenten ihr Praxissemester – und eine einzelne Studentin. Die einen Job als Instituts-Helferlein kriegt, und zwar bei der Erforschung eines Werwolfs. Ein Superstart für Noëlle Krögers „Meute“: Emanzipations-Setting goes übernatürlich, und dann auch noch diese brachiale Optik. Die Menschen mit feinen Linien waechter-franziskabecker-haft skizziert, die Werwölfe und Wälder mit fetten, entschlossenen Kohlestrichen, oft energisch über den Panelrand hinausgeschmiert, die feuchtenbergergeschulte Masterarbeit hat ordentlich Power. Das Problem ist das Durchhalten. Optisch passt das, inhaltlich wird’s schnell dünn. Kröger will zu viel und kann sich bald nicht mehr entscheiden. Die Werwölfe sollen vom konsumierbaren Gruselelement zum Symbol für alle „Unsichtbaren der Gesellschaft“ werden, dieses Sichtbarmachen will sie diskutieren und auch noch die Rolle der armen Wissenschaftlerin, deren Benachteiligung man daran erkennt, dass sie als Anfängerin eher subalterne Jobs machen darf (was allerdings Anfängern genauso passiert). Kröger verdreht sich durch den Werwolf, die Story verliert bald den Drive: schade. Aber die Power-Panels sind trotzdem echte Hingucker.
Kompetente Truppenbetreuung
Ist das hier nur was für Spezialisten? Einerseits ja, andererseits nein, aber wenn Sie mal günstig drüber stolpern, nehmen Sie „Male Call“ besser mit. Milton Caniff ist eine Comic-Legende, in seinen Serien „Steve Canyon“ (1947-88) und „Terry And The Pirates“ (1934-46) setzte er Maßstäbe in der Kunst, nur mit Schwarz und Weiß Tiefe, Bewegung, Stimmung zu transportieren. Zusätzlich war Caniff ein exzellenter Texter, das Ergebnis waren tägliche Abenteuercomics auf Hollywood-Blockbusterniveau, witzig, spannend, aber auch einfühlsam und dramatisch, mit „Casablanca“-reifen Dialogen. „Male Call“ entwickelte Caniff während des Zweiten Weltkriegs: ein Comic nur für die Truppe(nzeitungen). Weshalb man hier auf engstem Raum (vier Panels pro Strip) nicht nur seine Kunst findet, sondern nebenbei Militär-, Sprach- und Sozialgeschichte. Die Heldin mit soldatengerechter Oberweite ist Miss Lace, die stets seltsam truppennah wohnt, mit Soldaten ausgeht, flirtet und allein entscheidet, ob sie freche Bemerkungen akzeptiert oder schlag-fertig retourniert. Ein Mix der Träume: von der sexy Kameradin zum Pferdestehlen, von ent-sexten Männern, die zugleich übertreiben und doch bei aller Lust die Regeln des Anstands einhalten. Erstaunlich/erfreulich ist, dass der heute kaum mehr denkbare Comic bei allem Verständnis gaff- und knutschwütigen Kerlen auch klarmacht, dass Frauen Avancen ganz anders empfinden könnten. Zudem ist „Male Call“ mit seiner Sympathie für die Untergebenen neben Will Eisners Lehrcomics für Soldaten ein zweiter gelungener Versuch, sich in die Köpfe der Truppe zu versetzen – was deren Gedankenwelt bis heute wiederum besser illustriert als manche Studie. Aber: Miss Laces Abenteuer gibt’s nicht auf deutsch, authentisch sind sie ohnehin nur auf englisch, und um sie günstig zu kaufen, muss man sie stets ein bisschen auf dem Schirm haben. Für die ca. 100 Strips werden derzeit gern 40 oder mehr Euro aufgerufen, ich kam bei Ebay mit etwas Glück mit 15 davon.
Zuviel Rücksicht auf Roboter

KI und die Zukunft des analogen Zeichenberufs – zweifellos gutes Material für Cartoon und Comic. Johannes Lott hat sich im schmalen Bändchen „real human art“ des Themas angenommen, der Erstveröffentlichungs-Plattform Instagram gemäß auf Englisch, und dabei ist es dann auch im Deutschen geblieben (kann man das eigentlich so sagen? Nee, oder? Also: ist in Deutschland gedruckt, aber auf englisch!). Handlung ist stets: der Dialog von Zeichner und Roboter. Was letztlich mit der Pointenqualität steht und fällt. Dafür ist aber Lott leider nicht der Richtige. Denn betrachtet man den Siegeszug des KI-Versprechens „Scheiße, aber gratis“, wäre tiefschwarze Bitterkeit angemessen, Lott hat aber zuviel Verständnis für Mensch und Maschine. Zu wenig Rücksichtslosigkeit macht ihn zwar zu einem sympathischeren Zeichner, aber zu einem schwächeren Satiriker. Schade.