Blutch darf „Lucky Luke“ interpretieren – ein Ritterschlag mit Risiko. Denn der Blick in den Backkatalog zeigt: Das Experiment hat seine Tücken
Auf diesen Comic war ich supergespannt: Blutchs Version von „Lucky Luke“. Weil Blutch mich vor kurzem erst mit dem „kleinen Christian“ so begeistert hat. Tatsächlich hat sich das Warten gelohnt – aber etwas anders als ich mir's vorgestellt hatte.
Erstaunliche Freiheiten
Eines vorweg: Die „Lucky Luke“-Hommage-Reihe ist eine clevere Sache. Man nimmt eine beliebte Serie, vertraut sie für einen Band namhaften Comic-Künstlern an, und zwar mit erstaunlichen Freiheiten. Weshalb diese die Serie neu interpretieren oder auch persiflieren können. Damit verkauft man nicht nur der alten Kundschaft neue Bände, sondern interessiert sie auch für andere Künstler als den aktuellen Stammzeichner – wie etwa mit den gewitzten Luke-Varianten von Mawil oder Ralf König. Und jetzt eben Blutch mit „Die Ungezähmten“. Was, wie ich zwischenzeitlich herausfinden konnte, ein Risiko ist.
Denn während des Wartens habe ich Blutchs Backkatalog durchgelesen, und da war manches ziemlich anstrengend. So überzeugend seine Zeichnungen zuverlässig sind, so wandelbar sind seine Geschichten, und einige davon sind sogar extrem kopflastig. Dazu gehört die düstere, gelegentlich verwirrende Antiken-Saga „Peplum“, die phasenweise einiges an Durchhaltewillen fordert.
Fantastisch fetter Fatzke
Oder die (nur auf Englisch erhältliche) Experimentalserie „Mitchum“, die ich schon sehr nahe an der Unverständlichkeit einsortieren muss. Und auch der verheißungsvolle Band „Ein letztes Wort zum Kino“ des bekennenden Cineasten Blutch entpuppt sich als mutige, aber nicht immer unterhaltsame Nabelschau. Doch so entschlossen Blutch experimentiert, so grandios komisch kann er auch sein. Wie etwa in seiner wundervollen Zeitungsparodie „Blotch – Der König von Paris“.
Eine Sammlung von Kurzgeschichten, die in den 1930er oder 1940er Jahren der französischen Metropole spielen. Dort ist Blotch, ein gealterter weißer dicker Mann, einer der Stammkarikaturisten des Humormagazins „Fluide Glacial“. Selbstverständlich ist der fantastisch fette Fatzke unter ihnen nicht nur der größte und beste und tollste, der Star des Hauses, sondern obendrein noch der einzige echte Künstler – wenn man ihn fragt.
Furioses Fremdschäm-Fest
Aber das denkt dort jeder von sich. Was Blutch zum bitterbösen Porträt der Szene nutzt: Wie jeder vornrum schleimt und hintenrum lästert, wie jeder die Anerkennung des Verlegers sucht, das ist einfach widerlich schön. Konterkariert wird die herrliche Fremdschäm-Orgie immer wieder mit Einblicken in Blotchs grandioses Schaffen: Das sich als derart bodenlos platt und furchtbar herausstellt, dass ich aus dem Lachen kaum noch rauskam. Zusätzlichen Charme gewinnt „Blotch“, wenn man weiß, dass Blutch sich und seine Kollegen hier selbst karikiert, in der echten, real existierenden „Fluide Glacial“ – aber zum Genuss nötig ist das nicht. Tja: Und wie ist es nun mit „Lucky Luke?“
Ordentlich. Überraschend konventionell: Lucky Luke findet zwei elternlose Kinder und muss daher auf sie aufpassen. Die Kinder sind anstrengend und ungezogen, das ist schon ganz mittellustig. Der verschnarchte Sheriff, okay. Und die Bürger, die finden, dass Lucky Lukes ständiger Nachschub an Gefängnisinsassen nicht gut ist für die Immobilienpreise, davon hätte ich gern mehr gehabt. Aber letztlich erlaubt sich Blutch leider kaum Frei- und noch weniger Frechheiten wie die auf der Comic-Rückseite. Dort untertitelt er den Klassiker vom
„Mann, der schneller zieht als sein Schatten“ mit „Der Mann, der den Zaun erschoss“, so klammheimlich, dass ich den Satz bei Google bisher nicht finden kann. Doch ansonsten geht Blutch diesmal selten dahin, wo es wehtut, er verlässt kaum die gewohnten Bahnen einer „Lucky Luke“-Geschichte, er erweist dem berühmten Cowboy tatsächlich eher die Ehre. Das ist nicht schlimm, das ist sogar insgesamt gut, aber: für Blutch, der so viel mehr könnte, ist es dann wiederum doch ein bisschen wenig.
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Ein harter Krimi, zwölf Jahre whiskyartig gereift: die harte Typenparade „Die falschen Gesichter“ von David B. und Hervé Tanquerelle
Wenn Sie grad beim Comic-Händler nichts Neues finden: Denken Sie an die wunderbare Schatztruhe, die man im Verlag „Backlist" nennt. Lieferbar, aber nicht mehr beworben, weil der neue heiße Scheiß raus muss. Und in dieser Truhe findet sich beispielsweise dieser erstklassige Krimi, whiskyartig zwölf Jahre gereift, was ihm kein bisschen schadet, weil er sowieso in der Vergangenheit spielt: „Die falschen Gesichter“.
Warten auf Alain Delon
Die Krimisorte in diesem Fall: Nicht der „Wer war’s“-Tatort, nicht der Actionthriller, sondern mehr so die französische Gangsterballade. Und weil's auch hier wieder mehrere Sorten gibt: nicht die Geschmacksnote „nachdenklich“, sondern eher die „knallhart“. So dass man jeden Augenblick erwartet, Alain Delon käme zur Tür rein oder Yves Montand oder Lino Ventura.
Acht Mann arbeiten im Paris der 70er und 80er zusammen, sie spezialisieren sich auf Banküberfälle. Ihre Masche: Sie arbeiten tagsüber und leeren dabei nicht nur die Kassen, sondern knacken genüsslich die leicht zu öffnenden Schließfächer. Die nötige Zeit und Seelenruhe haben sie, weil sie nicht fürchten müssen erkannt zu werden – sie sind gut verkleidet. Falsche Bärte, falsche Haare, falsche Brillen, falsche Berufsklamotten.
Bunt-brutale Typenparade
Nachdem sich der Modus der Überfälle kaum ändert, konzentriert sich die Story von David B. auf andere Aspekte: Die unterschiedlichen Typen innerhalb des Oktetts, der Waffennarr, der Ideenkopf, der Nachdenkliche, der Schießwütige, der Ängstliche. Auf die Vorgänge innerhalb der Polizei, die Ermittlungen, aber auch die korrupten Trittbrettfahrer, die sich nach dem Bruch an den Resten bedienen und es den Gangstern in die Schuhe schieben. Die Nachahmer von den anderen Banden. Die Informanten der Unterwelt. Die Langeweile der Gang, wenn sie grade nichts klaut. Und all das ist unterfüttert mit zynischen, abgebrühten, aber nicht abgedroschenen Dialogen, es ist eine einzige Freude.
Wie es auch die Zeichnungen des erfrischend wandelbaren Hervé Tanquerelle sind: Tanquerelle kann Joann Sfar imitieren wie in „Professor Bell“, in Farbe zeichnen wie in der skurrilen „Grönland Odyssee“, diesmal arbeitet er schwarz-weiß mit der Ergänzungsfarbe Graublau. Der Stil ist nahe an Hergés „Tim und Struppi“, eine schattenlose, aber deutlich naturalistischere Ligne claire. Und der Mix ist alles andere als harmlos. Da wird geschossen, getroffen, geblutet. Härte und Realismus speisen sich zudem daraus, dass die Bande ein historisches Vorbild hat. Rundherum: ein spannender Nachmittag, und wem verdanke ich den?
Auf den Spuren der Geschichte
Leider irgendeinem Algorithmus. Dieser „Wenn Ihnen dies gefällt, gefällt Ihnen auch das“-Funktion. Es stecken ja zwei bewährte Namen dahinter, neben dem von Tanquerelle auch der von Szenarist David B.. Der mag Historisches wie in der Nahost-Aufarbeitung „Die besten Feinde“ oder in „Auf dunklen Wegen“, einem Porträt des Salon-Faschisten Gabriele d'Annunzio. Aber so unterhaltsam wie in den „falschen Gesichtern“ habe ich ihn bisher noch nicht erlesen. Also sag ich mal: danke, Algorithmus. Und trotzdem: Ich muss meine Cookies wohl noch öfter löschen.
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Mehr von Kafka, dem Jahrhundert-Toten: Nicht nur zwei Comics sind zu entdecken, sondern auch die Zeichnungen des Schriftstellers selbst
Es kafkt weiter, geradezu kafkadenhaft. Und zu Recht: Immer wieder fällt auch durch die Comic-Versionen die reizvolle Kauzigkeit des gerade jahrhundertlang Toten auf, sein wehleidiger Witz, seine absurden Ängste, die heutigen wie damaligen Lesern genauso nahekommen wie sie ihnen zugleich fern liegen. Und siehe da: Kafka selbst hat auch gezeichnet. Wie gut er seine Arbeiten selbst fand? Vermutlich ungefähr so: „Ich will niemandem die Mühe des Einstampfens machen.“
Zersäbelt wie alte Bravohefte
Da sind sie also, Kafkas Zeichnungen: Schon schick. Oft sehr knapp, auf den Punkt. Manchmal schön schwungvoll, wie der Fechter (ganz oben), manchmal aus wenigen, eleganten Kurven und Kringeln zusammengesetzt. Meistens spielerisch, der Charme besteht auch in der Kombination aus geringem Aufwand und unerwartet viel Wirkung. Aber für mehr waren sie erkennbar nicht gedacht. Und so viele von ihnen gibt es auch gar nicht. Interessanter ist daher eigentlich die hier schön aufgearbeitete Geschichte ihrer Veröffentlichung bzw. ihrer langen Nichtveröffentlichung.
Auf dem Nachlass saß ja lange Kafkas Schriftstellerfreund Max Brod, der sich erst zierte, dann ein paar Zeichnungen als Appetithäppchen herumreichte, um sie später doch lieber seiner Sekretärin zu schenken. Die sich genauso hartnäckig und bruthennenartig darauf niederließ. Bei der 2022 endlich erfolgten Veröffentlichung zeigte sich schlussendlich, dass Brod die Zeichnungen nicht viel rücksichtsvoller behandelt hatte als die Texte: Er säbelte Kafkas Zeichnungen nach Gutdünken mit der Schere aus dessen Skizzenheft wie weiland jugendliche Fans die Fotos ihrer Lieblingsband aus der Bravo. Aber warum sollte gerade dieses KafKapitel normaler sein als die anderen?
Der Interpret
Kafka und Farbe? Geht das? Die meisten Comic-Zeichner sehen ihre Kafka-Versionen ja eher in schwarz-weiß. Moritz Stetter nicht. Seine Umsetzung von Kafkas „Urteil“ entfernt sich auch deutlich weiter von naheliegenden Bildern als Crumbs bizarr-groteske Variante. Den mysteriösen Geschäftspartner des Protagonisten Georg verstrickt Stetter in pflanzlich-zopfartige Ornamente, und auch während des harten Dialogs zwischen Georg und seinem Vater lässt er den Sohn durch rätselhafte Gehirnwindungen kriechen, bevor er die Beziehung in den Panels geradezu wörtlich in Scherben zerschmettert. Das ist gut und einfallsreich gemacht, die Zufriedenheit des Lesers hängt hier daher wohl auch von etwas anderem ab: ob er seinen Kafka eher illustriert oder eher interpretiert bevorzugt.
Blättern im KafKatalog
Optisch ist es schon angenehm finster, was Danijel Zezelj da in „Wie ein Hund“ zeigt. Geschickte schwarz-weiße Düsternis, etwas zu viel Froschperspektive vielleicht, aber insgesamt bedrückend und cool zugleich. Doch es bleibt rätselhaft, warum Zezelj sich entschlossen hat, statt einer Originalgeschichte lieber aus Kafkatexten eine eigene Story zusammenzustückeln. Es beginnt mit gut gewählten Auszügen aus „Ein Hungerkünstler“, dieser immer wieder verblüffend zeitlosen Kurzgeschichte über Publikumsgeschmack und Künstlereitelkeit (die Wikipedia zufolge das tatsächliche Abklingen der einstigen Attraktion „Schau-Hungern“ in den 1920er Jahren aufgreift). Aber jetzt dichtet Zezelj plötzlich dem Hungerkünstler die Türhüterparabel an. Dann geht’s zurück zum Zirkus und von da zur Botschaft des Kaisers, alles fulminant bebildert, aber komplett beliebig. Letztlich hält man so einen schön illustrierten KafKatalog in Händen, ähnlich überzeugend wie weiland das Beatles-Medley von „Stars on 45“ – was schlussendlich wiederum die Wirkung der Bilder unnötig beeinträchtigt. Schade, eigentlich.
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