Komasaufen mit Drachen
Fabelhafte Flammenwerfer gegen Stukas und Spitfires: „Kriege & Drachen“ ist die feuerspuckende Eierwollmilchsau des Action-Comics
Gelegentlich hätte ich selber gern, dass mal alles wieder wie früher ist. Dass Comics auch mal faszinierende Zauberwelten sind, für die man sein Hirn eben nicht explizit ausschalten muss. Ums in Bildern der Vergangenheit zu sagen: Dass ein „Silberpfeil“-Comic so geil ist wie das Cover und nicht so scheißbillig wie der reale Inhalt. Aber weil ich keine elf mehr bin, widerstehe ich tapfer dem Coverblendwerk. Ein Ritter, ein Cowboy, ein Raumschiff, jajaja, alles schon mal gesehen. Aber dann kommt das Cover von „Kriege & Drachen“.
Der komplette Reiz-Overkill
Sowas kann man sich eigentlich nicht ausdenken: Dutzende Jagdmaschinen aus der Luftschlacht um England, Spitfires, Messerschmitts, schießen vor einem sonnendurchglühten Himmel völlig sinnwidrig, aber sehenswert aufeinander zu, und mittendrin: ein gigantischer Drache! Und diesen von keinerlei gesundem Menschenverstand getrübten Reiz-Overkill aus Fantasy, Action, Kriegsfilm musste ich dann doch unbedingt aufklappen.
Die Story ist Quatsch, ja, aber immerhin schamloser Quatsch: In dieser Version des Zweiten Weltkriegs mischen eben Drachen mit, auf beiden Seiten, gute Drachen, böse Drachen, bumsti, ist halt so. Der Vorteil des Blödsinns: Keine Wendung kann jetzt noch irgendeinen Rest Sinn zerstören. Eine Familienschmonzette muss noch mit rein, Vater ist Pilot, Sohn auch, der kleine Skywalker, Mönsch. Die Tochter hat eine innere Bindung zu einem Drachen und kann ihn dann auf einmal mental lenken, und geht dann in die Drachenlenkungsschule bei einem alten Jediritter, nein, falsch: Leuchtturmwärter, blablabla, alles komplett egal, wenn wenigstens die Bilder geil sind! Und da nutzt der Band seine Chancen.
Bilderorgien im Supersize-Format
Schon auf der dritten Seite wird der Flugunterricht von Vater und Sohn unterbrochen, Zeichner Vax platziert einen gigantischen Drachen in einem Wolkenwirbel, der die Jagdmaschine förmlich durch die Luft quirlt. Ein sagenhaftes Splash, noch sagenhafter, weil der Band Übergröße hat, zwei Zentimeter höher, einen Zentimeter breiter als der Albumstandard. Und so dient der hanebüchene Bullshit dazwischen immer wieder als erzählerische Startrampe für hemmungslose Bilderorgien.
Gigantischer Drache trifft kleines Mädchen. Gigantischer Drache rauscht ins gigantische gläserne Gewächshaus, KlaWUMMSTIBIRST. Luftkämpfe in bester „Buck Danny“-Manier, und dann platzen aus dem Nichts zwei Nazi-Drachen mit vollem Feuerstrahl in die Jägerschwadron, das ist optisch das reinste Komasaufen. Man kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus, und die Logik hat Ferien.
Die Logik macht mal Urlaub
Wen juckt es da, wenn ein Drache ein Frachtschiff per Feuerstrahl ruckzuck versenkt (wo wir doch aus den Nachrichten Frachter kennen, denen man über Tage beim Brennen zusieht)? Vax und Szenarist Nicolas Jarry verlegen den Brand dafür malerisch in die Nacht, schaurig schön. Tochter und Kleinstbruder springen über Bord, treiben aber am nächsten Morgen wundersamer Weise in einem Rettungsboot, scheißdrauf! Die nächste Seite: zwei Drachen zerfetzen sich gegenseitig, wahnwitzige Meeresdrachen ermöglichen tolle Unterwasserszenen, und den Abschluss bildet eine grandiose Seeluftwasserschlacht mit allen Beteiligten, explodierende Flugzeuge, abgetrennte Drachenköpfe (krallentechnisch eigentlich kaum möglich, was soll’s?), was für ein himmelschreiend grotesk unterhaltsamer Rundum-Krawall!
Was soll man sagen? Die Welt ist derzeit sehr kompliziert und nicht immer erfreulich, und im neuen Jahr wird das garantiert nicht besser. Aber dieser heillose Drachenunfug beschert ein bis zwei Stunden lang ein feinstaubfreies Comicfeuerwerk, das sämtliche Vernunftsynapsen zuverlässiger betäubt als jede Silvesterbowle. Und das dazu noch: vollkommen katerfrei.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier: