- 11. Okt.
5 Mangas in 5 Minuten (2.4): Mit klugen Mädels, gedrucktem Wrestling, Giftmischerei, Roboter-Radau und Verbotener Liebe

Wurmkur
„Wie oft noch?“ ist die falsche Frage: Ein Milliardenmarkt wie der des Mangas beutet Erfolgsrezepte noch konsequenter aus als andere Kunstbereiche. In „Kaoru & Rin“ haben wir deshalb: eine Versagerschule, die direkt neben der Genieschule steht. Superarsch aus der Versagerschule trifft Süßmädel aus der Genieschule (so weit, dass das Süßmädel die Versagerin sein könnte, sind wir wohl erst in zwei Jahren). Jetzt: der übliche Anbahnungs-Schmu, aber in der Form für Doofe, in der’s uns dauernd wer schriftlich denkt „Will sie was von mir?“ bzw. „Aber warum will er was von mir, wenn er was von mir will?“ und „Kann es sein, dass sie was wollen mögen könnte?“ Sobald das durch ist, kommt die geheimnisvolle Konkurrentin und blablabla. Nein, die Frage ist nicht „Wie oft noch?“ Sondern: „Warum so doof“? Aber der Wurm muss natürlich dem Fisch schmecken.
Gefeuerte Menschheit

In „Record of Ragnarok“ (und der Realität) hat’s die Menschheit verkackt. Alle 1000 Jahre, weiß man ja, wird der Vertrag der Menschen verlängert – oder eben nicht. In Walhalla kommen dazu alle Götter aller Religionen zusammen (bis auf den einen und den anderen) und voten für „Vernichten“. Nur die Walküre Brünhilde nicht, die der Menschheit eine Chance geben will: ein 13faches Duell „Menschen gegen Götter“. Denn bekanntlich wird die Bilanz der Menschheit besser, wenn man 13 Dödel findet, die sich mit Göttern kloppen. Vor allem, wenn einer davon Jack the Ripper ist. Egal: Was folgt ist ein endloses gedrucktes Wrestling-Match. Einer kommt rein, trararaaa, in der linken Ecke Superhinz, und dann kommt ein anderer rein … träräää... Gottkunz! Und dann whambam, oh nein, jetzt macht er dies, oh ja, jetzt macht der andere das. Wie klug! Wie gefährlich! Wiewurst. Ist das so schlimm, wie es klingt? Anfangs in Walhalla nicht, da hat’s ein, zwei reizvolle Momente. Danach schon.
Qualitätsverwurstung

Das nenne ich mal effizient: ein Schrein. Eine schöne Priesterin. Ein Wächter für die schöne Priesterin, denn: Dämonen wollen die Priesterin haben und das Schwert im Schrein. Gefahr, check. Der Wächter kennt die Priesterin seit seiner Kindheit, beide sind furchtbar verliebt, aber – die Priesterin wird einen anderen heiraten, weil’s das Dorf so will. Drama, check. Der Wächter hat noch eine Schwester, die klein aussieht, aber schon 17 ist und wohl selbst ein bisschen Dämon. Geheimnis, check. Und das auftauchende Dämonendoppel kriegt ein paar Sätze, die cleverer sind als der übliche Rumsdibums. Dazu überdurchschnittliche Zeichnungen, nicht ganz so viel Soundwort-zeigt-was-eh-im-Bild-ist wie sonst, fertig ist „Kijin Gentosho“, eine rundum ordentliche Verwurstung aus der Light Novel-Anime-Crossover-Fabrik. Warum nicht öfter so?
Spinnenbeine unterm Mundschutz

Wenn’s um Irre geht, ist der Manga nicht zu schlagen. Auf den ersten Seiten von „Marriage Toxin“ begegnen wir einem Leiharbeits-Magnaten, der bei der Hochzeit seiner Tochter alle Gäste auf halbnackten Leiharbeitern sitzen lässt. Er raucht fünf Zigaretten zugleich, die er seinem Sitzsklaven in die Hand rammt. Held der Story ist ein Giftkiller, der öfter gegen Glastüren rennt. Sein bester Kumpel: der „Insektenmeister“, der einen Tausendfüßler im Gesicht hat und unter dessen Mundschutz haarige Spinnenbeine vorkrabbeln. Ich war begeistert, doch der Hauptplot ist nicht ganz so irre: Giftmix braucht eine Braut, damit sein Klan weiterexistiert – ist aber schüchtern. Just in dem Moment soll er eine Heiratsschwindlerin töten. Sein Kompromiss: Sie soll ihm helfen eine Frau zu finden, und ab da kommt zur Action ein Datingmarathon. Ich geh mal davon aus, dass die Schwindlerin viiiiel später zur Auserwählten wird, oder zum Auserwählten, denn sie ist natürlich ein Kerl. Was soll's, bis dahin ist der Kessel Chaos auf jeden Fall nicht fad!
Aus der Spielzeugfabrik

Prinzipiell ist „Mobile Suit Gundam“ prima. Wir sind in der Sorte Zukunft, in der riesige Roboter von drinsitzenden Menschen gesteuert werden. Was kann man da erwarten? Raumschiffe, Zweikämpfe, Feuerkraft. Wenig Logik, denn Militärs wählen statt Raumschiffen nur dann haushohe Roboter, wenn das Drehbuch von einer Firma kommt, die Spielzeugroboter verkauft. All das in billiger Merchandise-Trickfilm-Optik, aber, schöne Überraschung: Die Zeichnungen sind nuancenreicher als die trashige Anime-Serie, aufregend geschnitten, sehr realistisch, besonders mangaartig sind nur die Gesichter. Wo ist dann das Problem? Vielleicht bin ich’s selbst. Ich kann der Action kaum folgen. Immer wieder weiß ich nicht, wer was macht. Natürlich sehen die Roboter unterschiedlich aus. Aber bei Nahaufnahmen – wem gehört jetzt welcher Arm? Wer hat was abgefeuert? Weiß man das nicht, ist man dauernd am Zurückblättern. Aber wer geistig beweglicher ist, kriegt hier erstklassigen Radau.
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- 27. Sept.
5 Mangas in 5 Minuten (2.3): Mit 1 Teufelsschule, 1 Geisterheulsuse, 1 Virenkrieg, 1 Hörschaden und essbaren Meerjungfrauen

Heidi Klums Teufel-Academy
Zwei Gruppen bekämpfen sich: die Teufel und die Anderen. Seit wann? Immer. Teufel machen mit ihrem Blut etwa dasselbe wie Green Lantern mit dem Kraftring. Wir treffen einen Neuteufel, der seine Kräfte noch nicht kennt. Ab hier Schema F: Wohin kommt Neuteufelchen? Richtig, die Teufel-Academy. Wo man ihn mit mit anderen Kandidaten zwiebelt, bis er mit verbundenen Ohren einen Schnatz grün streichen kann, und es gibt dauernd Prüfungen wie bei Heidi Klum. Dabei sind gemäß dem Gesetz der Wrestling-Dramaturgie Besiegte nie besiegt und Sieger fühlen sich immer zu sicher. In einfacher Sprache gezeichnet entsteht ein munterer Kaudermasch, den man schon schlimmer gesehen hat. Gut ist er deswegen noch lange nicht.
Sonnenschein goes katz

Das muss ein eigenes Genre sein. Wie soll man es nennen? Schnurrischmalz? Schönfönstöhn? „Mein Nachbar Yokai“ ist ein bizarrer Flash aus der Kinderserienwelt, wo Tinkywinky weint, weil die Erdbeere runterdefallen ist und einer hebt sie auf und alles ist wieder gut. Doch das hier richtet sich eindeutig an ein älteres Publikum. Wir sind in einem Dorf, wo alle immer lieb mit allen Geistern zusammenleben und der alte Kater Buchio nicht stirbt, sondern eine Geisterkatze wird. Und Buchio weiß doch gar nicht, wie man Geisterkatze wird und wollte nie was Besonders sein, ängstlichmaunz. Und dann gehen sie zu einer Grillparty, aber keiner hat Feuer, und dann macht ein anderer Geist Feuer. Das ist aber schwer für Anfängerkatzengeister, beeindrucktglotz, eiaweia, halbgrein, ichbinsoungeschickt, allesgut. Es ist unglaublich schwer, den Würgereiz zu unterdrücken, aber das Ding geht inzwischen in Runde 4, ein Spin-Off ist schon angekündigt. Was wohl etwas über die Gegenwart aussagt, das ich lieber nicht wissen will.
Vom Virus versteinert

Ich kapiere nicht ganz worum’s in „Eden“ geht, aaaber: Dafür hab ich mich gut unterhalten. Wir sind wieder mal in der Zukunft, ein Virus versteinert Menschen, die Gesunden bunkern sich ein. Zwei junge Leute haben schon Antikörper gebildet, die Forscher der Vätergeneration verbindet eine Beziehung, Rückblenden gehen zurück in der Zeit, als der eine noch nicht im Rollstuhl saß – alles hakelig, klappt aber noch. Doch schon im zweiten Kapitel sind wir wieder 20 Jahre weiter, die Welt schaut wieder anders aus, irgendwelche Gruppen bekriegen sich, es wird sehr unübersichtlich. Der Unterschied zu anderen Mangas: Vieles bleibt im Nebel, „Eden“ setzt auf Szenen, die schnell funktionieren. Mit gut inszenierter, brutaler Action, kluger Ruhe, das Ungewisse dient als beklemmender Hintergrund, alles auch noch weitgehend ohne Manga-Mätzchen. Was so gut klappt, dass ich erst auf Seite 350 das dringende Bedürfnis spürte, dass mir wer erklärt, was eigentlich los ist. Aber wenn's so lang nicht stört, ist das ein Gütesiegel, oder?.
Dickflüssiges Verständnis

Schlamperei kann man Mangas selten vorwerfen. Auch „Der Mond in einer Regennacht“ ist akribisch. Da trifft Schusselmaus auf dem Schulweg die geheimnisvolle Zaubermaus, die dann – na? Genau! – auch noch in der Klasse ihre neue Mitschülerin ist, aber sie hat ein Geheimnis: Sie ist – wer errät’s? Nein, nein – hörgeschädigt. Ja, war schwer, geb ich zu, hatten wir bisher noch nicht. Und ab da wird (neben den üblichen Fri-Fra-Freundin-Abläufen) das Thema durchdekliniert, aber gründlich! Welche Formen gibt’s, wie überwindet man gegenseitige Befangenheiten, Missverständnisse, im Grunde ist das Ergebnis wie eine ungewohnt kundennahe Broschüre der Gesetzlichen Krankenkassen bzw. wundert man sich, dass Geers und/oder Amplifon den Sums noch nicht sponsern. Vielleicht, weil das Verständnis teils so dickflüssig aus den Seiten suppt, dass es die empfindlichen Geräte verklebt.
Meerjungfrauen-Mahlzeit

„Mermaid-Saga“ hat was. Das ganze Nixenwesen ist hier ziemlich entschmalzt. Meerjungfrauen sind hier was, dass man isst – und zwar in der Hoffnung, ewig zu leben. Bis auf den Helden Yuta: Der hat schon und will jetzt wissen, wie man wieder sterblich wird. Leider ist das schon alles. Wer das Meerjungfrauenfleisch isst, verträgt es oft nicht und wird stattdessen selber zur Monsterjungfrau, was sich – obwohl doch alle Bescheid wissen – zugleich noch nicht herumgesprochen zu haben scheint. Es folgen lauter unübersichtliche Kämpfe, bei denen wer stirbt, aber doch nicht tot ist und die nächste überraschende Enthüllung kommt so todsicher wie Unfug aus Julia Klöckner. Gezeichnet ist all das wie in den 70ern, die billigste Anime-Pose ist gerade gut genug, für Kopfneigungen ist nur ein einziger Winkel zulässig, und wenn jemand nicht gestorben ist, sagt unfehlbar jemand: „Hä? Lebt er doch noch?“ Und weiter geht die gründlich erklärte Metzgerei über 700 Seiten. Muss man mögen.
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- 13. Sept.
5 Mangas in 5 Minuten (2.2): Mit 1 Versager, 1 Schwertschmied, 1 Recycling-Mädchen, 1 Mordserie und vielen komplizierten Karten

Dirty old man-Ga
„Mushoku Tensei“ klingt schon mal spannend: Ein dicker Versager, der nicht mal zur Beerdigung seiner Eltern aus dem Haus geht, wird von einem Laster überrollt. Wundersamer Weise kehrt er als Säugling ins Leben zurück, altert blitzartig ein paar Jahre und beschließt, diesmal alles anders zu machen! Tricky, denn warum wird man zum Versager? Was war dafür entscheidend? Und wenn Sie das wissen wollen, lesen Sie besser einen anderen Manga, denn unsere Lusche kommt in eine Zauberwelt, wo man entweder Schwertkämpfer oder Magier wird und die Sechsjährigen schon mal super zaubern können. Wenn sie nicht grade ihrer vollbusigen Mutter in den Ausschnitt starren und (tatsächlich!) anderen Sechsjährigen zwischen die Beine. Operation gelungen, Grundidee tot, fast so raffiniert erzählt wie Peter Steiners „Stanglwirt“. Welches Prädikat gibt man da? Vielleicht „Dirty Old Man-Ga“?
Chips aus der Schmiede

„Kagurabachi“ ist ein gedruckter Kartoffelchip: Fett, Zucker, Salz, Glutamat. Wir sind offenbar in einer Art Japan der 30er oder 40er. Chihiro ist Sohn des Waffenschmieds Rokuhiro, der die tollsten Schwerter weit und breit herstellt – und dann von drei Hexern umgebracht wird, die seine besonderen magischen Schwerter stehlen. Der Sohn macht sich mit dem besten Freund des Vaters (auch Hexer) auf zum Rachefeldzug. Und weil der Sohn super mit dem Schwert umgehen kann, gibt es die volle Blut- und Actionladung, die Magie sorgt dazu für einen großen Schuss Horror. Muss nicht schlecht sein, ja, allerdings stören arg platte Humor-Elemente jede aufkommende Stimmung. Vieles wird versuperdeutlicht, und die Handlung wird so liebevoll serviert wie – eben eine Tüte Kartoffelchips: aufreißen, in die Schüssel kippen. Jeder weiß: Sowas muss manchmal sein. Aber „was G’scheit’s“ isses nicht.
Geschwüre in Würfelform

Was ich angesichts vieler rasch runtergerotzer Mangas immer wieder vergesse: Mangas können große Bildwelten schaffen. Haruo Iwamunes „The Color Of The End“ gehört dazu. Eine gigantische postapokalyptische Welt, riesige Trümmerlandschaften, in denen ein technisch verbessertes einsames Mädchen die Reste der Katastrophe wegräumt. Aliens haben die Menschen infiziert und getötet, die Leichen liegen überall: Konserviert, aber mit bizarren Geschwüren in Würfelform. Das Mädchen sammelt die Toten, verbrennt sie, man wundert sich nur, für wen – weil: Ist ja sonst keiner da. Stattdessen begegnet sie den Resten der Vergangenheit, eine merkwürdig attraktive Mischung aus Grusel und Melancholie, erzählt mit sparsamem Text und ohne die übliche Manga-Holzhammer-Eindeutigkeit, in der jede Frage viermal gestellt, achtmal beantwortet und zwölfmal illustriert wird. Und siehe da: So geht’s also auch.
Charakter aus Sperrholz

„3 Body Problem“ ist also ein Manhua. Ein China-Manga. Über eine (Selbst-?)Mordserie unter Physikern. Und eine mysteriöse Organisation dahinter. Mehrere Probleme. Das kleinste: In Diktaturen ermittelt die Polizei nicht frei, thematisieren kann man’s aber nicht. Das macht jeden Krimi zum DDR-Polizeiruf. Das mittlere: Steif und flach – die Charaktere sind aus echtem Sperrholz. Das größte: die Brechstangendialoge. Wenn die „Spezialeinheit“ ankommt, sagt sie, sie sei die Spezialeinheit. Dann schreit jemand: „Die Spezialeinheit!“ Jedes Bauerntheater ist eleganter. Das bizarrste: Der abschließende „Was haben wir gelernt“-Teil. Wie kommt ein digitaler Countdown in eine alte analoge Kamera? Wie kannst du es dir erklären? Welche Ideen hast du noch? Fehlt bloß: „Diskutiere es in der Klasse!“
Karten-Crossover

Supernerd-Alarm: Hinter „Magic: The Gathering“ steckt die Liebesgeschichte, die sich zwischen zwei ewigen Rivalen entwickelt. Junge und Mädchen aus derselben Schule, sie ist Schulbeste, er ewiger Zweiter. Und nebenbei/hauptsächlich tragen sie ihre Rivalität mit dem Kartenspiel „Magic“ aus. Wer’s kennt, hat vielleicht seine Freude daran, wer nicht, der liest entweder Dutzende futzelkleine Erklärungen, wer gerade wen wodurch wievieler Lebenspunkte beraubt und welche Sonderregel grade gilt, weil der 3. Mai auf einen Mittwoch fällt oder was weiß ich. Man kann aber auch einfach weiterblättern und schauen, wie das Match ausgeht und ob sie sich schon küssen oder ob die anfangs schwurbelig angedeutete Weltuntergangsgeschichte noch mal wichtiger wird als die Kartenspielcrossover-Werbeveranstaltung. Wenn‘s einen interessiert.
