- 13. Juli
Kein Detail darf fehlen: Dieser Anspruch lässt Comic-Biografien oft scheitern. Wie schön, dass es diese zwei Neuerscheinungen besser machen

Biografien in Comics können eine zeitsparende Sache sein: Wenn sie gut gemacht sind, erfährt man was über die (idealerweise kennenswerte) Person, muss sich aber vieles nicht an-lesen, sondern kann es sich an-schauen. Während man parallel dazu etwas liest, was sich eben nicht zur Bebilderung eignet. Doch wenn’s blöd läuft, kriegt man nur irgendwelche chronologischen Bilder, die zeigen, was man eh grade liest – man braucht also Leute, die wissen, wie man sowas gut macht. Und jetzt kommen gleich drei davon.
Der Modezar aus dem Glücksklee-Haus
Die ersten beiden arbeiten als Team. Szenarist Alfons Kaiser hat sich für den Band „Lagerfeld“ die Dienste von Simon Schwartz gesichert, einem meist historisch-zeichnerischen Routinier. Das Thema ist attraktiv, den Namen Lagerfeld kennt man, die Figur ist provokant, mondän, ein Weltklasse-Promi. FAZ-Redakteur Kaiser ist beschlagen, hat bereits eine Biografie verfasst. Jetzt passieren zwei erfreuliche, nicht selbstverständliche Dinge.

Erstens umschifft Kaiser mit sicherer Hand das Problem des Nichtsweglassenkönnens. Ein bisschen Vorgeschichte (Lagerfelds Familiengeld entstammt der Dosenmilch „Glücksklee“), dazu süffige Details der emanzipierten, kaltherzig-anhänglichen (ja, das geht!) Mutter, aber nichts davon zu detailliert, damit Simon Schwartz Gelegenheit bleibt, sich optisch auszubreiten. Zweitens hat Schwartz, über den ich meist quengle, weil er recht stark ins Kundenfreundlich-schematische rutscht, diesmal spürbar mehr Freiheiten und nutzt diese ideenreich.
„Du siehst aus wie ich, aber nicht so gut“
So kann er aus verschiedenen Zutaten immer wieder schöne Seiten mixen. Etwa, wenn er die Sottisen von Mama Lagerfeld („Du siehst aus wie ich, aber nicht so gut“) im Kopf des großen Karl um den kleinen Karl wickelt oder Lagerfeld ins Memphis-Design morpht. All das ist so ansehnlich und informativ, dass einen ein ärgerlicher Aspekt umso mehr erstaunt: Lagerfelds Kunst kommt zu kurz.

Also: Stattfinden tut sie schon. Aber man lernt nicht, was einen Lagerfeld-Entwurf ausmacht. Und darum auch nicht, warum die Modehäuser ausgerechnet ihn wollten. Schon klar, Biografen drücken sich öfter um künstlerische Analyse und Einordnung, weil das Nachvollziehen des Star-Lebens einfacher und attraktiver ist. Aber eben deshalb trennt dieser Aspekt gute Biographien von sehr guten, und im Comic gilt das doppelt: Da wäre ja der Vorteil, dass man’s zeigen und sehen kann. „Lagerfeld“ ist deshalb auf jeden Fall gut, aber nicht sehr gut.
Das gecoachte Genie
Biografie Nummer zwei ist der Abschluss eines der reizendsten Experimente der jüngsten zeit: der zweite Teil von „Céleste“! Sie erinnern sich? Es ging um die zauberhafte Biographie von Céleste Albaret, der Haushälterin des Schriftstellers Marcel Proust? Die das wehleidige Genie mütterlich-resolut durch den Alltag coacht – und ebenso durch sein weltberühmtes Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“? Cruchaudet nimmt im zweiten Teil den Faden auf und bringt die Geschichte nicht nur magisch leicht zu Ende, sondern wie gerade Kaiser ebenfalls ohne jede Spur von Unterkriegeritis.

Denn auch vom berühmten Proust gibt’s mächtig viele Fakten. Aber Cruchaudet komponiert mit leichter Hand an den Fakten entlang: Prousts Umzug innerhalb von Paris etwa macht Cruchaudet zu einem doppelseitigen Seiltanz mit Kisten, Kästen und Koffern über den Dächern von Paris, in zartem Lavendel. All das wird launig untermalt von Prousts jämmerlichem Gewimmer, bis am rechten Bildrand endlich das Licht aus der neuen Wohnung strahlt wie ein verheißungsvoller Hoffnungsschimmer. Ein Gefühl, das jeder kennt, der schon mal umgezogen ist.
Haushälterin mit Assistentin
Erneut verführen Cruchaudets geschickt geblainte Verkürzungen, bei den sie Proust in seiner Bettdecke versinken lässt oder seine Körperpflege zur ballettartigen Choreographie erweitert. Dabei täuscht der leichte Tonfall nicht darüber hinweg, dass sich da einerseits ein Genie zulasten seiner Angestellten als Prinzessin auf der Erbse pampern lässt. Doch hier wird Céleste (deren Eintrag in der deutschen Wikipedia übrigens – fehlt) zur selbstbewussten Partnerin, die an der Aufgabe wächst, für sich (Lohndiskussion!) das doppelte Gehalt und eine Assistentin erhandelt. Und dennoch bleibt ein enormes Rätsel.

Das Rätsel geht so: Wenn man eine Zeichnerin/Autorin wie Cruchaudet in die Finger kriegt, wenn sie sowas abliefert – warum in drei Teufels Namen plündert man dann als Verlag nicht ihren Backkatalog? Denn Cruchaudet ist kein unbeschriebenes Blatt. Sie ist knapp 50, 2014 hat sie schonmal mit „Das falsche Geschlecht“ Großes abgeliefert, und wer hier nachschaut, der findet eine Menge Comics, die a) fantastisch aussehen und dennoch b) nie auf deutsch erschienen sind, ja noch nicht einmal auf englisch. Damit muss doch was zu verdienen sein!
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- 13. Apr.
Jahrelang träumte der Finne Ville Ranta vom Star-Erfolg in Paris – jetzt verrät er pikante Details der französischen Comic-Branche

Hier haben wir eine richtige kleine Rarität: Einen für Normalverbraucher sehr unterhaltsamen Insiderbericht aus der Comic-Branche, schnell wegzulesen, munter gezeichnet, bitterkomisch. Haben Sie Lust? Der Band heißt: „Wie ich Frankreich erobert habe“ und stammt vom Finnen Ville Ranta.
Ein Fuß in der Comictür
Die Geschichte ist simpel: Ranta träumt davon, es auf dem großen französischen Comic-Markt zu Weltruhm und Erfolg zu bringen. Für einen Finnen (schwer zugängliche Sprache, eher kleiner Comicmarkt) ein gewagter Traum, aber: Ranta hat einen Fuß in der Tür. Er hat es geschafft, Richart zu kontaktieren.

Richart ist der Topname auf dem französischen Markt, ihm reißen alle Verlage jeden Stoff aus der Hand, und er gibt Ranta ein halbfertige Story mit der aufmunternden Bemerkung: „Ich bin zu faul, sie zu zeichnen.“ Ranta ist geehrt und begeistert, macht aus der haarsträubenden Story einen brauchbaren Comic und darf am Erfolg schnuppern: Eine Woche Lesereise, Interviews – aber schon hier ist zu erkennen, dass Ranta nur im Schatten des großen Richart hinterherdackeln darf. Aber: Ein Anfang ist gemacht, und Ranta träumt jetzt von eigenen Alben.
Unverbindliches Kasten-Denken
Denn alle und jeder sagen ihm, wie gut er sei, vorzugsweise bei Champagner oder während Vorträgen über die Grandiosität von Paris. Aber, seltsam, seltsam, es kommt nicht zum Vertrag, keiner ruft zurück, die Weisen sagen abwechselnd, er solle lieber mit Kästchen ums Panel zeichnen oder auch ohne, die ganze Geschichte wird zu einer Abfolge von Demütigungen, Enttäuschungen und … bitte? Wieso das unterhaltsam ist? Vor allem durch einen einfachen Trick.

Ranta beginnt mit seinem verzweifelten letzten Versuch: Das heißt, dass wir Leser gar nicht mehr mit einem Erfolg rechnen. Also sind wir nicht enttäuscht, sondern verblüfft darüber, was jemand alles mit sich machen lässt. Es ist das Erfolgsrezept des verfilmten Buchs: „Er steht einfach nicht auf dich!“ Eine Komödie aus Frust-Zutaten. Aber Ranta packt noch mehr rein.
Der große Trondheim
Erstens: Realität. Rantas Geschichte ist größtenteils autobiografisch, hinter Richart verbirgt sich niemand geringeres als (der auch schon hier gelobte) Comic-Star Lewis Trondheim, der Band mit ihm entstand tatsächlich, hinter vielen Protagonisten stecken reale Verlagsfiguren, und auch Rantas verzweifeltes Ringen um französischen Erfolg hat’s gegeben. Und ja, der ganze Verlags-Bullshit ist außerordentlich glaubhaft…

Zweitens: Stil. Ranta zeichnet sehr zugänglich, er mischt Trondheims sauberen Funny-Animals-Look mit Joann Sfars lockerem Schmierstil aus „Klezmer“, dazu gibt’s frisch hingeschlabberte Farben (Aquarell? Tusche?) mit viel Weiß, vor allem in den „glanzvollen“ Erinnerungen.
Angouleme unangenehm
Drittens: Tempo. Man liest die 150 Seiten ratzfatz weg, das geht viel zu flott für Trübsinn. Ganz nebenbei erfährt man auch eine weniger erträgliche Seite von Angouleme, dem Comicfestival, das hier noch den Hintergrund für eine berührende Romanze abgab. Eine schöne kleine Perle, die mehr über den Comic verrät als eine Menge Sachbücher.

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- 29. Sept. 2024
Statt Pathos und Firlefanz: „Madeleine, die Widerständige“ vereint Härte mit Nostalgie zu einem Porträt des französischen Widerstands

Liegt’s am nassen Kopfsteinpflaster? Band 2 der Résistance-Serie „Madeleine, die Widerständige“ ist erschienen, und ich kann mich an diesem alten Paris kaum sattsehen, das Dominique Bertail da zum bläulichen Leben erweckt. Blau ist ja nach wie vor die einzige Ergänzungsfarbe, die er verwendet, aber seltsamerweise kam mir Blau noch nie so bunt vor.
Hilft die Trickserei?
Und so nostalgisch, dass es einem irgendwann fast logisch vorkommt, dass es in diesem Paris immer nass und herbstlich ist, weil sich dann diese nasse Blaugräue noch viel besser inszenieren lässt. Ist natürlich erzählerisch getrickst, und wie bei allen Tricks stellt sich die Frage: hilft’s der Geschichte?

Denn auffliegende Tricks können viel kaputtmachen. Hier nicht: Dazu ist das Gesamtpaket von Szenarist JD Morvan und der echten Madeleine Riffaud zu geschickt geschnürt. Erneut wird viel geschildert, aber nur wenig ausbuchstabiert. Wie taucht man unter? Wie warnt man aufgeflogene Widerständler? Wie notiert man sich Treffpunkte so, dass der Feind mit der Notiz nichts anfangen kann? Wo versteckt man seine Pistole? Wie kommt man überhaupt an Waffen? Riffaud kommentiert all das manchmal aus dem Off, aber sparsam.
Kompetent kompiliert
Wie man überhaupt den Text sehr loben muss: Gerade Autobiographisches ist ja nicht einfach zu sortieren, weil man beim Erzählen der eigenen Geschichte leicht mal zu dicht dran ist. Ich kenne die Original-Memoiren von Madeleine Riffaud nicht, aber was JD Morvan und Riffaud für den Comic zusammengestellt haben, ist erfreulich prägnant, nicht zu gefühlig, schwafelfrei, spannend und man hat hinterher auch noch was gelernt. Und noch eine Sache ist extrem hilfreich: Die Sache mit der Katze bleibt eine Ausnahme.

Die Katze taucht auf einem einzigen Panel auf: Sie sitzt im Regen und faucht die deutschen Stiefel an, die neben ihr vorbeimarschieren. Recht platt, dieses „Guck mal, so böse sind die Deutschen, dass nicht mal die Katze sie mag!“ Und gerade daran, dass einem dieses Panel so unangenehm auffällt, merkt man, dass der Comic sonst derlei Albernheiten weglässt.
Rettende Ohrfeige

Viel charmanter und weiterführender ist die Episode, in der ein Widerständler eine Massenvergewaltigung durch deutsche Soldaten verhindert, indem er sich als Bruder des Opfer ausgibt. Er ohrfeigt sie und sagt ihr, sie solle sich nicht benehmen wie eine Schlampe. Was die Deutschen plötzlich sehr beeindruckt, weil sie zuhause vermutlich auch Schwestern haben. Das hilft bei der Urteilsfindung über Charakterzüge Machtversuchungen fernab der Heimat mehr als die Frage, ob Katzen fauchen oder schnurren. Und die Farbe?
Besatzungs-Blues
Also, im Interview sagt Dominique Bertail, ihm wären „richtige“ Farben falsch vorgekommen, weil die Widerständler den Himmel im besetzten Paris auch nicht schön blau gefunden hätten. Blau als alleinigen Zusatz nahm er, weil ihm „schwarz-weiß zu trocken“ vorgekommen sei, und Blau brächte das Ganze „mehr zum Schwingen“. Wer mag, kann freilich auch an deutsche Uniformen denken, die im Gedächtnis seltsamerweise immer blaugrauer wirken als sie tatsächlich waren. Zudem ist Besetztsein vermutlich häufig herbstlich deprimierend, vor allem, wenn man von den Besatzern weder Schokolade noch Kaugummi noch Comics kriegt, sondern nur deutsche Herrenmenschen. Im Film gibt’s bekanntlich die schöne Ausrede „Wirkung vor Logik“: Und die gibt Bertail, Riffaud und Morvan in jedem Fall recht: Weil „Wirkung“ hat’s hier jede Menge!