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Comicverfuehrer

Dass Pflanzen mit Menschen verschmelzen, gab's im Comic noch nicht so oft. Doch dafür kommt das Thema jetzt gleich doppelt – und dreifach

 Illustration: Patrick Lacan/Marion Besancon - avant verlag
 Illustration: Patrick Lacan/Marion Besancon - avant verlag

Sachen gibt’s: „Menschen, die zu Pflanzen werden“ ist ja nicht gerade ein Standardthema der Comic-Szene. Und doch: als ich den neuen Band „Grün“ aufklappe, fällt mir ein, dass ich im Rahmen des Mangatests doch gerade auf dasselbe Thema gestoßen bin. Und in dem Moment trudelt auch schon Titel Nummer 3 ein. Sollen wir mal vergleichen?

Aber gern doch!


Wuchernde Scheißhecke


„Grün“ spielt in der Gegenwart: Autobahnen, Verkehrsstaus, Hochhäuser, Flugzeuge. Ohne viel Erklärung graben sich dann Wurzeln durch die Gegend, Pollen sind unterwegs, da ahnt man schon Unheil. Ein erstes Indiz ist, dass die Scheißhecke vom Nachbarn derart wuchert, dass man mit dem Schneiden nicht mehr hinterherkommt. Aber dann kommen Babys zur Welt, denen Blätter aus der Nase wachsen.

 KEIN GRUND ...          Illustration: Patrick Lacan/Marion Besancon - avant verlag
 KEIN GRUND ... Illustration: Patrick Lacan/Marion Besancon - avant verlag

Und immer mehr Erwachsene kriegen Blätter an den Händen. Erstaunlicherweise sind die wenigstens damit unglücklich. Wie überhaupt vom Start weg die Autoren finden, dass Leute, denen das seltsam vorkommt, eher überreagieren. Das wiederum irritiert.


Ahnungslose Ärzte, sorglose Eltern


Klar lieben die Eltern der Blätter-Babys ihre Kinder, aber wieso machen sie sich keine Sorgen? Weil die Ärzte sagen, dass man nichts Negatives merkt? Und dass es nicht ansteckend sei? Sowas beruhigt Eltern?? Das Ganze breitet sich aus, aber alles ist okay? Bei Corona war's noch umgekehrt. Und, noch seltsamer, die Nachrichten berichten darüber, aber der Staat macht nichts dagegen?? Obwohl keiner weiß, wo das hinführt? Wie kann das sein?

... ZUR BEUNRUHIGUNG.    Illustration: Patrick Lacan/Marion Besancon - avant verlag
... ZUR BEUNRUHIGUNG. Illustration: Patrick Lacan/Marion Besancon - avant verlag

Offenbar sind Patrick Lacan und Marion Besancon hier der Verführung der eigenen Geschichte gleich doppelt erlegen: Optisch, weil sie schöne Bilder zeichnen wollten, von Pflanzen, die mit Menschen verschmelzen und eine ganze Stadt zurückerobern. Das sieht magisch adrett aus, da will man nicht sehen, wie Mitarbeiter vom Grünflächenamt alles rausrupfen. Zweitens wollen Lacan/Besancon eine positive Geschichte erzählen, in der Veränderung auch mal schön ist und alles gut wird. Aber so klappt das nicht.


Wohlfühlutopie Marke „Avatar“


Wem Blätter wachsen, der kriegt Angst. Wer es bei Mitmenschen sieht, kriegt Angst. Solche Ängste führen (siehe Realität) nicht zu Gelassenheit, sondern eher zur Wahl von Idioten, die Chlorbleiche als Getränk empfehlen oder das eigene Land mit Napalm abfackeln. Positive Botschaften sind zwar löblich, aber „Grün“ wirkt allenfalls schmerzlindernd, wie eine Tüte Gras.



Hapshaps, zerfetz!

Illustration: Ire Yonemoto - Manga Cult
Illustration: Ire Yonemoto - Manga Cult

Da ist der zweite Kandidat schon eine andere Nummer. Auch weil „Wild Strawberry“ ein Manga ist und sich da halbgare Lösungen nicht rechnen. Hier sieht das beispielsweise schon mal sofort so aus: Ein Ladendieb klaut was. Der Kaufmann erwischt ihn. Dieb rennt weg. Kaufmann hinterher. An einer riesigen Blume vorbei, in der spinnenmäßig ein Mensch – gefangen scheint? Hä? Wer ist in der Blume? Der arme Mensch! Soll man helfen? Und dann:

Blume stürzt sich auf Kaufmann und reißt ihn in Stücke. Haps, zerfetz.

Ist das ein geiler Anfang oder ist das ein geiler Anfang?


Trotz Mundschutz & Medizin: Keiner ist sicher


Wir sind wieder mal in einer Schauderzukunft. Die Pflanzen sind mutiert, infizieren jetzt die Menschen. Man muss Mundschutz tragen, Medizin nehmen, und dennoch ist man nie sicher. Inmitten von diesem Chaos: der Dieb und seine (leider schon infizierte) Schwester.


Illustration: Ire Yonemoto - Manga Cult
Illustration: Ire Yonemoto - Manga Cult

Beide sind Waisen und träumen nur davon, einmal in einem „Familienrestaurant“ zu essen. Was erstaunlich sensibel eingeführt wird, im Kontrast zum nonveganen Horror. Aufwändig und detailreich gezeichnet, große Actionszenen, keine Ahnung, wo das noch hinführt.

Ja, intellektuell ist das zunächst nicht. Aber die „Grün“-Philosophie entpuppt sich ja auch rasch als dünnes Brett – in „Wild Strawberry“ gibt es dafür allmählich mehr zu entdecken.


Angst macht glaubhaft


Aber was am erstaunlichsten ist: Dieser Horror-Unsinn ist glaubhafter als der Öko-Unsinn vorher, weil die Leute Angst haben und kein Salatkopf werden möchten. Weil „Wild Strawberry“ die meisten der superplatten Mangamechanismen weglässt, wirkt die Geschichte auch für erwachsene Leser recht elegant. Ich will mehr davon!



Jedem das eigene Strichpunktgesicht

Illustration: Judith Kranz - Reprodukt
Illustration: Judith Kranz - Reprodukt

Auch Judith Kranz hat in „Soma“ das verstörend Pflanzliche für sich entdeckt: Die Apokalypse liegt schon hinter uns, die Menschen leben in einer Art „Soylent Green“-Welt, in der sie tagaus, tagein Ganzkörperanzüge tragen, die Luft durch Masken filtern, die jedem mit Strichen und Punkten ein individuell entmenschlichtes Gesicht geben. Man ernährt sich von Bäumen, für die sich allerdings jeweils ein Mensch opfern muss, dem sie in den Nabel gepflanzt werden.


Angemessen deprimierend


Die Gesellschaft ist totalitär, ein Oberster Rat bestimmt, in welchem Berufszweig man unterkommt: Ernährung, Forschung oder Sicherheit – was letztlich Gestapo bedeutet, weil äußere Feinde ja gar nicht mehr vorhanden sind. Eine Menge Versatzstücke wirken vertraut, die sehr ansehnlich hingefeuchtenbergerte Bleistiftwelt ist angemessen deprimierend, aber die Stoßrichtung bleibt unklar.

Illustration: Judith Kranz - Reprodukt
Illustration: Judith Kranz - Reprodukt

Auch, weil zu viel drinsteckt, zu gründlich abstrahiert ist und dann auch noch mit einem gut durchdachten Optikkonzept überstylt wird. „Soylent Green“ hingegen funktioniert doch gerade auch wegen der Szene so gut, in der Held und Sidekick ein einziges Mal wieder echtes Fleisch und echtes Gemüse kriegen. Im rundum perfekten „Soma“ fehlt einem als Leser vor allem so ein Anknüpfungspunkt.

 



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Die Outtakes (31): Mit stählernen Forschern, frühreifen Computern und dem Nicht-Film vom Nicht-Kästner


Illustration: Seda Demiriz - Schwarzer Turm
Illustration: Seda Demiriz - Schwarzer Turm

Computers Kindheit


Seda Demiriz‘ „life in pixels“ sieht sehr gut aus, hat einen schön cartoonigen Ansatz, der zudem noch recht einzigartig ist: Demiriz pickt sich die 90er und Nuller Jahre heraus, die Startzeit der allgegenwärtigen Computer. Das lässt sich verheißungsvoll an, nimmt munter Anlauf und hebt trotzdem nicht wirklich ab. Oder behindern sich die Teile gegenseitig? Die Computer-Frühphase ist zwar anheimelnd und skurril, aber weil damals PCs das Leben noch nicht beherrschten, gelingt keine rechte Transferleistung zu heute. Demiriz mixt zudem immer wieder ernste Coming of age-Elemente unter die mäßig starken Pointen, beides entschärft sich dann gegenseitig. Es könnte funktionieren, Jillian Tamaki hat sowas in „Supermutant Magic Academy“ vorgemacht. Aber Tamaki ist einfach böser, oder anders gesagt: Demiriz, die eine sehr ansprechende Homepage hat, ist vielleicht (noch?) nicht rücksichtslos genug.


Hybrid-Story: Zwei Comics in einem


Illustration: Isabel Kreitz - Reprodukt
Illustration: Isabel Kreitz - Reprodukt

„Die letzte Einstellung“ von Isabel Kreitz müsste theoretisch eine Bank sein: Kreitz erzählt von „Das Leben geht weiter“, dem letzten Film des Dritten Reichs. Der vor allem gedreht wird, damit die Beteiligten nicht noch in letzter Minute an die Front müssen. Eine wahre Geschichte, und zeichnerisch muss sich Isabel Kreitz vor niemandem verstecken. Ihre satten, schwarz-weißen Szenerien eignen sich so gut für Vor- wie Nachkriegszeit und alles dazwischen sowieso, also „a gmahte Wiesn“, wie der Bayer sagt. Aber aus unerfindlichen Gründen reichte Kreitz das nicht: Es musste noch die Geschichte Erich Kästners mit rein. Was chronologisch ungünstig ist: Die Geschichte des End-Films beginnt erst ab 1943, Kästners innere Emigration hingegen zehn Jahre früher. Letztlich muss man sich deshalb durch 150 Seiten Bonzen, Bomben und Beziehungsdramen lesen, bevor die Film-Story endlich zeigen kann, dass sie die stärkere gewesen wäre. So behindern sich beide Plots, was bei Kästner am deutlichsten wird: Kreitz nutzt zwar lauter echte, historische Namen, ausgerechnet Kästner aber muss „Hans Hoffmann“ werden. Nur so kann Hoffmann am „Leben geht weiter“-Skript mitschreiben, was Kästner nicht tat. So bleibt vom ehrgeizigen Projekt vor allem viel Sehenswertes in schwarz-weiß und reichlich Lokalkolorit.




Sie forschen sich grün und blau


Illustration: Taťána Rubášová/Jindřich Janíček - avant verlag
Illustration: Taťána Rubášová/Jindřich Janíček - avant verlag

Früher, als Vorurteile noch üblich waren, hätte man gesagt: jaja, die Tschechen! Taťána Rubášová und Jindřich Janíček liefern mit „William & Meriwether auf wundersamer Expedition“ ein gewitztes Science-Fiction-Kabinettstück, das aber sehr knapp doch nicht ganz überzeugt. In einer Roboterzukunft werden William und Meriwether losgeschickt, ihre Vorzeit zu erkunden. Das sieht schön aus, die ganzseitigen gelb-blau-grünen Panels sind so munter wie die Roboter verschroben. Aber ich bin vermutlich nicht der einzige, der hier schon eine „Planet der Affen“-Wendung vermutet. Und durch die zuverlässig überraschenderen Pointen aus „Futurama“ liegt die Messlatte für Science-Fiction-Satire seit 25 Jahren höher. Ansehnlich ist das Abenteuer der Verschroboter trotzdem.

 




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Die Outtakes (30): Kindgerechte Gespenster, Kneipen-Konversationen und Wünschen mit kleinen Fehlern

Illustration: Taiyo Matsumoto - Reprodukt
Illustration: Taiyo Matsumoto - Reprodukt

Mürkwerdig


Tja, ich mag Taiyo Matsumoto, einen Preis der japanischen Mangazeichnervereinigung hat „Gogo-Monster“ auch gekriegt, aber ich weiß trotzdem leider nicht recht wofür. Es geht wieder mal um Kinder, eines von ihnen glaubt Kontakt zu Geistern zu haben, die im gesperrten dritten Stock der Schule wohnen. Die anderen Kinder denken, der Junge hätte ein Rad ab, zwei von ihnen mögen den Geisterbuben dennoch ganz gern. Eines dieser beiden rennt den ganzen Tag mit einem Pappkarton über dem Kopf herum. Und so weiter und so fort. Wir Leser sehen weder die Geister noch wird überhaupt klar, wohin die Geschichte führt, die ich Matsumoto zuliebe bis zum Schluss durchgelesen habe. Dann begriff ich: Ich weiß es immer noch nicht. Und Matsumotos sonstige Stärke, die kleinen großen Gefühle, sind ihm diesmal auch irgendwie durch die Finger gerutscht. Merkwürdig, mürkwerdig, mürb werd ick. Aber immerhin: Der Einband ist hübsch.

 


Flasche nicht leer

Illustration: Deena Mohamed - Schreiber & Leser
Illustration: Deena Mohamed - Schreiber & Leser

Ordentlich exotisch: Deena Mohameds „Shubeik Lubeik“ kommt aus Ägypten, liest sich mangahaft von rechts nach links, ist märchenhaft und ansehnlich und über 500 Seiten dick. Alles ist bereit für den Überraschungserfolg, der leider ausbleibt, obwohl es launig losgeht. Mohamed erzählt aus einem orientalischen Land, in dem man Wünsche kaufen kann. Billige, die beim Erfüllen mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen. Teure, die wesentlich präziser funktionieren. Dazwischen malt Mohamed immer wieder reizvoll aus, wie der Staat Herstellung, Verkauf und Umgang mit den Wünschen zu regeln versucht. Das ist teils satirisch, teils ernst, was sich ergänzen könnte, aber hier gegenseitig verwässert. Die eigentliche Handlung eiert ebenfalls halbentschlossen zwischen herzzerreißend und Satire (wie ja überhaupt die ganze Wünscherei auch den orientalischen Umgang mit modernen Freiheiten spiegeln möchte). Am meisten bremsen indessen Mohameds endlose Erwägungen, Debatten, Bedenken rund ums Problem des kaufbaren Wunschs die Lesefreude aus. Die sind selbst als Parabel für moderne Sehnsüchte arg langatmig geraten. Oder es ist landestypischer Stil: Dann möge zugreifen, wer ihn mag.

 


100 Bullets, gewaltfreie Version

Illustration: Carlos Sampayo/José Munoz - avant-verlag
Illustration: Carlos Sampayo/José Munoz - avant-verlag

Eindeutig gut, aber auch eindeutig spröde: Die Wiederveröffentlichung von „Joe’s Bar“ macht es dem Leser nicht leicht. So sind die Geschichten rund um Bar, Besucher und Betreiber allerdings auch nicht gedacht: Die Argentinier José Munoz (Zeichnungen) und Carlos Sampayo (Text) rücken immer wieder Passanten, Fremde, Mittrinker samt ihren Gesprächsfetzen in den Vordergrund, wechseln ständig das Personal, so dass man oft schon Mühe hat, die Hauptfigur rauszufinden. Das ist liebevoll und boshaft gezeichnet, durchdacht angelegt – aber auch so kunstwillig, dass ich mir ständig vorkomme, als sähe ich statt einer Erfolgsserie nur das Spin-Off einer Nebenfigur, von der ich leider noch nie gehört habe. Tatsächlich erinnern die je 20-seitigen Tauchgänge ins pralle Leben stark an die Serien „100 Bullets“ und „Sin City“ – aber eben ohne die kommerziell hilfreiche Gewaltzutat.






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