- vor 19 Stunden
Die Outtakes (28): Mit einer deutschen Kurzstrecke, einem japanischen Aussteiger und einem tot umfallenden Aktmaler

Die Erde als Pinata
Schade, aber der Sprung zwischen Genres klappt nicht immer. Hinter dem Comic-Strip-Band „Liebe Erde“ steckt das Duo War and Peas, zu deutsch Jonathan Kunz und Elizabeth Pich, die unlängst mit „Fungirl“ einen hemmungslosen Humor-Hit gelandet hat, den aber eben im Langformat. Dieser Comic-Strip hier besteht nun aus meist vier Panels (vgl. Peanuts), das rückt die Pointe mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit – folglich befinden wir uns gewissermaßen in einer anderen Comic-Sportart als bei Pichs schön verschrobenem „Fungirl“. Am besten gefiel mir der großartige Startcartoon: Fünf Kinder nutzen die Erdkugel als Pinata, schlagen mit verbundenen Augen auf sie ein und hoffen, dass was Schönes rausfällt, wenn der Globus kaputtgeht. Aber Pich/Kunz haben nicht genug Pointen in dieser Qualität, und die zahlreichen „Heuschrecke-frisst-Männchen-nach-dem-Sex“-Gags können das nicht wettmachen. Kann aber auch Übungssache sein: Wenn der Erdkugel-Gag erst kurz vor Schluss dazukam, wäre wiederum das Duo auf einem guten Weg.
Der alte Mann und die Mangas

Das hier ist, mmmh, speziell. Schon gut, aber eigen, man muss es melancholisch-nachdenklich mögen, und ob dazu nach dem Blick in die Nachrichten noch so viele Lust haben? Trotzdem: Taiyo Matsumoto hat wieder zugeschlagen, mit „Tokyo dieser Tage“, erscheint jetzt seine Mangaserie über Mangas auf deutsch. Ein altgedienter Redakteur kündigt, weil er altersgemäß meint, den Geschmack für aktuelle Mangas verloren zu haben. Matsumoto liefert kapitelweise Szenen rund um den Abgang, die Autoren, die Zeichner, die Kollegen – und illustriert so den Blick hinter die Kulissen. Wer macht was, wieviel Liebe steckt immer wieder in diesem Kulturbusiness und welcher Druck lastet auf den Menschen, die die Kunst machen, herstellen, verkaufen, verbessern. Storyteller, Hintergrundzeichner, Tuscher, Verlagsredakteure – ich habe nebenbei mehr über das Manga-machen gelernt als auf zahlreichen Websites vorher. Aber eben mit einem immer leicht wehmütigen Aroma. Wobei: Jetzt im Frühling und bei Sonnenschein ist das Ganze vielleicht sogar ideal.
Alter Erhalter

Sowas kommt auch vor: Dem Autor folgend bin ich auf Pascal Rabatés „Bäche und Flüsse“ gestoßen, eine recht kurze Story (2011) mit allerhand Licht – und Schatten. Der Plot: Kaum hat der Witwer Émile entdeckt, dass sein Angelkumpel nicht nur heimlich Amouren hat, sondern diese auch als Akt malt, fällt der auch schon tot um. Émile lernt dann bei der Beerdigung dessen letzte Eroberung kennen – und stellt fest, dass das Leben offenbar noch nicht vorbei ist. Vieles davon ist sehr hübsch geworden: Die Dorfgemeinschaft, ihre Sprüche und auch Émiles Einsamkeit, einfühlsam, spaßig, das gefällt. Weniger gelungen ist die nächste Handlungswendung, die geht etwas zu arg ins Wohlfühlige. Ich verstehe, was gemeint ist, finde die Idee dahinter auch prima – aber damit ich es glauben kann, hätte ich gerne ein wenig Sand im Getriebe. „Dasselbe wie früher, nur eben in alt“ ist ein bisschen zuviel Anglerlatein, wenn man merkt, dass die Verschleißerscheinungen schon Ende 50 zunehmen...
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- vor 5 Tagen
Beispielhaft gesehen: Cartoonist Luz illustriert Raubkunst aus der Perspektive eines Gemäldes – und wir sind immer im Bild

So kann man’s natürlich auch machen! Der französische Karikaturist Luz (der hier Humor und Trauer sensationell kombinierte), hat für seinen Sachcomic „Zwei weibliche Halbakte“ ein Problem gewitzt gelöst, das vielen Sachcomics in die Quere kommt. Denn so wichtig das Thema ist – vom Start weg ist es oft recht unsexy. Luz‘ Thema heißt: „Restitution“ bzw. „NS-Raubkunst“. In München haben beispielsweise die staatlichen Museen damit gerade richtig Ärger. Und Luz wird zeigen: Den Ärger haben sie zu Recht.
Wir sehen, was das Bild sähe
Der Titel des Comics stammt von einem Bild, das es wirklich gibt: Otto Mueller hat es 1919 gemalt, heute hängt es in Köln – und Luz beschreibt genau diesen Weg. Von einem Wald nahe bei Berlin bis Köln. Aber Luz zeigt ihn durch die nicht vorhandenen Augen des Bildes. Was ihm einen wunderbaren, sogar preisgekrönten Einstiegstrick ermöglicht

Denn, klar, die Leinwand sieht anfangs noch nichts, die ist ja noch kein Bild. Aber die ersten Farbstriche zeigen schon etwas Wald, etwas Mueller, und so, wie er malt, füllen sich langsam die ersten Panels, bis das Rechteck voll ist. Wir sehen Mueller, wie er pinselt und mit seinem Modell Maschka plaudert, abschließend guckt Maschka ins Bild, weil sie wissen will, wie sie geworden ist – schlanker als in echt. Muntere Idee. Und die Leser sind im Bild.
In Littmanns Arbeitszimmer
Von da geht’s ins Atelier, wo wir als Bild an der Wand hängen. Wir ziehen mit nach Breslau, weil dort der Kunstmarkt besser ist und Mueller eine Professur kriegt. Wir werden von Kunstsammlern begutachtet, wir werden gerahmt, entdeckt, und in den 20er Jahren kauft uns ein reicher Herr Littmann. Wir werden verpackt, heimgetragen, bei Littmann an die Wand gehängt. Und von da sehen wir durchs Fenster nach draußen.

Da passieren üble Dinge, orthodoxe Juden werden geschlagen, die Mauer mit Parolen und Hakenkreuzen beschmiert, und Littmann, selbst Jude, verliert wichtige Kunden. Die Situation wird aussichtslos, und Littmann nimmt Gift. Die Familie muss die Bilder verkaufen, aber sie werden noch im Auktionshaus beschlagnahmt – und landen in der Ausstellung „Entartete Kunst“, und mehr sag‘ ich jetzt nicht, weil die Irrfahrt des Gemäldes natürlich zum Reiz gehört.
Geschick gewählt, wütend gezeichnet
Vieles von diesem Reiz liegt natürlich an der Auswahl der Szenen, die sich Luz für seine kräftigen, wütenden Zeichnungen herauspickt. Der Gegensatz von Wertschätzung und Verachtung desselben Bildes beispielsweise. Oder die Tatsache, dass die Nazis die von ihnen gehassten Bilder in ihrer Schmähausstellung auch noch explizit unansehnlich zusammengepferchten, aus (berechtigter?) Angst, ihre Kundschaft wäre zu blöd um ohne Holzhammerhinweise zu merken, dass die „blöde“ Kunst blöd sei.

Und danach? Hat das Museum Ludwig alles richtig gemacht? Ohne Fachmann zu sein: Sie machten auf jeden Fall weniger Theater. 1999, heißt es, bekam man erstmals mit, dass das Bild vor der Beschlagnahmung wem gehört hatte. Da kann man jetzt vielleicht nörgeln, aber in jedem Fall gab’s einen handfesten Namen mit einem Rechtsanspruch. Und die Kölner zierten sich nicht, gaben das Bild zurück – und kauften es anschließend nochmal rechtmäßig ein.
Da kann man dann, wie im Münchner Fall, natürlich insgeheim murmeln: „Das kann aber teuer werden.“ Aber so ist das eben mit Faschismus und seinen Folgen: Schnäppchen macht man da nur, solange man Raub für ein erlaubtes Geschäft hält.
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- 20. Apr.
Sehnsüchtig, halbtraurig und verträumt: Mariko und Jillian Tamakis sensibles Teenie-Ferienabenteuer „Ein Sommer am See“

Schon Lust auf Sommer? Noch ist's da ein bisschen hin, aber einen Vorgeschmack hätte ich schon: „Ein Sommer am See“. Berührend und bezaubernd. Nicht ganz neu (aber dafür günstig, s.u.!). Und wie so oft findet man sowas, indem man nach der Vergangenheit von Leuten guckt, die was auffallend Gutes gemacht haben, in diesem Fall einmal mehr Mariko und Jillian Tamaki.
Der Sommer scheint durchs Fenster
Es ist Sommer. Rose (zwölf? dreizehn?) fährt mit ihren Eltern ins Ferienhaus am See. Rose sitzt auf dem Rücksitz des Autos, blättert in Comics, sieht außen die ersten vertrauten Gebäude. Man hört die Reifen förmlich über den Kies knirschen, sieht die Dorfkids (winkt, um nicht arrogant zu wirken/wird für arrogant gehalten, weil man winkt). Rose lässt sich beglückt auf ihr vertrautes Ferienbett fallen, der Sommer scheint durchs Fenster. Dann nimmt sie ihr Rad und fährt zu ihrer Freundin Windy, die zwei Häuser weiter ebenfalls Ferien macht – ebenfalls wie immer.

All das ist saugeschickt umgesetzt: abwechslungsreiche Kameraführung, mit vielen glaubwürdigen Details. Das Fahrrad steht im Schuppen mit Vorhängeschloss, Roses Zimmer ist zurückhaltend ferienhausgerecht eingerichtet. Und wie sie aufs Bett plumpst: endlich angekommen. Dazu Rose selbst: harmlos-hübsch, blond, bohnendünn, Windy dagegen etwas jünger, rundlich, dunkle Haare. So viel Idylle, soviel Hoffnungen auf so viel Sommer, dass man beinahe vergisst, dass doch bestimmt irgendwas passieren muss, weil man ja sonst keine Geschichte zu erzählen hätte. Aber was?
Heimlicher Horror
Mariko Tamaki wählt wie schon in Roaming das Unscheinbare: Die Mädchen reden erstmals über Titten, ein wenig ratlos. Sie haben keine Lust mehr auf Zeichentrickfilme, und überhaupt geschehen in ihrem Leben auf einmal seltsame Dinge. Roses Eltern verstehen sich nicht gut. Und in dem Dorfladen, in dem Rose und Windy erstmals heimlich Horrorvideos leihen, reden die Jungs merkwürdige Sache über die Mädchen. Übrigens tatsächlich das perfekte Setting für einen Horrorfilm.

Aber Mariko Tamaki arbeitet viel eleganter, ohne Auflösung: Rose versucht ihre eigenen Gefühle einzusortieren. Warum ist ihr der Typ vom DVD-Verleih so wichtig, warum will sie wissen was mit seiner Freundin ist? Warum ist Mama so eine Spaßbremse? Praktisch nichts wird ausdiskutiert, stattdessen sehen wir eine zunehmend überforderte Rose, die sich wundert, wo die unkomplizierte Vergangenheit hin ist. Was wiederum genau die Frage ist, die man sich als erwachsen(d)er Leser selbst stellt, sehnsüchtig, halb traurig, halb träumerisch.
Chaos hinter der Oberfläche
Sowas funktioniert aber nur, wenn man auch die richtigen Bilder hat, und die zeichnet Jullian Tamaki en masse. Schön eskalierende Szenen wie der Nachmittag am Strand, kleine Einstellungen wie ein nackter Mädchenfuß, der gelangweilt ein Sektglas umschubst, oder auch die verwirrte Rose von oben, wie sie an einem ordentlichen Holzzaun vorbeigeht, hinter dem das White-Trash-Müllchaos lagert. Wir sehen, was hinter der Zaunoberfläche liegt, Rose sieht es nicht, weil sie nicht groß genug ist. Sinnbild? Zufall?

Die Tamakis werden’s bestimmt nicht aufklären, und eben dieses Selbstentdecken, Nachfühlen und -denken macht an ihrem Comic so unglaublich viel Spaß. Den es übrigens für wenig Geld gibt, 9,90 Euro als Taschenbuch, das ist eigentlich schon Mangatarif. Aber wenn Sie vor lauter Blödwinter den Sommer nochmal richtig genießen wollen, nehmen Sie die größere, gebundene Version.
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