- 23. Feb.
Soviel Service gab's hier noch nie: Ein Thema, aber in zwei Geschmacksrichtungen. Einmal typisch deutsch, einmal typisch nordamerikanisch

Gibt es einen deutschen Comic-Geschmack? Ich glaube ja, und oft mag ich ihn nicht. Aber: Grad ist mir ein ein sehr solider, sehr deutscher Comic in die Hände gefallen. Parallel zu einem sehr guten, sehr amerikanischen Comic. Beide sind, grob gesagt, „Frauencomics“. Weshalb man diesmal a) schön die Unterschiede zeigen kann, und b) Sie sich hinterher Ihrem Geschmack entsprechend bedienen können. Willkommen in der Service-Oase Comicverführer.
Comic-Cousinen vs. Katja Klengel
Der deutsche Kandidat ist Katja Klengels „Als ich so alt war“, die Geschichte der Freundschaft zwischen einer jungen und einer alten Frau. Aus Amerika kommt der Titel „Skim“ der Comic-Cousinen Jill und Mariko Tamaki, die Story des erwachsen werdenden Mädchens Kimberly „Skim“ Cameron. In beiden Fällen geht’s also um Alter, älter werden, richtig leben, Glück/Zufriedenheit finden, sowas in der Art. Los geht’s!

„Als ich so alt war“ erschien erstmals 2012 in der FAZ als tägliche Fortsetzung, was man dem Erzählfluss der 2022 zusammengefassten Graphic Novel praktisch nicht anmerkt. Rosalie, die alte Frau, hat vor zwölf Jahren ihren Mann beerdigt und schwankt zwischen Einsamkeit, Verbitterung und Endzeitstimmung. Lilli, ihre Enkelin, steckt in einer mäßigen Beziehung und wird dann bei Oma einziehen, weshalb beide rasch mehr über die Sichtweisen der jeweils anderen erfahren werden.
Tagesstrip mit Graphic-Novel-Reife
„Skim“ (2008) hingegen war vom Beginn an als Graphic Novel konzipiert. Skim ist eine 16-Jährige, deren Tagebuchnotizen im Voice-over die Comic-Story begleiten. Wir erleben ihren Schulalltag, wie sie sich in ihre Lehrerin verliebt, was in einen echten Kuss und beinahe eine Affäre mündet. Man darf also beide Geschichten als „Problemzeug“ einsortieren, oder?

Interessant ist, wie unterschiedlich beide das Ganze angehen. Klengel (die ja zwei Protagonistinnen hat) startet mit der Abschieds-Andacht, nach der Rosalie heimgeht und nachdenklich mit dem Foto des Toten spricht. Und mit Lilli, die zu ihrem Freund heimkommt, der sich blöd benimmt. Ruckzuck ist Klengel mitten in den Konflikten. Und die Tamakis?
Mitten hinein in die Konflikte
Skim hat derzeit gerade einen Gipsarm, erzählt über ihre streitenden Eltern und über die blöde Katie Matthews, die sich (großes Drama!) von ihrem Freund getrennt hat. Wir sehen, dass Skim zwar im Alltag keine große Klappe hat, aber dafür schriftlich sehr sarkastisch kommentiert. Konflikte durch Skims Augen zu sehen, ist ausgesprochen unterhaltsam. Beim Problem sind wir – noch gar nicht.

Klengel entwickelt die Konflikte weiter. Rosalie vergräbt sich, obwohl recht rasch ein charmanter Nachbar auftaucht, der sich nicht entmutigen lässt. Lillis Freund benimmt sich immer blöder, weshalb der bald auftauchende Lion umso normaler wirkt. Skims Welt schlingert währenddessen ins Chaos: Katies Freund hat sich umgebracht. Und plötzlich ist die ganze Schule im Panikmodus.
Verliebt in die Lehrerin
Was Skim recht kopfschüttelnd schildert: Katies Freundinnen starten einen „Ja-zum-Leben“-Club, die Lehrer und Eltern versuchen hektisch herauszufinden, ob womöglich noch mehr Schüler selbstmordgefährdet sind. Skim flieht vor dem Chaos ins nahe Wäldchen, wo die alternative Lehrerin Frau Archer sie beim Rauchen findet und eine Zigarette von ihr schnorrt – es kommt zum aufregend-verstörenden Küsschen.

Handwerklich sind beide Geschichten sehr gut erzählt. Klar ist Jillian Tamaki vielseitiger, versierter, mutiger, Szenaristin Mariko war auch schon Mitte 30, aber Klengels (damals: 24) Bildaufteilung ist ebenfalls weit überdurchschnittlich. Rhythmus, Tempo, Dynamik, da kann man auch bei ihr nicht meckern. Und weder Lillis noch Rosalies Unglücke lassen einen kalt. Aber keine von beiden schleicht sich so ins Herz wie Skim. Woran liegt das?
Drumherum oder Auf-den-Punkt?
Ein bisschen kann man den Grund wohl im Alter sehen: Skim ist jünger als Lilli, unerfahrener, sie kann das, was sie erlebt, mit nichts vergleichen. Was aber auch dazu führt, dass der Leser es fast automatisch für sie einordnet und damit extrem involviert ist. Bei Lilli und Rosalie ist das anders. Die wissen ziemlich genau, was los ist – und sie sprechen es auch oft aus, selbst wenn es eigentlich nicht nötig ist. „Willst du immer nur Sex, wenn ich dir meine Probleme erzähle“, fragt Lilli ihren Doof-Freund, nachdem wir genau das selbst beobachten durften. Rosalie weiß und sagt, dass ihr die Wohnung zu groß wird oder dass sie seit Jahren ihren Mann nicht loslassen kann. Und wenn beide miteinander reden, erörtern sie ernst, innig und explizit ihre Schwierigkeiten.

Verglichen damit wirkt die „Skim“-Lösung eindeutig eleganter. Aber wenn ich den deutschen TV- und Kino-Gepflogenheiten folge: Für ihren anspruchsvollen Mittwochabend würde die ARD wohl Katja Klengel rauspicken. Kann ja sein, dass „Skim“ mehr „Sopranos“-like ist, aber welchen Erfolg hatten die denn in Deutschland? Und was mir zu explizit klingt, ist vielleicht für viele „Tatort“-Liebhaber erfreulich präzise und auf den Punkt gebracht.
Der Vorteil der Un-Präzision
Denn bei Katja Klengel weiß man jederzeit genau, was in den Protagonistinnen vorgeht, weil sie’s einem sagen. Von Skim hingegen erfahren wir, dass ihre Lehrerin meinte, es sei besser, wenn Skim nicht mehr vorbeikäme. Und Skim sagt, dass sie das okay findet. Aber wir sehen, dass es sich für Skim sehr un-okay anfühlt. Skim will reif sein und erwachsen und nicht blöd, und all das erfahren wir, indem uns Skim nicht das Zutreffende mitteilt, sondern das Gegenteil. Der Vorteil der Un-Präzision. So, und mit welcher Graphic Novel fahren Sie jetzt besser? „Tatort“-Freunde mit Frau Klengel? „Soprano“-Fans mit „Skim“? Garantieren kann ich’s nicht. Aber liege ich daneben, machen Sie mit beiden Titeln dennoch nichts falsch.
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- 16. Jan.
Die Outtakes (24): Mit einem emanzipierten Grusel-Praktikum, einer Perle des Militär-Cartoons und einer sehr nachsichtigen KI-Kritik

Es feuchtenbergert
Los geht’s gut: Anfang des letzten/Ende des vorletzten Jahrhunderts beginnt eine Handvoll Studenten ihr Praxissemester – und eine einzelne Studentin. Die einen Job als Instituts-Helferlein kriegt, und zwar bei der Erforschung eines Werwolfs. Ein Superstart für Noëlle Krögers „Meute“: Emanzipations-Setting goes übernatürlich, und dann auch noch diese brachiale Optik. Die Menschen mit feinen Linien waechter-franziskabecker-haft skizziert, die Werwölfe und Wälder mit fetten, entschlossenen Kohlestrichen, oft energisch über den Panelrand hinausgeschmiert, die feuchtenbergergeschulte Masterarbeit hat ordentlich Power. Das Problem ist das Durchhalten. Optisch passt das, inhaltlich wird’s schnell dünn. Kröger will zu viel und kann sich bald nicht mehr entscheiden. Die Werwölfe sollen vom konsumierbaren Gruselelement zum Symbol für alle „Unsichtbaren der Gesellschaft“ werden, dieses Sichtbarmachen will sie diskutieren und auch noch die Rolle der armen Wissenschaftlerin, deren Benachteiligung man daran erkennt, dass sie als Anfängerin eher subalterne Jobs machen darf (was allerdings Anfängern genauso passiert). Kröger verdreht sich durch den Werwolf, die Story verliert bald den Drive: schade. Aber die Power-Panels sind trotzdem echte Hingucker.
Kompetente Truppenbetreuung
Ist das hier nur was für Spezialisten? Einerseits ja, andererseits nein, aber wenn Sie mal günstig drüber stolpern, nehmen Sie „Male Call“ besser mit. Milton Caniff ist eine Comic-Legende, in seinen Serien „Steve Canyon“ (1947-88) und „Terry And The Pirates“ (1934-46) setzte er Maßstäbe in der Kunst, nur mit Schwarz und Weiß Tiefe, Bewegung, Stimmung zu transportieren. Zusätzlich war Caniff ein exzellenter Texter, das Ergebnis waren tägliche Abenteuercomics auf Hollywood-Blockbusterniveau, witzig, spannend, aber auch einfühlsam und dramatisch, mit „Casablanca“-reifen Dialogen. „Male Call“ entwickelte Caniff während des Zweiten Weltkriegs: ein Comic nur für die Truppe(nzeitungen). Weshalb man hier auf engstem Raum (vier Panels pro Strip) nicht nur seine Kunst findet, sondern nebenbei Militär-, Sprach- und Sozialgeschichte. Die Heldin mit soldatengerechter Oberweite ist Miss Lace, die stets seltsam truppennah wohnt, mit Soldaten ausgeht, flirtet und allein entscheidet, ob sie freche Bemerkungen akzeptiert oder schlag-fertig retourniert. Ein Mix der Träume: von der sexy Kameradin zum Pferdestehlen, von ent-sexten Männern, die zugleich übertreiben und doch bei aller Lust die Regeln des Anstands einhalten. Erstaunlich/erfreulich ist, dass der heute kaum mehr denkbare Comic bei allem Verständnis gaff- und knutschwütigen Kerlen auch klarmacht, dass Frauen Avancen ganz anders empfinden könnten. Zudem ist „Male Call“ mit seiner Sympathie für die Untergebenen neben Will Eisners Lehrcomics für Soldaten ein zweiter gelungener Versuch, sich in die Köpfe der Truppe zu versetzen – was deren Gedankenwelt bis heute wiederum besser illustriert als manche Studie. Aber: Miss Laces Abenteuer gibt’s nicht auf deutsch, authentisch sind sie ohnehin nur auf englisch, und um sie günstig zu kaufen, muss man sie stets ein bisschen auf dem Schirm haben. Für die ca. 100 Strips werden derzeit gern 40 oder mehr Euro aufgerufen, ich kam bei Ebay mit etwas Glück mit 15 davon.
Zuviel Rücksicht auf Roboter

KI und die Zukunft des analogen Zeichenberufs – zweifellos gutes Material für Cartoon und Comic. Johannes Lott hat sich im schmalen Bändchen „real human art“ des Themas angenommen, der Erstveröffentlichungs-Plattform Instagram gemäß auf Englisch, und dabei ist es dann auch im Deutschen geblieben (kann man das eigentlich so sagen? Nee, oder? Also: ist in Deutschland gedruckt, aber auf englisch!). Handlung ist stets: der Dialog von Zeichner und Roboter. Was letztlich mit der Pointenqualität steht und fällt. Dafür ist aber Lott leider nicht der Richtige. Denn betrachtet man den Siegeszug des KI-Versprechens „Scheiße, aber gratis“, wäre tiefschwarze Bitterkeit angemessen, Lott hat aber zuviel Verständnis für Mensch und Maschine. Zu wenig Rücksichtslosigkeit macht ihn zwar zu einem sympathischeren Zeichner, aber zu einem schwächeren Satiriker. Schade.
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- 15. Dez. 2024
Es geht auch ohne Superhelden-Realismus à la Neal Adams: Karen Hertfelders Boxromanze „Herzschlag“ überwältigt mit faustdicken Wirkungstreffern

Was für ein erstaunlicher kleiner Comic. Obwohl er gleich zwei Genres mischt, für die ich mich immer ein bisschen überwinden muss. Nämlich Boxcomics. Und LGBTQ. Das ist unfair, ich weiß, es gibt in beiden Genres tolle Geschichten. Aber weil Boxcomics oft einen Hang zur depressiven Abstiegsstory haben, weil bei LGBTQ leicht auch mal jede Menge Toleranzpädagogik mitgeliefert wird, denke ich schnell sowas wie: „Doppelstunde Religion-Erdkunde“, weil: boxende Lesben. Aber: Schnell wäre hier vorschnell.
Zwei weibliche Schränke
Tatsächlich ist „Herzschlag“ von Karen Hertfelder ein verblüffendes Beispiel, wie man aus weniger zugänglichen Zutaten einen Top-Comic zaubern kann. Denn erschwerend kommt hinzu: Hertfelders Zeichnungen sind nicht superverkäuflich. Boxcomics etwa von Reinhard Kleist verführen auch durch kommerzielle, expressive, sehr realistische Optik. Wenn man aber bei Hertfelder reinschaut, sieht man zwei weibliche Schränke, die gerade in den actionreichen Momenten etwas klobig wirken. Zu deutsch: Kleist kommt den Erwartungen auf Anhieb entgegen, Hertfelder weniger. Hertfelder kann aber was anderes auf Anhieb: erzählen.

Die Story ist: der Boxkampf eines lesbischen Liebespaars. Das Tolle ist, dass Hertfelder erkennt, dass sowas nicht automatisch der Brüller ist. Also fädelt sie's anders ein: Es startet als normaler Boxkampf der beiden Schrankfrauen in Runde 1 und schwenkt sofort in die Rückblende. Erst in diesen Rückblenden erzählt sie, dass die beiden Boxerinnen sich a) kennen, b) mögen, c) lieben. Und dadurch wird mit jeder Rückblende der Kampf spannender, weil man mit den beiden Frauen plötzlich mehr und mehr verbindet. Wer wird gewinnen? Kisa, die ältere, verschlossenere, auch verletztlichere? Bonnie, die positivere, gutgelaunte, nahbarere? Alles richtig gemacht, weil: viel, viiiiiel bessere Geschichte.
Mut ersetzt Perfektion
Das klappt auch, weil Hertfelder beiden gute Dialoge gibt, die Eigenheiten und Verhältnis zueinander illustrieren. Und weil sie eine mutige Gestalterin ist: Sie verlässt sich nicht nur darauf, dass man mit wachsendem Interesse an beiden Figuren mehr über anatomisch Unrundes hinwegsieht, sie kommt einem auch entgegen, bläst Panels so überraschend wie entschlossen auf. Ihre Protagonistinnen bekommen immer wieder ganze Seiten. Was Kleist mit realistischer Perfektion erreicht, macht Hertfelder mit gestalterischem Mut. Man kann auch sagen: Sie setzt Wirkungstreffer

Besonders gut: Sie lässt wortlos boxen, weder Denk-noch Sprechblasen erklären das Geschehen. Dass eine Taktik etwa darin besteht, den Gegner heranzuziehen und mit den schweren Handschuhen im Nacken ermüdend nach unten zu pressen, das wird gezeigt, man kann es sich vielleicht erschließen, gesagt wird es nicht. Kluge Entscheidung.

Und eben keineswegs die einzige. Keine der beiden Frauen erzählt mir, wie schwierig ihre Sexualität ist und wie lange sie mit irgendwas gerungen hat: Warum auch, die beiden sind Auseinandersetzungen gewohnt, und als sie sich zum ersten Mal küssen, ist das so rührend wie selbstverständlich. So erhält man auf 60 Seiten statt erzieherischem Lesbensport eine explosive, sensible Actionromanze, noch dazu mit einem schönen Schlusspunkt, ausgerechnet auf dem Cover (links) : Dass man die Boxhandschuhe auch als Herz interpretieren kann, ist mir erst nach dem Lesen aufgefallen, und da wurd’s mir dann im Nachhinein gleich nochmal ganz warm ums Herz. So schööön.
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