- vor 2 Tagen
Die Outtakes (32): Mit einem schaufelnden Superhelden, klatschnassen Regenwäldlern und einer nahöstlichen Momentaufnahme

Fledermaus im Untergrund
Wunder gibt es immer wieder, aber nicht dauernd: Die häufig großartige Mariko Tamaki hat sich 2021-2022 federführend meines alten Lieblings Batman angenommen, aber auch sie hat aus dem dunklen Ritter nichts Besonders und, leiderleider, noch viel weniger was Zeitgemäßes hervorgezaubert. Batman ist offenbar grad nicht mehr so reich (was okay ist), aber dass er sich selbst im Alleingang mit der Spitzhacke seine Bathöhlen in die Kanalisation maulwurft, ist schon mal herzlich blöd. Der Rest ist Business als usual, Batman befasst sich mit allem, was kein richtiges Problem ist. Denn, nur fürs Protokoll, 2021 haben wir gerade vier Jahre Trump hinter uns und eine reale Pandemie. Und Batman jagt Mutanten, den bemonokelten Pinguin und erzählerische Notlösungen wie Lady Clayface? Wen soll das interessieren?
Kinderlos im Regenwald

Einerseits mag ich Bastien Vivès’ Serie „Honeymoon“, weil sie so unbekümmert ist. Wegen des dezidiert dämlichen Kniffs, dem Helden-Ehepaar Sophie und Quentin zwei Kinder anzudichten, die a) nie auftauchen, weil sie b) praktischerweise bei der Oma sind oder sonstwo – denn sonst könnte man das Paar ja nicht wieder in ein haarsträubendes Abenteuer stürzen. Diesmal im Regenwald, mit geheimnisvollen Tempeln, Rebellen, Schlangen, was sich eben so seit 60 Jahren Kino/Comic in der Klischeekiste angesammelt hat (aber ehrlicherweise seit Indiana Jones eh nur noch persifliert verwendet wird). Allerdings rumpeln die Beiden schon ein wenig arg mechanisch von einer Gefahr in die nächste, und zwar so lange, bis das Album voll ist. Das könnte auch noch 20 Seiten so weitergehen oder zehn Seiten eher enden. Man gönnt Vivès den Spaß, den er erkennbar beim Draufloszeichnen hat. Und ich muss zugeben: Schon lang hab ich mich nicht mehr allein vom Lesen so triefend durchgeregnet gefühlt.
Einblicke ins Irrenhaus

Eine großartige Initiative, erfreulich unvoreingenommen umgesetzt: „Wie geht es dir“ begann im Netz als Comic-Interviewserie. Auf je einer Seite illustrieren namhafte Comic-Autoren ihre Gespräche mit Betroffenen nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023. Juden, Moslems, Palästinenser, Israelis in/aus Nahost und Deutschland. Auf beiden Seiten gibt es Verzweifelte, Leute ohne Dachschaden. Comictechnisch ist all das nach wie vor aktuell und bereichernd, von vielen Künstlern lernt man unbekanntere Seiten kennen. Und doch stellt sich mit jedem neuen Interview nach zwei Jahren die bittere Frage, ob inzwischen nicht schon wieder eine „Nachgehakt“-Ausgabe angebracht wäre. Die sich erkundigt, wie einverstanden die Befragten aller Seiten mit dem verheerenden Stand der Dinge sind (wovon die in Echtzeit arbeitenden Autoren nicht ausgehen konnten). Es hätte allerdings nicht geschadet, auch extremere Vertreter nach ihrer Motivation zu befragen. Schon um zu zeigen, mit welchen Hürden die Leute kämpfen, die bei Verstand geblieben sind. Warum bei den Outtakes? Weil das Projekt hier schonmal vorgestellt wurde, als es noch lediglich online stattfand.
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- 3. Aug.
Unverschämt trifft unbedarft: Was klingt wie ein Manga-Klischee wird in den Händen von Mariko Tamaki zum einfühlsamen Coming-of-age-Knüller

Ist das jetzt noch LGBTQIA-Zeug, frage ich mich. Und dass ich mich das frage, finde schon mal sehr gut. Ich bin erneut auf den Spuren des Vorwerks von Mariko Tamaki, diesmal lese ich „Laura Dean und wie sie immer wieder mit mir Schluss macht“, gerate aber anfangs ins Stolpern.
Kein Junge namens Freddy
Ein Junge namens Freddy schreibt aus dem Off an eine Ratgebertante, dass er in ein Mädchen namens Laura Dean verliebt ist, was offenbar sehr schwer ist. Laura Dean ist so eine junge Brünette, und Freddy ist so ein kurzhaariger Blonder, der sich ein bisschen arschmäßig benimmt, warum beklagt er sich denn dann? Und ziemlich schnell wird klar, dass ich da was nicht gecheckt habe: Freddy ist gar nicht der Junge, sondern die Brünette. Und der blonde Arschmäßige ist ebenfalls ein Mädchen, eben jene Laura Dean.

Mein erster Gedanke, logisch, ist: „Warum sagt einem das denn keiner?“ Einfache Antwort: Weil hier jemand einfach mal mit der Lesberei nicht hausieren geht. Wozu auch: Freddys beste Freundin Doodle ist selbst lesbisch, und Heteros reden ja auch nicht dauernd darüber, dass sie hetero sind: Sie wissen's ja.
Ein ziemlicher Arsch

Sofort begreift man hingegen auch dank des Titels, dass Laura Dean ein ziemlicher Arsch ist. Sie benutzt Freddy nach Strich und Faden, lässt sie bei Langeweile als Pausenkasper antanzen und und bei jeder besseren oder mittelmäßigen Gelegenheit sitzen. Und ansonsten sieht sie zu, dass sie dank ihres Schulstar-Faktors möglichst bessere Gesellschaft findet oder mehr Bewunderer um sich schart, oder, oder, oder.
Wo reicht's?
Elegant gewählt ist, dass diese toxische Liebe keiner 30-Jährigen zustößt, sondern einem Mädchen, bei dem noch einige Stofftiere im Zimmer herumkugeln. Dem diese ganze Erotik-Sex-Liebes-Sache neu ist und das richtige Verhalten komplett rätselhaft. Das erst lernen muss: Was muss man eigentlich hinnehmen? Und wo darf’s einem dann auch mal reichen?
Flirtkampf: David gegen Goliath
Vieles an dieser Coming-of-age-Novel ist nicht neu, aber trotzdem rührend und vor allem spannend. Denn Laura Dean ist zwar nicht viel älter, dennoch so haushoch überlegen, dass man sich einfach auf Freddys Seite schlagen muss. Erfreulich ist auch, wie wurscht das Lesbenthema ist, obwohl es doch ständig präsent bleibt.

Liebe ist Liebe ist Liebe, aus, fertig. Mit einer drolligen Ausnahme: Obwohl Freddy und ihre Freundinnen sich schon sehr progressiv fühlen, halten sie zugleich stur daran fest, dass je zwei Leute sehr exklusiv zusammengehören, nicht etwa drei oder acht. Was da wohl die Polyamourösen dazu sagen?
Mariko Tamaki (Text), Rosemary Valero-O’Connell (Zeichnungen), Annette von der Weppen (Üs.), Laura Dean, und wie sie immer wieder mit mir Schluss macht, Carlsen, vergriffen, aber gebraucht günstig verfügbar, etwa hier.
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- 20. Apr.
Sehnsüchtig, halbtraurig und verträumt: Mariko und Jillian Tamakis sensibles Teenie-Ferienabenteuer „Ein Sommer am See“

Schon Lust auf Sommer? Noch ist's da ein bisschen hin, aber einen Vorgeschmack hätte ich schon: „Ein Sommer am See“. Berührend und bezaubernd. Nicht ganz neu (aber dafür günstig, s.u.!). Und wie so oft findet man sowas, indem man nach der Vergangenheit von Leuten guckt, die was auffallend Gutes gemacht haben, in diesem Fall einmal mehr Mariko und Jillian Tamaki.
Der Sommer scheint durchs Fenster
Es ist Sommer. Rose (zwölf? dreizehn?) fährt mit ihren Eltern ins Ferienhaus am See. Rose sitzt auf dem Rücksitz des Autos, blättert in Comics, sieht außen die ersten vertrauten Gebäude. Man hört die Reifen förmlich über den Kies knirschen, sieht die Dorfkids (winkt, um nicht arrogant zu wirken/wird für arrogant gehalten, weil man winkt). Rose lässt sich beglückt auf ihr vertrautes Ferienbett fallen, der Sommer scheint durchs Fenster. Dann nimmt sie ihr Rad und fährt zu ihrer Freundin Windy, die zwei Häuser weiter ebenfalls Ferien macht – ebenfalls wie immer.

All das ist saugeschickt umgesetzt: abwechslungsreiche Kameraführung, mit vielen glaubwürdigen Details. Das Fahrrad steht im Schuppen mit Vorhängeschloss, Roses Zimmer ist zurückhaltend ferienhausgerecht eingerichtet. Und wie sie aufs Bett plumpst: endlich angekommen. Dazu Rose selbst: harmlos-hübsch, blond, bohnendünn, Windy dagegen etwas jünger, rundlich, dunkle Haare. So viel Idylle, soviel Hoffnungen auf so viel Sommer, dass man beinahe vergisst, dass doch bestimmt irgendwas passieren muss, weil man ja sonst keine Geschichte zu erzählen hätte. Aber was?
Heimlicher Horror
Mariko Tamaki wählt wie schon in Roaming das Unscheinbare: Die Mädchen reden erstmals über Titten, ein wenig ratlos. Sie haben keine Lust mehr auf Zeichentrickfilme, und überhaupt geschehen in ihrem Leben auf einmal seltsame Dinge. Roses Eltern verstehen sich nicht gut. Und in dem Dorfladen, in dem Rose und Windy erstmals heimlich Horrorvideos leihen, reden die Jungs merkwürdige Sache über die Mädchen. Übrigens tatsächlich das perfekte Setting für einen Horrorfilm.

Aber Mariko Tamaki arbeitet viel eleganter, ohne Auflösung: Rose versucht ihre eigenen Gefühle einzusortieren. Warum ist ihr der Typ vom DVD-Verleih so wichtig, warum will sie wissen was mit seiner Freundin ist? Warum ist Mama so eine Spaßbremse? Praktisch nichts wird ausdiskutiert, stattdessen sehen wir eine zunehmend überforderte Rose, die sich wundert, wo die unkomplizierte Vergangenheit hin ist. Was wiederum genau die Frage ist, die man sich als erwachsen(d)er Leser selbst stellt, sehnsüchtig, halb traurig, halb träumerisch.
Chaos hinter der Oberfläche
Sowas funktioniert aber nur, wenn man auch die richtigen Bilder hat, und die zeichnet Jullian Tamaki en masse. Schön eskalierende Szenen wie der Nachmittag am Strand, kleine Einstellungen wie ein nackter Mädchenfuß, der gelangweilt ein Sektglas umschubst, oder auch die verwirrte Rose von oben, wie sie an einem ordentlichen Holzzaun vorbeigeht, hinter dem das White-Trash-Müllchaos lagert. Wir sehen, was hinter der Zaunoberfläche liegt, Rose sieht es nicht, weil sie nicht groß genug ist. Sinnbild? Zufall?

Die Tamakis werden’s bestimmt nicht aufklären, und eben dieses Selbstentdecken, Nachfühlen und -denken macht an ihrem Comic so unglaublich viel Spaß. Den es übrigens für wenig Geld gibt, 9,90 Euro als Taschenbuch, das ist eigentlich schon Mangatarif. Aber wenn Sie vor lauter Blödwinter den Sommer nochmal richtig genießen wollen, nehmen Sie die größere, gebundene Version.
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