- 30. Okt.
Die Outtakes (33): Mit 4 ganz legalen Flüchtlingen, 1 zu kurzen Erklärung und 1 Beatle, der starb, bevor alles richtig losging

Gestorbener Beatle
Eigentlich ein vielversprechender Ansatz: Arne Bellstorfs „Baby’s in Black“ erzählt die Hamburger Frühgeschichte der Beatles und will der chronologischen Abklapperei durch einen Kniff entgehen. Im Zentrum steht die Liebesgeschichte zweier Nebenfiguren, des frühen Bassisten Stuart Sutcliffe und der Hamburger Fotografin Astrid Kirchherr, der die Beatles (und ihre Fans) nicht nur die ersten professionellen Bandfotos verdanken, sondern auch die Pilzkopf-Frisur. Erzählt wird alles geschmackssicher in existenzialistischem schwarz-weiß, was nebenbei auch illustriert, wie die Band damals ins graue Nachkriegs-Hamburg hineingeknallt sein muss. Die Rechnung ging wohl auch bereits einmal auf: Die Veröffentlichung als Taschenbuch deutet an, dass der Band bei Premiere 2010 ordentlich abschnitt. Dennoch überzeugt er nicht recht. Weil Bellstorf dem eigenen Konzept nicht traut. Statt die tragische Beziehung Kirchherr/Sutcliffe radikal verzaubert ins Zentrum zu stellen, nutzt er sie eher unentschlossen als roten Faden, um dann letztlich doch die ganzen Beatles-Fakten (Ausbeutung, Drogen etc.) abzuklappern. Was man als Nicht-Fan spürt und als Fan noch mehr.
Genehmigte Republikflucht

Ein ordentliches Stück Unerträglichkeit, das Nils Knoblich da 2017 auspackte: In „Fortmachen“ erzählt er, wie seine Familie die DDR hinter sich ließ. Das Besondere ist dabei, dass es keine abenteuerliche Fluchtgeschichte gibt: Man konnte die Ausreise beantragen und kriegte sie dann mit etwas Geschick und Geduld auch bewilligt. Wie einen der alles durchdringende Staat bis dahin piesackte, schurigelte, belehrte, bevormundete – und dann auch noch zurückbleibende Familienmitglieder ins Visier nahm, ist schöner Anschauungsunterricht für alle, die meinen, die DDR wäre letztlich irgendwie nichts anderes gewesen als die heutige Bürokratie. Diese Unerträglichkeit im Kleinen ist die eigentliche Neuentdeckung des Bandes und illustriert den Zusammenbruch des Ladens vielleicht besser als manche Klage über einen staatlichen Mauerknast. Allerdings wird sie recht formelhaft serviert, Prinzip: Zeichner zeichnet, wie er seine Eltern befragt – zweifellos sachdienlich, aber nicht sonderlich leseerfreulich.
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Gestoppte Erklärung

Nach zwei Kapiteln war ich total angefixt: „Blow Up“ von Robert Shore und Eva Rossetti verspricht eine Geschichte der Modernen Kunst, und tatsächlich hatte ich nach zwei Kapiteln einige Zusammenhänge verstanden und wollte mehr. Warum ist Kunst irgendwann neu, warum wirkt sie zu einem bestimmten Zeitpunkt revolutionär? Aber Pustekuchen: Ab hier erschöpft sich das Duo im Namedropping, im Abhandeln von Ausstellungen, wer bei wem vorbeigeschaut hat, wer wen kennt. Grob gesagt hilft Krethi der Plethine, alle bestätigen sich gegenseitig ihre Wichtigkeit, und der Reiz des Anfangs, der doch im Erklären des jeweils noch nicht Dagewesenen lag, tritt erschütternd schnell in den Hintergrund. Und weil‘s dann auch noch eher lustlos inszeniert und hastig runtergezeichnet wirkt, fängt man an zu blättern, zu überspringen…
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- 25. Okt.
Zum 50. Todestag: Ein Comic macht Lust auf die große Therese Giehse – weil seine Autorin mutig mit den Fakten tanzt

Große Barbara Yelin! Das Leben von Therese Giehse hat sie jetzt dargezeichnet, wahnsinnig einfühlsam, mit einem wunderbar passend ausgesuchten Humor, und...bitte? Wer das ist, diese Giehse? Eben, und deshalb hab ich das Thema selber unterschätzt.
Leiderleiderleider
Therese Giehse ist ja tatsächlich schon seit 50 Jahren tot, leiderleiderleider. Ich selber habe sie auch erst in den „Münchner Geschichten“ zu schätzen gelernt, als bodenständige, resolute, skeptische Oma des Hallodris Tscharlie. Und deshalb dachte ich, sie wäre eine Lokalgröße. Also schon groß, aber eben lokal, mehr so nur für München. War falsch.

Sie hat sich in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts über praktisch alle Bühnen Deutschlands hochcharaktert, nicht hübsch, nicht schlank, aber sprachbegabt, eigenwillig umwerfend, umwerfend eigenwillig. Und natürlich links. Als die Nazis in die Nähe der Macht kommen, macht sie nebenher auch noch Kabarett, betextet von ihrer damaligen Partnerin Erika Mann. Jüdisch, lesbisch, kein Wunder, dass Giehse 1933 das Land verlässt.
Interpretation statt Schilderung
Sie tingelt durch Europa, arbeitet mit Brecht – aber all das ist es nicht, was den Comic so lesbar macht. Sondern wie Barbara Yelin an die Sache herangeht. Yelin schildert nicht, sie interpretiert – und macht damit eben genau das, was viele sich nicht trauen und sich lieber an Fakten entlanghangeln. Yelin macht's andersrum: Let's face the Fakten and dance.


Denn Fakten gibt’s genauso im Lexikon, und die Realität kennt eh nur die tote Therese. Man muss also auswählen, werten, und wenn das so ist, dann kann man’s auch gleich richtig machen, mit Mumm. Yelin spendiert sich eine selbstironische Seite, die sie unter Giehsematerial begraben zeigt – und dann legt sie los.
Haltung statt Ähnlichkeit
Superkräftige Farbstriche verbildlichen Giehses entschlossenes Spiel und Leben, manchmal gestützt von ein paar pechschwarzen Linien oder grellweißen Highlights. Yelin streut dazu Zitate ein, knapp, getreu Giehses herzlich-mürrisch-wortkargem Duktus. Sie will Giehse nicht durch Ähnlichkeit näherkommen, sondern durch die Haltung, beim Gehen, Schauen, Tadeln, Grummeln. Und auch wenn die Rolle der Mutter Courage genug Platz bekommt, widmet Yelin einer Anekdote eine ganze Seite...

...einer Anekdote, die sie von Schauspielkollegin Ruth Drexel hat: Wie Therese Giehse aus einem leeren Suppenteller ein Gulasch isst. Unterlegt von Giehses knapp gefassten Ansichten, wie man ordentlich schauspielt. Und wer will, kann danach ein paar Fotos von Therese Giehse suchen oder bei Youtube einige Szenen aufrufen und staunen, wie exakt die Yelin diese darstellerische Charakterknödelin erwischt hat.
Wenn der Auftraggeber dem Comic nicht traut
Wermutstropfen gibt’s, aber dafür ist nicht Yelin verantwortlich: Der Band ist eine Auftragsarbeit der Münchner Kammerspiele, die dem Comic dann aber doch nicht genug getraut haben. Die Intendantin musste noch zwei Seiten lang ihren Senf dazu geben, eine Regisseurin drei Seiten breit schwafeln und dann kommt sicherheitshalber auch noch der Comic-Experte der FAZ, der nochmal alles erzählt, was schon im Comic steht. Besser wär's gewesen, man hätte den Platz Barbara Yelin anvertraut.

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- 23. Aug.
Perlen aus der Nische statt abgehangene Best-of-Parade: Ralf König gönnt sich und den Comic-Fans zum 65. einen Geburtstags-Band

Sowas empfehle ich eigentlich eher ungern: Ein Buch über einen einzelnen Comic-Autor. Weil ja oft Leute finden: „Lesen reicht. Wie der seinen Kram herstellt, ist mir schnurz.“ Dieses Buch verbindet aber Neues von „seinem Kram“ mit einem munter plaudernden Interview zu einer arg unterhaltsamen Mischform: „Pflaumensturz und Sahneschnitten“ von Ralf König mit hilfreicher Hand von Comic-Journalist Alex Jakubowski.
Perlen aus der Nische
Anlass ist Königs 65. Geburtstag, und dankenswerter Weise hatte der Jubilar keine Lust auf eine gut abgehangene Best-of-Witzeparade. Aber es schlummerte einiges in übersehenen Nischen. Wie die Serie „Spargel“, die König in einem schwulen Gratisblatt veröffentlichte –wer das nicht in die Finger kriegte, hatte bisher halt Pech. 100 Seiten sind drin, bisher noch nie auf Deutsch in Buchform veröffentlicht. Woraus Skeptiker gern schließen, dass das Zeug halt nicht sooo toll sei. Was uns zur Besonderheit namens „Ralf König“ bringt.

Ist ein bisschen wie bei Dennis Chambers. Kennen Sie den?
Sitzt Chambers am Schlagzeug, kriegt man stets grandioses Handwerk und oft geniale Momente. Aber nie: lauwarmen Mist. So etwa muss man sich König wohl vorstellen, nur nicht am Schlag-, sondern am Schreibzeug: Die Kreativmaschine läuft zuverlässig und auf dieser Grundlage lotet er hellwach alle Möglichkeiten aus. Mit Pointen fing es Anfang der 80er an, die er rasch mit unerbittlicher Präzision ausarbeitete, aber seit längerem transportiert er Nachdenkliches und sogar Tragisches genauso zwingend. Und dazwischen? Gibt es ein „Dazwischen“ bei Dennis Chambers?
Lauwarm langweilt
Wir reden hier von Leuten, die Lauwarmes selber langweilt. Also liefern sie Kunst auf Kochtemperatur: Blasen tauchen da nicht zufällig oder gelegentlich auf – das fortwährende Blubbern ist der eigentliche Vorgang. Die einzigen Grenzen bestehen darin, dass Chambers nie Geige spielen wird, und König – äh, da fehlt mir jetzt die Analogie, aber geigen wird er wohl auch nicht. Â

Zu quengeln gibt's kaum. Das Interview mit Jakubowski ist eventuell ein wenig systematisch geraten, doch es liest sich leicht, mit wenig Fachsimpelei und wird obendrein flott bebildert und abwechslungsreich layoutet. Zudem nimmt sich Jakubowski klug zurück, lässt König sprudeln, weil er weiß, dass der vor allem einen sachkundigen Stichwortgeber braucht. So kommt alles frisch aus Tapet, inklusive Königs Vorbildern, von denen allenfalls James Finlayson fehlt. Oder das Lob für den Innovator König, der meines Wissens die umgebogene Panel-Ecke oben links zum eleganten Symbol für „neue Szene“ entwickelte, wenn nicht gar erfand.
Beängstigend präsidententauglich
Die Mischung aus frechem Witz, schwuler Selbstironie und dezent angedeuteter Altersweisheit führt dazu, dass König so beängstigend sympathisch rüberkommt, dass man fast unwillkürlich beginnt, ihn sich als Bundespräsidenten zu wünschen. Das geht aber vorbei. In jedem Fall trägt die lockerpikante Stimmung entspannt durch die rund 200 Seiten. Und während derlei Fachliteratur sonst mehr was für Nerds ist, können Comic-Normalos Königs Protagonisten und Pimmel hier so gut genießen wie kennenlernen.
