- 29. Dez. 2024
Fabelhafte Flammenwerfer gegen Stukas und Spitfires: „Kriege & Drachen“ ist die feuerspuckende Eierwollmilchsau des Action-Comics

Gelegentlich hätte ich selber gern, dass mal alles wieder wie früher ist. Dass Comics auch mal faszinierende Zauberwelten sind, für die man sein Hirn eben nicht explizit ausschalten muss. Ums in Bildern der Vergangenheit zu sagen: Dass ein „Silberpfeil“-Comic so geil ist wie das Cover und nicht so scheißbillig wie der reale Inhalt. Aber weil ich keine elf mehr bin, widerstehe ich tapfer dem Coverblendwerk. Ein Ritter, ein Cowboy, ein Raumschiff, jajaja, alles schon mal gesehen. Aber dann kommt das Cover von „Kriege & Drachen“.
Der komplette Reiz-Overkill
Sowas kann man sich eigentlich nicht ausdenken: Dutzende Jagdmaschinen aus der Luftschlacht um England, Spitfires, Messerschmitts, schießen vor einem sonnendurchglühten Himmel völlig sinnwidrig, aber sehenswert aufeinander zu, und mittendrin: ein gigantischer Drache! Und diesen von keinerlei gesundem Menschenverstand getrübten Reiz-Overkill aus Fantasy, Action, Kriegsfilm musste ich dann doch unbedingt aufklappen.

Die Story ist Quatsch, ja, aber immerhin schamloser Quatsch: In dieser Version des Zweiten Weltkriegs mischen eben Drachen mit, auf beiden Seiten, gute Drachen, böse Drachen, bumsti, ist halt so. Der Vorteil des Blödsinns: Keine Wendung kann jetzt noch irgendeinen Rest Sinn zerstören. Eine Familienschmonzette muss noch mit rein, Vater ist Pilot, Sohn auch, der kleine Skywalker, Mönsch. Die Tochter hat eine innere Bindung zu einem Drachen und kann ihn dann auf einmal mental lenken, und geht dann in die Drachenlenkungsschule bei einem alten Jediritter, nein, falsch: Leuchtturmwärter, blablabla, alles komplett egal, wenn wenigstens die Bilder geil sind! Und da nutzt der Band seine Chancen.
Bilderorgien im Supersize-Format
Schon auf der dritten Seite wird der Flugunterricht von Vater und Sohn unterbrochen, Zeichner Vax platziert einen gigantischen Drachen in einem Wolkenwirbel, der die Jagdmaschine förmlich durch die Luft quirlt. Ein sagenhaftes Splash, noch sagenhafter, weil der Band Übergröße hat, zwei Zentimeter höher, einen Zentimeter breiter als der Albumstandard. Und so dient der hanebüchene Bullshit dazwischen immer wieder als erzählerische Startrampe für hemmungslose Bilderorgien.

Gigantischer Drache trifft kleines Mädchen. Gigantischer Drache rauscht ins gigantische gläserne Gewächshaus, KlaWUMMSTIBIRST. Luftkämpfe in bester „Buck Danny“-Manier, und dann platzen aus dem Nichts zwei Nazi-Drachen mit vollem Feuerstrahl in die Jägerschwadron, das ist optisch das reinste Komasaufen. Man kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus, und die Logik hat Ferien.
Die Logik macht mal Urlaub
Wen juckt es da, wenn ein Drache ein Frachtschiff per Feuerstrahl ruckzuck versenkt (wo wir doch aus den Nachrichten Frachter kennen, denen man über Tage beim Brennen zusieht)? Vax und Szenarist Nicolas Jarry verlegen den Brand dafür malerisch in die Nacht, schaurig schön. Tochter und Kleinstbruder springen über Bord, treiben aber am nächsten Morgen wundersamer Weise in einem Rettungsboot, scheißdrauf! Die nächste Seite: zwei Drachen zerfetzen sich gegenseitig, wahnwitzige Meeresdrachen ermöglichen tolle Unterwasserszenen, und den Abschluss bildet eine grandiose Seeluftwasserschlacht mit allen Beteiligten, explodierende Flugzeuge, abgetrennte Drachenköpfe (krallentechnisch eigentlich kaum möglich, was soll’s?), was für ein himmelschreiend grotesk unterhaltsamer Rundum-Krawall!

Was soll man sagen? Die Welt ist derzeit sehr kompliziert und nicht immer erfreulich, und im neuen Jahr wird das garantiert nicht besser. Aber dieser heillose Drachenunfug beschert ein bis zwei Stunden lang ein feinstaubfreies Comicfeuerwerk, das sämtliche Vernunftsynapsen zuverlässiger betäubt als jede Silvesterbowle. Und das dazu noch: vollkommen katerfrei.
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- 26. Dez. 2024
Die Outtakes (23): Ein Cowboy beschafft Bier, eine Hamburger Jüdin ermittelt und die tödliche Parker-Truppe kriegt ein Comeback

Mildes Schmunzeln
Das (erstaunlich kaffeelose) Comic-Café weht mir den neuen „Lucky Luke“ ins Haus: Aber Band 102, „Letzte Runde für die Daltons“, bestätigt den Eindruck, dass derzeit vom Comic-Cowboy nicht zu viel zu erwarten ist. Aufgegriffen wird der Aspekt deutscher Einwanderer in den USA (Trump-Witz inklusive): Einer Stadt fehlt das Bier, eine andere soll es liefern, dort wird aber gestreikt. Das Ganze hangelt sich an Deutschlandklischees (Bier, Sauerkraut, Ampeln) entlang, wobei Texter Jul und Zeichner Achdé unerwartet Nazis weglassen, dafür das Wort „Indianer“ behalten (jedenfalls im Deutschen). Luke ist nicht sehr engagiert, aber immer schön im Bild und irgendwann wieder weg, dann ist die Geschichte aus, dort läuft eine Maus, wer sie fängt, kann sich eine Pelzkappe daraus basteln. Aber zugegeben: Die lose Nummernrevue wirkt weniger verkrampft als die Konkurrenz von „Asterix“, und statt zu gähnen kann man manchmal auch mild schmunzeln.
Zwischen Krimi und Erklärbär

An den Zutaten liegt es nicht: Jens Cornils setzt in „Zeter und Mordio“ die Erinnerungen der Glückel von Hameln als Comic um. Glückel geht im Hamburg des 17. Jahrhunderts dem Verschwinden eines Mitbürgers nach, und weil sowohl der Verschwundene als auch Glückel Juden sind, ist mit Geschichte, Kriminalfall und christlich-jüdischem Zusammenleben eigentlich jede Menge Substanz im Stoff. Aber Cornils trifft einige unglückliche Entscheidungen: Der Stil ist schon mal dermaßen brav gewählt (Cornils kann auch anders!), dass man die Hoffnung auf Klassenbestellungen durch nicht verschreckte Deutsch- und Geschichtslehrkräfte förmlich wittern kann. Ähnlich brav ist die Erzählweise, alles ist derart deutlich wie es der ARD-Vorabendkrimi vormacht. Und ja, Glückel ist Jüdin – aber gerade Juden erzählen sich doch nicht ständig gegenseitig, was es bedeutet, Jude zu sein. „Zeter und Mordio“ orientiert sich streng an deutschen Erzählkonventionen, wechselt daher immer zwischen Krimi und Erklärbär, macht nichts richtig falsch, aber genau deshalb leider auch nichts richtig richtig. Weshalb „Zeter und Mordio“ bei den Outtakes ideal aufgehoben ist.
Moores Mördergörls

Es ist verständlich, dass Terry Moore Tambi, Francine und Katchoo, seine Charaktere aus „Strangers in Paradise“, nicht ruhen lassen mag. „Parker Girls“ ist eine Art Fortsetzung rund um die gleichnamige Mädel-Agententruppe, die in der tränenrührenden Serie für Blutspritzer und Verschwörungen zuständig ist. Gut aussehend, sensibel, bei Bedarf mörderisch brutal – das Material, aus dem Luc Besson „Nikita“ strickte. Aber obwohl Moore mit Freude ans Werk geht, springt der Funke nicht recht über. Den Rachethriller gegen den übermächtigen Tech-Tycoon mit Emotion zu vertiefen fällt Moore erkennbar schwerer als die „Strangers“-Romanze mit sporadischer Brachialität zu würzen. Zumal Leser, die den „Strangers“-Kosmos nicht kennen, wohl nur den halben Spaß haben. Wie Moore die Szenen anlegt und Dialoge führt, wie er Frauen trauen, schauen und hauen lässt, ist allerdings noch immer ausgezeichnet.
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- 22. Dez. 2024
Wie Jerusalem-Experte Vincent Lemire 4000 Jahre Stadtgeschichte in einen Comic-Band packt – und die Deutsch-Israelische Gesellschaft verärgert

Was würde sich besser für Weihnachten eignen als Jerusalem? Stimmt, Bethlehem, aber dazu gibt’s grade keinen Comic. Außerdem hat „Jerusalem“ gerade einen schönen Skandal verursacht, und Streit gehört an Weihnachten ja auch dazu, was will man also mehr?
Mild humorgewürzt
Der Band selbst ist groß, schwer, bunt, erinnert optisch ein wenig an die Comicversion von Hararis Bestsellern. Was bedeutet: Nett gezeichnet (von Christophe Gaultier), kommerziell, keinesfalls herausfordernd, was aber gerade bei Sachcomics stets eine plausible, absolut zulässige Option ist. Autor ist der Historiker Vincent Lemire, der vier Jahre lang das französische Forschungszentrum in Jerusalem leitete, sich auf die Stadt spezialisiert und auch schon einige gut/skandalfrei verkäufliche Bücher zu diesem Thema verfasst hat.

Der Inhalt: 4000 Jahre Stadtgeschichte in zehn Kapiteln, geschildert aus der Perspektive eines langlebigen Ölbaums auf dem Ölberg – was überraschender Weise tatsächlich denkbar ist. Mild humorgewürzt arbeitet Lemire die vier Jahrtausende chronologisch auf, sehr gründlich, sehr detailliert, leicht zugänglich, unterhaltsam – trotzdem ist das Ergebnis nicht unbedingt an einem Tag runterzulesen und damit mehr was für „Über die Feiertage“. Allerdings hat diese Detailtiefe auch Tücken.
Fundgrube für Reliquien
Lemire erzählt viel, oft anhand alter Quellen, Briefe, Dokumente, und diese Anekdotenhaftigkeit hat eindeutig unterhaltsame Vorteile. Die sich inhaltlich jedoch mitunter als Nachteile entpuppen: Sehr oft übernimmt Lemire einfach die Quelleninhalte, ohne Fakten und Legende, Beobachtung und Tatsache deutlich zu unterscheiden. Und, ja: Man könnte denken, Lemire hätte vielleicht einfach dank seines Fachwissens nur Zutreffendes ausgewählt. Aber als dann im 6. Jahrhundert in Jerusalem die Reliquien wundersamer Weise wie Pilze aus dem Boden kommen, sagt er nichts dazu.

Sicher: Der Unsinn des Ganzen lässt sich für jeden Erwachsenen und die meisten Kinder erschließen, aber Lemires Hilfe dazu ist so spärlich, dass bei den folgenden Schilderungen oft nicht sicher ist, ob das jeweilige Mirakel, Massaker oder Memoir zutreffend, erträumt oder übertrieben ist. Zumal gerade im 19. Jahrhundert praktisch jeder, der einen Stift halten konnte, seinen Senf zu der Stadt und ihrem Zustand gegeben zu haben scheint (Melville, Curzon, Chateaubriand, Gogol, Flaubert, Hinz, Kunz). Da habe ich Orientierungshilfen vom Fachmann öfter mal vermisst.
Das irre „Wer war zuerst da?“-Spiel
Trotzdem bleibt einiges hängen: Etwa die Irrsinnigkeit, in diesem jahrtausendealten Brennpunkt ein „Wer war zuerst da?“-Spiel anzufangen. Oder die Erkenntnis, dass es dieser Stadt (und diesem Land) gut tut, wenn jeder sein Ding macht – und schadet, wenn einer oder mehrere die anderen bekämpfen oder gar umbringen. Schon angesichts dessen ist die kürzliche Skandalisierung extrem unangebracht.

Der Comic hätte nämlich Anfang Dezember in Berlin vorgestellt werden sollen. Begleitet von Volker Beck, dem Chef der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Der ließ allerdings dann die Veranstaltung platzen, weil Lemire was angeblich Schlimmes gesagt hat: Dass man nämlich den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Israels Ministerpräsidenten ausführen sollte, wenn Benjamin Netanjahu mal nach Frankreich käme. Eine Meinung, der man sich anschließen kann oder nicht, die jedoch eines mit Sicherheit nicht ist: schlimm. Fürchtet Euch also nicht, jedenfalls weder vor Comic oder Autor, sondern allenfalls davor, dass man nach dieser Lektüre noch die eine oder andere zusätzlich brauchen kann. Ich empfehle ergänzend die nachgerade hinterlustige Comic-Satire „Tunnel“ von Rutu Modan!
Frohes Fest!
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