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Comicverfuehrer

Wie eine Doku über die Deutschen mit und unter den Nazis Illustration und Animation sinnvoll einsetzt

Illustration: Bild: rbb/Vincent Burmeister/astfilm productions/ National Archives - ARD
Illustration: Bild: rbb/Vincent Burmeister/astfilm productions/ National Archives - ARD

Von Mimi von Minz angeregt, hab ich kurz in die ARD Mediathek geguckt, in die Serie „Hitlers Volk“, die hier deshalb reinpasst, weil sie teilanimiert ist, also mit einer Comic/Trickfilm-Optik arbeitet. Ist das nun gut, schlecht, sinnvoll?

Antwort: gut und sinnvoll.

Weil man ja aus vielen Dokus inzwischen die Spielszenen kennt, in denen eine überforderte Regie überforderte Schauspieler überfordert. Ergebnis: Napoleon/Cäsar/Goethe schaut nachdenklich ausm Fenster. „Hitlers Volk“ entgeht dem Dilemma durch schlichte Animation, die den Zuschauer das Schauspielen ergänzen lässt, und zwar genau so, wie er/sie es für richtig hält.

Doppelt erfreulich ist, dass die Serie auch eine gute Erzählperspektive einnimmt: Sie illustriert acht deutsche Tagebücher rund um die NS-Zeit, Aufzeichnungen einer konservativen Frau, eines HJ-Fans, eines deutschen Juden usw. Hier trifft also guter Ansatz auf gute Umsetzung – und das Ergebnis ist so hochwertig, dass einem vom Zuschauen richtig gut schlecht wird.

Oder wie immer man das nennen will. Anschauen!

 


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Französische Ernte (III): Viele Comics gibt's nicht auf deutsch. Aber wer fremde Sprachen kann, findet „L'Odyssée d'Hakim“ auf spanisch, türkisch, englisch

Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi
Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi

Was hat ein Comicfreund vom Frankreichurlaub, wenn er die Sprache nicht parfait genug peut? Wie (hust) immer noch ich? Beispiel 3: Er spaziert in einen Comicshop. Das muss nicht in Paris sein, dazu genügt La Rochelle (80.000 Einwohner). Dort notiert er alles, was interessant aussieht, und sucht später im Netz, was es davon in einer Sprache gibt, die er kann. Für manche kann das Spanisch sein oder Italienisch, bei mir ist’s Englisch. Was mich zu „Hakim’s Odyssey“ bringt.


Geräuberte Optik


Ein in mehrfacher Hinsicht interessantes Produkt, gerade auch marketingtechnisch. Fabien Toulmé bedient sich geradezu hemmungslos bei den gut verkäuflichen Kollegen Guy Delisle und Riad Sattouf. Und das nicht nur optisch: mit der Reportage ist er inhaltlich ganz bei Delisle, mit dem Thema „Syrien“ ganz bei Sattouf. Deshalb fiel er mir auch auf: Weil alles gellend „Abklatsch“ signalisierte. Der Band ist aber trotzdem eigenständig – und gut. Weil er eine Lücke füllt.

Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi
Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi

Nüchtern und fast humorfrei schildert Toulmé das Schicksal des Flüchtlings Hakim Kabdi. Der 2015 bei Aleppo seine eigene Gärtnerei hat. Bereits jetzt, noch vor Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs, begreift man eine Menge. Über das Leben in Staaten, die eine Partei beherrscht. Man muss bestechen, Traumjobs aufgeben, weil man nicht zur Staatsclique gehört. Man wird geschuriegelt, und wer einen Posten hat, ist Gott und kann einen jederzeit zur Kasse bitten. Und all das, wohlgemerkt, ist noch die beste Version. Wenn's im Land leidlich läuft.


Leben im Einparteien-Staat


Sie führte aber dazu, dass eine Menge Syrer fanden, es müsste besser werden. Als sie dies friedlich formulierten, begann für die Assad-Diktatur Phase 2: Wenn der Laden nicht mehr läuft. Dann folgen Todesschüsse, Verhaftungen, Folter. Das trifft, wie in Phase 1 erprobt, alle. Wer protestiert, angeschossenen Demonstranten hilft, aber auch wer Geld hat oder Verwandte mit Geld. Kommt Ihnen bekannt vor? Klar, Sie haben’s gerade erst hier von der Franco-Diktatur gelesen.

Es. Ist.

Immer. So.

In der DDR von gestern, der Türkei von heute, den USA von morgen, im Sachsen-Anhalt von übermorgen.

Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi
Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi

Es hilft Hakim nicht, dass er nie ein Protestplakat getragen hat. Er wird erst grundlos verhaftet, dann grundlos gefoltert, dann grundlos entlassen, ab da ist er dauerverdächtig. Als sein Bruder spurlos „verschwindet“, die Armee ihm die Gärtnerei wegnimmt, sein Haus wegbombt, muss er fliehen, um für die inzwischen verarmte Familie Geld zu verdienen. Er versucht es erst in der Nähe, in Beirut, Jordanien, dann in der Türkei. Und er arbeitet wie der Teufel.


Die ungeregelte Region


Er putzt, backt Brot, schleppt Zementsäcke, alles für Hungerlöhne, alles schwarz, weil in diesen Ländern niemand Syrer offiziell einstellt. Immer mehr Schwarzarbeit führt zu sinkenden Löhnen, wütenden Einheimischen, Restriktionen. Spätestens hier ist klar, wohin Hakims Weg führt, führen muss: In einen Staat mit geregeltem Arbeitsmarkt, Gesetzen und funktionierender Wirtschaft, kurz – in eine westliche Demokratie. In diesem Fall Frankreich, wo er dann Fabien Toulmé treffen wird. Am Ende von Band 1 zieht Hakim nach dem Scheitern in Antalya nach Istanbul.

Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi
Illustration: Fabien Toulmé - graphic mundi

Wie nebenbei erfährt man auch, wie Hakim lernt. Er wird ständig betrogen, benutzt, belauscht und – vorsichtig, misstrauisch. Er ist dennoch extrem flexibel, wach, leidens- und anpassungsfähig, geduldig, eigentlich ein idealer Angestellter.

Warum der Dreiteiler in Deutschland bisher noch nicht erschien? Schwer zu sagen, auch Spanien und die eher unvorteilhaft geschilderte Türkei haben zugegriffen. Und die Engländer? Die kennen immerhin den Spruch „When life gives you lemons, make lemonade.“ Es ist nicht auszuschließen, dass den auch Staaten beherzigen sollten, wenn ihnen das Leben Flüchtlinge beschert.

 

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Spanien verschloss lang die Augen vor den Franco-Verbrechen: Ein erschütternder Comic zeigt jetzt den Preis des Schweigens

Illustration: Paco Roca/Rodrigo Terrasa - Reprodukt
Illustration: Paco Roca/Rodrigo Terrasa - Reprodukt

Einfach die ganze Scheiße totschweigen: Dieser Trend ist derzeit weltweit angesagt. Viele können gar nicht genug Schluss-Striche ziehen. Hierzulande DDR, Nazi-Herrschaft, andernorts Kirchenmissbrauch, Indianerkriege, Stalinismus, Vertreibung, Themen gibt es genug, und muss denn immer über alles geredet werden? Ein Comic erzählt jetzt von einem Land, das dieses Vorgehen gründlich ausprobiert hat: Spanien.


Hunderttausend Morde im Staatsauftrag


„Der Abgrund des Vergessens“ heißt der fiktional ergänzte Sachcomic, Paco Roca und Rodrigo Terrasa arbeiten am Beispiel der Öffnung eines Massengrabs bei Valencia die Geschichte der politischen Morde in Spanien auf. Diese gingen in den 30/40ern des letzten Jahrhunderts in die Hunderttausende, zum kleineren Teil begangen von Republikanern, zum überwiegenden Teil aber unter dem Franco-Regime.

Illustration: Paco Roca/Rodrigo Terrasa - Reprodukt
Illustration: Paco Roca/Rodrigo Terrasa - Reprodukt

Wie Roca/Terrasa dem Entsetzlichen Gesichter zuordnen, ist atemberaubend: Politische Prozesse, erfundene Anklagen, ignorierte Verteidigung, die Opfer sind Linke oder Leute, die Linke kennen oder Leute, die ihrem Nachbarn nicht passen. Entsetzliche Unterbringung bis zur Hinrichtung, Kontaktsperren zu den Angehörigen, und dann die routinierte Entsorgung der Toten in anonymen Massengräbern, Tote, Kalk, Erde, Schicht um Schicht um Schicht – in diesem Fall beerdigt von einem Linken, dem man wie zum Hohn diesen Job gnadenhalber aufgebrummt hat: „Begrab deine Leute!“ Und danach?


Verbotene Trauer

Illustration: P. Roca/R. Terrasa - Reprodukt
Illustration: P. Roca/R. Terrasa - Reprodukt

Spaniens Überwachungsstaat verbot die Trauer. Grabbesuche bei politischen Opfern waren verdächtig, nur an Allerheiligen, wenn alle zum Friedhof gehen, konnten sich die Trauernden unter die Menge mischen. Wenn sie überhaupt wussten, wo. Hier erwies sich dieser Totengräber als kleiner Glücksfall, wobei „Glück“ so aussieht: Wissen, zu welchem Grab man geht, und vielleicht konnte der Totengräber vorm Verscharren sogar ein kleines Andenken retten, etwa ein Stück Hemdsärmel. Dann, 1975, endete die Franco-Diktatur, recht überraschend. Und die demokratischen Parteien schlossen einen Pakt des Schweigens.


Ins Massengrab


Roca und Terrasa konzentrieren sich auf den Totengräber und eine alte Dame, die nichts weiter will, als die Überreste ihres Vaters neben die ihrer Mutter umzubetten. Aber immer wieder zeigen sie, dass das Geschehen noch viel mehr Menschen beschädigt hat: den Schützen im Erschießungskommando. Die Polizisten, die Leichen so gleichgültig wie schwungvoll in die sechs Meter tiefe Grube schleudern, wo sie dann liegen wie Schlenkerpuppen des Grauens.


Die Schuld bleibt über Generationen spürbar


Das landesweite Schweigen hat seinen Grund: Es gilt allgemein als Basis des recht gewaltarmen Übergangs zur Demokratie. Roca/Terrasa präsentieren jetzt seinen Preis. Der besteht nicht nur in den Geistern der Toten, den Leerstellen in den Lebensläufen. Er taucht auf in der Schuld der Todesschützen, der Polizisten, der Denunzianten, der schweigenden Zeugen. Eine simple Rechnung: Jeder Schmerz der Opfer lastet zugleich als Schuld auf den Schultern der Täter. Und die ist keineswegs unsichtbar.

Illustration: Paco Roca/Rodrigo Terrasa - Reprodukt
Illustration: Paco Roca/Rodrigo Terrasa - Reprodukt

Denn um die Jahrtausendwende rang sich die Politik allmählich zur Aufarbeitung durch, daher auch die Öffnung der Gräber: Aber genauso stark wird diese Aufarbeitung bekämpft, und der Hass, der den Angehörigen entgegenschlägt, speist sich vor allem aus eben jener Angst vor dieser Schuld.

Das freundliche Gesicht des Faschismus


Als Wessi kann man da schwer was raten: Nur die Ossis haben aus eigener Kraft eine Diktatur beseitigt, auch deren Bewältigung scheint heute eher mittelerfolgreich. Aber etwas anderes kann man von diesem Comic in jedem Fall mitnehmen: Francos Diktatur endete nicht in Ruinen und ließ den Holocaust weitgehend weg. Franco war also eine Art „Hitler light“. Wenn Sie sich also fragen, was mit einem „freundlichen Gesicht des Nationalsozialismus“ gemeint ist: exakt dieser Horror, den Roca/Terrasa hier schildern.


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