- 7. Aug.
Schnelles Superhelden-Update: Wie sich auch der verstörendste Maskierte um den heißen Brei drückt

Kürzlich hatte ich über everybody's darling Superhelden genölt: Weil alle Trump ignorieren (oder nur verschämt thematisieren), obwohl Diktatoren und deren Vorstufen zur absoluten Superhelden-DNA gehören. Daraufhin wurde mir Tom Kings „Rorschach“ empfohlen. Und tatsächlich: Der Figur aus Alan Moores Antihelden-Universum wäre mehr zuzutrauen. Ich also: sofort „Rorschach“ besorgt. Und?
Watchmen - 35 Jahre danach
Wir befinden uns 35 Jahre nach der „Watchmen“-Handlung, eine junge Frau und ein Mann im Rorschach-Outfit werden erschossen, als sie versuchen, den US-Präsidentschafts-Kandidaten Turley zu töten. Turley ist steht kurz davor, den seit vier Amtszeiten herrschenden Präsidenten Redford abzulösen. Ein Cop soll die Hintergründe ausleuchten, weil Turley vermutet, Amtsinhaber Redford stecke dahinter. Nach einer altmodisch langatmigen Ermittlung scheint das auch so auszusehen, die toten Attentäter sind zudem selbst leicht verstrahlt: Rorschach glaubt, eine Wiedergeburt des echten Rorschach zu sein, und so weiter und so kompliziert. Zu guter Letzt sind alle korrupt und der Cop bringt Turley dann selber um. Was sagt uns das?

Vor allem, dass King null Ahnung hat, was man heute macht, wenn man seit vier Amtszeiten regiert: Man wirft die Konkurrenz unter fadenscheinigen Vorwänden in den Knast (siehe Russland, Belarus, Türkei, demnächst USA). Fall erledigt. Der Rest von Kings Handlung kommt an Verworfenheit nicht über Watergate hinaus, das ist Politkritik auf dem Level von 1972. Ein weiteres Mal wäscht sich ein Superheld den Pelz, ohne sich nass zu machen. Das ist, man muss es so deutlich sagen, arm.
Es geht nicht um Albert Huber aus Jodelland
Als Captain America sein erstes Abenteuer bestritt, bekämpfte er keinen Albert Huber aus Jodelland. Superhelden erfinden keine Look-Alikes und nennen Verbrecher bei ihrem richtigen Namen. Ich gebe zu, dass derlei einfacher ist, wenn der Verbrecher nicht Präsident des eigenen Landes ist. Aber wer da Angst kriegt, sollte weder Superhelden erfinden noch zeichnen noch betexten noch verkaufen.
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Tom King (Szenario), Jorge Fornés (Zeichnungen), Christian Heiß (Üs.), Rorschach, Panini, 40 Euro
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- 27. Juli
Französische Ernte (I): „Éloi“, der umwerfende Mix aus Rassismus-Thriller, Gruppen-Psychogramm und beklemmendem Kammerspiel unter Segeln

Was hat ein Comicfreund vom Frankreichurlaub, wenn er die Sprache nicht bon genug parlt? Wie (hust) ich? Beispiel 1: Er geht an der Küste in einen Museumsshop. Wo’s Bücher zum Thema Meer gibt, und damit in Frankreich automatisch auch Comics. Und zwar nicht nur anstandshalber zwei Stück, sondern praktisch ein Drittel des Ladens. Nicht nur den neusten Scheiß, sondern alles, was zum Thema passt. Darunter auch diese doppelt geniale Perle, die bereits 2015 auf deutsch erschien: „Éloi“ von Florent Grouazel und Younn Locard.
Eingeborenes Mitbringsel
Wir sind im Jahr 1837, ein französisches Marineschiff erforscht Neukaledonien, eine Minikolonie östlich von Australien. Und es nimmt Éloi an Bord, einen Eingeborenen, um ihn in Frankreich vorzuzeigen. Schon die Offiziere sind darüber nicht einer Meinung: Der mitgereiste Naturforscher will den Fortschritt voranbringen, doch für die meisten anderen ist Éloi nur ein Kannibale ohne Wert.

Noch schlimmer sieht’s bei der Besatzung aus: Für die ist Éloi wahlweise Spielzeug, Teufel, Quälobjekt, geeignet zum Provozieren, Hänseln, Schlagen und Nörgeln. Denn warum arbeitet der Menschenfresser nicht mit? Warum versteht der Neger nichts? Faul ist er, ungläubig, aufsässig, dumm, man muss ihm zeigen wo’s lang geht. Und so wird aus dem fremden Gast an Bord der „La Renommée“ blitzschnell ein unbezahlter Arbeitssklave in einer See-Hölle.
Die ganz normale Grausamkeit
Schon hier muss man bewundern, wie fein und unerbittlich Grouazel/Locard das Drama inszenieren. Denn sie ruhen sich nicht bequem auf dem Rassismus aus, sie ergänzen ihn mit den normalen Zutaten menschlicher Grausamkeit. Neid, Dummheit, Hierarchiedenken, Sadismus gegenüber Schwächeren, „Haben-wir-noch-nie-gemacht“, „Was-soll-der-Mist?“. Die Offiziere sind nicht besser: Sie sollen die bildungsferne Crew im Griff behalten, geben ihr aber insgeheim Recht.

Dazu kommt der Missionseifer des Bordpfarrers und der Ehrgeiz des Wissenschaftlers, der nach Jahren „wenigstens irgendwas“ mit heimbringen will. Von dem Moment, in dem Éloi an Bord kommt, wird es immer schwerer vorstellbar, dass er dieses Schiff lebend verlässt. Und dieses Schiff ist der zweite Aspekt, der „Éloi“ so entsetzlich gut macht.
Eine Hängematte für zwei
Grouazel/Locard illustrieren nämlich nicht nur geschickt die Enge an Bord, wo jede Hängematte doppelt belegt ist (einer arbeitet, der andere schläft). Ich habe noch keinen Comic gesehen, der das Leben auf, das Segeln einer Fregatte so realistisch inszeniert. Die niedrigen Decken, die engen Verschläge, das fehlende Licht. Und wo andere sich mit dem Kartoffelnschälen in der Kombüse begnügen, zeigt „Éloi“, wie man Taue lagert, was der Bordjunge schleppt, wo die Crew kackt. Wie man Segel bedient, das Deck schrubbt, wo man in der Freizeit abhängt. Und all das zeigen sie wie nebenbei, ohne den Plot zu verzögern, ohne mit ihrer Expertise anzugeben. Weil sie wissen, dass diese Präzision ihre Dramatik unterstützt: unmenschliche Bedingungen befördern noch unmenschliches Verhalten.

Erzählt wird all das in schlichten, aber präzisen Zeichnungen, schwarz-weiß mit lediglich zwei Blautönen, was grandiose Schiffsansichten und Meerespanoramen genauso ermöglicht wie finstere Kielraumszenen, in denen man vor Schwarzblau kaum die Hand vor Augen sieht.
Wie gesagt: Gefunden hätte ich diese fulminanten Band in Deutschland nie mehr, weil Comicabteilungen mit 50 cm Regalbreite ältere Titel nicht vorhalten können. Und weil Comics für deutsche Museumsshops auch nicht interessanter sind als für die meisten Buchhändler. Â
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Die Welt ist in keinem guten Zustand. Weshalb sich eine Frage jetzt besonders laut stellt: Was machen eigentlich die Superhelden?

Prokrastination, kennen Sie das? Man sollte eigentlich was machen, sagen wir: die Steuererklärung – tut dann aber lieber was anderes, vielleicht den Abwasch. Oder Bügeln. Oder Candy Crush oder Sudoku. Machen Sie, ich, praktisch alle, und wissen Sie, wer noch?
Superman. Und Batman, Spider-Man, Wonderwoman. Alle. Ich weiß es, ich hab’s überprüft. Glauben Sie nicht? Prüfen Sie mit!
Superman rettet außerirdische Tiere
Vor mir liegen acht Titel, allesamt erschienen 2024, einer 2025, einer 2015. Mit Superman, Batman, Spider-Man, Captain America, ein ordentlich breit gefächerter Blick in die aktuelle Produktion, leicht verzögert durch Export und Übersetzung. Was tun unsere starken Freunde da also gerade?

Auf Anhieb nichts Besonderes: Im „Chaos in der fünften Dimension“ gehen erst Joker und Lex Luthor auf eine erschütternd altmodische Schatzsuche, dann sucht Batman ein Gegenmittel für Scarecrows Furchtgas. Aus irgendeiner Dimension kommen Supermans Alien-Zootiere in die Bathöhle, all das ist so abstrus zusammengebastelt und von leichten Comedy-Elementen durchsetzt wie die Abenteuer der frühen 70er Jahre.
Bat-Camping
Auch „Kampf an allen Fronten“ ist ordentliche Serienware. Batman ist mit seinem Sohn (ja, den gibt’s inzwischen) unterwegs. Vater und Sohn haben Probleme, aber sie fahren zusammen Campen und werden von irgendwelchen Leuten überfallen. Danach geht’s gegen Man-Bat, drunter köchelt immer die Vater-Sohn-Geschichte – Superheldenkram, aufgehübscht durch Human Interest, zeitgemäßer Mainstream, unauffällig.
Die gedopte Beamtin



Suicide Squad „Dream-Team“ zeigt die fragwürdige Regierungsagentin Amanda Waller, die Superschurken um Harley Quinn für genauso fragwürdige Aufträge engagiert: Hier etwa die Sicherung von Massenvernichtungswaffen einer Weltmacht namens Gamorra. Sagte ich engagiert? Sie erpresst sie. Supermans Sohn (ja, den gibt’s inzwischen auch), schaut zu. Warum? Weil Waller letztlich das große Ganze im Auge haben muss, sie symbolisiert die Zwänge des Regierungshandelns. Die Verantwortung ist so groß, dass sie Wachmach-Pillen fressen muss. Bedauernswert und böse zugleich, ambivalenter geht’s kaum. Ein interessantes Konzept (das den Superhelden-Begriff schon sehr weit dehnt). Fällt Ihnen schon was auf? Noch nicht? Mal sehen.
Was war nochmal der Kern des Superhelden?

Captain America ist inzwischen neu besetzt und schwarz: Das heißt, man kann wieder bei Null anfangen. In „Sam Wilson gegen Hydra“ will eine Terrororganisation (unter einem Superschurken) die Macht an sich reißen, zweifellos sehr übliches Superhelden-Material. Spider-Man will in „Der Geist des Bösen“ Doc Octopus aufhalten, der eine junge Schurkin als saubere Energiequelle einsperren will. Und in „Die Rückkehr der Sinister Six“ bekämpft er eine Künstliche Intelligenz. Ich gebe zu: All das klingt nach Business as usual, Business, nicht Prokrastination.
Auf den ersten Blick. Denn: Was war nochmal das Hauptgeschäft eines Superhelden?
Messlatte: Gerechtigkeit
Superschurken? Nein. Das mag überraschen, ist aber so. Superschurken braucht's, weil herkömmliche Schurken für Batman & Co. keine Gegner sind. Superschurken sind eine Beschäftigungstherapie für Held und Publikum.
Ist's das simple „Sich fürs Publikum kloppen“? Das tun Catcher und Wrestler auch. Sie werden dadurch nicht zu Superhelden.
Sind's die großen Aufgaben?
Herakles mistete den Augiasstall aus, Achilles tötete Hektor, Siegfried den Drachen – Superhelden sind alle nicht.
Denn: Superhelden kämpfen für das Gute. Bedingungslos, unbürokratisch: Sie wirken da, wo der Rechtsstaat nicht hinkommt. Und ihre Messlatte ist die Gerechtigkeit. Die verbiegen heute zwar eine Menge Leute in verschiedene Richtungen, aber Superhelden pfeifen auf rhetorische Tricks und juristische Spitzfindigkeiten: Sie sind für die Schwachen, für die Demokratie, für die Freiheit. Übrigens auch für die Erde und ihre Erhaltung. Oben haben Sie’s gelesen: Superman, ganz Klimakleber im Geiste, schützt nicht nur Tiere, sondern sogar Alien-Tiere. Superman ist ja selbst Migrant. Und wer war anno 1941 der erste Gegner von Captain America, in Heft 1? Adolf Hitler.
Erst Hitler – dann das Vergnügen
Bedeutet: Erst, wenn Hitler besiegt ist, die Schwachen halbwegs geschützt sind – dann sind Superschurken dran. Erst das Kind im brennenden Haus, dann der Pinguin. Es gibt hier kein Vertun: Wenn Familien getrennt, Menschen deportiert, Unschuldige nach Quote abgeschoben werden, kümmert sich Superman nicht zuerst um Krypto, den Superhund. Die Maßnahmen der Regierung Trump wären also im Moment Priorität Nummer Eins – wenn man Superheld sein will.

Klar kann man jetzt quengeln: Muss denn alles dauernd so realistisch sein? Das ist es doch sonst auch nicht immer. Und das stimmt, manchmal wird die Realität tatsächlich ganz offen weggelassen.
Zombielose Welt
Wissen Sie, was es im Superheldencomic (und Film) praktisch nicht gibt? Smartphonezombies. Leute, die ins iPhone glotzen. Die Helden tun's nicht, die Nebenfiguren nicht, die Passanten nicht. Weil’s optisch öd ist, lässt man's weg. Wie den Corona-Mundschutz. Ohne sieht besser aus. Das klappt aber nur, weil weder Mundschutz noch Smartphone zum Markenkern des Superhelden gehören. Mit realen Gefahren sieht das (zum Leidwesen der Comic-Produzenten) ganz anders aus.
Robin Hood kehrt vor der eigenen Tür
Ja, Superhelden sind fiktiv. Aber: Sie beziehen sich auf die reale Welt. Jede Superhelden-Story strickt am Faden: Was wäre, wenn es wirklich Superhelden gäbe? Und das macht die Regierung Trump zum Elefanten im Raum. Weil jeder weiß: Ein Robin Hood kümmert sich nicht erst um den Kaiser von China, sondern um den Sheriff von Nottingham. Diese Abhängigkeit der Fiktion von der Realität haben die Superhelden-Verlage bereits in Trumps ersten vier Jahren mühsam ignoriert. Jetzt, wo alles darauf hindeutet, dass die zweite Amtszeit eine unbegrenzte wird, tun sie genausowenig. Oder sagen wir fairerweise: fast nichts.

In „Gotham War“ flüchtet sich die Storyline in die Metaebene: Wie organisiert man Kriminalität, damit sie am wenigsten Schaden anrichtet? Genau: Wer nix tun mag, debattiert erst mal das Grundsätzliche. Und in „Die Bizarro Welt“ bekämpft Supermans flugfähige Familie (nur Lois geht noch zu Fuß) eine Terrortruppe, die Superkräfte an Einheimische verteilen und kryptonische Aliens vertreiben will. Mit derlei Allegorien woll(t)en die Verlage sich über die Zeit retten – jetzt trifft Trumps Rückkehr sie um so härter. Denn jeder kann sehen: Derzeit bedrohen keine erfundenen Schurken eine unzerstörbare Superfamilie, sondern der echte Präsident die Schwächsten und Wehrlosesten der Gesellschaft. Und Captain America oder Superman müssen sich fragen lassen, ob sie ihre Werte auch dann noch verteidigen, wenn der Faschist nicht in Deutschland sitzt, sondern im Weißen Haus.
„Das Böse, dem wir uns NICHT stellen“
Wenn die realen Verbrechen größer sind als die ausgedachten, wirkt der Superheld wie ein Flüchtling vor der Realität. Ausgerechnet im Captain America-Comic bringt es ein Satz auf den Punkt. Der sterbende Vater des neuen Captain sagt ihn zu seinem Sohn: „Es kommt nicht nur darauf an, was wir tun – es ist das Böse, dem wir uns NICHT stellen, das uns ausmacht.“