Trotz Heavy Metal, Superstars und Wagner – für mich funktionieren diese Comics nicht recht. Doch für Fans könnte es durchaus klappen: Hier kommen die Outtakes!

Trübsal blasen mit der E-Gitarre
Manchmal ist weniger wirklich viel mehr: Die Idee zu „Doomboy“ stammt von einer wundervoll rührenden Kurzgeschichte. Länge: vier Seiten. Junge trifft Mädchen, sie reden nett und verliebt, verabschieden sich, und dann steht da nur der Satz: „Monica starb noch an diesem Nachmittag – sie wurde von einem Lkw überfahren.“ Boff!
Zeichner und Autor Tony Sandoval beschloss, daraus eine Graphic Novel zu machen. Die Pointe, die Trauer, stellt er gleich an den Anfang, und der trauernde Junge beschließt, seinen Kummer mit der E-Gitarre auszuleben. Zufällig geht das übers Radio, der Junge wird zum Heavy Metal-Gott. Länge: einhundertfünfundzwanzig Seiten. Preisfrage: Was klingt für Sie reizvoller?
Genau. Gottseidank gibt’s neben den ansehnlichen Zeichnungen auch noch die originale Kurzgeschichte dazu, hinten, als Bonus.
Tony Sandoval, Anne Bergen (Üs.), Doomboy, Cross Cult, 25 Euro
Supergroup im Standardmodus

Das Problem mit Supergroups: Hohe Erwartungen – Ergebnis nur normal. Damit kämpft auch der neue Band der nun doch nicht abgeschlossenen Comicserie rund um den „Donjon“. Das Szenario kommt, wie immer, von den Comicstars Lewis Trondheim und Joann Sfar. Für „Donjon Monsters - Irgendwo anders“ haben Sfar und Trondheim jetzt Guy Delisle eingeladen, und der ist dank seiner „Aufzeichnungen“ in Jerusalem oder Birma selbst schon eine ziemliche Hausnummer, auch in Deutschland. Fertig ist die Supergroup.

Im Mittelpunkt des Bandes steht diesmal der Friedhof von Terra Amata, der den Vorteil hat, dass man dort mit den Toten sprechen kann. Leider bedrohen Immobilienfirmen den Friedhof und entführen die Geister. All das ist so absurd und unterhaltsam, wie man's im „Donjon“-Universum gewohnt ist, aber die Zutat „Delisle“ sucht man eher vergeblich. Wie soll das auch gehen? Im Donjon geht's dialogstark zu, Delisles Stärke hingegen sind die stillen, lakonischen Momente des Schauens und Staunens. Weshalb der Delisle-Einsatz wirkt, als ließe man Loriot ein paar Heizkörper grundieren.
Die Hand voller Fäden

Reizvoll und leider nur begrenzt unterhaltsam ist „November“ von Matt Fraction und Elsa Charretier. Man kennt das ja: Eine Geschichte beginnt mit einer kruden Szene, die sich nach und nach aufklärt und uns in die Handlung hineinzieht. Fractions Krimi hingegen liefert nach der kruden Szene eine weitere krude Szene und dann noch eine, bis man die ganze Hand voller loser Fäden hat. Und sobald er einen dieser Fäden wieder aufnimmt, muss man zurückblättern, weil man nicht mehr weiß, was vorher eigentlich los war. Schade ist das vor allem für die schön reduziert gezeichneten Panels von Elsa Charretier, für die ich Band 2 gerne noch eine Chance geben würde. Wenn ich mich bis dahin noch erinnern kann, worum’s ging.
Wagner ohne Sound

Das hier ist was für Wagner-Fans, aber davon gibt’s ja einige – wenn Sie dazugehören: bitte sehr. Ansonsten ist der „Ring“ eine weitere eher mäßig funktionierende Comic-Musikumsetzung. Was nicht überrascht: Die Stärke von Opern ist ja nicht die muntere Handlung oder der gewitzte Dialog, sondern die musikalische Illustration von Szenen, Konflikten, Emotionen. Weshalb Wagners „Ring“ bislang auch eher selten als Stummfilm angeboten wird. Auch der Comic muss die vielgerühmte Musik weglassen – da sollte der Rest dann schon verdammt gut sein. Womit also füllt P. Craig Russell die weggefallene Arienzeit? Mit Breittreten und redundanten Bildern von nordischen Gestalten marktüblichen Zuschnitts.
Dabei könnte das Nibelungen-Thema sehr wohl und immer wieder einen guten Comic ergeben. Der Umweg über den „Ring“ gehört aber eher in den Wagner-Fan-Shop und ist dem Comic wenig hilfreich: Wer den Kennedy-Mord schildern will, nimmt als Textvorlage schließlich auch nicht Saxons alte Hardrock-Hymne „Dallas 1 p.m.“
P. Craig Russell, Stephanie Pannen (Üs.), Der Ring des Nibelungen, Cross Cult, 49,99 Euro
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80.000 Jahre Wühlarbeit in Eingeweiden: Keanu Reeves‘ Splattercomic BRZRKR
Es gibt da einen alten Schlagzeugerwitz. Die Band probt, nach dem ersten Durchgang sagt der Leader: „Das war schon ganz gut, aber wir müssen mehr auf die Dynamik achten.“ Sagt der Schlagzeuger: „Sorry, aber noch lauter kann ich nicht.“

Das bringt uns zum Action-Comic BRZRKR. Den habe ich kürzlich fürs Münchner „Comic Café“ in die Finger bekommen, und die haben ihn ausgewählt, weil wiederum Keanu Reeves seine Finger drin hat. Ja, der Keanu Reeves, den man von „Matrix“ und „John Wick“ kennt und, wenn man sehr alt ist, von „Speed“. Reeves, so heißt es, hat sich die Geschichte ausgedacht und mit dem Autor Matt Kindt und dem Zeichner Ron Garney einen Comic draus gemacht. Ob’s stimmt, kann ich nicht sagen, für mich klingt’s eher nach dem Prinzip „Julia Roberts bringt ein Parfüm raus“. Die geht da auch nicht ins Labor und rührt munter was zusammen, sondern lässt sich von einer Firma drei Düfte vorschlagen, und einen davon nimmt sie dann eben.
Aber viel wichtiger ist ja: Was taugt der Comic?
Hallo, Tony Soprano!
Er beginnt nicht schlecht. Wir erleben den B(e)RZ(e)RK(e)R in einem Einsatz für die USA, bei dem er jede Menge Hiebe einsteckt, aber vor allem nach und nach auf Waffen verzichtet und die Gegner mit der Hand durchbohrt oder zerreißt. Und im Voice Over verrät er einer anderen Person, wohl einer Art Therapeutin, dass es ihm jetzt besser geht. Genau hier könnten einige denken: „Hallo, Tony Soprano“. Und genau hier fängt BRZRKR an, mittelmäßig zu werden.
Sehr schnell bekommt der Prügelknabe eine Vergangenheit: 80.000 Jahre ist er alt. Sein Volk lebte in einem fruchtbaren Tal, umgeben von feindlichen Stämmen, und betrieb Ackerbau und Viehzucht. Jedes Jahr wurde es von Feinden ausgeplündert, versklavt, getötet, aber aus unerfindlichen Gründen (Masochismus? Blödheit?) blieb es trotzdem da. Und betete zu den Göttern, die ihm den kleinen Schlagetot lieferten.
Vaters unermüdlicher Dresch-Flegel
Der arbeitete fortan als Vaters wandelnder Fleischwolf. Vater wird reich, weil sie so all die wohlhabenden Feinde umher vernichten. Und obwohl der unermüdliche Dreschflegel sich und seinen Eltern schon nach wenigen Jahren die Sinnfrage stellt, ändert sich nichts. Filmfans erinnern sich: Der ewig junge „Highlander“ erwarb in den Jahrhunderten seines Lebens immerhin einen Wissensvorsprung, der ihn reich machte – unser Keanu-Lookalike brütet 80.000 Jahre dumpf schlachtend vor sich hin, leidet zwar offenbar darunter, entwickelt aber weder eine routinierte noch entspannte noch zynische noch irgendeine Einstellung. Was ein SCHWCHKPF.
So weit, so dünn. Etwas ärgerlicher wird die Sache, weil immer wieder Bild-Motive auftauchen, die so vertraut wirken wie das Psychotherapeuten-Element. Frank Millers „Rückkehr des Dunklen Ritters“ wird ebenso zitiert/imitiert wie die Leichenberge aus „300“ oder die OP-Szene aus „Hard Boiled“. Aber das ist natürlich auch Erfahrungssache: Wer’s nicht kennt, dem fällt’s nicht auf. Was bleibt, ist ein handelsüblicher Splatterthriller ohne Thrill, denn dazu hätte man halt ein bisschen auf die Dynamik achten müssen. Wozu Reeves-Kindt-Garney vermutlich sagen: „Sorry, aber noch blutiger kann ich nicht.“
Keanu Reeves, Matt Kindt, Ron Garney, BRZRKR, Cross Cult, 16 Euro
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Gewöhnung statt Empörung: bei andauernden Ungerechtigkeiten stumpft man irgendwann ab. Drei Graphic Novels entfachen jetzt die Wut neu – durch die Kinderperspektive
Geht es nur mir so oder wächst einem tatsächlich eine emotionale Hornhaut gegen den ganzen entsetzlichen Mist auf der Welt? Gegen den Nahostkonflikt etwa, oder gegen Donald Trump, oder die Autoindustrie? Ich frage deshalb, weil jetzt innerhalb weniger Tage gleich drei Graphic Novels bei mir durch solche Hornhäute gedrungen sind, und alle drei haben etwas gemeinsam: die Kinderperspektive.
Kanadas entsetzliches Internats-Programm

Nummer eins ist der neue Band von Joe Sacco, dem Comic-Journalisten: In „Wir gehören dem Land“ widmet er sich einer kanadischen First Nation, den Dene, die zwischen Rohstoffabbau, Industrie und eigener Tradition zerrieben werden. Sacco macht, was er immer tut: Er hört allen zu, lässt alle zu Wort kommen und verdichtet seine Recherche zu Bildern – allerdings ist ihm das diesmal ein wenig ausufernd geraten. Doch ein extrem starker Abschnitt schafft’s durch die Hornhaut: der über das kanadische Internatsprogramm. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1996 zwang Kanada die Kinder der Ureinwohner in einer Art staatlichem Kidnapping in erzchristlich geführte Internate, verbot ihnen die eigene Sprache, damit sie tadellose Musterkanadier würden. Diese Kinder verlernten ihre antrainierten Fähigkeiten für das Leben in den Waldregionen, sie waren bei ihrer Rückkehr für ihre Familien keine vollwertigen Mitglieder mehr, sondern ungeschickte, stammelnde Tölpel, und vollwertige Kanadier waren sie am Ende natürlich auch nicht. Sie erlebten Gewalt, unterdrückten sich in den Internaten gegenseitig, und ein Großteil von ihnen war anschließend nur in einer Disziplin allseits anerkannt: Alkoholismus. Wenn man das liest, geht einem das Messer in der Tasche auf.
Aus der Hölle in die neue Heimat

Band zwei kümmert sich um ein Thema, zu dem man gerade in Deutschland leicht mal abstumpft: der Holocaust, verständlicherweise hierzulande besonders oft behandelt, leider auch meist besonders vorhersehbar. Auch „Bald sind wir wieder zu Hause“ erfindet das Rad nicht neu, folgt aber geschickt der Erkenntnis, dass weniger mehr sein kann: Auf unter 100 Seiten lassen Jessica Bab Bonde und Zeichner Peter Bergting sechs jüdische Zeitzeugen erzählen, die den Holocaust als Kinder erlebten und nach dem Krieg Zuflucht in Schweden fanden.
Die Texte sind knapp, nüchtern, sie schildern einfach nur die Beobachtungen der fassungslosen, schockbetäubten Kinder. Und plötzlich bekommen alle Mechanismen, die man schon zigmal gehört hat, wieder Bedeutung: Tolek aus Lodz muss mit seiner Familie ins Ghetto ziehen, sechs Menschen in drei Zimmern – das sind extrem verschärfte Corona-Bedingungen für immer, bei gleichzeitigem Essensentzug vor dem anschließenden Abtransport nach Auschwitz. Den illustriert Bergting auch mit dem Spalt in der hölzernen Waggonwand, durch den Tolek Frischluft bekommt.
Ähnliche Vorgänge, immer neue Erzählwege
Livia lebt in Rumänien, entdeckt per Radio die Welt so wie wir heute per Internet, und wird samt ihrer Stadt 1940 Ungarn zugeschlagen, wo der Holocaust besonders spät und dafür besonders gründlich einsetzt. Feinfühlig finden Bergting/Bonde für vergleichbare Vorgänge immer wieder neue Erzählwege, Text und Bild ergänzen sich geschickt. In Livias Geschichte zeigen sie beispielsweise die Selektion nicht, nur den Bahnhof, weil: „Alles geschah so schnell, als ich mich umdrehte, waren die Männer schon weg.“ Einer der Männer war Livias Vater. Ich habe, nicht nur berufsbedingt, einiges zum Thema gelesen, und ich habe reichlich Holocaust-Hornhaut, aber mehr als zwei Kapitel am Tag habe ich nicht geschafft. Der Band wendet sich übrigens gezielt an junge Leser, es gibt ein Glossar hinten, eine Landkarte mit den Orten der Handlung – dennoch wird hier weder für Kinder entschärft noch vereinfacht.
Empörende Gleichgültigkeit

Dazu passt: Esther Shakines „Exodus“, ein knapp 50seitiger Band, der Shakines Schicksal als Geschichte der kleinen Ticka erzählt. Auch Shakine schildert extrem zurückhaltend, was die Wirkung verstärkt. Tickas Eltern etwa verstecken ihr Kind im Schrank, und als Ticka sich wieder herauswagt, sind die Eltern nicht mehr da (und werden auch nie wieder auftauchen). Die Nachbarn schauen unterdes durch den Türspion und öffnen dem klingelnden Mädchen nicht, die Wohnung wird sich schnell jemand unter den Nagel reißen. Kein Einzelfall, auch im Bergting/Bonde-Band sind immer wieder Episoden, wie Mitbürger die Verfolgung für den eigenen Vorteil nutzen, und all das macht endlich mal wieder so wütend, wie es eigentlich ständig nötig wäre.
Bevor jetzt aber die nächsten 20 Bücher auf die Kinderperspektive setzen: Man wird sich auch wieder was Neues einfallen lassen müssen. Sie wissen schon, wegen der emotionalen Hornhaut.
Esther Shakine, Exodus, Klinkhardt & Biermann/Hirmer, 15 Euro
Jessica Bab Bonde/Peter Bergting, Bald sind wir wieder zu Hause, Cross Cult, 20 Euro
Joe Sacco, Wir gehören dem Land, Edition Moderne, 25 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.