top of page

Comicverfuehrer

  • vor 6 Tagen

So hilfreiche Comics zu nervigen Themen könnte man öfter brauchen: die nachdenkliche Metzgererzählung „Fleischeslust“

Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne
Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne

Fleisch essen ist … problematisch. Kriegt man eine Grillparty schneller gesprengt als mit diesem Satz? Schon klar, bei Vegetariern rennt man offene Scheunentore ein, aber bei allen anderen? Und genau das ist doch das Problem: Will man sachlich drüber reden, was und wieviel sich ändern sollte/könnte, muss man viel dringender die vielen anderen erreichen. Martin Oeschs „Fleischeslust“ fängt schon mal genau richtig an: mit einem attraktiven Bild.


Der schönste Blick ist: auf die Theke


Eine Wursttheke hat er aufs Cover gesetzt, eine attraktive Wursttheke. Und das ist schon mal ein großer Schritt auf die Nichtvegetarier zu: Da ist einer, der akzeptiert, das Wurst eine leckere Sache sein kann. Mit dem kann man sich unterhalten. Sogar wenn er mit einem Fleischalptraum einsteigt.

Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne
Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne

Seine Hauptfigur ist Erwin Merz, letzter richtiger Metzger in der City einer Schweizer Stadt. Merz hat (ja, ein bisschen platt) Alpträume wegen der geschlachteten Tiere. Aaaber: zeichnerisch sind diese Alpträume sehr, sehr ansehnlich. Und Merz’ Arbeitsalltag wird durchaus positiv geschildert: Er macht gerne Würste, gerne Rollbraten, er ist stolz auf seine Arbeit. Aber er sieht auch, was alles nicht mehr so ist, wie er es einmal mochte.


Ein Fleischer mit Charakter


Er schlachtet nicht mehr selbst, kauft das Fleisch aus dem Schlachthof zu, weil es dann billiger ist – und seinen Kunden ist es nie billig genug. Die Därme hat früher ein Fachmann zugeliefert, heute kommen sie aus China. Irgendwie müsste es anders gehen, aber Erwin ist kein Revolutionär, sondern ein ganz normaler Metzger.

Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne
Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne

Martin Oesch begleitet Erwin auf seinem Tag, wir gehen in die blitzsaubere Metzgerei, in den Großmarkt, den Schlachthof, und Oesch verteufelt nichts. Selbst das größte Gemetzel im Schlachthof zeichnet er knallbunt, lebhaft und doch vorurteilsfrei. Es ist eine Industrie, aber sie existiert, weil der Kunde es will. Wir sind auch nicht in einem verdreckten Ausbeuterschlachthof, weil Erwin da nicht einkaufen würde. Man kann sich beim Angucken empören, aber nur, wenn man selbst die Empörung mitbringt – die Bilder geben sie per se nicht her.


Held mit Nitritpökelsalz


Überhaupt die Bilder: Flächig, bunt, kraftvoll, sie erinnern an Brecht Evens, vor allem, wenn Oesch richtig loslegt und beispielsweise die Metzgerei und ihre Räume geradezu escherhaft ineinander verschachtelt. Er will neugierig machen, uns hinter die Kulissen eines Traditionshandwerks mitnehmen. Überhaupt kann man den leicht meisterederigen Erwin in seiner Sperrigkeit und seine mit ihm gealterte Margrit gut nachvollziehen. Selbst, wenn sie Nitritpökelsalz für unverzichtbar halten, vielleicht sogar eben deshalb. Und dann?

Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne
Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne

Klar, Merz begegnet einem Ökobauern, lernt Alternativen kennen. Wird er sich deshalb ändern? Oder eher in den Ruhestand gehen? Oesch verrät es nicht. Er will ja auch nicht aus Merz seinen Wunschmetzger formen. Sondern die Leser in die Fleischwelt mitnehmen. Mit welchen Konsequenzen? Das ist das Stärkste an Oeschs Band: Es gibt keine Vorgaben.






Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:










 

Die Outtakes (32): Mit einem schaufelnden Superhelden, klatschnassen Regenwäldlern und einer nahöstlichen Momentaufnahme

Illustration: Meghan Fitzmartin/Karl Mostert - Panini Comics
Illustration: Meghan Fitzmartin/Karl Mostert - Panini Comics

Fledermaus im Untergrund


Wunder gibt es immer wieder, aber nicht dauernd: Die häufig großartige Mariko Tamaki hat sich 2021-2022 federführend meines alten Lieblings Batman angenommen, aber auch sie hat aus dem dunklen Ritter nichts Besonders und, leiderleider, noch viel weniger was Zeitgemäßes hervorgezaubert. Batman ist offenbar grad nicht mehr so reich (was okay ist), aber dass er sich selbst im Alleingang mit der Spitzhacke seine Bathöhlen in die Kanalisation maulwurft, ist schon mal herzlich blöd. Der Rest ist Business als usual, Batman befasst sich mit allem, was kein richtiges Problem ist. Denn, nur fürs Protokoll, 2021 haben wir gerade vier Jahre Trump hinter uns und eine reale Pandemie. Und Batman jagt Mutanten, den bemonokelten Pinguin und erzählerische Notlösungen wie Lady Clayface? Wen soll das interessieren?


Kinderlos im Regenwald

Illustration: Bastien Vivès - Schreiber & Leser
Illustration: Bastien Vivès - Schreiber & Leser

Einerseits mag ich Bastien Vivès’ Serie „Honeymoon“, weil sie so unbekümmert ist. Wegen des dezidiert dämlichen Kniffs, dem Helden-Ehepaar Sophie und Quentin zwei Kinder anzudichten, die a) nie auftauchen, weil sie b) praktischerweise bei der Oma sind oder sonstwo – denn sonst könnte man das Paar ja nicht wieder in ein haarsträubendes Abenteuer stürzen. Diesmal im Regenwald, mit geheimnisvollen Tempeln, Rebellen, Schlangen, was sich eben so seit 60 Jahren Kino/Comic in der Klischeekiste angesammelt hat (aber ehrlicherweise seit Indiana Jones eh nur noch persifliert verwendet wird). Allerdings rumpeln die Beiden schon ein wenig arg mechanisch von einer Gefahr in die nächste, und zwar so lange, bis das Album voll ist. Das könnte auch noch 20 Seiten so weitergehen oder zehn Seiten eher enden. Man gönnt Vivès den Spaß, den er erkennbar beim Draufloszeichnen hat. Und ich muss zugeben: Schon lang hab ich mich nicht mehr allein vom Lesen so triefend durchgeregnet gefühlt.



Einblicke ins Irrenhaus

Illustration: Barbara Yelin - avant-verlag
Illustration: Barbara Yelin - avant-verlag

Eine großartige Initiative, erfreulich unvoreingenommen umgesetzt: „Wie geht es dir“ begann im Netz als Comic-Interviewserie. Auf je einer Seite illustrieren namhafte Comic-Autoren ihre Gespräche mit Betroffenen nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023. Juden, Moslems, Palästinenser, Israelis in/aus Nahost und Deutschland. Auf beiden Seiten gibt es Verzweifelte, Leute ohne Dachschaden. Comictechnisch ist all das nach wie vor aktuell und bereichernd, von vielen Künstlern lernt man unbekanntere Seiten kennen. Und doch stellt sich mit jedem neuen Interview nach zwei Jahren die bittere Frage, ob inzwischen nicht schon wieder eine „Nachgehakt“-Ausgabe angebracht wäre. Die sich erkundigt, wie einverstanden die Befragten aller Seiten mit dem verheerenden Stand der Dinge sind (wovon die in Echtzeit arbeitenden Autoren nicht ausgehen konnten). Es hätte allerdings nicht geschadet, auch extremere Vertreter nach ihrer Motivation zu befragen. Schon um zu zeigen, mit welchen Hürden die Leute kämpfen, die bei Verstand geblieben sind. Warum bei den Outtakes? Weil das Projekt hier schonmal vorgestellt wurde, als es noch lediglich online stattfand.





Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:








Französische Ernte (III): Viele Comics gibt's nicht auf deutsch. Aber wer fremde Sprachen kann, findet „L'Odyssée d'Hakim“ auf spanisch, türkisch, englisch

Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi
Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi

Was hat ein Comicfreund vom Frankreichurlaub, wenn er die Sprache nicht parfait genug peut? Wie (hust) immer noch ich? Beispiel 3: Er spaziert in einen Comicshop. Das muss nicht in Paris sein, dazu genügt La Rochelle (80.000 Einwohner). Dort notiert er alles, was interessant aussieht, und sucht später im Netz, was es davon in einer Sprache gibt, die er kann. Für manche kann das Spanisch sein oder Italienisch, bei mir ist’s Englisch. Was mich zu „Hakim’s Odyssey“ bringt.


Geräuberte Optik


Ein in mehrfacher Hinsicht interessantes Produkt, gerade auch marketingtechnisch. Fabien Toulmé bedient sich geradezu hemmungslos bei den gut verkäuflichen Kollegen Guy Delisle und Riad Sattouf. Und das nicht nur optisch: mit der Reportage ist er inhaltlich ganz bei Delisle, mit dem Thema „Syrien“ ganz bei Sattouf. Deshalb fiel er mir auch auf: Weil alles gellend „Abklatsch“ signalisierte. Der Band ist aber trotzdem eigenständig – und gut. Weil er eine Lücke füllt.

Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi
Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi

Nüchtern und fast humorfrei schildert Toulmé das Schicksal des Flüchtlings Hakim Kabdi. Der 2015 bei Aleppo seine eigene Gärtnerei hat. Bereits jetzt, noch vor Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs, begreift man eine Menge. Über das Leben in Staaten, die eine Partei beherrscht. Man muss bestechen, Traumjobs aufgeben, weil man nicht zur Staatsclique gehört. Man wird geschuriegelt, und wer einen Posten hat, ist Gott und kann einen jederzeit zur Kasse bitten. Und all das, wohlgemerkt, ist noch die beste Version. Wenn's im Land leidlich läuft.


Leben im Einparteien-Staat


Sie führte aber dazu, dass eine Menge Syrer fanden, es müsste besser werden. Als sie dies friedlich formulierten, begann für die Assad-Diktatur Phase 2: Wenn der Laden nicht mehr läuft. Dann folgen Todesschüsse, Verhaftungen, Folter. Das trifft, wie in Phase 1 erprobt, alle. Wer protestiert, angeschossenen Demonstranten hilft, aber auch wer Geld hat oder Verwandte mit Geld. Kommt Ihnen bekannt vor? Klar, Sie haben’s gerade erst hier von der Franco-Diktatur gelesen.

Es. Ist.

Immer. So.

In der DDR von gestern, der Türkei von heute, den USA von morgen, im Sachsen-Anhalt von übermorgen.

Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi
Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi

Es hilft Hakim nicht, dass er nie ein Protestplakat getragen hat. Er wird erst grundlos verhaftet, dann grundlos gefoltert, dann grundlos entlassen, ab da ist er dauerverdächtig. Als sein Bruder spurlos „verschwindet“, die Armee ihm die Gärtnerei wegnimmt, sein Haus wegbombt, muss er fliehen, um für die inzwischen verarmte Familie Geld zu verdienen. Er versucht es erst in der Nähe, in Beirut, Jordanien, dann in der Türkei. Und er arbeitet wie der Teufel.


Die ungeregelte Region


Er putzt, backt Brot, schleppt Zementsäcke, alles für Hungerlöhne, alles schwarz, weil in diesen Ländern niemand Syrer offiziell einstellt. Immer mehr Schwarzarbeit führt zu sinkenden Löhnen, wütenden Einheimischen, Restriktionen. Spätestens hier ist klar, wohin Hakims Weg führt, führen muss: In einen Staat mit geregeltem Arbeitsmarkt, Gesetzen und funktionierender Wirtschaft, kurz – in eine westliche Demokratie. In diesem Fall Frankreich, wo er dann Fabien Toulmé treffen wird. Am Ende von Band 1 zieht Hakim nach dem Scheitern in Antalya nach Istanbul.

Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi
Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi

Wie nebenbei erfährt man auch, wie Hakim lernt. Er wird ständig betrogen, benutzt, belauscht und – vorsichtig, misstrauisch. Er ist dennoch extrem flexibel, wach, leidens- und anpassungsfähig, geduldig, eigentlich ein idealer Angestellter.

Warum der Dreiteiler in Deutschland bisher noch nicht erschien? Schwer zu sagen, auch Spanien und die eher unvorteilhaft geschilderte Türkei haben zugegriffen. Und die Engländer? Die kennen immerhin den Spruch „When life gives you lemons, make lemonade.“ Es ist nicht auszuschließen, dass den auch Staaten beherzigen sollten, wenn ihnen das Leben Flüchtlinge beschert.

 

Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:







 

Suchwortvorschläge
Kategorien

Keinen Beitrag mehr verpassen!

Gute Entscheidung! Du wirst keinen Beitrag mehr verpassen.

News-Alarm
Schlagwörter
Suchwortvorschläge
Kategorie
bottom of page