Zwei Comics schildern Genozid und Gegenwart der Jesiden: Statt Betroffenheit nutzen sie harten Humor und erstaunlich viel Action
Interessiert mich die Sache mit den Jesiden? Mmmjaa, schon irgendwie, muss ja auch, weiß garnicht, worum‘s da genau geht, sollte mich auch erst vorher einlesen – nein, muss ich nicht: Zwei sehr gute Comics helfen aus, spannend, berührend, empörend und auch komisch. Wenn man sie gelesen hat, wird die Welt nicht unbedingt schöner: Aber man weiß mehr. Doch ich gebe zu: Der entscheidende Auslöser für mich waren nicht die Jesiden. Sondern der Name Zerocalcare.
Tölpeliger Reporter-Nerd
Dahinter steckt der italienische Cartoonist Michele Rech, der sich auf eine Art von autobiografischem Cartoon-Journalismus spezialisiert hat. Darin zeigt er sich selbstironisch als neurotischen Nerd, der schlecht informiert in Brennpunkte stolpert und dort eine Menge naiver Fragen stellt – genau die Fragen, die sich die Leser häufig nicht (mehr) zu fragen trauen. In „Kobane Calling“ etwa dröselte er auf diese Art die Situation der Kurden in Nordsyrien auf. Jetzt, in „No Sleep Til Shingal“, widmet er sich den Jesiden im Irak.
Jesiden? War da nicht alles irgendwie gut? Die waren doch 2014 vom Islamischen Staat (IS) massakriert worden, aber dann wurden die meisten doch noch irgendwie gerettet, oder? Und dann – keine Ahnung, war wohl nicht mehr so interessant … Genau hier holt Zerocalcare seine Leser ab und fragt sich durch ihre und seine Wissenslücken. Die überlebenden Jesiden sind tatsächlich wieder etwa da, wo sie vorher waren, werden dort aber inzwischen von der Türkei bombardiert und vom Irak bedroht.
Im Kriechgang durchs Checkpoint-Chaos
Warum? Weil 2014, als der IS gerade seinen Völkermord durchführte, die Rettung von PKK-nahen Kurdenmilizen aus Syrien kam. Was die Jesiden so beeindruckte, dass sie daraufhin beschlossen, sich zu bewaffnenund so ähnlich zu organisieren. Diese Organisation beleuchtete Zerocalcare in „Kobane Calling“ als erstaunlich demokratisch, erstaunlich frauengleichberechtigt, entschlossen prokurdisch. Alle drei Elemente sind für Erdogans Türkei inakzeptabel: Sie geht davon aus, die Jesiden in Shingal wären durch ihre Systemkopie eben zu einer anderen Art Kurden geworden. Feuer frei!
All das erfährt man, wenn man Zerocalcare in das irakische Zuständigkeits-Chaos folgt. Durch zahllose Checkpoints, an denen fragwürdige Karrieristen der jeweiligen Gruppierungen ihre plötzliche Macht ausspielen und die jungen Männer mit ihren Maschinenpistolen sich nur durch ihre Frisuren unterscheiden: Schiitische Milizen wirken etwa wie martialische Gotcha-Spieler, irakische Soldaten haben die Frisur alter Boygroups.
Kurden sind nicht Kurden
Doch so unkonventionell Zerocalcares Vergleiche und Analogien sind, so überzeugend wirkt sein Humor: blitzschnell und direkt, immer wieder mit komischen Übertreibungen. Rasch wird klar: das Anliegen der Jesiden ist berechtigt, nur die Rolle der Kurden bleibt unklar. Wenn die Jesiden von syrischen Kurden gerettet wurden, warum kooperieren haben sie dann nicht mit den Kurden nebenan im Nordirak?
Um das zu verstehen, empfiehlt sich der Comic „Shingal“ von Mikkel Sommer und Tore Rorbaek, die das Thema zu einem aus Zeugenaussagen gefertigten Actionthriller verarbeiten. Es sind die irakischen Kurden, die 2014 die wehrlosen Jesiden ohne jede Vorwarnung im Stich lassen: Nicht in Panik, sondern koordiniert, über Nacht, sie verwehren sogar den Jesiden die Fluchtstraßen, um Platz für die Militärkonvois zu haben. Warum? Die irakischen Kurden können heute gut mit der Türkei, beide verbindet das Ziel, dem Irak den Norden abzuspalten. Der Gedanke liegt nahe: Der IS sollte damals die Dreckarbeit übernehmen und die von lästigen Jesiden bewohnte Gegend erst mal leervölkermorden.
Betäubende Bombardements
Für politische Comics ungewöhnlich ist, wie actionreich „Shingal“ die Geschichte konsumierbar macht: Die verzweifelte Flucht in die Berge. Die Feuergefechte in der Nacht. Der Kampf um Wasser. Die Mörserbombardements des IS. Das (genauso wie bei Zerocalcare) beeindruckende Auftauchen der Kurdenmilizen aus Syrien, gerade auch der bewaffneten Fraueneinheiten, ausgerechnet hier in dieser Weltgegend voll Schleierregeln, weiblicher Zweitklassigkeit und Sexsklavinnentum – all das ist mit schlichten, aber wirkungsvollen Zeichnungen geschickt inszeniert. Voll Sympathie für die Sache, aber eng an den Fakten (begleitend gibt’s auch noch ein einordnendes, politikwissenschaftliches Nachwort). Was gerade im Zusammenspiel ein ungewohnt unterhaltsames und zugleich informatives Lesespektakel ergibt.
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Immer öfter bedienen sich Demokratie-Gegner bei Kabarett und Comics - gegen deren Willen. Jetzt wehrt sich der erste Superheld: der Punisher.
Eine der frustrierendsten Erscheinungen in der Kunst ist derzeit das Kunst-Kapern. Kunst-Kapern geht so: Man nimmt die Kunst und fährt mit ihr einfach woanders hin. Dem Kabarett widerfährt das beispielsweise seit längerem: Kritik an der Regierung wird flugs als Plädoyer für eine rechtslinksscheißegalene Wir-sind-das-Volksdiktatur umgedeutet. Bei Youtube sammeln sich etwa unter Beiträgen der eher unverdächtigen "Anstalt" oder unter älterem Material von Georg Schramm nach wenigen Zeilen Jubelkommentare hoffnungsvoller Reichstagsstürmer.
Die Gekaperten reagieren meist mit Schockstarre oder Wegschauen, Gegenreaktionen sind selten, kommen aber inzwischen vor: Volker Pispers hat sich eindeutig distanziert und ratlos zurückgezogen, Florian Schroeder hat sich von Querdenkern einladen lassen und ihnen dann live die Meinung gegeigt. Jetzt schlägt auch der erste Comic zurück – der Punisher.
Vom Antiheld zum Kapitolssturm-Logo
Dieser Antiheld begann als verbitterter Rächer, der den Mord an seiner Frau und seinen beiden Kindern vergelten will. Anschließend scheint er jedoch etwas beliebiger und damit universeller deutbar geworden zu sein, denn: „Reale Söldner und politisch extreme Gruppierungen eigneten sich in den USA das Logo von Marvels Bestrafer an“, heißt es unter Bezug auf den 6. Januar 2021 im Vorwort zum neuen Punisher-Band „Der König der Killer“. Deshalb sei „eine Neudefinition von Vergangenheit, Gegenwart und … der Symbolik“ der Figur nötig. Hat’s geklappt?
Sagen wir mal so: Entglorifiziert haben sie ihn tatsächlich. Der neue Punisher gerät in die Fänge der Mördergruppe "Die Hand", die ihn als Obermörder beschäftigen will. Normalerweise würde der Einzelgänger so was natürlich nie mitmachen, aber Autor Jason Aaron hat einen nicht ungeschickten Dreh gefunden: Die "Hand" hat dem Punisher mysteriöserweise seine tote Frau zurückgegeben. Und der Punisher macht weiter mit, weil als weitere Belohnung auch noch die Rückkehr seiner Kinder winkt.
Rechtsruck kaputt. Held auch.
Beides liefert durchaus Motive, um den Punisher weiter gehen zu lassen als je zuvor, bis er noch wahlloser tötet und sich tatsächlich als Marionette missbrauchen lässt. Der einsame Wolf mit dem ganz eigenen Wertesystem ist damit von Seite zu Seite mehr Geschichte, das Problem dabei ist: Damit wird genau das hinfällig, was den Punisher mal attraktiv gemacht hat. Und auch wenn man davon ausgehen darf, dass er das Spiel in absehbarer Zeit vermutlich durchschauen dürfte, so hat er bis dahin nicht nur seine eigenen Werte gründlich verraten.
Denn wir erleben einen Punisher, der mit einem Schwert reihenweise Leute köpft, von deren Schuld er sich nicht selbst überzeugt hat, sondern die ihm Die Hand zu Dutzenden anliefert. Wie immer die Geschichte ausgeht, danach wird man kaum sagen können: "Ach, da hatte er gerade eine schlechte Phase." Und je länger er braucht, um zu ahnen, dass da irgendwas seltsam ist, desto naiver wird er wirken. Um nicht zu sagen: Operation gelungen, Patient doof.
Was heißt, dass bislang auch für Superhelden die Florian-Schroeder-Lösung noch am besten funktionieren dürfte: Einfach mal deutlich sagen, zu welchem Verein man gehört - und zu welchem eben nicht. Weniger elegant, aber immerhin eindeutig.
Zwei Comics verarbeiten Zeitgeschichte doppelt gut: Die US-Nahostpolitik entpuppt sich als planloses Dauerchaos – und Stalins Tod wird zum mörderischen Polit-Thriller
Können Comics Geschichte nachvollziehbarer erklären als andere Medien? Klar: Asterix illustriert sehr schön die römische Legion, aber Zusammenhänge versteht man dadurch noch nicht. An den Zusammenhängen versuchen sich jetzt zwei Neuerscheinungen: das Duo David B./Jean-Pierre Filiu mit Teil drei ihrer Serie „Die besten Feinde“, das Duo Fabien Nury/Thierry Robin mit dem Band „The Death Of Stalin“, dessen Verfilmung Ende März ins Kino kommt. Das Ergebnis: Gut sind beide Bände, aber einer ist sagenhaft.
Provokante Bilder wie von Klaus Staeck
Das liegt auch am Thema: B./Filiu wollen in „Die besten Feinde“ das Dauerfiasko der US-Nahostpolitik verständlich machen. Erfahrung hat B. (eigentlich Pierre-Francois Beauchard) reichlich: Beim Festival in Angouleme ausgezeichnet, hat er schon öfter als Comic-Historiker gearbeitet. Diese Routine spürt man: Es funktioniert erstaunlich gut, obwohl die Comic-Form wenig dazu beiträgt.
B.s Bilder sind expressiv, er porträtiert seine Protagonisten holzschnittartig, fast immer von vorn oder im Profil. Sachverhalte illustriert er grell und plakativ. Den Ausbruch des Aufstands im Irak 1991 gegen Saddam Hussein bebildert er mit einem schreienden Revolutionär, aus dessen Mund ein weiterer kriecht, aus dessen Mund wieder ein weiterer herauskommt. Den Verrat an diesem Aufstand (den die USA erst förderten, dann aber aus Angst vor einer Mullah-Herrschaft im Stich ließen) symbolisiert ein Rebell, an dem der US-General Schwarzkopf und Ayatollah Rafsandschani zerren.
Mal ungeschickt, mal ahnungslos
Häufig ergibt das einen skurrilen Beigeschmack, aber diese 1:1-Illustrationen stützen vor allem die Aufmerksamkeit und kommen erst durch den Text zur Geltung, der das Thema sehr gut aufarbeitet. Knapp, zuspitzend, erfreulich wenig wertend. „Die besten Feinde“ zeigt ungeschönt, aber auch ohne Polemik eine imperialistische Supermacht, die ihre Attraktivität durch eben die Prinzipien gewinnt, die sie zur Verteidigung ihrer Interessen und jener Prinzipien immer wieder verrät. Oft zwangsläufig, oft aus Ignoranz.
Wie die USA glauben konnten, im Irak oder in Afghanistan bekäme man nach dem Krieg einfach eine stabile Demokratie, ist heute noch unbegreiflicher als damals – und leuchtet durch wiederkehrende Elemente ein, die David B. schön herausarbeitet: tiefes Desinteresse und eine Naivität, die schon vor Trump nahe an der Doofheit liegt. Nur so versteht man, wie die USA – allen alles versprechend – die Öl-Partnerschaft mit Saudi-Arabien praktisch zeitgleich mit dem Staat Israel realisieren konnten. Band drei endet im Jahr 2013, mit Obamas Versuch eines Rückzugs aus dem Nahen Osten. Man darf getrost davon ausgehen, dass Washington längst Material für eine weitere Fortsetzung erarbeitet.
Die Angst beherrscht die Diktatur bis in die Spitze
„The Death Of Stalin“ hat es da leichter: Der Band pickt geschickt eine prächtige Rosine aus dem Kuchen der Geschichte – die Vorgänge rund um den Tod Josef Stalins 1953. Die Vermarktung als Satire ist dabei wohl dem Film geschuldet, der Comic ist vor allem ein exzellenter, beklemmender Polit-Thriller. Die Story: Der 75-jährige Stalin schwebt nach einem Schlaganfall zwischen Leben und Tod – die Spitzen der Partei kommen zusammen und beratschlagen, was zu tun ist. Sofort ist klar: Hier geht es nicht um die Zukunft des Kommunismus, sondern um Opportunismus, Misstrauen und vor allem nackte Angst.
Es hilft, wenn man weiß, was vorher passiert ist: Stalin hat seine Partei und sein Volk erbarmungslos gesäubert. Damit ist nicht Degradierung oder Verbannung gemeint – er ließ die Konkurrenten umbringen, mit oder ohne Schauprozess, dann wurde von oben nach unten hunderttausendfach, millionenfach gemordet. Entscheidend war dabei nicht mehr die (ohnehin fragwürdige) Schuld, sondern der Terror.
Komplizen, Kriecher, Karrieristen
Die verschlagenen Gestalten, die sich nun beim siechen Stalin sammeln, sind Produkte dieser mörderischen Gewaltherrschaft – Komplizen, Kriecher, Karrieristen. Leute wie Beria, Molotow oder Chruschtschow haben gelernt, dass nur Stalins Wohlwollen Sicherheit garantiert. Sie alle wissen, dass sich ohne Stalin nur derjenige schützen kann, der selbst die Macht erobert. Beim Kampf um Posten geht es nicht um die Karriere, sondern ums Überleben. Das erste Opfer wird Stalin selbst: Aus Angst vor Fehlern und seinem möglichen Zorn verzögern die Politschranzen die medizinische Hilfe.
Genau das ist es, was „The Death Of Stalin“ besser funktionieren lässt: David B. muss vieles erklären, Nury/Robin können vieles einfach zeigen. Auch wer nichts über Stalin weiß, erkennt an der Furcht in den düsteren Panels, wie groß die Gefahr sein muss. Und so werden acht Seiten in einem Sitzungssaal spannend wie die Schießerei am OK-Corral – obwohl statt Kugeln nur verlogene Argumente fliegen.
Nicht minder hilfreich: Nury/Robin lockern das bittere Szenario geschickt auf – die Vorbereitung der Leiche auf den Sarg, das Staatsbegräbnis sind überzeugend inszenierte Hingucker. Da hätte es die kleineren Schummeleien (die sie nicht leugnen), gar nicht gebraucht: Sie beschleunigen manches, erfinden kleinere Szenen dazu. David B. würde das nie tun, aber da ist ja auch das Ziel ein anderes: Wo er knapp zusammenfasst, machen Nury/Robin Lust aufs Vertiefen und Weiterlesen.
Dieser Text erschien erstmals auf SPIEGEL Online.