Fünf Mangas in fünf Minuten (VI): Von übler Abzocke bis zum faszinierenden Erotik-Grusel – der letzte Teil des Manga-Tests deckt nochmal alles ab

Arm dran
Hier war ich echt neugierig: Ich bekam „Berserk“ aus berufenem Munde ans Herz gelegt. Aber letztlich ist's nur eine recht klobige Kreuzung aus Django und „Evil Dead“. Der Held dieser Kreuzung heißt Guts, ist im europäischen Mittelalter in eigener Sache unterwegs (vermutlich Rache) und kämpft gegen Monster und Bösewichte. Der linke Arm fehlt ihm, er kann stattdessen eine schnell schießende Armbrust dranmontieren, außerdem hat er ein Schwert, das länger ist als er selber. Ob da noch was dazukommt? In Band 1 jedenfalls nicht, da laufen die vielen Zweikämpfe so ab, dass Guts erst verprügelt wird und dann mit seinem unhandlichen Schwert zurückdrischt. Hm.
Als heiteres Element gibt's noch einen Elf, aber der übernimmt klassische Mangafunktionen: Er staunt über den Helden, oder er bangt um ihn und sagt: „Oje!“ Bleiben die Monster, die tatsächlich recht einfallsreich sind. Trotzdem: dünne Suppe, wenig Einlage.
Kentaro Miura, Holger Hermann Haupt (Üs.), Berserk - Ultimative Edition, panini manga , 19 Euro
Der Sprücheklopfer

Das ist für mich wirklich schwer gut zu finden. Der skrupellose Superheld Deadpool ist dank seiner schier unbegrenzten Selbstheilungskräfte nicht totzukriegen. Weshalb die Spannung bei seinen Duellen so rasch auf den Nullpunkt sinkt, dass er die Zeit im Comic vorwiegend damit verbringt, Sprüche zu reißen oder mit den Lesern zu sprechen. Gerne bewirbt er dabei auch seinen eigenen Comic oder reißt Filmwitze wie: „Warum explodieren Autos eigentlich immer?“ (was die „Simpsons“ schon vor 30 Jahren beobachtet haben). Letztlich sind auch seine anderen Sprüche selten besser als die des frühen Spider-Man, und um den durfte man wenigstens noch Angst haben.
Aber mit genug Entschlossenheit zum Amüsement kann man sich's natürlich jederzeit schönlesen.
Teure Spielregeln

Sowas: Das ist mal zugleich vertraut und ganz anders! „Pokémon – Die ersten Abenteuer“ fängt mit einer brauchbaren Szene an, erklärt dann, was ein Pokémon ist, und folgt einfach dem jungen Rot, der, naja, Pokémontrainer werden will. Nicht originell, aber immerhin nachvollziehbar, und dann trifft er diesen Professor. Der gibt ihm ein Pokédex. Im Pokédex sammelt man die Infos über die Pokémons, wer alle hat, wird der „ultimative Pokémontrainer“. Und für alle, die's noch nicht begriffen haben, hält Rot 20 Seiten später nochmal das Kästchen groß ins Bild und präzisiert: „Ich habe vor, alle Daten, zu den Hunderten von Pokémon, die es in der Welt gibt, hier einzutragen und ein perfektes Lexikon zu erschaffen“... Moment mal.
Kann's sein, dass das Ding nur deshalb so verständlich ist, weil es nichts anderes ist als die &/*§!-Spielregeln für diese &%$!-Sammelkarten? Etwas, das den Dingern eigentlich gratis beiliegen sollte? Hältste doch im Kopf nicht aus!
Geister machen Lust

Ironie voll off. Auf Null. „Die Nacht hinter dem Dreiecksfenster“ ist extrem originell, wenn auch schwer einzusortieren. Der Geisteraustreiber Hiyakawa entdeckt in einem Buchladen den talentierten Verkäufer Mikado, der Geister viel besser sehen kann als er selbst. Doch Mikado fürchtet sich. Mit Engelszungen und Geld überredet Hiyakawa Mikado, bei ihm mitzuarbeiten. Noch nicht so besonders? Kommt noch.
Zwecks besserer Kooperation müssen beide irgendwie verschmelzen, was sich seltsam geil anfühlt. Hiyakawa genießt diesen angenehmen Nebenaspekt. Mikado ist reichlich irritiert. Das ist sexy und amüsant zugleich, obwohl niemand auch nur ansatzweise nackt ist. Schon mal eine Rarität. Aber es kommt noch besser: die Geisterbegegnungen, die sie haben, sind wirklich spooky. Auf eine clevere Art spooky, so wie das Mädchen ohne Gesicht in „The Ring“. Dazu kaum Soundwords, Zeichnungen im reduzierten Mangastil, also sehr realistisch. Richtig, richtig gut.
Copy and manga

Tja, von wem ist dieser Comic? Von wem ist „Star Wars: Rebels“? Die „redaktionelle Leitung“ hat die Lucasfilm, die „Vorlage“ stammt von der Walt Disney Company, und dann, an dritter Stelle, kommt dann überraschend doch noch der Typ, der den Kram letztlich zeichnen musste: Akira Aoki. Er ist so wichtig, dass man ihm gleich den falschen Vornamen verpasst hat, er heißt nämlich (ab Band 2 auch gedruckt) Mitsuru Aoki. Entsprechend viele Freiheiten hatte er auch: Wer die gleichnamige Anime-Serie sieht, findet den gleichen Start, die gleichen Bilder, die gleichen Kameraeinstellungen. In ein paar Jahren fertigt sowas die KI serienmäßig bei allen Animes auf Knopfdruck. Aber immerhin: Das Lesen spart Zeit. Die DVD verschlingt über fünf Stunden, die drei Mangabände kann man in drei Stunden schaffen.
Akira Aoki (Mitsuru Aoki), Markus Lange (Üs.), Star Wars: Rebels, panini manga, 8,99 Euro
... und damit endet diese Manga-Testreihe.
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„Willkommen in Oddleigh“ erwischt mit Mysteriösem und mildem Grusel einen Traumstart bei Testerin Julia (11). Aber dann klappt nicht alles...

Es wird übersinnlich und britisch: Im Polizeirevier von Oddleigh in der englischen Provinz kriegen Kater-Polizist Sid und seine Chefin, die Ratte Jessie, von Autorin Tor Freeman vorzugsweise fantastische Fälle zugeschustert. Sie finden eine geheimnisvolle Raupensekte, müssen einen wiederauferstandenen Flugsaurier verfolgen oder eine Nacht in einem Spukhaus verbringen. Gerade diese letzte Episode gibt dem Comic eine angenehme, fast schon edgar-wallace-artig altmodische Note. Oder manchmal auch überraschenderweise nicht.
Die angebetete Dörrpflaume
Schon die zweite Episode ist eine ziemlich bissige Religionssatire: Eine Sekte von Raupen betet einen Kokon an, der eines Tages zum Schmetterling werden und „alle vernichten“ wird. Dafür verzichten die Gläubigen auf ihre eigene Metamorphose mit einer recht brachialen Methode: „Wir defibrillieren unsere Hormonsäcke“. Bei der pathetischen Anbetung stellt sich heraus: Der Kokon ist kein Kokon, sondern nur eine Dörrpflaume – weil der echte Kokon irrtümlich in eine Schüssel mit Kuchenteig fiel und mitgebacken wurde. Skurril, sag‘ ich mal. Nicht der Hammerbrüller, aber es wirft doch einige recht erwachsene Fragen auf, und da frag ich mich schon, was Julia wohl davon hält.
Zunächst: Julia mag das Episodenhafte. Bisher findet sie verschiedene kürzere Geschichten angenehmer als eine längere. Und die Sache mit der Nacht im Spukschloss ist für sie sogar die beste Episode von allen: Die Aufgaben, die die beiden bewältigen müssen – das Rätsel der Krähe lösen oder das wimmernde Wiesel trösten. Aber die Sache mit den Raupen ist ein schwerer Tiefschlag. Was wollen die überhaupt? Wieso wollen die keine Schmetterlinge sein? Was ist „defibrillieren“? Und nicht mal das mit der Dörrpflaume bringt einen Lacher. Die ganze Story lässt Julia erkennbar ratlos zurück – und untergräbt die Unterhaltungsautorität von Sid und Jessie.
„...wie ein bekloppter Stegosaurus“
Dabei haben die beiden eindeutig Unterhaltungswert: Julia löst im Extrateil hinten das Kreuzwörträtsel, sie kichert, als sie den Drohbrief an Popstar Flynn vorliest: „Du Blödian. Du kaust wie ein bekloppter Stegosaurus.“ Und sie mag auch den Limerick über Joe, der sich auf sein Gebiss setzt. Und trotzdem: Die Sympathie scheint weg zu sein.
Die beste (weil lustigste) Stelle: Wie der böse Geist wegen dem drohenden Sonnenaufgang kopfüber in sein Bild zurückspringt - und deshalb so im Bild bleiben muss, dass man immer nur die Unterhose sieht.
Die niedlichste Stelle:
Wie Jessie sich ganz süß bei Sid bedankt
Tor Freeman, Matthias Wieland (Üs.), Willkommen in Oddleigh, Reprodukt, 18 Euro
Julias Entscheidung

„Willkommen in Oddleigh“ ist kein Kandidat für die Tabellenspitze. Also fangen wir von unten an: Vorbei an „Superglitzer“, auch „Karl der Kleine“ wird überholt, der Knackpunkt ist wieder „Boris, Babette“. Die Geisterhaus-Geschichte war offenbar besser, aber die Raupen wiederum sehr deutlich verwirrender. Wie soll man das dann abschließend bewerten?
1. Alldine & die Weltraumpiraten
2. Zack!
3. Boris, Babette und lauter Skelette
4. Willkommen in Oddleigh
5. Karl der Kleine: Printenherz
6. Superglitzer
... wird natürlich fortgesetzt
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Ein junger Mieter in einem bizarren Haus: Daniel Hulets „L'état morbide“ kriegt nach 30 Jahren eine Neuauflage. Besteht die Gruseltrilogie den "Test of time"?

Es hat was Bestätigendes: Der Splitter-Verlag hat die drei Bände von „L’état Morbide“ wieder ausgegraben. Dahinter verbirgt sich eine Grusel-Serie des 2011 verstorbenen Belgiers Daniel Hulet, deren ersten Teil ich so um 1990 in die Finger bekam und ziemlich gut fand - aber, wie die Neuauflage zeigt, eben nicht nur ich. Schön!
Die Story: Der junge Comic-Zeichner Charles Haegeman zieht in ein merkwürdiges altes Haus mit seltsamen Mietern, die Atmosphäre ähnelte sehr der in „Rosemarys Baby“, wenn auch das Haus etwas moderner wirkt. Und das Ganze endete auch nicht sauber aufgeräumt, sondern mit einer gruselig-verwirrenden Schlusspointe, nach der man sich die Teile zwei und drei kaum noch vorstellen konnte.
Diese Teile fand ich aber lange nicht.
Das heißt: Teil drei schon, irgendwann mal in einer Ramschkiste. Aber den hab ich nie genauer angesehen, weil ich ja Teil zwei noch nicht hatte. Jetzt also gibt’s bei Splitter alle drei auf einmal. Und ich erfahre endlich wie’s ausgeht!
Der Anfang: beunruhigend gut
Aber irgendwie ist diese Begegnung mit der Vergangenheit ziemlich zwiespältig. Anfangs ist noch alles im grünen Bereich. Hulet lässt Charles das alte Haus mit der eigenwillig modernen Fassade entdecken (das es übrigens tatsächlich gibt, am Boulevard d’Ypres 34 in Brüssel). Hulet hat es in ein anderes Viertel versetzt, zeigt es an einem düsteren blaugrüngrauen Nachmittag, und das Bewerbungsgespräch bei der Hausverwalterin mit ihren Katzen, der Gang durch die finstere Bude, das alles funktioniert heute schon immer noch so bedrückend gut, wie ich es in Erinnerung habe.

Aber schon beim Besuch von Charles‘ Freundin zeigen sich erste Mängel, die sich garnicht mehr so mit meiner Erinnerung decken: Der Dialog ist arg mau. Da reden nicht zwei miteinander, sondern halten sich Vorträge. Die Sprechblasen sind gigantisch und randvoll gestopft, weil sich die beiden ständig alles erklären müssen – und trotzdem leuchtet nicht ein, warum Charles in ein derart ungemütliches Haus zieht und die Freundin mit ihm in einem Zimmer schläft, in dem die Kakerlaken aus der Wand kommen. Viel stärker als das Gelaber wirken Hulets Bilder, die Unbehaglichkeit des Zimmers und immer wieder der Blick auf die Hausfassade mit der großen, stehengebliebenen Uhr.
Ab hier versinkt Charles zunehmend in diesem düsteren Haus, es hätte genügt, das alles zu zeigen – aber stattdessen denkt er endlose Selbstgespräche und liest dann auch noch das Tagebuch eines geheimnisvollen Selbstmörders vor. Wir erfahren Mysteriöses aus der Brüsseler Vergangenheit, aber es wirkt nicht so aberwitzig wie William Gulls London-Führung in Alan Moores „From Hell“, sondern ziemlich geschwätzig. Als auch noch Charles‘ Kumpels dazukommen, wird wieder im XXXL-Format geschwafelt. Doch wegen dreier nach wie vor sehr überzeugend funktionierender Elemente breche ich den nostalgischen Horror-Trip nicht vorzeitig ab.
Manches floppt: drei Elemente bleiben wirksam
Element Nummer eins ist das Entdecken des Hauses von innen: Die alten Wohnungen in schwarzgrünlicher Finsternis, das Forschen nach den anderen Mietern ist schön spooky, vor allem auch deshalb, weil hier alle einfach mal die Klappe halten und Hulet stattdessen die Augen des Lesers im verunsichernden Halbdunkel unkommentiert herumführt.
Element Nummer Zwei ist die Bild-Aufteilung. Es gibt auf den kompletten 140 Seiten praktisch kein einziges rechtwinklig angelegtes Panel, permanent wechselt der Ausschnitt, jede Doppelseite ist zersplittert wie ein heruntergefallener Spiegel, der noch dazu sehr unorthodox zerbrochen ist. Und der permanente Zwang, sich neu orientieren zu müssen, unterstützt tatsächlich das Unheimliche der Geschichte.
Element drei ist natürlich die Neugier auf Band zwei.
Das Unerklärliche bekommt eine Erklärung
Der wechselt etwas die Richtung: Hulet liefert einen Verantwortlichen für die Vorgänge im Haus, der weiterhin sein Unwesen treibt. Hulet fallen dazu auch viele einschüchternde Momente und Varianten ein. Leider bestätigt sich auch diesmal, dass die Ungewissheit vorher erschreckender war. Was Hulet wiederum zwingt, in Teil drei immer mehr fantastische Elemente aufzufahren, und das alles wird wieder gründlich erklärt und ist nur noch sehr, sehr mittelgut. Schade.
Aber ein guter Anfang ist besser als nix. Und wer bei Dialogen nicht so empfindlich ist wie ich, hat vermutlich nicht nur mit dem ersten Band auch heute noch seine dunkle Freude.