Die Outtakes (6): Hörnerhelme, bodenlose Löcher und das eigenwillige Frühwerk einer Comic-Legende

Hägar, der nicht ganz so Schreckliche
Geschichten von Wilfried Lupano sind immer einen Blick wert. Die Hägar-Alternative „Wikinger im Nebel“ hat jedoch ihre Tücken. Aus unerfindlichen Gründen hat sich Lupano entschlossen, die Geschichte in halbseitigen Einzelstrips zu erzählen, vergleichbar den Sonntagsstrips in Zeitungen. Diese Form schadet hier mehr als sie nutzt: Einzelstrips brauchen extrem starke Gags, weil ihre Pointe geradezu fahrplanmäßig im vor-/letzten Panel erwartbar ist. Lupanos Gags funktionieren aber meistens, weil er sie überraschend im Vorübergehen fallen lässt. Ergebnis: Ich sage zuverlässig zweimal pro Seite „Naja.“
Vielleicht habe ich aber auch nur einen blöden Humor. Wem Hägar nicht genügt, der möge also vielleicht hier mal reinsehen.
Grusel mit Shutter-Island-Dressing

Gute Gruselstories sind was Feines. Jeff Lemire (der einen schon bei „Black Hammer“ angenehm lang im Ungewissen ließ) als Autor: verheißungsvoll. Und „Die Passage“ geht exzellent los: Ein Geologe kommt auf eine Leuchtturminsel, weil's dort auf einmal ein unabsehbar tiefes Loch gibt. Die Insel ist abgeschnitten von der Außenwelt, windumtost, die Wärterin verschroben, der Fährmann ein Arsch: Doch das „Shutter Island“-Dressing von Lemire und Zeichner Andrea Sorrentino überzeugt nur bis zur Hälfte. Dann wird's wirr. Das Problem ist nicht der Mix aus Illusion und Realität, sondern dass dem Leser kaum noch klar ist, was unser Geologe eigentlich grade durchmacht. Und ohne Angst um den Hauptdarsteller wird der Grusel zu oft zum „Hä?“
Die Quasselbande

Ich komme mehr und mehr zu dem Schluss, dass Hugo Pratt gerade zu Anfang seiner Karriere weit weniger gut schrieb als zeichnete. Schon „Corto Maltese“ fällt mir immer wieder als abenteuerlose Abenteuerserie ermüdend auf. Jetzt erscheint „Fort Wheeling“ neu, entstanden Anfang der 60er Jahre, und wieder quatschen sich die Helden den Mund fusselig und sagen am besten auch gleich nochmal dasselbe, was im Textkasten drübersteht, da wird der Leder- zum Laberstrumpf. Wenn man Glück hat, ist's wenigstens unfreiwillig komisch wie in der Antwort auf die Frage: „Waren es Indianer, die deine Eltern getötet haben?“ - „Ich glaube, ja. Die Indianer waren immer gut zu mir.“
Geschichten aus dieser Epoche hatte Pratt damals schon in „Ticonderoga“ erfolgreich erzählt, da hat ihm aber Hector Oesterheld das Szenario geschrieben, ein Unterschied wie Tag und Nacht. In „Ein indianischer Sommer“ hat Pratt dann für Milo Manara das sehr gute Skript geliefert, dafür kam „Fort Wheeling“ 20 Jahre zu früh. Doch: zum Serienstart gibt es knapp 20 Seiten mit zusätzlichen, für Pratt ungewöhnlich farbigen Zeichnungen, aus denen der Verlag verständlicherweise auch gleich das Covermotiv nahm. Das entschädigt ein bisschen für die Quasselei.
Hugo Pratt, Resel Rebiersch (Üs.), Fort Wheeling, Schreiber & Leser, 29,80 Euro
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Die Outtakes (5): Einsame Gangster, halbe Leben und ein Déja vu – ab hier lesen Sie auf eigene Gefahr

Schwallender Schweiger
Ein stiller Mann fährt im Wohnmobil durch die Wüste, wo er sich bewaffnet in den Schatten setzt und wartet. „Die Schlange und der Kojote“ hat alles, was neugierig macht: Tolle Landschaft, Einöde, die Waffe, mit der er nicht gejagt wird, sondern gewartet. Weil jemand kommen wird. Dorthin, wo sonst niemand hinkommt. Was kann man jetzt noch falsch machen?
Man lässt dem Schweigsamen einen jungen Kojoten zulaufen, den er daraufhin zuschwallt. Dann gibt's noch FBI-Agenten, einen Marshal, und alle, alle erklären sich gegenseitig alles doppelt und dreifach. Zeichner Philippe Xavier kann nichts dafür, Szenarist Matz müllt ihm jede Atmosphäre mit Text zu, mit Text und nochmal Text. Schade drum.
Body-Sharing

Die Story an sich ist schön mysteriös: Der junge Lubin stellt plötzlich fest, dass ihm jeder zweite Tag komplett fehlt. Nach und nach bemerkt er: Eine zweite Persönlichkeit ist an diesen Tagen mit seinem Körper im Einsatz. Er beginnt mit ihr durch Zettel und Videos zu kommunizieren, er beginnt sich damit zu arrangieren, macht Kalender, wem der Körper wann gehört – und Moment mal! Das ist doch komplett blödsinnig. Wenn mir jemand mein halbes Leben klaut, arrangiere ich mich nicht, ich will’s zurück! Und wenn schon Lubin kein gesteigertes Interesse an seinem Leben hat, warum soll’s dann ich als Leser haben? Doch wenn Sie sich mit der Sharing-Idee bis hin zum Teilzeitkörper anfreunden können, klappt es vielleicht.
Timothé le Boucher, Christiane Sixtus (Üs.), Jene Tage, die verschwinden, Cross Cult, 35 Euro
Zweiter Platz nach 20 Jahren

Haben Sie Steven Spielbergs „Artificial Intelligence“ gesehen? Dann wird es Ihnen wie mir gehen: Sie werden sich fragen, ob „Made in Korea“ der Comic zum Film ist. Ist er nicht, soviel vorweg. Und: Spielberg war nicht nur 20 Jahre schneller, er ist auch berührender. Doch die Geschichte von Jeremy Holt und George Schall holt sich trotzdem einen soliden zweiten Platz. Tatsächlich entdeckt Szenarist Holt in der Story um das Robotermädchen Jesse ein paar Optionen, die Spielberg nicht nutzte, etwa die Einsetzbarkeit als Terrormaschine. Man wundert sich jedoch, warum sich Holt nicht mehr Mühe gab (oder von der Redaktion nicht mehr gedrängt wurde), dem Film auszuweichen. Die zögerliche Annäherung der Eltern an die Idee eines Robo-Kinds, die Verführbarkeit und Naivität des klugen Maschinchens, all das ist so parallel zu Spielberg, das man es Holt einfach nicht anrechnet.
Daher bin ich für den Schlussbonus besonders dankbar: Sechs Kurzgeschichten anderer Autoren zum gleichen Thema, jede davon überraschender als der eigentliche Hauptteil.
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Die Outtakes (4): Kolonialexotik, Fußball und ein spinnender Niederländer – ab hier lesen Sie auf eigene Gefahr

Linie klar, Inhalt sparsam
„Rampokan“ erzählt die Geschichte der niederländischen Besatzer auf Java, die nach der Niederlage der Japaner zurückkehren. Ligne claire, hübsch gezeichnet, zweifellos. Doch so ansehnlich die Menge an Lokalkolorit, so wissenswert der Hintergrund auch ist, beides versinkt in so viel Geschwafel, dass man nicht weiß, wozu man weiterlesen soll. Und sich wundert, wie es möglich ist, in eine Kolonial-Militärgeschichte so wenig Action zu packen.
Peter van Dongen, Jan Kruse (Üs.), Rampokan, avant-verlag, 39 Euro
Ersatzterix

„Gilles der Gauner“ ist ein Paradebeleg dafür, dass man seine Jugend nicht mehr einfach zurückholen kann. Hätte ich vor 45 Jahren den Comic in die Finger bekommen, hätte ich ihn verschlungen. Heute habe ich zu viel gelesen, das besser ist. Und das kann ich leider nicht mehr löschen.
Gilles ist ein Asterix-Mitbewerber aus den 80ern und spielt im 16. Jahrhundert. Die Spanier, die die Niederlande erobern wollen, sollen die Römer ersetzen. Und die Niederländer – aber da geht's schon los. Die Niederländer sind nicht die Hauptdarsteller, Star ist der Wegelagerer Gilles, und der ist irgendwie auf keiner Seite. Er ist weder freundlich noch ideenreich, sogar leicht dämlich, und als Sympathieträger fällt er auch deshalb aus, weil man zwar weiß, dass man (Hauptrolle!) auf seiner Seite sein sollte, aber leider nicht wieso. Manche Stories erinnern an die Bemühungen des Koyoten vom Roadrunner, sind aber nicht halb so komisch. Weil die halbverhungerte, tragische Viehgur keine Wahl hat, Gilles hingegen – tja, was will der eigentlich?
Aber: Es ist eine hübsche Gelegenheit zur Comicpädagogik. Schenken Sie's Kindern. Gucken Sie, ob sich Gilles gegen Asterix durchsetzen kann.
Finden Sie die Unterschiede.
Reden Sie mal drüber.
Hanco Kolk, Peter de Wit, Markus Pfalzgraf (Üs.), Gilles der Gauner, Panini, 39 Euro
Gottes Händchen

Fußballcomics sind schwierig, schwieriger noch als Boxercomics, weil Fußball mehr aus Szenen besteht als aus Momenten. Texter Paolo Baron und Zeichner Ernesto Carbonetti weichen daher in ihrem Comic über Diego Maradona geschickt dem Fußball aus. In „Die Hand Gottes“ konzentrieren sie sich auf die Biografie, einige ikonische Bilder und die nahezu religiöse Kombination aus Maradona und Neapel, wo er sieben Jahre lang spielte.
Das sieht streckenweise richtig gut aus, geht aber nur für Fans vollständig auf. Denn: Um diesen erst genialen, dann koksenden und schließlich übergewichtigen Weltstar faszinierend zu finden, muss man jene komplexen, mehrsekündigen Szenen erlebt haben, die er einem Millionenpublikum vorzauberte. Und Nachgucken bei Youtube ist kaum ein wirklicher Ersatz.