Die „Katzenjammer Kids“ in Prachtband-Qualität: Alexander Braun feiert den Strip-Pionier Rudolph Dirks mit seiner unvergleichlich einladenden Form des Comic-Infotainment

Dieses Buch ist gut. Richtig gut. So gut, dass man kaum entscheiden kann, wo man mit dem Lob anfangen soll. Vielleicht mit dem Namen: Es heißt „Katzenjammer“ und ist von Alexander Braun, den ich hier schon mal erwähnt habe. Und allmählich muss man wohl davon ausgehen, dass der Band nicht deshalb so gut ist, weil Braun wieder mal ein gutes Buch gelungen ist. Sondern dass das Buch deshalb gut ist, weil es von Braun ist.
Die Gefahr: Detailhuberei und Sammelwut
„Katzenjammer“ ist ein Buch über Comic-Geschichte, vor allem natürlich über den legendären Strip „Katzenjammer Kids“ von Rudolph Dirks, eine der großen und ersten Serien der Comic-Geschichte. Was den Reiz, aber auch die Gefahr eines solchen Buches ausmacht: Je nach Nerdgrad kann die historische Bedeutung des 1897 erstmals erschienenen Strips zu unangenehmen Nebenwirkungen führen. Sammelwut, blödsinnige Detailhuberei, Haarspaltereien, Kaiserbartdebatten, gigantoschnarch. Aber: Nicht so in einem Braunbuch.
Braun kombiniert mehrere seltene Talente: ein journalistischer Blick für erzählenswerte Elemente – und die Fähigkeit sie zu schildern. Analytisches Denken. Akribisches Forschen und Wühlen. Ganz abgesehen vom Organisieren des immensen Bildmaterials. Was dazu führt, dass er den Comic erstmal Comic sein lässt, und das Potential des Kopfs dahinter ausschöpft.
Ein Auge für Fakten, eins für süffige Details

Dirks ist ein deutsches Auswandererkind, Papa Dirks wagt als erstes den Schritt in die USA und holt später seine Familie nach. Braun beleuchtet die Lage in Deutschland, die gigantische Aussiedler-Industrie, ihre Schiffe, die Ankunft, die Unterbringung. „Titanic“-reif bebildert, und mit süffigen Details wie dem reaktionären Arbeiterparadies der Pullman-Siedlung oder der Anhebung der gesamten Stadt Chicago um zwei Meter.
Genau das macht ein Braunbuch aus: Der immens offene Blick, gepaart mit einem sachlich-flüssigen Schreibstil, bei dem immer wieder auch Brauns eigenes Staunen angenehm spürbar bleibt. Mit eben diesem offenen Blick sieht Braun in vielen Details günstige Erzähl-Gelegenheiten. Dass Dirks mit Anfang 20 einer der Profiteure des New Yorker Zeitungskriegs zwischen William Randolph Hearst und Joseph Pulitzer war, dass er mit seinem Comic immens reich wurde, das ist bekannt. Aber Braun stellt die wichtigen Fragen: Warum war der Jungspund schon so früh erfolgreich? Weil er ein Genie war?
Das Schlachtfeld des Entertainment
Die Antworten liefern für ihn die nächsten Perlen, die er munter plaudernd aneinanderreiht. Braun erweckt eine erwachende Epoche der Bilder zum Leben: Ein frisch besiedelter Kontinent muss versorgt werden, der Versandhandel braucht daher Bilder, Bilder, Bilder. Wer naturalistisch zeichnen kann, kann Geld verdienen, selbst wenn er erst 16 ist. Gleichzeitig macht Pulitzer Boulevardzeitungen zum Erfolg, und Bilder sind eines der Erfolgsrezepte.
Vor allem am Sonntag, weil die Arbeiter mehr Freizeit haben und unterhalten werden möchten. Und weil auch Hearst in den Markt drängt, werden die Comicseiten der Sonntagszeitungen das bunteste, spannendste, lebhafteste Schlachtfeld des Entertainment, das man sich denken kann. All das liest sich so farbenfroh wie es aussieht, und deshalb kann Braun hier auch noch die wissenschaftliche Analyse und das Nerdfutter verführerisch verpackt verabreichen.
Analyse mit Augenzucker
Er verfolgt, wer die Sprechblase zuerst verwendet hat und seziert dann messerscharf, das es darauf gar nicht ankommt: Die große Pionierleistung war die Erfindung der wiederkehrenden Figur, der Serie. Dass es Figuren gab, die nicht nur was erlebten und zugleich ein Versprechen abgaben: Dass man sie nächstes Wochenende wieder treffen würde. Dass man auf sie warten konnte. Ohne Serienfigur kein Donald Duck, kein Laurel & Hardy, kein Harry Potter, kein Game of Thrones. Sowas saugt man aus einem Braunbuch, aus einer Menge einfallsreich bebilderter und layouteter Seiten, eine hübscher als die andere. Erst Augenzucker, dann Analyse.
Wer Schwächen finden will, muss lange suchen: Braun beginnt diesmal manche Kapitel mit szenischen Einstiegen, weshalb der flotte, faktensichere Text öfter mal kurz, aber unvermittelt gegen eine eher fragwürdige Form der Vermutungskolportage eingetauscht wird. Kommt nicht zu oft vor, muss man nicht haben, und hat man in bisherigen Braunbüchern auch nicht, die ich samt und sonders empfehlen kann.
Empfehlen will.
Empfehlen muss!
Alexander Braun (mit Tim Eckhorst), Katzenjammer Kids, avant-verlag, 59 Euro
Alexander Braun, Horror im Comic, avant-verlag, 49 Euro
Alexander Braun, Winsor McCay. The Complete Little Nemo, Taschen Verlag, 60 Euro
Alexander Braun, Anime fantastisch, riva verlag, 29,99 Euro
Alexander Braun, Will Eisner, avant-verlag, (vergriffen).
Mutiger Start einer Mammutaufgabe: Thomas von Steinaecker und David von Bassewitz wagen die Graphic Biography zum Musikpionier Karlheinz Stockhausen

Musik in Comics: Immer schwierig, weil man mit den Augen nicht so gut hören kann. Aber tatsächlich gibt es ein nahezu perfektes Vorbild: Als in den 70er Jahren die Band Kiss durch die Decke ging, veröffentlichte Marvel den passenden Comic, in dem die komplette Band durch ein Zauberkistchen in ihre Alter Egos verwandelt wird, den Dämon, den Catman, den Spaceman und das Sternenkind, und die dann – bitte?
Was das mit Musik zu tun hat?
Ja, wenig bis nichts.
Aber das Phänomen Kiss bestand ja auch nur zu ungefähr 30 Prozent aus Musik und zu 70 Prozent aus Faszination, weshalb der Cover-Aufdruck „Printed in real KISS blood!“ sogar recht zutreffend war. Das machte die Sache für Marvel so einfach und macht die Aufgabe für Thomas von Steinaecker so tricky.
Das Bohren eines dicken Bretts
Von Steinaecker hat sich nämlich Karlheinz Stockhausen vorgenommen. Der ist zwar weltberühmt als Kompositions- und Elektropionier, besteht aber im Gegensatz zu Kiss zu etwa 98 Prozent aus Musik. Erschwerend kommt hinzu: es ist Musik, die eine Menge Leuten für wenig bis kaum genießbar halten. Ein echt dickes Brett also. An solchen Brettern sind schon viele Bohrer gescheitert. Manche mit Pauken und Trompeten wie Michael Allred mit David Bowie, manche ehrenvoll wie Reinhard Kleist mit Nick Cave.
Aber der von Steinaecker ist ja ein Guter, das macht das Projekt wiederum so spannend. Seinen einfühlsamen Alterscomic „Der Sommer ihres Lebens“ kann man nicht oft genug loben. Und ähnlich wie dort mit Barbara Yelin hat er sich diesmal mit David von Bassewitz einen sehenswerten Zeichner gesichert. Der – was dem Projekt gut tut – kein Stockhausen-Fan ist. Wobei auch von Steinaecker um die Gefahr eines Nerd-Fan-Comics von Anfang weiß. Er begegnet ihr offensiv.
Geschickter Umweg über zwei Fan-Boys
Von Steinaecker eröffnet das Buch mit seiner eigenen Kindheit, damit, wie er und sein Bruder Stockhausens Musik entdecken. Das ist doppelt geschickt: Erstens nehmen die beiden Fanboys dem Thema das Bierernste, zweitens kann er von hier elegant in Stockhausens sehr erzählenswerte Kindheit überblenden.
Ein Junge in der Nazizeit, mit einer geistesgestörten Mutter, die denn auch in ein Heim kommt. Dort stirbt sie an einer Lungenentzündung (hinter der sich vermutlich ein Euthanasieprogramm verbirgt). Der junge Stockhausen wird im Krieg nicht Jungsoldat, sondern Jung-Sanitäter, sieht entsetzliche Verletzungen, wie verwundete Kriegsgefangene einfach erschossen werden, damit ein Bett für Deutsche frei wird, ein spannendes, manchmal bitteres Leben, tadellos erzählt – allerdings aus einer Zeit, in der viele Leben ähnlich spannend waren. Die Nagelprobe ist und bleibt: die Musik.
Aus dem Klavier kommt das Flugzeug
Da zeigt sich der junge Stockhausen früh talentiert, früh befähigt, Musik über das Klavier hinauszudenken, Tiefflieger musikalisch nachzuahmen. Von Bassewitz illustriert das, indem er etwa das Flugzeug zu roten Krakeln zerfasert und diese Krakel über das Bild legt. Die Rechnung geht auf, auch weil der Leser weiß, wie ein Flugzeug klingt und wie ein Klavier. Das wird später schwieriger.
Stockhausen konzentriert sich auf die Komposition, er sucht nach etwas Neuem, nie Dagewesenen, hat öfter mal Geistesblitze – aber hier folgt ihm der Nicht-Fan allmählich weniger neugierig. Muss man weiter gehen als Schönbergs Zwölftonmusik? Stockhausen sagt ja, der Laie meint: nicht wegen mir. Stockhausen geht in den 50er Jahren in das berühmte Studio für Elektronische Musik des WDR, er pfriemelt einfallsreich, er erzeugt neue Töne, reproduziert sie, führt sie auf, wird bejubelt und ausgebuht – aber die Faszination überträgt sich nicht zwingend. Ich Frevler dachte sogar als erstes: Das alles zahlt der WDR mit den Rundfunkgebühren? Warum eigentlich?
Ohne Hören geht es nicht
An dieser Stelle hab ich beschlossen, mal einen ganzen Stockhausen anzuhören: nämlich den beschriebenen „Gesang der Jünglinge“. Eine knappe Viertelstunde, die weiterhilft. Man hört eine Klangcollage, zu der sofort Bilder vor dem geistigen Auge entstehen. Und nicht nur das: Wer seine Beatles gründlich gehört hat, das bizarre Ende des „Sgt. Pepper“-Albums kennt oder das rätselhafte „Revolution No.9“, der schreit sofort auf: Das haben die von DEM! Oder „Kraftwerk“, oder all die Remixer, Rapper, Sampler, diese seltsamen Klanginstallationen in Museen… okay: DAS also ist der Stockhausen. Jetzt wird das schon wieder interessanter. Es zeigt aber auch: Den Umweg über das Hören können Steinaecker/Bassewitz dem Leser nicht abnehmen.
Ab hier werden die Probleme leider nicht kleiner: Die Musik nimmt in Stockhausens Leben immer mehr Raum ein, je besser er von ihr leben kann. Stockhausens immer neue Problemstellungen werden immer kleinteiliger, weshalb sie dem Nicht-Fan wie Luxusproblemstellungen vorkommen. Stockhausens Leben, gerne mit zwei Frauen geteilt, tritt erzählerisch in den Hintergrund. Der Komponist reist durch die Welt, trifft Leute, ja mei, sagt da der Münchner.
Ikonenartig wie ein Büsten-Lenin
Das Schwinden der Bindung kann nun auch der junge Thomas von Steinaecker kaum noch verhindern. Zusätzlich scheinen auch von Bassewitz‘ Zeichnungen an Distanz zu verlieren, immer häufiger begegnet Stockhausen dem Leser in leichter Untersicht, ikonenartig in eine neblige Zukunft blickend wie ein T-Shirt-Che oder ein Büsten-Lenin. Weil die Musik immer besser wird? Immer gottgleicher? Der Laien-Leser kann das nur vermuten, und hier stößt man auch mit Nachhören an seine Grenzen.
Comic und Musik. Selten eine Symbiose. Steinaecker/Bassewitz schlagen sich tapfer, kommen auch erstaunlich weit, finden aber letztlich nur eine erst mehr, dann zunehmend weniger überzeugende Lösung. Andererseits: Ich hab Stockhausen angehört und gar nicht schlimm gefunden, das wäre ohne den Comic nicht passiert.
Sagen wir: unentschieden?
Thomas von Steinaecker/David von Bassewitz, Stockhausen, Carlsen, 44 Euro
Gutes im Dreierpack: Alexander Brauns fabelhafte Ausstellung "Die Katzenjammer Kids" in Dortmund

Also sowas. Da passiert mal was Gutes. Und dann wird das Gute nochmal besser. Und dann wird das Bessere nochmal optimiert! Und zum Schluss gibt’s all das auch noch kostenlos. Echt wahr! Neugierig?
Slapstick-Pionier
Also: Das Gute sind die „Katzenjammer Kids“, die gerade 125 Jahre alt werden. Es gibt eine Ausstellung zu dem amerikanischen Klassiker des Zeitungs-Comics im Schauraum Comic + Cartoon in Dortmund. Zwei Räume, viele original Zeitungsseiten mit den Abenteuern der von Rudolph Dirks gezeichneten Krawallbrüder Hans und Fritz, die ihre Mutter und den Ersatzvater, den Captain, seit 1897 Woche für Woche in den Wahnsinn trieben. Slapstick in Reinkultur, aus einer Zeit, in der Slapstick eigentlich noch gar nicht erfunden war.
So weit, so gut.
Historiker als Augenöffner
Besonders empfehlenswert wird die Ausstellung, weil sie Deutschlands wohl bester (und gefühlt einziger) Comic-Historiker Alexander Braun zusammengerührt hat. Comic-Fans kennen Braun natürlich längst von seiner Arbeit für den und mit dem Taschen Verlag, alle anderen sollten sich den Namen unbedingt merken, weil Braun mindestens eine besondere Fähigkeit hat: Er präsentiert nicht nur die Comics, er setzt sie auch unermüdlich in überraschenden Kontext, weit über die üblicherweise bekannten Fakten hinaus.

So wissen wohl die meisten, dass die „Katzenjammer Kids“ deutsche Einwandererkinder sind, die ein entsprechendes Denglisch sprechen. Dass Dirks selbst Einwandererkind war, schon ein paar weniger. Dass er die „Kids“ tatsächlich als ziemlich exakte „Max und Moritz“-Kopie entwarf und entwickelte, auf Wunsch und mit Wissen des Verlegers Randolph Hearst, wie nahe er anfangs am Original von Wilhelm Busch war – da wird’s schon spannender.
Bezahlt wie ein Bundesliga-Profi
Braun zeigt, wie allmählich die Sprechblasen in den Text finden, wie der Klamauk zum Schlager wird, Dirks gewagter und gewitzter zu experimentieren beginnt, und gigantischen Erfolg genießt einstreicht. Die Kids gibt's als Bühnenstück, als erste Comic-Figuren in der Macy's-Parade. Braun rechnet aus, dass Dirks ein Star-Gehalt wie ein Bundesligaprofi kassieren kann, dass er mit diesem Geld zu den Sehenswürdigkeiten der Welt reiste, dass er dort praktischerweise auch seine „Kids“ hinreisen ließ. Dass zeitgleich die Idee der Postkarten boomte, von denen damals, so erfährt man, jedes Jahr eine Milliarde versendet wurden, und Braun hat auch noch die passenden Postkarten zur jeweiligen Kids-Episode parat – so wird aus einer schlichten Comic-Ausstellung eine regelrechte Zeitreise.
Braun präsentiert die lange Pfeife des Lehrer Lämpel als Symbol deutscher Rauchkultur, zeigt Pfeife samt weiteren Ritualen der deutschen Auswanderergemeinde. Und er zieht auch den Querverweis zum Thema „Wirtschaftsflüchtlinge“, nämlich: zu den Millionen deutscher Wirtschaftsflüchtlinge in den Vereinigten Staaten, von denen Land und Einwanderer gleichermaßen profitierten.

Traumziel: seriös Malen
Woher die ganzen Exponate stammen? Von Braun selbst, und das keineswegs zufällig: Denn Braun, so sagt er, hat nie wie ein Fan gesammelt, und nie nach Rendite – „sondern immer wie ein Museum“. All das ist auch deshalb ein Glücksfall, weil stundenlanges Comics lesen im Stehen durchaus anstrengend ist und ermüdend sein könnte. Es braucht Abwechslung, und die liefert Braun bis hin zu den Versuchen Dirks‘ in der „seriösen“ Malerei.
So weit, so besser.
Tja, und dann hätten wir noch diesen Schauraum Comic + Cartoon. Ich kannte ihn bislang nicht. Zwei ordentlich große Räume im Erdgeschoss eines städtischen Beton-Baus, genial gelegen, direkt gegenüber vom Dortmunder Hauptbahnhof. Zu Fuß sind’s vom Gleis 6 zirka 63 Sekunden, mit Rollkoffer im Schlepptau. Man kann (wie ich auf der Fahrt von Bochum nach München) auf der Durchreise aus dem Zug hüpfen, schnell mal reinschauen und danach ruckzuck wieder weiterfahren. Risikolos, weil: gratis ist es auch noch. Und täglich bis auf Montags geöffnet, mindestens von 11 bis 18 Uhr.
So weit, so grandios.