Der Comic „Gertrude Stein und ihr Salon der Künste“ porträtiert die Pariser Kunstszene Anfang des letzten Jahrhunderts boshaft, aber mit nostalgischer Wärme

Der Name von Gertrude Stein ist mir bewusst das erste Mal in einem Stand-up-Sketch von Woody Allen begegnet: Diese seltsame Frau, in deren Pariser Wohnung sich in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts lauter Künstler trafen, bevor sie berühmt wurden oder nachdem, oder um überhaupt berühmt zu werden. Gutes Gag-Material, weil man Picasso und Hemingway und F. Scott Fitzgerald und lauter große Namen verwursten kann. Ob Valentina Grande und Eva Rossetti den Sketch auch kennen, weiß ich nicht – aber mit dem Band „Gertrude Stein und ihr Salon der Künste“ kommen sie angenehm nahe heran.
Eigenwillig, selbstbewusst, anspruchsvoll
Denn nicht selten wird die Geschichte ja ehrfurchtsvoller erzählt: So viele berühmte Namen, und im Zentrum diese eigenwillige, anspruchsvolle, selbstbewusste Frau mit ihrer rätselhaften Geliebten, uiuiuiuiui! Szenaristin Grande wählt schon mal einen indirekteren Ansatz: Ein Autor, der gerne berühmter geworden wäre, erinnert sich. Er hat es schon in den Steinschen Salon geschafft, aber er wird nicht gefeiert und ist letztlich nur irgendwie so dabei.

Schon in den ersten Szenen entlarvt seine Geschichte statt des elitären Künstlerzirkels eher einen Kreis von Newcomern, die um Steins Anerkennung buhlen. Bei einer Gastgeberin, die sich als fleischgewordenes Gütesiegel der Kunst gefällt und die den Schriftsteller Ezra Pound deshalb nicht mehr einlädt, weil er sich zu hart auf einen ihrer Stühle gesetzt und ihn dadurch zerbrochen hat.
Scharwenzelnder Hemingway
Auch Hemingway erscheint hier nicht als selbstbewusster Autor, sondern als jemand, der so lange um Stein herumscharwenzelt, bis sie ihn gnädig auffordert, sie seine Texte lesen zu lassen. Und weil alle das ähnlich machen, vermittelt der Zirkel der Stars eher den Eindruck nervöser Kunstmimosen, an deren Lobesbedürftigkeit sich Frau Stein ein ganz schön dickes Ego angefressen hat.

Grande hat daraus allerdings keine fiese Pointenparade gemacht, eher eine dezent hinterhältige Analyse, die Eva Rossetti mit sehr schön herbstlichen Bildern abmildert. Für ihre Studien und Szenen von Paris und seinen Parks, gerne im Herbst, kombiniert sie dünne schwarze Linien mit dicken Farbflächen, und obwohl all das erkennbar am Computer entstand, strahlt es doch eine angenehm nostalgische Wärme aus. Weshalb ich – so wenig ich in diesem Salon unter Steins Beobachtung stehen möchte – den Band doch ungemein gern und neugierig zur Hand nehme. Für eine objektivere Stein-Bewertung könnte freilich zusätzliche Literatur nötig sein. Aber verpflichtend ist das nicht.
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George Orwells satirischer Klassiker Animal Farm ist jetzt doppelt als Comic erhältlich: Es ist an der Zeit für einen kleinen Contest

Immer wieder gut: „Farm der Tiere“ von George Orwell. Sie wissen schon: Die Fabel über die Revolution, bei der erst die Tiere die Macht übernehmen, dann aber die Schweine sich als sehr menschenähnliche Ausbeuter an die Spitze setzen. Ähnlichkeiten mit Diktaturen im Allgemeinen und der Sowjetunion Stalins im Besonderen sind natürlich gewollt. Zweifellos ist das Material für einen Comic, wie ihn gerade der Knesebeck-Verlag herausgebracht hat. Etwas überraschend, weil vor knapp drei Jahren Panini bereits dasselbe gemacht hat. Was eine willkommene Gelegenheit zum Produkttest ist: Wer liefert die bessere Variante?
Preislich geht's um fünf Euro
Von den Kosten her hat Knesebeck die Nase vorn: Die französische Version von Patrice Le Sourd (Zeichnungen) und Rodolphe (Text) ist mit 20 Euro etwas günstiger, hat das größere Albumformat, aber weniger Seiten (48). Die Version des Brasilianers Odyr (bürgerlich: Odyr Bernardi) kostet 25 Euro, bietet dafür 180 Seiten, die zwar etwas kleiner sind, aber unterm Strich deutlich mehr Platz ergeben. Die Frage ist freilich: was macht wer aus seinen Voraussetzungen?

Rein optisch ist der Ansatz von Patrice Le Sourd kommerziell zugänglicher: Die Geschichte kommt in sauberen Panels, konventionellen, aber nicht anbiedernden Zeichnungen. Odyr hingegen zeichnet mit breiten Farbstrichen, spielt deutlich nuancierter mit Licht und Atmosphäre, verteilt den Text mal zu den Bildern, mal mit Sprechblasen.
Wer hat wieviel Platz? Wer nutzt ihn?
Und Odyr nimmt sich den Platz, den er hat, auch um explizit Zeit vergehen zu lassen. Was dem Farmleben, der Abfolge der Jahreszeiten, entgegen kommt. Es ist vor allem dieser Vergleich, der zeigt, dass die Knesebeck-Variante Probleme hat, alles unterzubringen.

Hier wird es tatsächlich knifflig: Denn wer die Wirkung von „Animal Farm“ hervorrufen will, braucht tatsächlich trotz des kurzen Ausgangstexts ein bisschen Zeit. Er muss den Traum der Tiere von der gerechten Welt ausbreiten, ihr Leid, ihre Hoffnung – und er darf deren Enttäuschung nicht zu hastig abklappern. Schon der Traum des alten, sterbenden Schweins „Old Major“ im Stall kriegt bei Rodolphe/Le Sourd nur knapp zehn Panels, in denen auch noch die Hymne „Tiere Englands“ abgeliefert werden muss. Odyr hat die doppelte Zahl Panels, er kann Old Majors Ansprache rhetorisch ausbreiten. Le Sourd kann den Stall nicht verlassen, Odyr kann eindringliche Symbolbilder liefern, und die Hymne ist nicht nur komplett abgedruckt, es reicht auch noch für den (originalgetreuen) Hinweis, dass die Tiere so begeistert sind, dass sie das Lied fünfmal hintereinander singen. Es sind solche sarkastischen Details, die einem die Tiere, aber auch die literarische Vorlage näherbringen.
Wer kürzt wie – und wo?
Interessant ist auch die unterschiedliche Kürzung. Als das idealistischere Schwein Schneeball verjagt und vom verbliebenen Oberschwein Napoleon ab sofort für alle Fehlschläge verantwortlich gemacht wird, kann das kräftige Pferd Boxer die verordnete Kehrtwende von Schneeball als Held zum Verräter nicht glauben. Boxer wird zurechtgewiesen. Kurze Zeit später veranstaltet Napoleon Schauprozesse und lässt die Verurteilten von seinen Hunden zerreißen. Auch Boxer wird angegriffen, kann sich aber dank seiner Kraft durchsetzen. Odyr kürzt den Angriff auf Boxer weg, behält aber die blutigen Schauprozesse. Nachvollziehbar: Napoleon wird sich später ja noch an Boxer für dessen öffentlich geäußerte Zweifel rächen. Rodolphe hingegen behält Boxers Sieg, streicht dafür die brutalen Schauprozesse. So triumphiert bei Odyr und Orwell Napoleon, aber bei Rodolphe ist es Boxer. Ohne jede Not.

Das macht einen dann ein wenig misstrauisch, ob Rodolphe sich noch weitere, ähnliche Freiheiten nimmt. Was er tut, in mindestens einem Fall, dem der Farm-Verfassung der Sieben Tiergebote. Die sind anfangs klar und eindeutig, werden aber allmählich von den Schweinen verwässert. Was Rodolphe so attraktiv findet, dass er das Original-Ende gleich doppelt variiert. Der bekannte Satz „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher“ ziert bei ihm munter das Ende der Sieben-Gebote-Liste – und das ist dann das Ende des Comics. Im Buch hingegen ist dieses Gebot als einziges überhaupt noch übrig.
Was verstand schon Orwell von Büchern?
Odyr vertraut hingegen dem Original. Und findet danach auch noch Platz für Orwells tatsächlichen, effektvolleren, eindringlicheren Schluss, der bitter den Wandel der Schweine von Revolutionären hin zu einer anderen Sorte Mensch bilanziert. Rodolphe sieht den Gedanken schon auch, verlegt ihn aber vor und unterschätzt ihn, weil er kaum erwarten kann, seine Gebotstafel-Idee zu präsentieren. Was wusste schon Orwell vom Bücherschreiben?

Fazit: Die Variante von Rodolphe/Le Sourd funktioniert schon auch, wenngleich etwas hektisch und holprig. Dem Original deutlich näher kommt Odyr, nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Wirkung. Weshalb ich wohl die fünf Euro mehr ausgeben würde.
Odyr, Kerstin Fricke (Üs.), Farm der Tiere, Panini, 25 Euro
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Ein Alptraumsommer, heiße Kisten, neblige Düsternis: Drei schöne Comics scheitern an ihrer Story – die Outtakes (3)

Skrupellose Sommerliebe
Eine seltsame Geschichte: 1962. Drei Jungs in einem französischen Küstenort. Der letzte Sommer vor der Uni – alle drei wollen Karriere machen wie ihre Eltern. Dann trifft Odette die drei am Strand, zieht sich wortlos aus und badet mit ihnen nackt. Nachts darauf schlägt sie vor, man könnte in leerstehende Villen einsteigen und dort vögeln. Und während zwei Jungs sich schon mal nackig machen, lässt Odette ihre Komplizen rein, die sie überraschend fotografieren. Zwecks Erpressung: Odette und ihre Komplizen räumen die Häuser aus, die Erpressten können als Informanten hinterher nicht mal zur Polizei. Ende?
Nein: Odette hat sich in einen der Jungs verliebt. Und er hängt sich fasziniert an sie und drängt sich in die Einbrecherbande….
Was ist „Unter den Kieseln der Strand“ nun? Die Geschichte einer Sommerliebe? Eine Abrechnung mit der spießigen Gesellschaft, die sich erst vor kurzem mit ihren Nazis arrangiert hat und bald ihr eigenwilliges Rechtsverständnis zeigen wird? Pascal Rabaté, Zeichner und Autor macht es einem nicht leicht. Die Bilder der Sommerliebe sind zart und hübsch, aber auch kühl, weil Rabaté den Gelbanteil praktisch auf Null reduziert. Auch zum Identifizieren taugen die Liebenden nicht recht: sie sind zwiespältig, nicht immer ehrlich – sie sind nur wegen ihrer Jugend am entschuldbarsten. Das ist letztlich das Problem: Der guten Geschichte, die vieles aufgreift, fehlt jemand, dem man folgen mag.
Pascal Rabaté, Desirée Schneider (Üs.), Unter den Kieseln der Strand, Splitter Verlag, 29,80 Euro
Wie frisch aus der Waschanlage

Gerade Autofans könnten Jaouen Salaüns „Asphalt Blues“ mindestens anfangs mögen. Salaün zeigt eine nahe Zukunft, in der noch immer viel gefahren wird. Die Bilder sind ansehnlich, aber zu sauber und zu glatt. Liegt vermutlich auch an der Technik: digital gezeichnet kann sehr abwaschbar aussehen. Vor allem, wenn dann auch kein richtiger Grund zum Weiterlesen kommt: Ein Paar streitet, aber so ausgedehnt und reizlos, dass schon wieder das Auto, in dem sie unterwegs sind, das Interessanteste darin ist. Salaün kann Wasser und Oberflächen zeichnen und Leute mit Sonnenbrillen – aber er kann ihnen nichts zu tun geben.
Jaouen Salaün/Resel Rebiersch (Üs.), Asphalt Blues, Schreiber & Leser, 29,80 Euro
Die Nebelmaschine

So ist das eben auch manchmal: Da fängt ein Comic schön rätselhaft an, minimalistisch, wortkarg, wie diese Geschichte von dem Falkner, der mit seinem Vogel an irgendeiner merkwürdig nebligen Küste etwas erlegt, was aussieht wie eine gigantische Staubmilbe. Und man denkt die ganze Zeit: Super, das ist ein Gefühl, als hätte man sich total verlaufen, jetzt macht mir das bloß nicht kaputt...
Und dann ändert sich der Stil, und es wird jede Menge und immer mehr Zeug geredet und die Handlung wird immer wirrer. Sich im Nebel verlaufen ist mystisch, sich im Geschwafel verlaufen ist anstrengend und wird dann irgendwann auch ein bisschen fad. Was bleibt, das sind Dave McKeans streckenweise hübsche Bilder. Aber die sind, zugegeben, sehr hübsch.
Dave McKean, Stephanie Pannen (Üs.), Raptor, Cross Cult, 30 bzw. 50 Euro