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Comicverfuehrer

  • 25. Okt.

Zum 50. Todestag: Ein Comic macht Lust auf die große Therese Giehse – weil seine Autorin mutig mit den Fakten tanzt

Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt
Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt

Große Barbara Yelin! Das Leben von Therese Giehse hat sie jetzt dargezeichnet, wahnsinnig einfühlsam, mit einem wunderbar passend ausgesuchten Humor, und...bitte? Wer das ist, diese Giehse? Eben, und deshalb hab ich das Thema selber unterschätzt.


Leiderleiderleider


Therese Giehse ist ja tatsächlich schon seit 50 Jahren tot, leiderleiderleider. Ich selber habe sie auch erst in den „Münchner Geschichten“ zu schätzen gelernt, als bodenständige, resolute, skeptische Oma des Hallodris Tscharlie. Und deshalb dachte ich, sie wäre eine Lokalgröße. Also schon groß, aber eben lokal, mehr so nur für München. War falsch.

Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt
Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt

Sie hat sich in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts über praktisch alle Bühnen Deutschlands hochcharaktert, nicht hübsch, nicht schlank, aber sprachbegabt, eigenwillig umwerfend, umwerfend eigenwillig. Und natürlich links. Als die Nazis in die Nähe der Macht kommen, macht sie nebenher auch noch Kabarett, betextet von ihrer damaligen Partnerin Erika Mann. Jüdisch, lesbisch, kein Wunder, dass Giehse 1933 das Land verlässt.


Interpretation statt Schilderung


Sie tingelt durch Europa, arbeitet mit Brecht – aber all das ist es nicht, was den Comic so lesbar macht. Sondern wie Barbara Yelin an die Sache herangeht. Yelin schildert nicht, sie interpretiert – und macht damit eben genau das, was viele sich nicht trauen und sich lieber an Fakten entlanghangeln. Yelin macht's andersrum: Let's face the Fakten and dance.

Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt
Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt

Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt
Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt

Denn Fakten gibt’s genauso im Lexikon, und die Realität kennt eh nur die tote Therese. Man muss also auswählen, werten, und wenn das so ist, dann kann man’s auch gleich richtig machen, mit Mumm. Yelin spendiert sich eine selbstironische Seite, die sie unter Giehsematerial begraben zeigt – und dann legt sie los.


Haltung statt Ähnlichkeit


Superkräftige Farbstriche verbildlichen Giehses entschlossenes Spiel und Leben, manchmal gestützt von ein paar pechschwarzen Linien oder grellweißen Highlights. Yelin streut dazu Zitate ein, knapp, getreu Giehses herzlich-mürrisch-wortkargem Duktus. Sie will Giehse nicht durch Ähnlichkeit näherkommen, sondern durch die Haltung, beim Gehen, Schauen, Tadeln, Grummeln. Und auch wenn die Rolle der Mutter Courage genug Platz bekommt, widmet Yelin einer Anekdote eine ganze Seite...

Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt
Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt

...einer Anekdote, die sie von Schauspielkollegin Ruth Drexel hat: Wie Therese Giehse aus einem leeren Suppenteller ein Gulasch isst. Unterlegt von Giehses knapp gefassten Ansichten, wie man ordentlich schauspielt. Und wer will, kann danach ein paar Fotos von Therese Giehse suchen oder bei Youtube einige Szenen aufrufen und staunen, wie exakt die Yelin diese darstellerische Charakterknödelin erwischt hat.


Wenn der Auftraggeber dem Comic nicht traut


Wermutstropfen gibt’s, aber dafür ist nicht Yelin verantwortlich: Der Band ist eine Auftragsarbeit der Münchner Kammerspiele, die dem Comic dann aber doch nicht genug getraut haben. Die Intendantin musste noch zwei Seiten lang ihren Senf dazu geben, eine Regisseurin drei Seiten breit schwafeln und dann kommt sicherheitshalber auch noch der Comic-Experte der FAZ, der nochmal alles erzählt, was schon im Comic steht. Besser wär's gewesen, man hätte den Platz Barbara Yelin anvertraut.


Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt
Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt

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Wie eine Doku über die Deutschen mit und unter den Nazis Illustration und Animation sinnvoll einsetzt

Illustration: Bild: rbb/Vincent Burmeister/astfilm productions/ National Archives - ARD
Illustration: Bild: rbb/Vincent Burmeister/astfilm productions/ National Archives - ARD

Von Mimi von Minz angeregt, hab ich kurz in die ARD Mediathek geguckt, in die Serie „Hitlers Volk“, die hier deshalb reinpasst, weil sie teilanimiert ist, also mit einer Comic/Trickfilm-Optik arbeitet. Ist das nun gut, schlecht, sinnvoll?

Antwort: gut und sinnvoll.

Weil man ja aus vielen Dokus inzwischen die Spielszenen kennt, in denen eine überforderte Regie überforderte Schauspieler überfordert. Ergebnis: Napoleon/Cäsar/Goethe schaut nachdenklich ausm Fenster. „Hitlers Volk“ entgeht dem Dilemma durch schlichte Animation, die den Zuschauer das Schauspielen ergänzen lässt, und zwar genau so, wie er/sie es für richtig hält.

Doppelt erfreulich ist, dass die Serie auch eine gute Erzählperspektive einnimmt: Sie illustriert acht deutsche Tagebücher rund um die NS-Zeit, Aufzeichnungen einer konservativen Frau, eines HJ-Fans, eines deutschen Juden usw. Hier trifft also guter Ansatz auf gute Umsetzung – und das Ergebnis ist so hochwertig, dass einem vom Zuschauen richtig gut schlecht wird.

Oder wie immer man das nennen will. Anschauen!

 


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Die Outtakes (31): Mit stählernen Forschern, frühreifen Computern und dem Nicht-Film vom Nicht-Kästner


Illustration: Seda Demiriz - Schwarzer Turm
Illustration: Seda Demiriz - Schwarzer Turm

Computers Kindheit


Seda Demiriz‘ „life in pixels“ sieht sehr gut aus, hat einen schön cartoonigen Ansatz, der zudem noch recht einzigartig ist: Demiriz pickt sich die 90er und Nuller Jahre heraus, die Startzeit der allgegenwärtigen Computer. Das lässt sich verheißungsvoll an, nimmt munter Anlauf und hebt trotzdem nicht wirklich ab. Oder behindern sich die Teile gegenseitig? Die Computer-Frühphase ist zwar anheimelnd und skurril, aber weil damals PCs das Leben noch nicht beherrschten, gelingt keine rechte Transferleistung zu heute. Demiriz mixt zudem immer wieder ernste Coming of age-Elemente unter die mäßig starken Pointen, beides entschärft sich dann gegenseitig. Es könnte funktionieren, Jillian Tamaki hat sowas in „Supermutant Magic Academy“ vorgemacht. Aber Tamaki ist einfach böser, oder anders gesagt: Demiriz, die eine sehr ansprechende Homepage hat, ist vielleicht (noch?) nicht rücksichtslos genug.


Hybrid-Story: Zwei Comics in einem


Illustration: Isabel Kreitz - Reprodukt
Illustration: Isabel Kreitz - Reprodukt

„Die letzte Einstellung“ von Isabel Kreitz müsste theoretisch eine Bank sein: Kreitz erzählt von „Das Leben geht weiter“, dem letzten Film des Dritten Reichs. Der vor allem gedreht wird, damit die Beteiligten nicht noch in letzter Minute an die Front müssen. Eine wahre Geschichte, und zeichnerisch muss sich Isabel Kreitz vor niemandem verstecken. Ihre satten, schwarz-weißen Szenerien eignen sich so gut für Vor- wie Nachkriegszeit und alles dazwischen sowieso, also „a gmahte Wiesn“, wie der Bayer sagt. Aber aus unerfindlichen Gründen reichte Kreitz das nicht: Es musste noch die Geschichte Erich Kästners mit rein. Was chronologisch ungünstig ist: Die Geschichte des End-Films beginnt erst ab 1943, Kästners innere Emigration hingegen zehn Jahre früher. Letztlich muss man sich deshalb durch 150 Seiten Bonzen, Bomben und Beziehungsdramen lesen, bevor die Film-Story endlich zeigen kann, dass sie die stärkere gewesen wäre. So behindern sich beide Plots, was bei Kästner am deutlichsten wird: Kreitz nutzt zwar lauter echte, historische Namen, ausgerechnet Kästner aber muss „Hans Hoffmann“ werden. Nur so kann Hoffmann am „Leben geht weiter“-Skript mitschreiben, was Kästner nicht tat. So bleibt vom ehrgeizigen Projekt vor allem viel Sehenswertes in schwarz-weiß und reichlich Lokalkolorit.




Sie forschen sich grün und blau


Illustration: Taťána Rubášová/Jindřich Janíček - avant verlag
Illustration: Taťána Rubášová/Jindřich Janíček - avant verlag

Früher, als Vorurteile noch üblich waren, hätte man gesagt: jaja, die Tschechen! Taťána Rubášová und Jindřich Janíček liefern mit „William & Meriwether auf wundersamer Expedition“ ein gewitztes Science-Fiction-Kabinettstück, das aber sehr knapp doch nicht ganz überzeugt. In einer Roboterzukunft werden William und Meriwether losgeschickt, ihre Vorzeit zu erkunden. Das sieht schön aus, die ganzseitigen gelb-blau-grünen Panels sind so munter wie die Roboter verschroben. Aber ich bin vermutlich nicht der einzige, der hier schon eine „Planet der Affen“-Wendung vermutet. Und durch die zuverlässig überraschenderen Pointen aus „Futurama“ liegt die Messlatte für Science-Fiction-Satire seit 25 Jahren höher. Ansehnlich ist das Abenteuer der Verschroboter trotzdem.

 




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