Zweimal werden wir noch wach, dann ist Gratis-Manga-Tach: 30 Titel gibt's am Samstag zu entdecken. Falsch machen geht nicht, trotzdem: fünf Tipps
Heute wieder: Comics umsonzt. Diesmal: Mangas. Und wo ist der Haken? Nirgends, denn anders als Google und Android, die fürs vorgeblich kostenlose Gucken Ihre Daten wollen, möchten die Manga-Verlage nur Ihre unbeobachtete Aufmerksamkeit. 30 Titel gibt es beim Gratis Manga Day am Samstag, 21. September, thematisch quer durch den Gemüsegarten. Nicht komplett, aber doch so viele Kapitel, dass man entspannt beurteilen kann, ob Weiterlesen lohnt. Und im Manga gilt ja eh mehr denn je: Geschmackssache. Weil von zuckrig bis zombig für jeden was dabei ist.
Wo’s die Titel in Ihrer Nähe gibt, finden Sie hier. Und wenn Sie Ihren Wunschmanga nicht kriegen, schauen Sie einfach in einen anderen. Denn gerade beim Manga kann jederzeit hinter einem trashigen Titel ein cleveres Konzept stecken – und umgekehrt.
Bauherrenmodell
„The Strange House” von Uketsu arbeitet zwar mit der Brechstange, die ist allerdings recht originell. Ein Mann will ein Haus kaufen und stößt beim Studieren des Grundrisses auf einen nicht zugänglichen Raum. Warum er dazu eine Okkultismusfachfrau befragen muss, weiß ich nicht, aber die wiederum fragt einen Architekten, und wie die beiden (zusammen mit dem miträtselnden Leser) nur anhand des Grundrisses auf seeehr Wunderliches stoßen, das ist ausgesprochen unterhaltsam. Und so einleuchtend illustriert wie man es in Kunst- und Architekturführern gerne öfter sähe.
Uketsu (Text), Kyo Ayano (Zeichnungen), Claudia Peter (Üs.), The Strange House, panini manga
Monströser Putztrupp
Tipp zwei ist thematisch eindeutig japanische Kernkompetenz – Monster. „Kaiju No. 8“ widmet sich dabei der Frage nach dem danach: Wenn man eines der „Kaiju“ genannten Ungetüme umgelegt hat, muss man ja die stadtteilgroßen Kadaver irgendwie loswerden. Kafka Hibino ist einer derjenigen, die sich dann darum kümmern müssen: Er wäre lieber Monsterjäger geworden, landete aber in der Putztruppe. Ergebnis: actiongeladene Monsterkämpfe, aber auch derbe „Iiih, Monsterkacke!“- und „Iih, Monsterhirn“-Gags. Naoya Matsumotos Gruselsplattercomedy ist ansehnlich, wenn auch reichlich over the top. Seltsamerweise kommt niemand auf die Idee, die gigantischen Fleischmengen einfach zu essen und so die Fischfang- oder Fleischindustrie zu entlasten (den Manga zum Thema Monsteressen finden Sie hier). Aber Monsterfleisch ist wahrscheinlich auch irgendwie „iiih!“
Brachial mit Bauchfett
„Sakamoto Days“ bietet Actioncomedy mit einem sehr soliden Action-Anteil, dafür Humor mit der Abrissbirne: Sakamoto war der beste Auftragskiller der Unterwelt, dann verliebte sich und wurde ein dicker Supermarktbesitzer. Tja. Das war’s. Das ist tatsächlich der gesamte Humoranteil: Der Killer ist dick und grauhaarig. Aber trotzdem noch gut. Was die Sache nicht lustiger macht, aber die Actionsequenzen sehr unterhaltsam.
Yuto Suzuki, Martin Gericke (Üs.) Sakamoto Days, Carlsen Manga
Unerhört
Achtung, Zuckerschock: Klavierschülerin Saki trifft in „Der Mond in einer Regennacht“ eine geheimnisvolle Fremde, die bald darauf neben ihr in der Klasse sitzt. Saki soll sich ein wenig ihrer annehmen, denn die Neue ist – hörbehindert! Tja: „Was für ein cooles Mädchen, aber … warum zieht sie sich so jungenhaft an und hat gleichzeitig so wunderschöne lange Haare?“ So brachial wird da herumgeseufzt, aber diesmal sag‘ ich okay, weil dafür recht sanft und sachkundig über Hörbehinderungen erzählt wird. Den Zuckeranteil hätte man trotzdem ruhig etwas reduzieren können…
Kuzushiro, Dorothea Überall (Üs.), Der Mond in einer Regennacht, Egmont Manga
Baby an Bord
Oh, eine kleine Perle: „My Girlfriend’s Child“. Sachi ist verträumt und mag ihre Katze, und sie ist mit dem sehr fürsorglichen Takara zusammen, und dann wird sie schwanger! Warum ist das ziemlich gut? Weil ganz wenig gesagt wird, viel gezeigt und der häufige Manga-Holzhammer in der Werkzeugkiste bleibt. Es wird über Sex und Kondome geredet, über Penisgrößen und Schwangerschaftstests, und all das könnte viel, viel schlimmer sein, ist aber sehr einfühlsam. Ein bisschen Dr. Sommer als Comic.
Mamoru Aoi, Nana Umino (Üs.), My Girlfriend’s Child, Carlsen Manga
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Die Outtakes (18): Ein kauziger Monster-Entdecker, ein lausiger Einparker und ein kulturreiches Katzenversteck
Halbwitzig, aber harmlos
Auauau, das wird nichts mehr mit dem Bruno Duhamel und mir. Warum? Weil Duhamel gerne mal ernste Themen behandeln will, sie sich aber so rohrzangenhaft zurechtquetscht, dass alles zu spät ist. Im letzten Band „Niemals“ eiferte er den „Alten Knackern“ nach, erfand aber eine toughe Oma, die zwar auch noch blind sein musste, aber wundersamer Weise so gut mit allem zurechtkam, dass man die Story genauso gut einer sehenden Sportskanone hätte zuschreiben können. „Erstkontakt“ soll jetzt offenbar medienkritisch werden. Ein Alien/Loch-Ness Monster wird von einem verschrobenen Fotokünstler abgelichtet. Dass er verschroben ist, merkt man daran, dass er seine Bilder am liebsten nicht zeigt. Dass Duhamel seine Figuren egal sind, merkt man daran, dass ausgerechnet dieser Künstler seine Bilder erst ins Netz stellt (!) und sich dann über die Resonanz beschwert (!!). Da hab ich dann auch keine Lust mehr weiterzulesen. Aber wenn Sie an Comics das störungsfreie Dahinplätschern im harmlosesten frankobelgischen Halbwitzigstil mögen: Greifen Sie zu.
Munter mit kleinen Macken
Okay: Das hier ist schon irgendwie ein Outtake und gleichzeitig auch wieder keiner. Keiner, weil: Maurizio Onano eine muntere schwule Erzählweise jenseits von Ralf König gefunden hat: Eine Art Dauerseufzen, das aber den/die Fehler weniger bei anderen sucht und dafür mehr bei den eigenen Macken verortet. Das ist schon recht lustig, keine Frage. Und das nicht nur, wenn zwei lästernde Frauen Onanos Helden Fabian beim Einparken zusehen. Zum Outtake wird's, weil Nichtschwule nicht ganz so könig-lich einfach andocken können: die Probleme sind ein bisschen speziell, und die immer leicht melancholisch-resignative Grundhaltung könnte man auch mit einem „Deine Sorgen möchte ich mal haben“ abtun.
Was ja genau der eigentliche Witz ist - oder eben nicht.
Maunz-Overkill
Was predige ich immer und immer wieder? Genau, folgen Sie dem Autor. Wenn Sie das bei Taiyo Matsumoto gemacht haben, sind Sie schon auf die liebenswerten Brutalokinder von „Tekkon Kinkreet“ gestoßen, auf die hemmungslosen Waisen von „Sunny“ und das Tischtennis-Drama „Ping Pong“. Aber „Die Katzen des Louvre“, da weiß ich echt nicht. Es geht um Katzen, die Phantom-der-Oper-haft heimlich im Louvre wohnen, gelegentlich halbmenschenkinderform annehmen (wenn sie unter sich sind), manchmal in die Bilder hineinspringen… Ja, schon klar, das hat manchmal poetische Momente, aber insgesamt wirkt der Sud aus Kinder, Katzen, Kunst, Eiffelturm, Magie wie ein Fegefeuer der Niedlichkeiten, bei dem man die zärtlichen Vampire vergessen hat. Wobei: vielleicht ist der maunzige Reiz-Overkill für Andere ja genau das Richtige.
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Keine deutsche Comic-Künstlerin traut sich so viel wie Olivia Vieweg. Jetzt veröffentlicht die Jenaerin mit „Fangirl Fantasy“ endlich neuen Lesestoff
Es gibt was Neues von Deutschland bedenkenlosester Comic-Künstlerin, und wenn Sie jetzt fragen, ob das eine gute Nachricht ist: Ja, eindeutig, denn es sollte viel mehr Comics geben wie die von Olivia Vieweg. Die 36-Jährige ist eine absolute Ausnahmeerscheinung, und selten wurde das so deutlich wie bei der Sonderausstellung, die man ihr auf dem Erlanger Comic-Salon gewidmet hat. Übrigens gerade weil mancher da berechtigt fragen konnte: „Was is’n an der ihrem Zeug so toll?“
Kleiner Aufwand, große Wirkung
Da geht’s schon mal los: Optisch ist das eigentlich echt nicht besonders. Vieweg zeichnet bunt, lebendig, aber im Grunde ist es das schon. Vieweg zeichnet nach Bedarf, oft gerade das Nötigste, um ihre Geschichte zu erzählen. Deshalb gibt es auch wenig bis nichts, was man sich als Original ins Zimmer hängen möchte, und nicht wenige haben hinter vorgehaltener Hand gemosert, das sei ja eigentlich keine große Bildkunst. Stimmt, aber dennoch sind es große Comics. Weil bei der Jenaerin die Geschichte alles ist. Dabei bringt sie auch noch das Kunststück fertig, sehr deutsch und undeutsch zugleich zu sein.
Deutsch sind ihre Locations und ihre Vorliebe für die Provinz. Vieweg verstreut ihre Geschichten wie die ARD ihre Krimis, sie spielen an der Nordsee, in einer Kleinstadt, in der deutschen Zukunft oder in Halle an der Saale. Undeutscher sind da schon ihre Themen: Vieweg hat eine Version von Mark Twains Huckleberry Finn gebastelt, eine Liebesgeschichte zwischen einem sehr jungen Mädchen und einem Kutterkapitän, eine Zombie-Apokalypse und einen Rachethriller. Noch undeutscher ist ihr Zeichenstil: zu schlicht, naiv, unvollkommen für ein Land, in dem die Leser bei fehlendem Fotorealismus besonders schnell vermuten, die Künstlerin könne gar nicht zeichnen. Doch am undeutschesten ist Viewegs Entschlossenheit zur unterhaltsamen Geschichte.
Hollywood-Härte in der Provinz
Ihre meist leise beginnenden Erzählungen verführen mit sympathischen Charakteren und stets sehr unterhaltsamen Dialogen. Aber dann dreht sie auf und die Geschichte nimmt meist eine Wendung, die so brachial ist, dass einem der Mund offen bleibt. Weil in deutschen Romanen oder gerade auch im Fernsehen kaum einer so hinlangt wie sie; weil man findet, dass solche Wendungen nur was für Hollywood sind, also fürs richtige, weltweite, große Kino. Man kann sagen: Die Wandlung von Glenn Close in der „Verhängnisvollen Affäre“, DAS wäre ein typischer Vieweg-Twist.
„Antoinette kehrt zurück“ etwa: Eine Top-Werbemanagerin aus L.A., die sich einen Filmstar geangelt hat, besucht wieder ihre deutsche Heimat, wo die Erinnerungen an ihre zermobbte Jugend sie überwältigen. Und dann macht Antoinette – nein, das darf man nicht verraten. Oder: Heidi ist zwölf, und jedesmal steht sie am Kai, wenn der Fischkutter „Seewolf“ in den Hafen einläuft. Die Crew lädt sie ein bisschen spöttisch zum Essen in die Kombüse, wo aus Heidi plötzlich die technischen Details des Kutters purzeln: Motorleistung, Fangquote, Baujahr, alles. Weshalb Heidi von der Crew einen Gutschein für eine Fahrt ins Blaue bekommt. Doch die Fahrt wird nicht stattfinden, denn – nein, das kann ich jetzt nicht schreiben. Und wie in die thüringische Zombie-Einöde plötzlich die Giraffen reinkommen, natürlich auch nicht.
Star Trek, Cartoons und Katzenkram
Woher dieser Mut? Vermutlich daher, dass Vieweg nicht wartet, bis ihr jemand Fördermittel oder Werbeaufträge gibt. Vieweg macht Cartoonbücher mit dicken Katzen, sie verkauft Katzen-Kalender, sie macht Bücher über „Star Trek“, illustriert ärztliche Ratgeber, Mainstreamthemen lösen bei ihr überhaupt keine Berührungsängste aus. Ich meine: Welche namhafte deutsche Comic-Autorin würde sonst für die YouTuberinnen VictoriaSarina die ziemlich schaurig klingende „Rosenhof“-Reihe illustrieren? Die Hörbuchfassungen erstellen? Und wenn Olivia Vieweg das macht: Wie schlimm kann es dann noch sein? Zumal sie selbst 2014 mit „Bin ich blöd, oder was?“ einen pfiffig durchillustrierten und ausgesprochen unterhaltsamen Mädchenroman rausgehauen hat, genregerecht als Schneiderbuch, trashy gestylt, aber tatsächlich garnicht trashy, sondern voll smashy, sowas von!
Das einzige, was Olivia Vieweg nicht sooo gut kann, sind Cartoons. Autobiografisch hingeschmunzelte Bände wie „Zu Erlangen musst du ein Buch machen“ oder „Hingeschlunzt“ überzeugen nicht, weil sie sich nur lesen wie das Gespräch mit einer guten Freundin am Telefon. Also eher was für kostenlos bei Youtube oder aufm persönlichen Tageblog oder so. Humor auf ein Kracherpanel runterdestillieren gelingt ihr eher nicht, sobald sie mehr Platz hat (wie in ihren Tagesspiegel-Strips „Augenfutter“), liest sich’s sofort viel launig-lockerer. Bislang, kann aber alles noch kommen. 36 ist ja kein Alter. Und jetzt: „Fangirl Fantasy“.
Auf die Kundschaft zugeschnitten
Das ist Viewegs neuester Streich, vielleicht sogar ihr bislang persönlichster: Drei Fangirls entführen einen Filmstar, der sich von seinen Kommerzfilmen ins ernste Fach verabschieden will. Sie wollen, dass er für sie ihre Fanfiction-Fantasien nachspielt. Klingt etwas nach „Misery“ und funktioniert leider nur so mittelgut, unter anderem auch, weil den Entführerinnen Annies brutale Entschlossenheit fehlt. Was man Vieweg nur halb verübeln kann, weil sie selbst bekennendes Fangirl ist. Der Schluss liegt nahe, dass sie sich da ein wenig im Weg stand – aber vielleicht ist’s auch genau anders herum: Eben weil Vieweg weiß, wie man einen Markt professionell bedient, liefert sie ein versöhnliches Drama, das sie genau auf sich – und damit ihre Kundschaft zugeschnitten hat. Zu der gehöre ich diesmal nicht, aber nächstes Mal bestimmt wieder!
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