- 30. Aug.
5 Mangas in 5 Minuten (2.1): Zwei Jahre gehen rasch ins Land, neue Mangas fluten die Republik. Hier ist das Comeback des Mangatests

Wie hieß der Satz? Genau: Immer, wenn eine Industrie viel produziert, muss neben einer Menge Schrott auch was Gutes rauskommen. Und wer hat's gesagt?
Ach ja, ich selber.
Weshalb ich nach zwei Jahren wieder im großen Mangahaufen wühle. Nicht in den absonderlichen Ecken, sondern bei den in den letzten zwei Jahren dazugekommenen Topsellern der Verlage. Hier der erste Fünferpack. Die Uhr läuft ab... jetzt!
Tell bis zum Erbrechen

Okay, die Story ist Schablone. In „Kuroko’s Basketball“ treffen sich Schüler im Basketballkurs. Einer wuchs in den USA auf und spielt daher (klar!) super. Ein anderer eher unscheinbar, obwohl er von einer Wunderschule kommt. Aber man könnte was draus machen. Eigenheiten enthüllen, Teambildung zeigen. Zumal die Zeichnungen gut sind. Leider ist das einer der Mangas, die die Regel „Show, don’t tell“ ignorieren. Zugunsten der Regel „Tell bis zum Erbrechen“. Sobald Unscheinbarbub unscheinbar spielt, denkt wer: „Hä, spielt der aber unscheinbar – der kommt doch von der Wunderschule“. Sobald sich das Unauffällige als Vorteil entpuppt, heißt es sofort: „Oh, spielt er extra unscheinbar? Ist das sein Vorteil?“ Dahinter steckt zweierlei: A) ist es schwer, Sportszenen zu entwickeln, in denen der Leser derlei selbst merkt. B) wüsste es die Kundschaft wohl nicht mal zu schätzen. Stimmt vielleicht sogar. Heißt aber auch, man könnte genauso ein paar Kids mit Bällen reinstempeln, dazu die Standard-Staunfressen, in der Sprechblase steht „Häääh? Ist er etwa gut“ oder „Waaah! Ist er etwa schlecht?“ Das kann’s doch nicht sein, oder?
Nasse Bluse, harte Kolben

„Uwääh“, wie's im Manga gern heißt: „Georgie“ ist wirklich klebrig. Wir sind Ende des 19. Jahrhunderts in Australien, wo die blonde Georgie mit untertassengroßen Augen und zwei Brüdern aufwächst, die sie schon ab Seite 12 oder so „als Frau wahrnehmen“. Abel, der Ältere, muss daraufhin sofort zur See fahren, weil er’s sonst gar nicht mehr packt, der Jüngere macht auch irgendeinen Schrott, dann lernt die Blonde einen reichen Erben kennen, der wenigstens nicht mit ihr verwandt ist. Trotzdem werden dauernd alle nass und die Blusen durchsichtig und die Jungs rennen ohne Hemd herum und huch und hach und wir machen einen Bumerangwettbewerb um die Maiskolbenmaschine. Wer den auf einem Anime der 80er basierenden Quark durchlesen will, nehme eine Flasche Himbeergeist dazu, anders ist der Kleister kaum auszuhalten.
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Titanenkampf: Rektor gegen Hirsch

Keiichi Arawis „Nichijou“ kann man gut mögen. Ein Episoden-Comedy-Comic, der an einer Schule spielt und mit verschrobenem Humor daherkommt. Wir haben etwa das Robotermädchen, das unbedingt für einen Menschen gehalten werden will, was schon daran scheitert, dass a) es alle wissen, weil sie b) mit einem gigantischen Aufziehschlüssel im Rücken rumrennt. Arawi schaukelt die Episoden auch hemmungslos hoch: Wenn die Klassenpfeife vor die Tür geschickt wird und nichts sehnlicher will, als wieder reinzustürzen und die Sensation zu verkünden, die sie vor der Tür beobachtet: Wie der Schulrektor in immer abstruseren Varianten gegen einen Hirsch kämpft. Auch schön: Die blitzartigst eskalierende Gewalt seit Clever & Smart. Nicht alles klappt, aber viel öfter als nicht: So viel Spaß hatte ich mit einem Manga schon lang nicht.
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Schluss mit der Gratiswelt

Das Intro von „Omniscient Reader’s Viewpoint“ langt ordentlich hin: der Berufsanfänger Dokja hat in den letzten zehn Jahren alle 3149 Kapitel eines unbekannten Webromans gelesen. Thema: Weltuntergang. Und grad, als er fertig ist, wird der Roman Wirklichkeit: Weshalb Dokja als einziger weiß, was passiert und wie‘s ausgeht. Ja, seltsam, wer schreibt für einen Leser 3000 Kapitel? Aber vermutlich ist Dokja irgendwie auserwählt. Trotzdem: Wenn Größenwahn, dann richtig. Und die Schlagzahl bleibt hoch, auch wenn der Manhwa (Manga aus Korea) so hölzern erzählt, dass die Spreißel aus den Seiten ragen. Dokja trifft in der U-Bahn die Firmenschönheit, dann verkündet ein teddybärhafter Dämon das Ende der Gratiswelt: Ab jetzt wird bezahlt. Nicht mit Geld, sondern mit Punkten aus einer Art Weltvideospiel. Erste Aufgabe: Wer in den nächsten 30 Minuten keinen killt, stirbt selbst. Das ist nicht wirklich gut, aber immerhin dreist und tröstet darüber hinweg, dass durch die „Roman-wird-wahr-Konstruktion“ der titelgebende Leser noch mehr erklärt als im Manga eh üblich.
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Bemerkenswert brachial

Es gibt reichlich Blut, vom Start weg. „Vagabond“ ist eine brachial-bemerkenswerte Heldensaga. Zwei junge Männer, Takeza und Matahachi, überleben halbtot eine Schlacht. Als ein Trupp der Sieger das Gelände nach überlebenden Gegnern absucht, töten die beiden den Trupp und verbergen sich in einem nahen Dorf. Das sieht authentisch aus, es gibt weder Zauber noch Superschwert, man tötet derart brutal mit Steinen, Ästen, allem Greifbarem, dass es beim Zuschauen wehtut, gerade in diesem Großformat. Dennoch ist die Handlung abwechslungsreich und aufwändig gezeichnet: Sie wechselt die Perspektive, baut überraschend erotische Elemente ein, portioniert die Gewalt so geschickt wie geduldig und baut immer wieder eigenwillige Gegenspieler auf. Was soll man da noch sagen außer: rundum überzeugend?
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- 30. Juli
Die Outtakes (30): Kindgerechte Gespenster, Kneipen-Konversationen und Wünschen mit kleinen Fehlern

Mürkwerdig
Tja, ich mag Taiyo Matsumoto, einen Preis der japanischen Mangazeichnervereinigung hat „Gogo-Monster“ auch gekriegt, aber ich weiß trotzdem leider nicht recht wofür. Es geht wieder mal um Kinder, eines von ihnen glaubt Kontakt zu Geistern zu haben, die im gesperrten dritten Stock der Schule wohnen. Die anderen Kinder denken, der Junge hätte ein Rad ab, zwei von ihnen mögen den Geisterbuben dennoch ganz gern. Eines dieser beiden rennt den ganzen Tag mit einem Pappkarton über dem Kopf herum. Und so weiter und so fort. Wir Leser sehen weder die Geister noch wird überhaupt klar, wohin die Geschichte führt, die ich Matsumoto zuliebe bis zum Schluss durchgelesen habe. Dann begriff ich: Ich weiß es immer noch nicht. Und Matsumotos sonstige Stärke, die kleinen großen Gefühle, sind ihm diesmal auch irgendwie durch die Finger gerutscht. Merkwürdig, mürkwerdig, mürb werd ick. Aber immerhin: Der Einband ist hübsch.
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Flasche nicht leer

Ordentlich exotisch: Deena Mohameds „Shubeik Lubeik“ kommt aus Ägypten, liest sich mangahaft von rechts nach links, ist märchenhaft und ansehnlich und über 500 Seiten dick. Alles ist bereit für den Überraschungserfolg, der leider ausbleibt, obwohl es launig losgeht. Mohamed erzählt aus einem orientalischen Land, in dem man Wünsche kaufen kann. Billige, die beim Erfüllen mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen. Teure, die wesentlich präziser funktionieren. Dazwischen malt Mohamed immer wieder reizvoll aus, wie der Staat Herstellung, Verkauf und Umgang mit den Wünschen zu regeln versucht. Das ist teils satirisch, teils ernst, was sich ergänzen könnte, aber hier gegenseitig verwässert. Die eigentliche Handlung eiert ebenfalls halbentschlossen zwischen herzzerreißend und Satire (wie ja überhaupt die ganze Wünscherei auch den orientalischen Umgang mit modernen Freiheiten spiegeln möchte). Am meisten bremsen indessen Mohameds endlose Erwägungen, Debatten, Bedenken rund ums Problem des kaufbaren Wunschs die Lesefreude aus. Die sind selbst als Parabel für moderne Sehnsüchte arg langatmig geraten. Oder es ist landestypischer Stil: Dann möge zugreifen, wer ihn mag.
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100 Bullets, gewaltfreie Version

Eindeutig gut, aber auch eindeutig spröde: Die Wiederveröffentlichung von „Joe’s Bar“ macht es dem Leser nicht leicht. So sind die Geschichten rund um Bar, Besucher und Betreiber allerdings auch nicht gedacht: Die Argentinier José Munoz (Zeichnungen) und Carlos Sampayo (Text) rücken immer wieder Passanten, Fremde, Mittrinker samt ihren Gesprächsfetzen in den Vordergrund, wechseln ständig das Personal, so dass man oft schon Mühe hat, die Hauptfigur rauszufinden. Das ist liebevoll und boshaft gezeichnet, durchdacht angelegt – aber auch so kunstwillig, dass ich mir ständig vorkomme, als sähe ich statt einer Erfolgsserie nur das Spin-Off einer Nebenfigur, von der ich leider noch nie gehört habe. Tatsächlich erinnern die je 20-seitigen Tauchgänge ins pralle Leben stark an die Serien „100 Bullets“ und „Sin City“ – aber eben ohne die kommerziell hilfreiche Gewaltzutat.
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- 5. Mai 2024
21 Comics für lau: Am 11. Mai ist Gratis-Kids-Comictag. Sechs Tipps aus zwei unterschiedlich alten Augenpaaren
Ordentliche Comics für umsonst: ein zweites Weihnachten. Daher bin ich jederzeit bereit, den Gratis-KIDS-Comictag zu bejubeln, obwohl ich nicht mehr direkt zur Zielgruppe gehöre. Bis zu 21 Titel können Kinder und Kindgebliebene am 11. Mai beim Comichändler Ihres Vertrauens (finden Sie hier) einsammeln. Mal sind's Episoden, mal die ersten Kapitel, mal ganze Abenteuer, aber immer gratis. Falsch kann man nichts machen. Und ja, es gibt Rosinen im Kuchen. Aber welche Hefte das sind, hängt davon ab, wen man fragt. Weshalb ich mir wieder mal Copilotin Julia (12) ins Cockpit geholt habe.
Waise 1: Oma sucht Grab

Es wird halbgruselig: Julia hat als erstes Heft „Sam und die Geister“ gewählt. Das Waisenmädchen Sam lebt bei seinem erwachsenen Bruder, und entdeckt beim Besuch auf dem Friedhof, dass es Geister sehen und mit ihnen reden kann. Ihr Bruder glaubt ihr erst nicht, dann macht er aber einfach mit, weil, hm, sonst die Story nicht weitergeht. Zu zweit sorgen sie im ersten Abenteuer für das Seelenheil der niedlichen Oma Luise. Die Geschichte von Carbone (Text) und Julien Monier (Zeichnungen) ist nicht zu drückend, nicht zu banal, und mit 56 Seiten ein richtig dickes Abenteuer.
Haustier zum Abendessen

Mein Tipp Nummer Eins: Die Abenteuer von „Akissi“, dem Mädchen aus der/von der Elfenbeinküste. Gespeist aus den Erinnerungen von Marguerite Abouet, weshalb dort die Kinder auch mal im Müll spielen, sich sehr undiplomatisch gegenüber Behinderten äußern oder ein Haustier beinahe von den Nachbarn gegessen wird. Julia ist mit 12 aus dem Akissi-Alter schon ein bisschen raus, aber ich finde die Geschichten des vielzopfigen Mädchens nach wie vor angenehm sparsam gefiltert. Und die Perspektive der Abenteuer ist auf dem Comicmarkt nach wie vor ziemlich einmalig.
Waise 2: Frosch fährt Bus

Ja sowas: In Julias zweiter Wahl, „Elfies Zauberbuch“, geht es schon wieder um ein Waisenmädchen. Das wohnt aber nicht bei seinem Bruder, sondern bei seiner Schwester im lustigen Doppeldeckerbus, und es kriegt ein magisches Zauberbuch, dass sie selbst vollschreiben muss, und mit dem sie einen Papierfrosch zum Leben erweckt. Ein bisschen Drama, ein bisschen Spaß, eine ausführliche Geschichte: das Konzept von Toonfish geht bei Julia gut auf. Kein Wunder, dass sie mit „Elle(s)“ das dritte Gratisheft des Splitter-Ablegers auf Platz 4 setzen würde. Wir hatten aber drei Tipps ausgemacht.
Hübsches Chinesenchaos

Mein Kandidat Nummer Zwei: „Der Weg“ von Cai mogu de Sima gonggong, ein Titel des Verlags Chinabooks, bei dem ich politische Unabhängigkeit mal eher nicht vermute. Was Cai mogu de Sima gonggongs Zeichnungen nicht weniger sehenswert macht. Die Handlung hingegen ist komplett unverständlich, was an der Kapitelauswahl und am Text liegt. Der ist verwirrend zweisprachig (vielleicht damit der Verlag das Ganze auch in seiner Sprachunterrichts-Sparte verkaufen kann?) und bis hin zum Klappentext schlecht, sinnentstellend oder auch einfach nicht lektoriert. Aber daran, dass ich's trotzdem empfehle, kann man vielleicht ahnen, wie ansehnlich die Bilder sind…
Geheimrezept Hunderix

Da hätte ich drauf wetten können: „Idefix und die Unbeugsamen“ sind bei Julias Auswahl natürlich dabei. Die Mischung aus Asterix und Hunden ist unwiderstehlich, und Julia kennt bisher nur Band 1, das Abenteuer „Die Statue des Labienus“ ist aber offenbar aus Band 2. Ich habe zwar auch diesmal dieselben Bedenken wie beim Test hier, außerdem sitzt mit Philippe Fenech ein Zeichner der Sorte „Idefix von der Stange“ am Stift, aber was versteh ich schon von der Sache? Gratis Hinweis fürs Marketing: Das Poster in der Mitte wird Julia nicht aufhängen, weil von den fünf Tieren nur zwei niedlich genug sind. Dringend nachsüßen!
Waise 3: Härte statt Harry

Tja, schon wieder. Auch wenn mir die erdrückend oft auftauchenden Elemente „Magie“ und „armes Waisenkind“ insgesamt schwer auf die Nerven harrypottern: „Rebis“ ist eine attraktive Mittelaltergeschichte mit stellenweise erstaunlicher Härte – was die gängige Mittelaltermarkt-Romantik mal gut konterkariert. Sollen Kinder erfahren, dass man früher Ketzer verbrannt hat? Und wenn, soll man dann lieber im entscheidenden Moment einfach mal wegsehen? Irene Marchesini und Carlotta Dicataldo entscheiden sich gegen das Wegsehen und zeigen es. Nicht exzessiv, aber trotzdem. Comics dürfen auch mal daheim Diskussionen auslösen.
Aber, wie gesagt: Probieren Sie sich durch, egal welches Heft Sie grade in die Finger kriegen! Dann dafür ist der Graits -Kids-Comictag gemacht!

