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Sand in den Augen

Manuele Fiors „Hypericum“ mixt das alte Ägypten mit dem Berlin der 90er. Ergebnis: Traumhaft, wenn man auf eine Kleinigkeit verzichten kann ...

Illustration: Manuele Fior - avant-verlag

Los geht's schon mal gut: mit der Tut-Anch-Amun-Sache. Manuele Fior erzählt sie in „Hypericum“ aus der Perspektive des Archäologen Howard Carter. In der staubigen, heißen Wüste Ägyptens hat er fast schon aufgegeben, seine Geldgeber glauben nicht mehr an einen Erfolg, dann findet er plötzlich diese Treppe im Sand.


Ungewohnt: Blick aus dem Grab


Die Geschichte ist nicht neu, aber Fior erzählt sie in wundervollen warmen Farben langsam, mit allen Ängsten und Hoffnungen, als Carter die Siegel an den Türen unversehrt vorfindet. Er zeigt den eigentlich unmöglichen Blick aus der Grabkammer, in die durch ein kleines Loch Licht von außen fällt, dann Carters Ehrfurcht, Staunen. Sehr schön.


Illustration: Manuele Fior - avant-verlag

Dann ist da die italienische Ägyptologin Teresa, die im Berlin der späten 90er bei der Organisation einer Tut-Anch-Amun-Ausstellung hilft. Die superkontrollierte junge Frau trifft den Künstler Ruben und taucht mit ihm in diese Stadt voller hochschießender Neubauten und leerstehender Altbauten, voll aufregender Möglichkeiten und aufregendem Sex. Schwer zu sagen, was Fior besser gelingt: Die grandiose Schilderung des wachsenden Berlin, die liebevollen Blicke auf das alte und alternative Berlin, oder seine sensiblen, einfühlsam-anregenden Sexszenen. Toll.


Sind wir alle Metzger? Ist die Welt die Wurst?


Illustration: Manuele Fior - avant-verlag

Aber was nicht da ist, ist: eine Geschichte. Oder, wenn, dann habe ich sie jedenfalls nicht entdeckt. Fior schneidet beides, Ägypten und Berlin, gegeneinander, Carters Entdeckung, Teresas Entdeckung, ja, da kann man natürlich irgendwie eine Parallele ziehen. Aber man muss schon wollen, weil man genauso gut auch sagen kann: So richtig zwingend hängt das nicht zusammen. Und selbst, wenn’s zusammenhängt: Was sagt uns das? Ist jede Stadt irgendwie unter Sand verschüttet? Gräbt jeder irgendwo an irgendwas? Sind wir dann auch alle Metzger und machen aus der Welt unsere Wurst?


Ratlos? Ja. Lustlos? Nein!


Das Erstaunliche ist, dass ich Fior wegen der Storyschlamperei nicht richtig böse sein kann: Ich bleibe ratlos zurück, aber ich habe mich nicht gelangweilt, und wunderbar anzusehen war’s auch. Irgendwie sollte ich vielleicht mal nach Ägypten. Und auf jeden Fall mal wieder nach Berlin!



 


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