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Comicverfuehrer

Bitter, blutig, einfühlsam: In „Die Nächte des Saturn“ kreuzt Pierre-Henry Gomont die klassische Gangsterballade mit einer ungewöhnlichen Lovestory

Illustration: Pierre-Henry Gomont/Marcus Malte - Schreiber & Leser - Reprodukt

Donnerwetter. Echter Knaller. Ein Krimi, eine Gangsterballade, eine Augenweide mit hohem Actionanteil – und noch dazu von einem Autor, von dem ich nicht viel erwartete, weil ich hier über seine „Neuen Russen“ schon ein bisschen geschimpft habe: Pierre-Henry Gomont. Aber es liegt auch daran, dass Gomont diesmal vieles anders und so viel besser macht.


Atmosphäre tonnenweise


Das tut er natürlich nicht wegen mir: denn „Die Nächte des Saturn“ hat er schon 2015 gezeichnet, sie erscheinen aber erst jetzt auf deutsch. Was dabei auf Anhieb überzeugt, ist die Optik. Gangsterballade heißt ja: Atmosphäre ist superwichtig, Alain Delon im Trenchcoat und im Regen kann schon den halben Film ausmachen. Hier haben wir viel Nacht, viel Autofahren, Leute, die warten und rauchen, lenken und reden, leere Straßen, nächtliche Autobahnen. Gomont bringt tonnenweise Atmosphäre in dunklem Blaugrün, schummrigem Leuchten, diesigem Nebel, viel aquarellige Fläche, durch die sich weißes Licht schneidet. Jetzt müssten diese Leute nur noch was Sinnvolles zu tun bekommen...

Illustration: Pierre-Henry Gomont/Marcus Malte - Schreiber & Leser - Reprodukt

Und hier hat Gomont diesmal Hilfe. Er hat einen Roman des Franzosen Marcus Malte adaptiert. Wie der sich im Original liest, weiß ich nicht – aber die Adaption ist aus einem Guss, 160 geschickt getimte Seiten, das muss man auch erst mal hinbekommen.


Rache nach 15 Jahren Knast


Die Story: Der alternde Clovis kommt nach 15 Jahren aus dem Knast. Er besucht seinen Kumpel Charles, organisiert eine Waffe und beginnt die Suche nach einem Faber. Rache, klar. 1984 sollten Faber und Clovis für Charles einen Fremden über die Grenze fahren, was extrem schiefging. Faber hatte seither mal eine Disco, ist dann aber untergetaucht.

Illustration: Pierre-Henry Gomont/Marcus Malte - Schreiber & Leser - Reprodukt

Um Faber zu finden, benötigt Clovis die Disco-Bedienung Cesaria, die sich in ihn verliebt. Klingt erst wie bei 007, Superhengst trifft Superbrezel, aber falsch: Cesaria ist eine anlehnungsbedürftige Transe, was Clovis teils schätzt (bläst gut), aber teils eklig findet (bin doch nicht schwul!). So dass ihn die Geister seiner Knastvergangenheit schallend auslachen.


Die Kälte der Großstadt


Vor dem Hintergrund dieser teils hingebungsvollen, teils widerstrebenden Beziehung entfaltet Gomont Action und Drama. Es gibt Rückblenden zur verhängnisvollen Nacht 1984, mit exzellenten, knappen, oft fast unwillig geführten Dialogen. Es gibt Ansichten von nächtlichen Großstädten, Tankstellen, so voll Sehnsucht und Kälte, vertraut und ungemütlich, wie ich es sonst nur von Gipi kenne (den er als eines seiner Vorbilder angibt).

Illustration: Pierre-Henry Gomont/Marcus Malte - Schreiber & Leser - Reprodukt

Aber im Gegensatz zum supermelancholischen Gipi wird viel rasant gefahren, es wird tödlich geschossen. Und trotzdem findet bei aller Härte, die man am Genre liebt, auch diese Hassliebe zwischen Verletzlichkeit und Schwulenängsten ihren Platz, wird ernstgenommen und trotzdem nicht totgesülzt, es ist eine einzige, seltene Freude. Die neugierig macht, was dieser wandelbare Gomont denn sonst noch so fabriziert hat. Denn im Backkatalog des Mittvierzigers gibt es noch eine Menge, die ich mit meinem grausigen Französisch nicht lesen kann. Übersetzen, bitte!

 


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Das Beste kommt zum Schluss? Ansichtssache: Vier Titel zwischen gut und gewöhnungsbedürftig beenden den kafkaesken Jubiläumswinter

Illustration: Corbeyran/Richard Horne - Knesebeck Verlag

Hellboy'sche Dunkelheit


In Teil 1 der Kafka-Veröffentlichungen habe ich das Team Crumb/Mairowitz auch deshalb gelobt, weil sie mit wenigen umgesetzten Szenen den Eindruck erwecken, man habe die ganze Geschichte gelesen. Dieser Aspekt ist die Hauptkonkurrenz für Texter Corbeyran  (Éric Corberant) und Zeichner Richard Horne. Sie haben Kafkas „Verwandlung“ zu einem Album verarbeitet, 48 große Seiten, 30 mehr als Crumb/Mairowitz. Die Auswahl überzeugt dennoch: Corbeyran/Horne lenken die Aufmerksamkeit auf schöne Details wie Gregor Samsas Selbsttäuschung, alles würde schon wieder, würde er es erst mal schaffen aufzustehen und sich anzuziehen. Faustregel: „Nur nicht unnütz im Bett liegen bleiben!“ Oder Samsas Hoffnung, der Chef würde die Partei der riesigen Schabe ergreifen, weil sie sich ja erkennbar nach besten Kräften bemüht. All das illustriert Horne mit trostlosen Grau-Brauntönen und ähnlich viel Schwarz wie in Mike Mignolas „Hellboy“. Alles in allem erfreulich umgesetzt. Kein Wunder, dass Knesebeck inzwischen die 9. Auflage verkauft.

 


Diamantfehlbesetzt

Illustration: Thomas Dahms/Alexander Pavlenko - Knesebeck Verlag

„Verwandelt“ sollte vermutlich sowas wie ein eierlegender Allzweckkafka werden: Lebensgeschichte und Texte und Comic, und irgendwie kommt auch alles vor, aber eben auch alles zu kurz: In einer Rahmenhandlung wird Kafkas letzte Partnerin Dora Diamant gebeten, von seinem Leben zu erzählen, daraufhin folgt eine Aufreihung von Daten, die nicht mal Kafkas Partnerin so schildern würde. Alexander Pavlenkos Zeichnungen sind solide ansehnlich, können aber das häufig penibel die Vita abklappernde Skript nicht aufpeppen. Besonders ärgerlich: Dass den seitenlangen Kafka-Zitaten schon mal der letzte Absatz fehlt, obwohl der sehr wohl Platz gehabt hätte. So kriegt man nichts fürs Auge, die Authentizität leidet und misstrauisch wird man obendrein. Zum Schluss taucht plötzlich Dora Diamant nochmal auf und beendet das Buch so unmotiviert wie sie es eingeleitet hat. Der Eindruck bleibt: Das geht besser.



Leichtverdauliche KafKanapees

Illustration: Nicolas Mahler - Insel Verlag

Der Vollständigkeit halber: Nicolas Mahler hat vor seinem Band „Kafka komplett“ schon ein bisschen geübt, mit „Kafka für Boshafte“. Vielleicht hat er auch geholfen, das „Kafka-komplett“-Konzept zu präzisieren: Denn Kafka taugt zwar als Fundgrube, aber nicht für Bissigkeiten nach Art von Karl Kraus. Mal wehleidig, mal aphoristisch, mal experimentierfreudig entstand so eine munter illustrierte Sammlung von KafKanapees, die meist unter der Reduktion zur Pointe und den so hochgeschraubten Erwartungen leiden.  



Schlüssel zum Schloss

Ahh, das Schloss. Komplett aussichtslos, komplett deprimierend, zugleich aberwitzig lustig und alptraumhaft. K. kommt in einem verschneiten Dorf an, stellt sich als Landvermesser vor (und ist es vielleicht sogar?) und wird in die mysteriösen Dienste des Schlosses genommen, einer Bürokratie, die offenbar keine Arbeit für ihn hat. Sein aussichtloser Kampf, irgendwie die Beamtenhierarchien zu durchschauen. Die Geliebte aus dem Wirtshaus, das Guckloch, durch das man den Vorstand Klamm beobachten kann. Die idiotischen Gehilfen. David Mairowitz hat die Story eingedampft, Jaromir 99 (der eigentlich Jaromir Svejdik heißt) hat sie in holzschnitthafte schwarz-grau-weiße Panels überführt, die vor allem das Düstere gut treffen. Der einzige Nachteil des guten KafKomics: Er ist in vielen Sprachen neu erhältlich, aber nicht mehr auf deutsch.





 


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Blutch darf „Lucky Luke“ interpretieren – ein Ritterschlag mit Risiko. Denn der Blick in den Backkatalog zeigt: Das Experiment hat seine Tücken

Illustration: Blutch - Egmont Comic Collection

Auf diesen Comic war ich supergespannt: Blutchs Version von „Lucky Luke“. Weil Blutch mich vor kurzem erst mit dem „kleinen Christian“ so begeistert hat. Tatsächlich hat sich das Warten gelohnt – aber etwas anders als ich mir's vorgestellt hatte.

 

Erstaunliche Freiheiten

 

Eines vorweg: Die „Lucky Luke“-Hommage-Reihe ist eine clevere Sache. Man nimmt eine beliebte Serie, vertraut sie für einen Band namhaften Comic-Künstlern an, und zwar mit erstaunlichen Freiheiten. Weshalb diese die Serie neu interpretieren oder auch persiflieren können. Damit verkauft man nicht nur der alten Kundschaft neue Bände, sondern interessiert sie auch für andere Künstler als den aktuellen Stammzeichner – wie etwa mit den gewitzten Luke-Varianten von Mawil oder Ralf König. Und jetzt eben Blutch mit „Die Ungezähmten“. Was, wie ich zwischenzeitlich herausfinden konnte, ein Risiko ist.

Illustration: Blutch - Reprodukt

Denn während des Wartens habe ich Blutchs Backkatalog durchgelesen, und da war manches ziemlich anstrengend. So überzeugend seine Zeichnungen zuverlässig sind, so wandelbar sind seine Geschichten, und einige davon sind sogar extrem kopflastig. Dazu gehört die düstere, gelegentlich verwirrende  Antiken-Saga „Peplum“, die phasenweise einiges an Durchhaltewillen fordert.


Fantastisch fetter Fatzke


Oder die (nur auf Englisch erhältliche) Experimentalserie „Mitchum“, die ich schon sehr nahe an der Unverständlichkeit einsortieren muss. Und auch der verheißungsvolle Band „Ein letztes Wort zum Kino“ des bekennenden Cineasten Blutch entpuppt sich als mutige, aber nicht immer unterhaltsame Nabelschau. Doch so entschlossen Blutch experimentiert, so grandios komisch kann er auch sein. Wie etwa in seiner wundervollen Zeitungsparodie „Blotch – Der König von Paris“.

Illustration: Blutch - avant-verlag

Eine Sammlung von Kurzgeschichten, die in den 1930er oder 1940er Jahren der französischen Metropole spielen. Dort ist Blotch, ein gealterter weißer dicker Mann, einer der Stammkarikaturisten des Humormagazins „Fluide Glacial“. Selbstverständlich ist der fantastisch fette Fatzke unter ihnen nicht nur der größte und beste und tollste, der Star des Hauses, sondern obendrein noch der einzige echte Künstler – wenn man ihn fragt.


Furioses Fremdschäm-Fest


Aber das denkt dort jeder von sich. Was Blutch zum bitterbösen Porträt der Szene nutzt: Wie jeder vornrum schleimt und hintenrum lästert, wie jeder die Anerkennung des Verlegers sucht, das ist einfach widerlich schön. Konterkariert wird die herrliche Fremdschäm-Orgie immer wieder mit Einblicken in Blotchs grandioses Schaffen: Das sich als derart bodenlos platt und furchtbar herausstellt, dass ich aus dem Lachen kaum noch rauskam. Zusätzlichen Charme gewinnt „Blotch“, wenn man weiß, dass Blutch sich und seine Kollegen hier selbst karikiert, in der echten, real existierenden „Fluide Glacial“ – aber zum Genuss nötig ist das nicht. Tja: Und wie ist es nun mit „Lucky Luke?“

Illustration: Blutch - Ehapa Comic Collection

Ordentlich. Überraschend konventionell: Lucky Luke findet zwei elternlose Kinder und muss daher auf sie aufpassen. Die Kinder sind anstrengend und ungezogen, das ist schon ganz mittellustig. Der verschnarchte Sheriff, okay. Und die Bürger, die finden, dass Lucky Lukes ständiger Nachschub an Gefängnisinsassen nicht gut ist für die Immobilienpreise, davon hätte ich gern mehr gehabt. Aber letztlich erlaubt sich Blutch leider kaum Frei- und noch weniger Frechheiten wie die auf der Comic-Rückseite. Dort untertitelt er den Klassiker vom

„Mann, der schneller zieht als sein Schatten“ mit „Der Mann, der den Zaun erschoss“, so klammheimlich, dass ich den Satz bei Google bisher nicht finden kann. Doch ansonsten geht Blutch diesmal selten dahin, wo es wehtut, er verlässt kaum die gewohnten Bahnen einer „Lucky Luke“-Geschichte, er erweist dem berühmten Cowboy tatsächlich eher die Ehre. Das ist nicht schlimm, das ist sogar insgesamt gut, aber: für Blutch, der so viel mehr könnte, ist es dann wiederum doch ein bisschen wenig.

 


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