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Comicverfuehrer

Kein Detail darf fehlen: Dieser Anspruch lässt Comic-Biografien oft scheitern. Wie schön, dass es diese zwei Neuerscheinungen besser machen


Illustration: Chloé Cruchaudet - Insel Verlag
Illustration: Chloé Cruchaudet - Insel Verlag

Biografien in Comics können eine zeitsparende Sache sein: Wenn sie gut gemacht sind, erfährt man was über die (idealerweise kennenswerte) Person, muss sich aber vieles nicht an-lesen, sondern kann es sich an-schauen. Während man parallel dazu etwas liest, was sich eben nicht zur Bebilderung eignet. Doch wenn’s blöd läuft, kriegt man nur irgendwelche chronologischen Bilder, die zeigen, was man eh grade liest – man braucht also Leute, die wissen, wie man sowas gut macht. Und jetzt kommen gleich drei davon.


Der Modezar aus dem Glücksklee-Haus


Die ersten beiden arbeiten als Team. Szenarist Alfons Kaiser hat sich für den Band „Lagerfeld“ die Dienste von Simon Schwartz gesichert, einem meist historisch-zeichnerischen Routinier. Das Thema ist attraktiv, den Namen Lagerfeld kennt man, die Figur ist provokant, mondän, ein Weltklasse-Promi. FAZ-Redakteur Kaiser ist beschlagen, hat bereits eine Biografie verfasst. Jetzt passieren zwei erfreuliche, nicht selbstverständliche Dinge.

Illustration: Alfons Kaiser/Simon Schwartz - C. H. Beck
Illustration: Alfons Kaiser/Simon Schwartz - C. H. Beck

Erstens umschifft Kaiser mit sicherer Hand das Problem des Nichtsweglassenkönnens. Ein bisschen Vorgeschichte (Lagerfelds Familiengeld entstammt der Dosenmilch „Glücksklee“), dazu süffige Details der emanzipierten, kaltherzig-anhänglichen (ja, das geht!) Mutter, aber nichts davon zu detailliert, damit Simon Schwartz Gelegenheit bleibt, sich optisch auszubreiten. Zweitens hat Schwartz, über den ich meist quengle, weil er recht stark ins Kundenfreundlich-schematische rutscht, diesmal spürbar mehr Freiheiten und nutzt diese ideenreich.


„Du siehst aus wie ich, aber nicht so gut“


So kann er aus verschiedenen Zutaten immer wieder schöne Seiten mixen. Etwa, wenn er die Sottisen von Mama Lagerfeld („Du siehst aus wie ich, aber nicht so gut“) im Kopf des großen Karl um den kleinen Karl wickelt oder Lagerfeld ins Memphis-Design morpht. All das ist so ansehnlich und informativ, dass einen ein ärgerlicher Aspekt umso mehr erstaunt: Lagerfelds Kunst kommt zu kurz.

Illustration: Alfons Kaiser/Simon Schwartz - C. H. Beck
Illustration: Alfons Kaiser/Simon Schwartz - C. H. Beck

Also: Stattfinden tut sie schon. Aber man lernt nicht, was einen Lagerfeld-Entwurf ausmacht. Und darum auch nicht, warum die Modehäuser ausgerechnet ihn wollten. Schon klar, Biografen drücken sich öfter um künstlerische Analyse und Einordnung, weil das Nachvollziehen des Star-Lebens einfacher und attraktiver ist. Aber eben deshalb trennt dieser Aspekt gute Biographien von sehr guten, und im Comic gilt das doppelt: Da wäre ja der Vorteil, dass man’s zeigen und sehen kann. „Lagerfeld“ ist deshalb auf jeden Fall gut, aber nicht sehr gut.

Das gecoachte Genie


Biografie Nummer zwei ist der Abschluss eines der reizendsten Experimente der jüngsten zeit: der zweite Teil von „Céleste“! Sie erinnern sich? Es ging um die zauberhafte Biographie von Céleste Albaret, der Haushälterin des Schriftstellers Marcel Proust? Die das wehleidige Genie mütterlich-resolut durch den Alltag coacht – und ebenso durch sein weltberühmtes Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“? Cruchaudet nimmt im zweiten Teil den Faden auf und bringt die Geschichte nicht nur magisch leicht zu Ende, sondern wie gerade Kaiser ebenfalls ohne jede Spur von Unterkriegeritis.

Illustration: Chloé Cruchaudet - Insel Verlag
Illustration: Chloé Cruchaudet - Insel Verlag

Denn auch vom berühmten Proust gibt’s mächtig viele Fakten. Aber Cruchaudet komponiert mit leichter Hand an den Fakten entlang: Prousts Umzug innerhalb von Paris etwa macht Cruchaudet zu einem doppelseitigen Seiltanz mit Kisten, Kästen und Koffern über den Dächern von Paris, in zartem Lavendel. All das wird launig untermalt von Prousts jämmerlichem Gewimmer, bis am rechten Bildrand endlich das Licht aus der neuen Wohnung strahlt wie ein verheißungsvoller Hoffnungsschimmer. Ein Gefühl, das jeder kennt, der schon mal umgezogen ist.


Haushälterin mit Assistentin


Erneut verführen Cruchaudets geschickt geblainte Verkürzungen, bei den sie Proust in seiner Bettdecke versinken lässt oder seine Körperpflege zur ballettartigen Choreographie erweitert. Dabei täuscht der leichte Tonfall nicht darüber hinweg, dass sich da einerseits ein Genie zulasten seiner Angestellten als Prinzessin auf der Erbse pampern lässt. Doch hier wird Céleste (deren Eintrag in der deutschen Wikipedia übrigens – fehlt) zur selbstbewussten Partnerin, die an der Aufgabe wächst, für sich (Lohndiskussion!) das doppelte Gehalt und eine Assistentin erhandelt. Und dennoch bleibt ein enormes Rätsel.

Illustration: Chloé Cruchaudet - Insel Verlag
Illustration: Chloé Cruchaudet - Insel Verlag

Das Rätsel geht so: Wenn man eine Zeichnerin/Autorin wie Cruchaudet in die Finger kriegt, wenn sie sowas abliefert – warum in drei Teufels Namen plündert man dann als Verlag nicht ihren Backkatalog? Denn Cruchaudet ist kein unbeschriebenes Blatt. Sie ist knapp 50, 2014 hat sie schonmal mit „Das falsche Geschlecht“ Großes abgeliefert, und wer hier nachschaut, der findet eine Menge Comics, die a) fantastisch aussehen und dennoch b) nie auf deutsch erschienen sind, ja noch nicht einmal auf englisch. Damit muss doch was zu verdienen sein!

 




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  • 24. Nov. 2024

Die Leinwand als Comic-Stoff: Zwei Biografien beleuchten die Karrieren von Ava Gardner und Hedy Lamarr. Sehenswert sind beide, aber nur eine überzeugt

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Illustration: Emilio Ruiz/Ana Miralles - Schreiber & Leser

Zwei echte weibliche Hingucker sind gerade auf dem Comic-Markt, und - bitte? Ja, das kann man so sagen. Das muss man sogar so sagen, denn wenn die beiden Frauen keine Hingucker wären, dann würde überhaupt niemand einen Comic über sie machen. Man hat sie explizit so bezeichnet: Hedy Lamarr war die „schönste Frau der Welt“, Ava Gardner laut Regisseur/Autor Jean Cocteau sogar „das schönste Tier der Welt“. Beides würde man heute wohl nicht mehr so formulieren, verspricht aber ansehnliche Comics. Frage: Sind sie auch gut?


Es riecht nicht nach Rauch


Hängt ein bisschen davon ab, was man sich erhofft. Beide Comics führen uns zurück in eine glamourös nostalgische Welt: In „Ava“ sind es die 50er mit ihren Hotels, Salons, die Ana Miralles sehr einladend illustriert. Ava Gardner ist gerade auf Promo-Tour in Rio, wir sehen viele Interieurs von Flugzeugen, Hotels, Limousinen, Nachtclubs, Bars, polierte Autos und gottseidank sehen wir nicht, wie all das riecht.

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Illustration: Emilio Ruiz/Ana Miralles - Schreiber & Leser

Nach kaltem Rauch nämlich, weil praktisch jeder überall quarzt. Aber Miralles und Szenarist Emilio Ruiz schwelgen erkennbar gern in der guten alten Zeit, die sie eingängig frankobelgisch zeichnen, beinahe schon buck-dannyesk. Den Star-Appeal von Gardner nutzen sie weidlich und besonders gern mit einer Zigarette in der Hand. Bei Hedy Lamarr ist das deutlich differenzierter.


Sie drehte mit Stewart, Gable, Tracy

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Illustration: Sylvain Dorange/William Roy - bahoe books

Zeichner Sylvain Dorange zeichnet weit weniger realistisch. Seine 30er, 40er, 50er Jahre sind stilisiert, reduziert, und wenn er die Demonstrationen im Wien der 30er zeigt, will man nicht unbedingt dabei sein oder gar einen Kaffee ordern. Das Umfeld eines Filmstars kann auch er attraktiv zeigen, Lamarrs Schönheit lässt er in Filmplakaten oder Zeitungsausschnitten aufblitzen, aber er schwelgt nicht: Seine Geschichte hat ihm Szenarist William Roy auch deutlich anders angelegt.


Es funkt


Die schöne jüdische Schauspielerin hat bereits ihren ersten Kinoerfolg erlebt, als sie 1937 (weniger vor den Nazis als vor ihrem besitzergreifenden Mann) nach Amerika flieht. Dort nimmt sie Filmmogul Louis B. Mayer unter seine Fittiche und baut sie zur „schönsten Frau der Welt“ auf. Mayer erlaubt ihr zwar (wie damals üblich) nicht, die Rollen frei zu wählen. Aber dennoch wird sie ein Weltstar, dreht (mehrfach!) mit James Stewart, Spencer Tracy, ihr Name steht gleich groß neben Clark Gable oder Claudette Colbert, so dass man sich wirklich wundert, wieso man bei allen TV-Wiederholungen so selten auf Lamarr stößt. Wesentlich präsenter ist ihr Wirken hingegen bei der Bluetooth-Technik.

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Illustration: Sylvain Dorange/William Roy - bahoe books

Sie haben richtig gelesen: Die technisch interessierte Schauspielerin entwickelte mit dem Komponisten George Antheil ein Verfahren zum Frequenzwechsel im Funkverkehr. Gedacht war‘s für Torpedos, genutzt wurde es lang nach dem Krieg zur Telekommunikation. Weshalb Lamarr letztlich zu Lebzeiten und posthum mehr Ehrungen für ihr technisches Wirken erhielt als für ihre Filmkarriere.

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Illustration: Sylvain Dorange/William Roy - bahoe books

Szenarist William Roy hat einen festen Plan: Mit gut gewählten Episoden will er eine selbstbewusste, auch technisch einfallsreiche Frau zeigen, die Szenen werden dabei nicht ausgewalzt, sondern präzise geschnitten. Was ist dagegen der Plan bei Emilio Ruiz?


Ein Traum von Kleid und Cadillac

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Illustration: Emilio Ruiz/Ana Miralles - Schreiber & Leser

Es fällt erst nicht so recht auf, aber der Vergleich mit „Hedy Lamarr“ zeigt: Es gibt im Gardner-Band nicht viel Plan jenseits von „schön“ und „Star“ und allenfalls noch Howard Hughes, denn der heikle Tech-Tycoon hatte ein konfliktreiches Verhältnis mit ihr. Aber Ruiz mag es nicht zur Hauptsache machen, und so ist der prominente Dauerknatsch nur eine von vielen Szenen, die Ava mal feurig, mal leidend durchsteht. Was seine Vorzüge hat, ich sehe schon recht gern, wie Frau Gardner in einem Traum von Kleid und Cadillac zum Flughafen schippert. Doch der Person komme ich dabei nicht näher. Von der Geschichte Hedy Lamarrs bleibt hingegen nachher einiges hängen, ­und genau das macht den Unterschied.




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Illustration: Emilio Ruiz/Ana Miralles - Schreiber & Leser


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Die Outtakes (21): Mit einer rosa Alptraumfrau, Mangas für die Kurzstrecke und erfundenen Western von gestern

Illustration: Claus Daniel Herrmann - Reprodukt
Illustration: Claus Daniel Herrmann - Reprodukt

Heilsteinreich


Viel Gutes zieht mich in Claus Daniel Herrmanns „Pinke Monster“: Die schön simplen, zugleich kräftigen Zeichnungen aus Bleistift, Grau und Pink als Signalfarbe. Die Einfamilienhaus-Siedlungs-Location. Die reduzierten Figuren und die schlicht-gute Story: Teenie Frank lebt mit seiner Mutter und seinem depressiven Vater, er hat Liebesprobleme, und all das verkompliziert sich dadurch, dass er ahnt, dass schwul ist. Als Zündstoff gibt es eine matronige Wunderheilerin, die zu Papas Rettung gerufen wird und die Familie sofort mit Heilsteinen versorgt. Ab hier könnte alles exzellent werden, wird’s aber nicht: Zu sehr, zu schnell, zu eindeutig wird die Zauberbrumme als suspekt gezeigt, zu schnell ihre Macht eingeführt und ausgespielt, zu sehr ihre Ent-Machtung dann als Lösung präsentiert. Oder scheint mir das nur aus Erwachsenensicht so? Ist das womöglich für junge Menschen grade das Richtige? Oder soll man auch junge Leute nicht unterfordern? Müssen Sie wohl selber rausfinden.

 


Häppchenweise

Illustration: Naoki Urasawa - Carlsen Manga
Illustration: Naoki Urasawa - Carlsen Manga

Genervt von ewig langen Manga-Serien? Hier ist eine Gelegenheit für kurze Häppchen aus berufener Hand: „Hatschi!“ versammelt einige von Naoki Urasawas Kurzgeschichten. Da ist recht ulkiges Material darunter, etwa seine musikalischen Erinnerungen an Rockkonzerte seiner Helden (McCartney! Dylan!), auch eine nette Persiflage auf Japans Monster-unter Berücksichtigung der Eigenheit, dass all diese Monster immer ausgerechnet Japan heimsuchen müssen. Obendrein ist der Farbanteil im meist schwarz-weißen Genre unerwartet hoch. Aaaber: All das speist sich eher aus dem Interesse an Urasawa, und wer ihn nicht durch „Asadora!“ oder die „20th Century Boys“ kennt, dem kommt das Ganze womöglich weniger bedeutsam vor.

 


Canifflig einen an der Klatsche

Illustration: Ivan Kordej/Darko Macan - avant-verlag
Illustration: Ivan Kordej/Darko Macan - avant-verlag

Metaebene nennt man das wohl: „Texas Kid, mein Bruder“ ist ein Comic über Comics und ihre Zeichner, zugleich aber auch ein Vater-Sohn-Drama. In dem sich der Sohn mit seinem Übervater quält, der als berühmter Zeichner den Held „Texas Kid“ erschuf. Und dann: Mieser Vater, hat den Sohn nie lieb, ist immer streng, und plötzlich wird Texas Kid real und verdrängt den Sohn, kritisiert dessen mediokre Schöpfungen und Zeichnungen, kann alles viel besser, hmm. Die Story von Darko Macan und Ivan Kordej knarzt arg, hat zwar gelegentlich Momente, aber viel öfter leider nicht. Weil beide zu viel reinrühren: Zuviel Vatergeschichte, zu viel Sohngejammer, und die real gewordene Comicfigur ist weder brutal noch lustig genug, dass man darüber hinwegsehen könnte, dass sie eben erfunden ist. Weshalb der Sohn halt entweder einen an der Klatsche hat oder auf sehr hochgekünstlertem Niveau langatmig vor sich hin leidet. Und weshalb Kordejs canifflige Zeichenorgien den Verhau auch nicht retten können.




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