- 13. Apr.
Jahrelang träumte der Finne Ville Ranta vom Star-Erfolg in Paris – jetzt verrät er pikante Details der französischen Comic-Branche

Hier haben wir eine richtige kleine Rarität: Einen für Normalverbraucher sehr unterhaltsamen Insiderbericht aus der Comic-Branche, schnell wegzulesen, munter gezeichnet, bitterkomisch. Haben Sie Lust? Der Band heißt: „Wie ich Frankreich erobert habe“ und stammt vom Finnen Ville Ranta.
Ein Fuß in der Comictür
Die Geschichte ist simpel: Ranta träumt davon, es auf dem großen französischen Comic-Markt zu Weltruhm und Erfolg zu bringen. Für einen Finnen (schwer zugängliche Sprache, eher kleiner Comicmarkt) ein gewagter Traum, aber: Ranta hat einen Fuß in der Tür. Er hat es geschafft, Richart zu kontaktieren.

Richart ist der Topname auf dem französischen Markt, ihm reißen alle Verlage jeden Stoff aus der Hand, und er gibt Ranta ein halbfertige Story mit der aufmunternden Bemerkung: „Ich bin zu faul, sie zu zeichnen.“ Ranta ist geehrt und begeistert, macht aus der haarsträubenden Story einen brauchbaren Comic und darf am Erfolg schnuppern: Eine Woche Lesereise, Interviews – aber schon hier ist zu erkennen, dass Ranta nur im Schatten des großen Richart hinterherdackeln darf. Aber: Ein Anfang ist gemacht, und Ranta träumt jetzt von eigenen Alben.
Unverbindliches Kasten-Denken
Denn alle und jeder sagen ihm, wie gut er sei, vorzugsweise bei Champagner oder während Vorträgen über die Grandiosität von Paris. Aber, seltsam, seltsam, es kommt nicht zum Vertrag, keiner ruft zurück, die Weisen sagen abwechselnd, er solle lieber mit Kästchen ums Panel zeichnen oder auch ohne, die ganze Geschichte wird zu einer Abfolge von Demütigungen, Enttäuschungen und … bitte? Wieso das unterhaltsam ist? Vor allem durch einen einfachen Trick.

Ranta beginnt mit seinem verzweifelten letzten Versuch: Das heißt, dass wir Leser gar nicht mehr mit einem Erfolg rechnen. Also sind wir nicht enttäuscht, sondern verblüfft darüber, was jemand alles mit sich machen lässt. Es ist das Erfolgsrezept des verfilmten Buchs: „Er steht einfach nicht auf dich!“ Eine Komödie aus Frust-Zutaten. Aber Ranta packt noch mehr rein.
Der große Trondheim
Erstens: Realität. Rantas Geschichte ist größtenteils autobiografisch, hinter Richart verbirgt sich niemand geringeres als (der auch schon hier gelobte) Comic-Star Lewis Trondheim, der Band mit ihm entstand tatsächlich, hinter vielen Protagonisten stecken reale Verlagsfiguren, und auch Rantas verzweifeltes Ringen um französischen Erfolg hat’s gegeben. Und ja, der ganze Verlags-Bullshit ist außerordentlich glaubhaft…

Zweitens: Stil. Ranta zeichnet sehr zugänglich, er mischt Trondheims sauberen Funny-Animals-Look mit Joann Sfars lockerem Schmierstil aus „Klezmer“, dazu gibt’s frisch hingeschlabberte Farben (Aquarell? Tusche?) mit viel Weiß, vor allem in den „glanzvollen“ Erinnerungen.
Angouleme unangenehm
Drittens: Tempo. Man liest die 150 Seiten ratzfatz weg, das geht viel zu flott für Trübsinn. Ganz nebenbei erfährt man auch eine weniger erträgliche Seite von Angouleme, dem Comicfestival, das hier noch den Hintergrund für eine berührende Romanze abgab. Eine schöne kleine Perle, die mehr über den Comic verrät als eine Menge Sachbücher.

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- 16. März
Müssen trübe Themen auch unattraktiv sein? Drei Comics zeigen, dass es anders geht – trotz Waisenheim, Missbrauch und Teenie-Schwangerschaft

Ein alter Woody-Allen-Witz geht so: Zwei Seniorinnen unterhalten sich im Hotel. Sagt die eine: „Das Essen hier ist einfach katastrophal.“ Und die andere: „Stimmt, und diese winzigen Portionen!“ Ähnlich geht’s mir mit vielen, ich nenne sie mal: Sozialcomics. Erst das große Elend, und dann sieht’s auch noch freudlos aus. Interessanterweise sind mir gerade drei Comics untergekommen, die’s anders machen. Freuen Sie sich nicht zu früh: Elend bleibt Elend. Aber… na, warten Sie‘s ab.
Die nervt, die junge Alte

Nummer Eins ist der Neuzugang „Bauchlandung“. Das Debut der Schweizerin Wanda Dufner behandelt das Thema „Teenagerschwangerschaft“, ist autobiografisch und auf 400 Seiten so unbeschwert wie ein Senkblei. Dufner lässt nichts aus: Überforderung, ahnungsloser Sex mit einem sensationell arschlochmäßigen Freund, permanentes Gejammer und Beklagen, Plot und Protagonistin gehen einem rekordschnell auf den Keks. Selbstmitleid und Selbstvorwürfe, Entscheidungsunfähigkeit und Heulerei über Bevormundung, und all das noch im krakeligen Liv-Strömquist-Stil. Aber!
Dufner kombiniert das mit einer kunterbunten Farborgie. Ein hemmungsloser Griff in den Malkasten, kein Farbtöpfchen bleibt ungenutzt, das ist wie zwei doppelte Espressi direkt aus der Tasse hinein ins Auge. Man bleibt gewissermaßen grellwach, man blättert unentwegt weiter, obwohl die junge Alte ganz schön nervt. Die launigen, quicklebendigen Farben haben mich durch den Band getragen. Gottseidank, weil Dufner nach und nach einen angenehm beißenden Humor entwickelt, ohne ihr Farbdoping wären mir also auch einige prima Lacher entgangen.
Was dennoch nicht heißt, dass „Bauchlandung“ hilfreich wäre: zum Ratgeber taugt der Band kaum. Aber selten war so viel Kummer so belebend.
Grabbelnder Pfarrer

Trübsal Nummer zwei fand ich auf den Spuren des Franzosen Alfred (eigentlich Lionel Papagalli). In „Warum ich Pater Pierre getötet habe“ illustriert er eine autobiographische Erzählung von Olivier Ka. Wie der Titel andeutet, geht’s um Kindesmissbrauch. Nicht die schlimmste Variante, aber trotzdem. Eine einmalige Episode im Jugendcamp, die Ka bleibend beschädigt. Ka schildert sie angemessen naiv, Alfred setzt das Erlebte kindlich, bedrückend in Szene – und kompakt. Ka/Alfred bringen den heiklen Stoff in nur 100 Seiten auf den Punkt. Kürze, Würze, man muss die Leser nicht totlabern. Und doch bleiben Fragen.
Nicht, ob das Ganze der Schwere des Vorgangs angemessen ist: Ka konnte den Grabbelversuch des kirchlichen Familienfreunds zwar ein für alle Mal abwürgen, traumatisiert ist er fraglos dennoch. Was aber verwirrt, ist, dass weder Ka noch Alfred auch nur ein einziges Mal der Gedanke an andere Kinder kommt. Das Feriencamp fand schließlich jahre-, jahrzehntelang statt. Bedeutet: Hunderte möglicherweise weniger starke Opfer. Wie können da zwei mittlerweile gestandene Erwachsene die Sache für erledigt halten, nachdem Ka mal den Pfarrer wegen der eigenen Episode zur Rede gestellt hat?
Olivier Ka (Text), Alfred (Zeichnungen), Martin Budde (Üs.), Warum ich Pater Pierre getötet habe, Carlsen, nur gebraucht erhältlich, z.B. derzeit bei Medimops
Zähe Kleinfighter

Nummer drei ist einer meiner Klassiker, die Manga-Reihe „Sunny“ von Taiyo Matsumoto, in der ich mich gerade durch Band 3-4 gefressen habe. Wieder in Japan, im Waisenhaus der Sternenkinder, deren Leben Matsumoto schlaglichthaft in Episoden schildert. Die Reihe hat einen ganz eigenen Zauber, der auf zwei Zutaten beruht: Das Heim, anständig, sogar liebevoll, aber nicht zersüßt wie die ARD-Sachsenklinik, sondern robust, professionell, wie ich’s aus meinem Zivildienst kenne – man fällt den Kindern nicht dauernd um den Hals und führt nicht ständig bedeutungsvolle Gespräche.
Zutat zwei sind die Kinder selbst: Um Aufmerksamkeit ringend, ruppig und zugleich enorm verletztlich. Sie leiden darunter, dass ihre Eltern weg sind, wären gerne „normal“, misstrauen der Nicht-Heimwelt und sehnen sich doch nach ihr. Und für die Normalität oder auch nur die Illusion davon belügen und betrügen sie häufig andere und sich selbst (womit sie sich nicht anders verhalten als viele Erwachsene angesichts der unschönen Gegenwart).
Matsumoto schildert all das einfalls- und variantenreich, einfühlsam und zugleich sachlich wie eine gute Reportage, was „Sunny“ immer wieder zum verwirrend bittersüßen Erlebnis macht. Das auch daran erinnert, dass diese Kinder nicht aus Zucker sind, sondern recht toughe Kleinfighter. Und ausgedacht.
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- 16. Feb.
Wie organisiert man eine Niederlage? Pascal Rabatés beleuchtet die Absurdität des Kriegs in der Groteske „Zusammenbruch“

Ein Kleinod mit Verspätung: Pascal Rabatés „Zusammenbruch“ stand jahrelang ungelesen bei mir im Regal. Obwohl mir sein „Schwindler“ so gut gefallen hatte. Versteh das, wer will, denn obendrein hat der „Zusammenbruch“ sogar einen vergleichbaren Inhalt.
Chaotische Niederlage
Der „Schwindler“ war ja ein verzeichneter Roman über das grauenhafte russische Revolutionschaos. Der „Zusammenbruch“ greift nun die französische Niederlage in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs auf. Und die Ähnlichkeit im Chaos ist mit Händen zu greifen.

Der Soldat Amédée Videgrain wird mit seinem Motorrad von seiner Truppe zurückgelassen, um einen Bombenkrater zu sichern. Das dauert zwar nicht lang, ab da wird Amédée jedoch versuchen, seine Truppe wiederzufinden. Was zu einem Roadtrip durch das völlig konfuse Kriegsgebiet wird: Die von den Deutschen komplett überrannten Franzosen taumeln zwischen geordnetem Rückzug, Kapitulation, Flucht, Drückebergertum und völliger Orientierungslosigkeit, weil diese Deutschen einfach jederzeit überall auftauchen können.
Franzosen und ihr Bettzeug
In seinen irrsinnigen Momenten erinnert der „Zusammenbruch“ denn auch sehr an „Apocalypse Now“. Armeeteile, die ihre Waffen möglichst gründlich unbrauchbar machen. Der Flüchtende, der auf dem Rücken einen Sessel rettet, und auf dem Sessel sitzend (s)eine Frau. Alleingelassene Kühe mitten im Ort. Brennende Ställe und das Mitleid mit den Tieren, leere Häuser und die Freude an einer richtigen Toilette, aber leider nicht an einem richtigen Bett, denn die Matratzen haben die Einwohner als erstes mitgenommen: „Was“, rätselt Amédée, „haben die Franzosen bloß mit ihrem Bettzeug?“

Spannend wird die Story auch durch die Auswahl des Protagonisten: Amédée ist kein Fanatiker, er ist kein Drückeberger, er ist kein Jammerer. Duldsam und mit mildem Sarkasmus stiefelt er durch die Landschaft der bevorstehenden Niederlage. In dieser bizarren Atmosphäre aus Entsetzen und letztem Schultag sucht er pflichtbewusst, aber ohne besondere Eile seine Truppe, dazwischen überkommen ihn Erinnerungen an Zuhause.
Stell dich der Geschichte, Schatz!
Auch sehr selten: Seine gegen den üblichen Strich gebürstete Frau/Freundin. Die am letzten Tag vor der Einberufung nicht vor Angst in Tränen ausbricht, sondern nüchtern auf seine Verteidigungs-Verantwortung verweist: „Man muss sich der Geschichte stellen.“ Um kurz darauf Liebe einzufordern „als wär’s das erste Mal!“

Knapp 200 eher kleine Seiten hat die Geschichte, jede Menge Überraschungen und ungeahnte Wendungen, mit feinen Linien und kräftigen Flächen elegant gezeichnet und mit souveräner Bildregie inszeniert. Und noch eine reizvolle Eigenheit bringt sie mit sich: Sie ergreift kaum Partei, verteilt Vorwürfe und Sympathien so sparsam, dass man fast glaubt, Rabaté ließe all das kalt. Dabei lässt er nur seine Protagonisten (und uns) mit ihren Taten und deren Konsequenzen allein – und das nun mal ist was ganz Anderes.
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