Comeback für Karen Reyes, das Grusel-Girl mit Unterbiss: Erfüllt die Fortsetzung des Sensations-Debüts „Am liebsten mag ich Monster 2“ die hohen Erwartungen?
Ich hatte leicht Angst vor diesem Comic. Denn der Vorgängerband „Am liebsten mag ich Monster“ war einfach rundum gut. Aus dem Stand zeichnete sich Emil Ferris damit mit ihrem Debüt direkt zu einem Ignatz und einem Eisner-Award. Aber dann hat man sechs Jahre lang nichts mehr von ihr gehört. Überhaupt ist Ferris schwer einzusortieren. Wer mit Mitte 50 anfängt Comics zu zeichnen, hört vielleicht genauso unerwartet wieder auf. Oder wird schlecht, und dann ist „Am liebsten mag ich Monster 2“ auch noch eine Fortsetzung, sowas kann ins Auge gehen...
Schneller ging's echt nicht
Klar ist schon mal: schneller ging’s nicht. Noch immer sind Ferris geschickt und einfallsreich komponierte Bilderwelten ein schraffiertes Paradies. Obwohl sie nicht immer Paradiesisches zeigen: Aber wenn Sie nur ein bisschen für diesen Zauber übrighaben, wenn ein Bild Ihre Augen in die Tiefe zieht, wo es sich in immer feinere, dichter oder großzügiger platzierte Linien auflöst, um Sekundenbruchteile später wieder ein buntes, üppiges Ganzes zu ergeben – dann ist es eigentlich undenkbar, dass Ferris Sie enttäuscht.
Die Story bleibt natürlich dieselbe: Ferris imitiert das Skizzenbuch von Karen Reyes, einem Chicagoer Mädchen Ende der 60er Jahre, das sich für hässlich hält (und sich daher als Horror-Fan selbst als Monster zeichnet). Karen hält in ihrem Buch alles fest, was sie bewegt, und sie hat sich vorgenommen, den Tod einer Wohnungsnachbarin aufzuklären.
Also ergießen sich dieser Mix aus Kinderdetektiv-Universum und Horrorfantasie in abenteuerlichen Bilderwelten über die original Ringbuchoptik, Schreiblinien und Abheft-Lochung inklusive. Mal schwarz-weiß, mal mit Buntstift, immer wieder unterbrochen von wundervoll erfundenen Covern alter Horror-Comics, die stets wie beiläufig einen Faden der Handlung aufgreifen.
Herrliche Abscheulichkeit
Ferris‘ Ehrgeiz ist dabei ungebrochen: Sie will außerdem auch noch Kunstgeschichte unterbringen (Karen geht mit ihrem großen Bruder Deeze gern ins Museum), die Gesellschaft der 60er Jahre, den Rassenkonflikt – und das Wunderlichste ist: es gelingt. In Karens Skizzenbuch lässt sich alles zusammenführen, die schon damals umhergeisternden Verschwörungstheorien über Fluor im Wasser genauso wie die realen Schrecken des Holocaust, in abstrusen Bildern mal kindlich zugespitzt, mal kindlich abgefedert, mit herrlich abscheulichen Monstern garniert und kommentiert. Wenn auch nicht mehr ganz so überzeugend und federleicht souverän wie im ersten Teil. Vermutlich, weil Ferris die eigene Biographie eben doch noch in die Quere kommt.
„Am liebsten mag ich Monster“ war schon immer sehr autobiographisch: Ferris stammt selbst aus Chicago, liebte als Kind Horror und Kunst, wurde missbraucht, sah die Chicagoer Polizeigewalt der 60er und lebte in der Nachbarschaft von Holocaust-Opfern, exakt wie Karen. Das zu abstrahieren und nicht missmutig zu verbechdeln, ist Ferris‘ größte Kunst. Nur beim Thema Sexualität klappt das nicht ganz so gut: Karen entdeckt in Band 2 ihren Lesbianismus, verliebt sich, trifft die queere Community (was alles okay ist), doch gerade dieser neue Schwerpunkt wird so gut wie nicht durch Karens sonst so ergiebigen Hirnwolf gedreht.
Gerade in den abstrusen Horror-Covern, die sonst so viel von Karens Innenleben zeigen und reflektieren, bleibt das Queere praktisch völlig außen vor. Die kindliche Unschärfe mit all ihren Möglichkeiten wird hier plötzlich durch sanftes Oberlehrern und gewichtige Grübeleien ersetzt.
Aber die Gesamtbegeisterung bremst das nicht. Dazu liefert Ferris auf 320 Seiten viel zu viel Erfreuliches. Stadtansichten, Häuserfassaden, sehr gute Dialoge, unerwartete Aphorismen, Gesichtern, karikierend, realistisch, das Wiedersehen mit dem malenden Monsterchen Karen, der bizarren 60er-Welt, in der Jeansjacken für Mädchen problematisch sind, Schwarze riesige Afros haben und die Häuser und die Menschen und ihre Afros sind ein Labyrinth von Linien, Linienchen, Linienchenchen...
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Die Outtakes (21): Mit einer rosa Alptraumfrau, Mangas für die Kurzstrecke und erfundenen Western von gestern
Heilsteinreich
Viel Gutes zieht mich in Claus Daniel Herrmanns „Pinke Monster“: Die schön simplen, zugleich kräftigen Zeichnungen aus Bleistift, Grau und Pink als Signalfarbe. Die Einfamilienhaus-Siedlungs-Location. Die reduzierten Figuren und die schlicht-gute Story: Teenie Frank lebt mit seiner Mutter und seinem depressiven Vater, er hat Liebesprobleme, und all das verkompliziert sich dadurch, dass er ahnt, dass schwul ist. Als Zündstoff gibt es eine matronige Wunderheilerin, die zu Papas Rettung gerufen wird und die Familie sofort mit Heilsteinen versorgt. Ab hier könnte alles exzellent werden, wird’s aber nicht: Zu sehr, zu schnell, zu eindeutig wird die Zauberbrumme als suspekt gezeigt, zu schnell ihre Macht eingeführt und ausgespielt, zu sehr ihre Ent-Machtung dann als Lösung präsentiert. Oder scheint mir das nur aus Erwachsenensicht so? Ist das womöglich für junge Menschen grade das Richtige? Oder soll man auch junge Leute nicht unterfordern? Müssen Sie wohl selber rausfinden.
Häppchenweise
Genervt von ewig langen Manga-Serien? Hier ist eine Gelegenheit für kurze Häppchen aus berufener Hand: „Hatschi!“ versammelt einige von Naoki Urasawas Kurzgeschichten. Da ist recht ulkiges Material darunter, etwa seine musikalischen Erinnerungen an Rockkonzerte seiner Helden (McCartney! Dylan!), auch eine nette Persiflage auf Japans Monster-unter Berücksichtigung der Eigenheit, dass all diese Monster immer ausgerechnet Japan heimsuchen müssen. Obendrein ist der Farbanteil im meist schwarz-weißen Genre unerwartet hoch. Aaaber: All das speist sich eher aus dem Interesse an Urasawa, und wer ihn nicht durch „Asadora!“ oder die „20th Century Boys“ kennt, dem kommt das Ganze womöglich weniger bedeutsam vor.
Canifflig einen an der Klatsche
Metaebene nennt man das wohl: „Texas Kid, mein Bruder“ ist ein Comic über Comics und ihre Zeichner, zugleich aber auch ein Vater-Sohn-Drama. In dem sich der Sohn mit seinem Übervater quält, der als berühmter Zeichner den Held „Texas Kid“ erschuf. Und dann: Mieser Vater, hat den Sohn nie lieb, ist immer streng, und plötzlich wird Texas Kid real und verdrängt den Sohn, kritisiert dessen mediokre Schöpfungen und Zeichnungen, kann alles viel besser, hmm. Die Story von Darko Macan und Ivan Kordej knarzt arg, hat zwar gelegentlich Momente, aber viel öfter leider nicht. Weil beide zu viel reinrühren: Zuviel Vatergeschichte, zu viel Sohngejammer, und die real gewordene Comicfigur ist weder brutal noch lustig genug, dass man darüber hinwegsehen könnte, dass sie eben erfunden ist. Weshalb der Sohn halt entweder einen an der Klatsche hat oder auf sehr hochgekünstlertem Niveau langatmig vor sich hin leidet. Und weshalb Kordejs canifflige Zeichenorgien den Verhau auch nicht retten können.
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Horror unterm Dach: „Böse Geister“ ist ein schaurig-traurig schöner Abgesang auf die Gebraucht-Comicläden des letzten Jahrhunderts
Okay, das trifft natürlich genau ins Herz: Nicht, weil das Thema „Comic“ im Comic auftaucht, das gibt’s ja öfter. Sondern weil’s auch noch sanft gruselig ist und nostalgisch und alles. Verantwortlich dafür ist der große, extrem zuverlässige Szenarist Peer Meter. „Böse Geister“ heißt dieses kleine Juwel aus dem Jahre 2013, illustriert von Gerda Raidt.
Staubiges Comic-Paradies
Die Story ist eigentlich simpel: Harry Wehrmann, ein Mann um die 60, kommt zurück in seine Heimatstadt, weil das Stadtviertel, in dem er aufgewachsen ist, abgerissen werden soll. Die Häuser sind schon geräumt, auch das, vor dem er stehen bleibt. Es ist das Haus, in dem er als Kind gewohnt hat. Ein kleines Ladengebäude, oben Wohnungen, unten ein Geschäft mit einem Schaufenster, drüber steht „Geffes Bücher-Börse – Ankauf – Verkauf – Tausch“. Und ruckzuck ist der alte Mann wieder in seiner Vergangenheit.
In dieser Vergangenheit ist er zehn oder zwölf, er mag Gruselcomics, und im anderen Zeitschriftenladen mault ihn die Verkäuferin an, weil er nicht alt genug ist und weil Comics Mist sind und ob seine Eltern davon wissen und, und, und. In der Schule darf man sich mit Comics nicht erwischen lassen, im Unterricht finden sie ohnehin nicht statt. Aber im Laden von Herrn Geffe unten im Haus, da ist das anders. Der fragt nicht blöd. Im Gegenteil, er freut sich, wenn Harry sich freut. Er sagt ihm, wenn neue Hefte angekommen sind, er lässt ihn stöbern, neu angekaufte Groschenromane sortieren und sich zur Belohnung ein paar Comics mitnehmen, die man sich dann im Sessel mit einer Flasche Cola reinschmökert. Doch dann stirbt plötzlich Harrys Vater…
Kontakt zum Totenreich
Eigentlich will ich gar nicht so viel verraten, es reicht die Andeutung, dass Harry versuchen wird, seinen toten Vater mit einer Beschwörung zurückzuholen, die aus den Comics stammt, oder? Viel bezaubernder ist dieses ganze Szenario. Oder kommt es nur mir so vor, weil auch meine Kindheitsgegenden gerade saniert, abgerissen, neugebaut werden? Möglich, vor allem aber mag ich das Thema, weil ich früher auch so ein Geschäft kannte wie das von Herrn Geffe.
Nicht nur eines, sondern mindestens drei. Klein, leicht staubig, es gab gebrauchte Bücher und gebrauchte Comics. Man trat ein und war voll Hoffnung, was es da wohl diesmal zu finden gäbe – zu einem erschwinglichen Taschengeldpreis. Die allermeisten dieser Geschäfte sind heute verschwunden. Plattenläden gibt’s noch ein paar, die sind sogar mit dem Vinyl-Comeback ein bisschen wiederauferstanden, aber Gebrauchtbuch- und Comic-Läden sind weg oder ins Internet abgewandert. Und jüngeren Lesern kann man versichern: Das Netz mag besser organisiert sein, aber analogen Zauber hat es nicht.
Raidts magischer Bleistift
Gerda Raidts Bleistiftzeichnungen tragen viel zur Vermittlung dieses Zaubers bei. Sie funktionieren hervorragend bei Harrys Jugend in den bedrückenden 50ern oder 60ern und genauso gut in dem todgeweihten, schuttstaubigen Abrisshaus. Aber zugleich machen sie Geffes Bücheroase zum gemütlich-entspannten Rückzugsort und Comic-Paradies. Man staunt ein bisschen, dass man von Raidt nicht schon öfter was gesehen hat, sie nutzt Meters Szenario nicht schlechter als Barbara Yelin drei Jahre vorher „Gift“. Aber Serienmord ist vermutlich einfach alterungsunabhängiger als diese kleine, feine NostalComiGrusel-Perle.
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