Die Outtakes (21): Mit einer rosa Alptraumfrau, Mangas für die Kurzstrecke und erfundenen Western von gestern
Heilsteinreich
Viel Gutes zieht mich in Claus Daniel Herrmanns „Pinke Monster“: Die schön simplen, zugleich kräftigen Zeichnungen aus Bleistift, Grau und Pink als Signalfarbe. Die Einfamilienhaus-Siedlungs-Location. Die reduzierten Figuren und die schlicht-gute Story: Teenie Frank lebt mit seiner Mutter und seinem depressiven Vater, er hat Liebesprobleme, und all das verkompliziert sich dadurch, dass er ahnt, dass schwul ist. Als Zündstoff gibt es eine matronige Wunderheilerin, die zu Papas Rettung gerufen wird und die Familie sofort mit Heilsteinen versorgt. Ab hier könnte alles exzellent werden, wird’s aber nicht: Zu sehr, zu schnell, zu eindeutig wird die Zauberbrumme als suspekt gezeigt, zu schnell ihre Macht eingeführt und ausgespielt, zu sehr ihre Ent-Machtung dann als Lösung präsentiert. Oder scheint mir das nur aus Erwachsenensicht so? Ist das womöglich für junge Menschen grade das Richtige? Oder soll man auch junge Leute nicht unterfordern? Müssen Sie wohl selber rausfinden.
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Häppchenweise
Genervt von ewig langen Manga-Serien? Hier ist eine Gelegenheit für kurze Häppchen aus berufener Hand: „Hatschi!“ versammelt einige von Naoki Urasawas Kurzgeschichten. Da ist recht ulkiges Material darunter, etwa seine musikalischen Erinnerungen an Rockkonzerte seiner Helden (McCartney! Dylan!), auch eine nette Persiflage auf Japans Monster-unter Berücksichtigung der Eigenheit, dass all diese Monster immer ausgerechnet Japan heimsuchen müssen. Obendrein ist der Farbanteil im meist schwarz-weißen Genre unerwartet hoch. Aaaber: All das speist sich eher aus dem Interesse an Urasawa, und wer ihn nicht durch „Asadora!“ oder die „20th Century Boys“ kennt, dem kommt das Ganze womöglich weniger bedeutsam vor.
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Canifflig einen an der Klatsche
Metaebene nennt man das wohl: „Texas Kid, mein Bruder“ ist ein Comic über Comics und ihre Zeichner, zugleich aber auch ein Vater-Sohn-Drama. In dem sich der Sohn mit seinem Übervater quält, der als berühmter Zeichner den Held „Texas Kid“ erschuf. Und dann: Mieser Vater, hat den Sohn nie lieb, ist immer streng, und plötzlich wird Texas Kid real und verdrängt den Sohn, kritisiert dessen mediokre Schöpfungen und Zeichnungen, kann alles viel besser, hmm. Die Story von Darko Macan und Ivan Kordej knarzt arg, hat zwar gelegentlich Momente, aber viel öfter leider nicht. Weil beide zu viel reinrühren: Zuviel Vatergeschichte, zu viel Sohngejammer, und die real gewordene Comicfigur ist weder brutal noch lustig genug, dass man darüber hinwegsehen könnte, dass sie eben erfunden ist. Weshalb der Sohn halt entweder einen an der Klatsche hat oder auf sehr hochgekünstlertem Niveau langatmig vor sich hin leidet. Und weshalb Kordejs canifflige Zeichenorgien den Verhau auch nicht retten können.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
Viel mehr als nur Graphic Memoir: Kristen Radtkes Sachcomic „Seek You“ ist eine spannende Einladung zum gemeinschaftlichen Blick auf uns selbst
Das hier ist eine echte Rarität: Ein Titel, der sich aus meinen Outtakes wieder rausgelesen hat. Der also eine gewisse Zeit brauchte. Klingt nicht so comicverführerisch? Kommt noch schlimmer: Trendthema „Einsamkeit“. Das spielen sie jetzt rauf und runter. Und ein richtiger Comic ist’s auch nicht, mehr so ein illustrierter Text, wie bei Liv Strömquist. Eben eigentlich Outtake-Material. Wieso ist also Kristen Radtkes „Seek You“ trotzdem viel besser?
Das Tempo richtig einteilen
Es hat etwas gedauert, bis ich das richtige Tempo für das Buch gefunden habe: Man liest es nicht in einem Haps weg, weil man ins Grübeln kommt. Radtke erörtert nämlich unterhaltsam, aber auch extrem stringent. Erst das zweite Kapitel hat mich richtig eingefangen: Radtke erzählt von ihrer Fernseherfahrung, allein in einer fremden Stadt, wie sie gern abends zu Sitcoms switcht, wo sie alle Charaktere kennt wie alte Freunde. Und weil dort alles familiär und vertraut wirkt. Dabei erzählt sie auch die Geschichte des in Sitcoms eingespielten Archivgelächters.
Das wird zwar oft als bizarre Witzanzeige verspottet, hat aber inzwischen längst noch eine andere Funktion: Als Geselligkeitsimitat vermittelt es dem Zuschauer vor der Glotze die wohlige Illusion, weniger allein zu sein. Von da spinnt Radtke den Faden weiter, über den Unterschied zwischen allein sein und einsam, den Zusammenhang zwischen Wohlstand und Einsamkeit, die Glorifizierung der Einsamkeit – aber auch den Hang zur Paranoia. Und weil ich gerade erst einen KI-Sachcomic bemängelt habe, interessiert mich jetzt, was Radtke anders und besser macht.
Vom Wohlstand zur Paranoia
Erstens verpackt sie die Debatte nicht in eine Spielhandlung, was ja schon bei diesen ganzen TV-Dokus nervt, wenn siebtklassige Schauspieler schlecht synchronisiert das Geschichtsbuch aufsagen. Sie hält stattdessen einen Monolog. Weil aber Monolog immer ein abschreckender Haufen Text ist, portioniert sie ihn zweitens geschickt. Auf einer Doppelseite können ganze Absätze stehen, aber eben auch nur zwei, drei Sätze. Was uns zu drittens bringt: Dynamik.
Die ehemalige Art-Directorin arrangiert unser Lese- und Denktempo geschickt, indem sie auch mal nur einen Satz zu einem Splash stellt, wenn der Kopf mal länger bei einem Gedanken verweilen soll.  Wozu (viertens) übrigens auch gehört, dass man nicht einfach mal schneller und mal langsamer doziert, sondern dass man auch die dafür geeigneten Gedanken findet. Fünftens weiß sie auch, dass man in solchen Fällen nicht einfach abbildet, was man ohnehin schon im Text hat.
Bandbreite Gedanken
Wenn man beispielsweise vom Siegeszug des Fernsehens und vom bequemen Daheimbleiben erzählt, zeigt sie statt einer Familie vorm Fernseher das zeitgleich erfundene TV-Dinner zum Aufwärmen. Damit erweitert sie klug die Bandbreite der Gedanken, verhindert das Abnicken und untermauert zugleich ihre Argumente – eine Methode, die sich wohltuend vom bildlosen Kästchenvollschreiben einer Liv Strömquist unterscheidet.
Das Schöne ist, dass die 37-Jährige so eben nicht einfach weichgekochtes „Food for thought“ liefert, sondern Gedanken al dente: Denkansätze mit einem gewissen Widerstand, in die man gerne beißt und die man vorm dem Schlucken auch nochmal durchkauen mag. Probieren Sie’s! Ich empfehle dazu einen guten Rotwein.
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Manu Larcenets Comicumsetzung des dystopischen Bestsellers „Die Straße“: erbarmungslos, verstörend und alptraumhaft gut
Ich habe die Hölle gesehen, und gezeichnet hat sie Manu Larcenet. Man kann es wirklich nicht anders nennen, obwohl „Die Straße“ (nach dem gleichnamigen Roman von Cormac McCarthy) natürlich auf furchtbare Art unterhaltsam ist. Aber man liest den Comic fassungslos, fühlt sich danach verstört, schockiert, auch deprimiert. Kann man sowas empfehlen?
Nein. Man muss.
„Resident Evil“, „Walking Dead“: alles Pipifax
Die Story ist denkbar einfach: Ein Vater wandert mit seinem Sohn durch eine zerstörte Welt, vermutlich in Amerika. Und „zerstört“ bedeutet in diesem Fall nicht die „Soylent Green“-Welt mit ihrem Rest an Zivilisation. Auch nicht die „Mad Max“-Welt mit ihrem noch kleineren, aber aufregend motorisierten Rest Zivilisation. Oder die attraktiv aufgemonsterte „Resident Evil“-Welt, nein, all das ist Pipifax.
Diese Welt ist unbewohnbar, es ist kalt und regnet Asche, und die „Walking Dead“-Gemeinde kann sich ihre Selbstversorger-Träume in die Haare schmieren: Hier wächst nichts mehr. Die Städte sind im Zustand von Deutschland ’45. Vater und Sohn wollen nach Süden, weil sie „noch einen Winter“ nicht überstehen werden und hoffen, im Süden sei es wohl wärmer. Und so ziehen sie los, in Lumpen gewickelt schieben sie irgendwas Einkaufswagenartiges durch den Schutt.
Das Essbarste: andere Leute
Welche Katastrophe das ausgelöst hat, ist so unklar wie der Zeitpunkt. Fest steht: Er muss einige Jahre zurückliegen. Denn es findet sich kaum noch Essbares, obwohl praktisch keine Menschen mehr unterwegs sind. Das Essbarste sind: andere Menschen. Und weil Vater und Sohn das nicht machen wollen, müssen sie von der Straße, sobald sie von ferne näherkommende Menschen sehen. Jeder Andere ist eine Bedrohung, selbst die Nicht-Kannibalen berauben sich gegenseitig – und es ist schwer zu sagen, was entsetzlicher ist: das komplette Fehlen von Mitgefühl oder das armselige Diebesgut in Form einer Lampe oder einer halbwegs wasserdichten Plane.
Action gibt es wenig. Womit auch? Vater und Sohn haben einen Revolver mit zwei Patronen, die Menschenfresser Messer, Latten, Keulen mit Nägeln, Schusswaffen sind rar (weshalb als Schauplatz die USA eigentlich ausscheiden). Konflikte löst man durch Verstecken und Davonlaufen. Der Gegner sind die anderen Menschen und die Welt, die so unbewohnbar ist, dass man die wenigen brauchbaren Verstecke schnell wieder verlassen muss, weil sie gerade wegen ihrer Brauchbarkeit binnen Kürze andere Menschen anziehen würden. Faustregel: „Man darf nicht an einem Ort bleiben.“
Beiläufiger Horror
Manu Larcenet, der schon „Brodecks Bericht" kongenial bebilderte, illustriert diesen hoffnungs- und ausweglosen Horror mit geschickter Beiläufigkeit. Die Spuren der Gewalt, des Todes, der wiederholten Plünderung bis zum letzten essbaren Krümel sind zwar allgegenwärtig, aber Larcenet erhöht ihre Wirkung mit einem simplen Trick: Er betont stattdessen die menschenfeindliche Umwelt, die ewige Dunkelheit und Kälte, bis das Auge selbst die abstoßendste Spur von Menschen beinahe erholsam findet. Farbe gibt es allenfalls in homöopathischen Dosen, und bei besonderen Anlässen: etwa einer Dose Cola.
Und dann, nach etwas über 150 entsetzlich guten Seiten? Man rätselt beeindruckt. Als feuchter Traum der Prepper-Szene taugt der Comic nicht, die angelegten Vorräte finden bestenfalls andere Überlebende und sind auch sonst viel zu attraktiv für tödliche Konkurrenz. Eine Öko-Mahnung? Weil der Mangel im Menschen nur das Schlimmste hervorbringt? Aber die Menschen reagieren ja schon jetzt heftig, wenn man nur ein Schnitzel weniger pro Woche andeutet. Und trotzdem: „Die Straße“ lässt einen unmöglich kalt. An der Lehre daraus knabbere ich selber noch:
Auf die Welt aufpassen?
Keine Leute töten?
Keine Leute essen?
Finden Sie's raus!
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