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Comicverfuehrer

Die Outtakes (33): Mit 4 ganz legalen Flüchtlingen, 1 zu kurzen Erklärung und 1 Beatle, der starb, bevor alles richtig losging

Illustration: Arne Bellstorf - Reprodukt
Illustration: Arne Bellstorf - Reprodukt

Gestorbener Beatle


Eigentlich ein vielversprechender Ansatz: Arne Bellstorfs „Baby’s in Black“ erzählt die Hamburger Frühgeschichte der Beatles und will der chronologischen Abklapperei durch einen Kniff entgehen. Im Zentrum steht die Liebesgeschichte zweier Nebenfiguren, des frühen Bassisten Stuart Sutcliffe und der Hamburger Fotografin Astrid Kirchherr, der die Beatles (und ihre Fans) nicht nur die ersten professionellen Bandfotos verdanken, sondern auch die Pilzkopf-Frisur. Erzählt wird alles geschmackssicher in existenzialistischem schwarz-weiß, was nebenbei auch illustriert, wie die Band damals ins graue Nachkriegs-Hamburg hineingeknallt sein muss. Die Rechnung ging wohl auch bereits einmal auf: Die Veröffentlichung als Taschenbuch deutet an, dass der Band bei Premiere 2010 ordentlich abschnitt. Dennoch überzeugt er nicht recht. Weil Bellstorf dem eigenen Konzept nicht traut. Statt die tragische Beziehung Kirchherr/Sutcliffe radikal verzaubert ins Zentrum zu stellen, nutzt er sie eher unentschlossen als roten Faden, um dann letztlich doch die ganzen Beatles-Fakten (Ausbeutung, Drogen etc.) abzuklappern. Was man als Nicht-Fan spürt und als Fan noch mehr.



Genehmigte Republikflucht

Illustration: Nils Knoblich - Edition Moderne
Illustration: Nils Knoblich - Edition Moderne

Ein ordentliches Stück Unerträglichkeit, das Nils Knoblich da 2017 auspackte: In „Fortmachen“ erzählt er, wie seine Familie die DDR hinter sich ließ. Das Besondere ist dabei, dass es keine abenteuerliche Fluchtgeschichte gibt: Man konnte die Ausreise beantragen und kriegte sie dann mit etwas Geschick und Geduld auch bewilligt. Wie einen der alles durchdringende Staat bis dahin piesackte, schurigelte, belehrte, bevormundete – und dann auch noch zurückbleibende Familienmitglieder ins Visier nahm, ist schöner Anschauungsunterricht für alle, die meinen, die DDR wäre letztlich irgendwie nichts anderes gewesen als die heutige Bürokratie. Diese Unerträglichkeit im Kleinen ist die eigentliche Neuentdeckung des Bandes und illustriert den Zusammenbruch des Ladens vielleicht besser als manche Klage über einen staatlichen Mauerknast. Allerdings wird sie recht formelhaft serviert, Prinzip: Zeichner zeichnet, wie er seine Eltern befragt – zweifellos sachdienlich, aber nicht sonderlich leseerfreulich.

 

Gestoppte Erklärung

Illustration: Robert Shore/Eva Rossetti - C. H. Beck
Illustration: Robert Shore/Eva Rossetti - C. H. Beck

Nach zwei Kapiteln war ich total angefixt: „Blow Up“ von Robert Shore und Eva Rossetti verspricht eine Geschichte der Modernen Kunst, und tatsächlich hatte ich nach zwei Kapiteln einige Zusammenhänge verstanden und wollte mehr. Warum ist Kunst irgendwann neu, warum wirkt sie zu einem bestimmten Zeitpunkt revolutionär? Aber Pustekuchen: Ab hier erschöpft sich das Duo im Namedropping, im Abhandeln von Ausstellungen, wer bei wem vorbeigeschaut hat, wer wen kennt. Grob gesagt hilft Krethi der Plethine, alle bestätigen sich gegenseitig ihre Wichtigkeit, und der Reiz des Anfangs, der doch im Erklären des jeweils noch nicht Dagewesenen lag, tritt erschütternd schnell in den Hintergrund. Und weil‘s dann auch noch eher lustlos inszeniert und hastig runtergezeichnet wirkt, fängt man an zu blättern, zu überspringen…

 



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  • 25. Okt.

Zum 50. Todestag: Ein Comic macht Lust auf die große Therese Giehse – weil seine Autorin mutig mit den Fakten tanzt

Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt
Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt

Große Barbara Yelin! Das Leben von Therese Giehse hat sie jetzt dargezeichnet, wahnsinnig einfühlsam, mit einem wunderbar passend ausgesuchten Humor, und...bitte? Wer das ist, diese Giehse? Eben, und deshalb hab ich das Thema selber unterschätzt.


Leiderleiderleider


Therese Giehse ist ja tatsächlich schon seit 50 Jahren tot, leiderleiderleider. Ich selber habe sie auch erst in den „Münchner Geschichten“ zu schätzen gelernt, als bodenständige, resolute, skeptische Oma des Hallodris Tscharlie. Und deshalb dachte ich, sie wäre eine Lokalgröße. Also schon groß, aber eben lokal, mehr so nur für München. War falsch.

Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt
Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt

Sie hat sich in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts über praktisch alle Bühnen Deutschlands hochcharaktert, nicht hübsch, nicht schlank, aber sprachbegabt, eigenwillig umwerfend, umwerfend eigenwillig. Und natürlich links. Als die Nazis in die Nähe der Macht kommen, macht sie nebenher auch noch Kabarett, betextet von ihrer damaligen Partnerin Erika Mann. Jüdisch, lesbisch, kein Wunder, dass Giehse 1933 das Land verlässt.


Interpretation statt Schilderung


Sie tingelt durch Europa, arbeitet mit Brecht – aber all das ist es nicht, was den Comic so lesbar macht. Sondern wie Barbara Yelin an die Sache herangeht. Yelin schildert nicht, sie interpretiert – und macht damit eben genau das, was viele sich nicht trauen und sich lieber an Fakten entlanghangeln. Yelin macht's andersrum: Let's face the Fakten and dance.

Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt
Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt

Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt
Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt

Denn Fakten gibt’s genauso im Lexikon, und die Realität kennt eh nur die tote Therese. Man muss also auswählen, werten, und wenn das so ist, dann kann man’s auch gleich richtig machen, mit Mumm. Yelin spendiert sich eine selbstironische Seite, die sie unter Giehsematerial begraben zeigt – und dann legt sie los.


Haltung statt Ähnlichkeit


Superkräftige Farbstriche verbildlichen Giehses entschlossenes Spiel und Leben, manchmal gestützt von ein paar pechschwarzen Linien oder grellweißen Highlights. Yelin streut dazu Zitate ein, knapp, getreu Giehses herzlich-mürrisch-wortkargem Duktus. Sie will Giehse nicht durch Ähnlichkeit näherkommen, sondern durch die Haltung, beim Gehen, Schauen, Tadeln, Grummeln. Und auch wenn die Rolle der Mutter Courage genug Platz bekommt, widmet Yelin einer Anekdote eine ganze Seite...

Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt
Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt

...einer Anekdote, die sie von Schauspielkollegin Ruth Drexel hat: Wie Therese Giehse aus einem leeren Suppenteller ein Gulasch isst. Unterlegt von Giehses knapp gefassten Ansichten, wie man ordentlich schauspielt. Und wer will, kann danach ein paar Fotos von Therese Giehse suchen oder bei Youtube einige Szenen aufrufen und staunen, wie exakt die Yelin diese darstellerische Charakterknödelin erwischt hat.


Wenn der Auftraggeber dem Comic nicht traut


Wermutstropfen gibt’s, aber dafür ist nicht Yelin verantwortlich: Der Band ist eine Auftragsarbeit der Münchner Kammerspiele, die dem Comic dann aber doch nicht genug getraut haben. Die Intendantin musste noch zwei Seiten lang ihren Senf dazu geben, eine Regisseurin drei Seiten breit schwafeln und dann kommt sicherheitshalber auch noch der Comic-Experte der FAZ, der nochmal alles erzählt, was schon im Comic steht. Besser wär's gewesen, man hätte den Platz Barbara Yelin anvertraut.


Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt
Illustration: Barbara Yelin - Reprodukt

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Wie eine Doku über die Deutschen mit und unter den Nazis Illustration und Animation sinnvoll einsetzt

Illustration: Bild: rbb/Vincent Burmeister/astfilm productions/ National Archives - ARD
Illustration: Bild: rbb/Vincent Burmeister/astfilm productions/ National Archives - ARD

Von Mimi von Minz angeregt, hab ich kurz in die ARD Mediathek geguckt, in die Serie „Hitlers Volk“, die hier deshalb reinpasst, weil sie teilanimiert ist, also mit einer Comic/Trickfilm-Optik arbeitet. Ist das nun gut, schlecht, sinnvoll?

Antwort: gut und sinnvoll.

Weil man ja aus vielen Dokus inzwischen die Spielszenen kennt, in denen eine überforderte Regie überforderte Schauspieler überfordert. Ergebnis: Napoleon/Cäsar/Goethe schaut nachdenklich ausm Fenster. „Hitlers Volk“ entgeht dem Dilemma durch schlichte Animation, die den Zuschauer das Schauspielen ergänzen lässt, und zwar genau so, wie er/sie es für richtig hält.

Doppelt erfreulich ist, dass die Serie auch eine gute Erzählperspektive einnimmt: Sie illustriert acht deutsche Tagebücher rund um die NS-Zeit, Aufzeichnungen einer konservativen Frau, eines HJ-Fans, eines deutschen Juden usw. Hier trifft also guter Ansatz auf gute Umsetzung – und das Ergebnis ist so hochwertig, dass einem vom Zuschauen richtig gut schlecht wird.

Oder wie immer man das nennen will. Anschauen!

 


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