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Comicverfuehrer

Mangatest durch Mangaskeptiker (I): Bei den Bestsellern aus Fernost muss man sich oft zum Lesen zwingen - findet aber auch mal mehr als großäugige Niedlichkeit


Wie heißt der Satz? Genau: Immer, wenn eine Industrie viel produziert, entsteht neben jeder Menge Schrott auch was Gutes. Wer hat's gesagt?

Ich selber. Weshalb ich trotz meines ewigen Genöles immer wieder im großen Mangahaufen wühle. Und zwar nicht in den absonderlichen Ecken, sondern bei den Topsellern der Verlage. Hier der erste, kurz gefasste Fünferpack. Die Uhr läuft ab... jetzt!


Die Abrissbirne

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Illustration: Hirohiko Araki - Manga Cult

Diese Aschenputtel-goes-Horror-Nummer enthält so ziemlich alles was mich rasend macht. Die Prämisse geht noch am ehesten: Eine teuflische Maske landet nach Jahrhunderten als scheinbar harmloser Wandschmuck bei einem Reichen. Der Reiche nimmt einen armen Jungen auf, der daraufhin den Sohn des Reichen verdrängen und selbst Lieblingssohn werden will.


Dieser Bruderzwist ist das Zentrum der Story und entfaltet sich mit der Raffinesse einer Abrissbirne. Beispiel: Der Böse tötet den geliebten Hund des Guten, der (geliebt allein reicht nicht) dem Guten natürlich mal das Leben gerettet hat. Der Böse schleimt bei Vati, aber Vati merkt es nicht und behandelt immer den Guten ungerecht. Das Ganze wird dabei so repetitiv breitgetreten, dass man förmlich sieht, wie Hirohiko Araki einem seitenweise die Lebenszeit stiehlt. Die Serie gilt als Klassiker, und vielleicht wird sie sehr viel später noch mal gut: Aber bis dahin halte ich diese Brachialdramaturgie leider nicht aus.


Der Ungewöhnliche

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Illustration: Tatsuki Fujimoto - Egmont Manga

Eine mystische Geschichte: Auf der Schule lernen sich zwei Mangazeichnerinnen kennen, sie haben zusammen Erfolg, trennen sich aber. Eine wird dann an ihrer Kunsthochschule ermordet. Die Überlebende geht zum Haus des Opfers und macht sich Vorwürfe: Die Tote war nämlich sehr schüchtern, und erst die Überlebende hat sie damals aus ihrem Zimmer gelockt, indem sie ihr einen Manga unter der Tür durchschob. Sie findet den Manga wieder und zerreißt ihn. Doch ein Fetzen davon rutscht wieder unter der Tür durch und warnt die Schüchterne in der Vergangenheit. Sie erhält dadurch eine zweite Chance…


Auch mal schön: Ein Manga, der sehr still, sehr geduldig erzählt. Der die Beziehung zwischen den beiden Mädchen vor allem mit Bildern illustriert, nicht mit langen Gesprächen. Und mit einer Story, die fantastisch ist, auch ein bisschen spooky, aber nicht gruselig. Eine eigene, seltene Geschmacksrichtung, sehr überraschend, eindeutig empfehlenswert.



Zurück in die 70er?

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Illustration: Shinichi Fukuda - Egmont Manga

Industriezucker mit einer Prise Schmuddel: Der Klassennerd Gojo ist noch weit von seinem Ziel entfernt, die besten Puppenköpfe der Welt zu machen, aber er kann immerhin schon mal nähen. Das findet zufällig die Klassenbeauty Marin raus, die Kostüme zum Cosplay braucht, aber leider zu doof ist, zwei Tempotücher zusammenzuheften. Fortan muss der Schüchterne dauernd die Schöne ausziehen, zum Maßnehmen. Oder damit sie seine Sachen anprobieren kann. Dann sieht er sie in Unterwäsche, huiuiui! Das klingt zwar erst nach der verklemmten Heiterkeit einer Ilja-Richter-Komödie, aber dann es liest sich auch so. Vermutlich wurde es deswegen auch bereits verfilmt. Schleudert uns die erzählerische Evolution direkt zurück in die 70er?



Todernste Romanze

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Illustration: Fuyumi Soryo - panini manga

Industriezucker ohne Schmuddel: Die schüchterne Kira kann toll zeichnen. Aber dann sitzt in Kunst im neuen Schuljahr ausgerechnet der coole Rei neben ihr, der keinen Stift gerade halten kann. Der sie dann bewundert, tja, und dann bittet sie ihn, ihr Modell zu stehen. Ja, genau, den coolen Rei, das Engelsgesicht mit dem Dukati-Motorrad. Hach! Und dann wird es Liebe, aber bald zeigt sich, Rei hat ein dunkles Geheimnis! Das klingt vertraut, wird auch nicht wirklich gut, aber es ist auf jeden Fall erträglicher als „More than a doll“, weil der klebrige Unfug wenigstens mit einem Rest Würde durchgezogen wird, nämlich todernst.

Positive Überraschung: „Mars“ verzichtet fast völlig auf die meist misslungenen Manga-Soundwords. Das ist eigentlich eine verdammt elegante Lösung. Empfehl.



Die Schauderschleuder

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Illustration: Yuu Kuraishi/Kazu Inabe - Egmont Manga

Ein Mix aus Soylent Green und Öko-Dystopie. In dieser Zukunft sind die bewohnbaren Gebiete der Erde auf ein Tausendstel geschrumpft. Zwei Jungs werden entführt und landen in einer bizarren Fabrik, in der man Menschen mit süchtig machender Nährlösung mästet. Die Fetten nutzt man dann entweder zur Fleischgewinnung – oder verfüttert sie vor Ort an eine enorme Insektenlarve. Die Rettung sind zwei andere Jungs, die dort die Nahrung verweigern und mit denen ein Ausbruch gelingt. Zu viert entdecken sie: Die Mastanlage ist Teil eines gigantischen Gefängnisses…

Um Logik geht’s hier nicht. „Starving Anonymous“ bietet Splatterhorror mit SM-Elementen, bei dem in jedem Kapitel etwas noch Fürchterlicheres passiert. Zersägte Menschen, Sexknäste, fliegenübersäte Babyleichen, gehäutete Menschen… nicht auszumalen, was erst in Band 2 blüht. Interessant wird all das durch die Portionierung: Jeder Schrecken wird ausgereizt, aber nicht überdehnt. Und durch das hohe Tempo akzeptiere ich auch die Erzählweise in der mangaüblichen Holzhammerhaftigkeit. Fazit: widerlich unterhaltsam. Werde ich weiterlesen.




... wird natürlich fortgesetzt




Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:











Einladend einfach: Die gesammelten „Parker“-Krimis entpuppen sich als ideale Gelegenheit zu einer Begegnung mit dem wundervoll vielseitigen Kanadier Darwyn Cooke

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Illustration: Darwyn Cooke - Schreiber & Leser

Das ist mir schon lang nicht mehr passiert. Also: Dass man jemanden entdeckt, von dem man noch nie gehört hat. Und dass man sich dann durch seine Arbeiten wühlt und frisst und feststellt, dass alles von dem Jemand gut ist, mindestens, wenn nicht sogar exzellent. Der Jemand heißt: Darwyn Cooke, und am besten fangen Sie mit seiner Parker-Serie an. Denn mit diesem Krimi merken Sie sofort, ob Cooke auch was für Sie ist.


Die besten 60er seit „Mad Men“


Die Serie stammt aus den 60ern, wurde mehrfach verfilmt, mal mit Lee Marvin, mal mit Mel Gibson und zuletzt mit Jason Statham. Die Story: Berufsverbrecher Parker wird um seinen Anteil betrogen. Der Betrüger bezahlt mit dem Geld Schulden beim Syndikat. Parker will Rache – und sein Geld. Und wenn das Geld beim Syndikat ist, dann nimmt er’s eben mit der ganzen Organisation auf. Allein.


Warum die Story so oft verfilmt wurde, wird sofort klar: Die Figur des Einzelgängers Parker ist faszinierend kalt, nüchtern, methodisch, brutal, sie ermöglicht den Blick in die skrupellose, aber logische Schattenwelt des Verbrechens. Und eben weil die Story zu zuverlässig zündet, ist sie der ideale Einstieg in Darwyn Cookes eigenwilligen Retro-Stil.


Nostalgisch ausgeblichen


Cooke zeichnet mit wenigen, kräftigen, entschlossenen Strichen. Für Parker wählte er schwarz-weiß mit einer Ergänzungsfarbe, Blau, Blaugrau oder auch mal Braunbeige, was den Panels etwas Nostalgisch-Ausgeblichenes verleiht, ein wenig wie diese Werbefotos bei Friseuren, wenn sie zu lang im Schaufenster gestanden haben.


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Illustration: Darwyn Cooke - Schreiber & Leser

Was Cooke aus diesem sparsamen Ansatz macht, ist nicht weniger als sensationell: Er wechselt so einfallsreich wie filmreif Blickwinkel und Einstellung, illustriert und inszeniert exzellent Dialoge. Arbeitet er ohne Text, zeigt er viele Details: Wie er dabei mit leichter Hand Gebäude, Autos, Möbel, Lampen, Werbeschilder, Kleidung der 60er zum Leben erweckt, hat man so vermutlich seit „Mad Men“ nicht mehr gesehen.


Obendrein ist Cooke ein wundervoller Weglasser: Er zeigt eben NICHT Parker, der frustriert eine Schnapsflasche an die Wand schmeißt. Sondern nur den leeren Hinterhof, und dann ZACK! – plötzlich die Flasche, die aus dem Fenster fliegt. Er zeigt nicht Parker, der eine Leiche mit dem Messer nachbehandelt. Sondern nur die Tote und dann die Hand, die das Messer erst nimmt und anschließend weglegt.


Zeichner, Erzähler, Regisseur


Dieses Talent hört nicht bei den Bildern auf: Denn Cooke muss ja die Romane, die er umsetzt, auch erzählerisch aufs Comic-Medium anpassen. Wo darf Parker aus dem Off erzählen? Wo ist es besser, ihn schweigen zu lassen, weil man alles besser nur mit Bildern zeigt? Ich habe mich lange nicht mehr so schnell einem Comic-Zeichner anvertraut, weil er so zuverlässig die richtigen Entscheidungen trifft.


Das Irritierendste für Neueinsteiger sind allenfalls Cookes Figuren, die er leicht karikiert, kantig anlegt, weshalb sie manchmal eine eigenwillige Hanna-Barbera-Aura bekommen, zu deutsch: einen Hauch Familie Feuerstein. Aber glauben Sie einem alten Feuerstein-Feind: Das schadet nicht! Weshalb ich sofort mehr von ihm besorgen musste. Und mit einem Titel hat er meine Bedenken dann restlos zerstreut.


Der Hinein-Fühler


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Illustration: Darwyn Cooke - Panini

Cooke ist einer derjenigen Zeichner, die machen durften, was „Watchmen“-Schöpfer Alan Moore stets verweigert hatte: die Prequels zu seiner preisgekrönten Superhelden-Novel zu liefern. Cooke wählte auch hier den Zeitsprung und erzählte die Geschichte der „Minutemen“ aus den 40ern, ein extrem gefährliches Pflaster. Denn Moore hat in „Watchmen“ vieles geschickt angedeutet: simples Nacherzählen läuft Gefahr, das einfach nur zu verwässern. Cooke füllt die Lücken jedoch erstaunlich einfühlsam, elegant und erfreulich vorbildgetreu. Weshalb ich auch bei „Selinas großer Coup“ zugegriffen habe. Und da wurde es dann richtig beeindruckend.


Denn hier bediente sich Cooke nicht bei einem fertigen Roman oder arbeitete mit vorgegebenen Elementen wie in „Before Watchmen“. Cooke erzählt ein hübsches „Catwoman“-Prequel mit Gentleman-Gangster-Zutaten, eine komplett neue Geschichte. Es gibt im Comic viele gute Zeichner mit unterschiedlichen Spezialbegabungen, Autoren, Lektoren, Dramaturgen, aber es gibt nur wenige, die in allen Bereichen derart überdurchschnittlich sind wie Cooke. Cooke kann nur eines nicht: weitermachen.

Er ist nämlich leider tot.

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Illustration: Darwyn Cooke - Panini

Der Kanadier ist vor knapp sechs Jahren gestorben, gerade mal mit Mitte 50. Und er kam erst relativ spät zum Comic, mit Ende 30. Weshalb es gar nicht mal sooo viel Cooke zu entdecken gibt. Aber wenn Sie was finden, bei dem er irgendwie beteiligt war: Lesen Sie’s!












Immer öfter bedienen sich Demokratie-Gegner bei Kabarett und Comics - gegen deren Willen. Jetzt wehrt sich der erste Superheld: der Punisher.

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Illustration: Jason Aaron/Paul Azaceta/Jesús Saiz - Panini Comics

Eine der frustrierendsten Erscheinungen in der Kunst ist derzeit das Kunst-Kapern. Kunst-Kapern geht so: Man nimmt die Kunst und fährt mit ihr einfach woanders hin. Dem Kabarett widerfährt das beispielsweise seit längerem: Kritik an der Regierung wird flugs als Plädoyer für eine rechtslinksscheißegalene Wir-sind-das-Volksdiktatur umgedeutet. Bei Youtube sammeln sich etwa unter Beiträgen der eher unverdächtigen "Anstalt" oder unter älterem Material von Georg Schramm nach wenigen Zeilen Jubelkommentare hoffnungsvoller Reichstagsstürmer.


Die Gekaperten reagieren meist mit Schockstarre oder Wegschauen, Gegenreaktionen sind selten, kommen aber inzwischen vor: Volker Pispers hat sich eindeutig distanziert und ratlos zurückgezogen, Florian Schroeder hat sich von Querdenkern einladen lassen und ihnen dann live die Meinung gegeigt. Jetzt schlägt auch der erste Comic zurück – der Punisher.


Vom Antiheld zum Kapitolssturm-Logo


Dieser Antiheld begann als verbitterter Rächer, der den Mord an seiner Frau und seinen beiden Kindern vergelten will. Anschließend scheint er jedoch etwas beliebiger und damit universeller deutbar geworden zu sein, denn: „Reale Söldner und politisch extreme Gruppierungen eigneten sich in den USA das Logo von Marvels Bestrafer an“, heißt es unter Bezug auf den 6. Januar 2021 im Vorwort zum neuen Punisher-Band „Der König der Killer“. Deshalb sei „eine Neudefinition von Vergangenheit, Gegenwart und … der Symbolik“ der Figur nötig. Hat’s geklappt?


Sagen wir mal so: Entglorifiziert haben sie ihn tatsächlich. Der neue Punisher gerät in die Fänge der Mördergruppe "Die Hand", die ihn als Obermörder beschäftigen will. Normalerweise würde der Einzelgänger so was natürlich nie mitmachen, aber Autor Jason Aaron hat einen nicht ungeschickten Dreh gefunden: Die "Hand" hat dem Punisher mysteriöserweise seine tote Frau zurückgegeben. Und der Punisher macht weiter mit, weil als weitere Belohnung auch noch die Rückkehr seiner Kinder winkt.


Rechtsruck kaputt. Held auch.


Beides liefert durchaus Motive, um den Punisher weiter gehen zu lassen als je zuvor, bis er noch wahlloser tötet und sich tatsächlich als Marionette missbrauchen lässt. Der einsame Wolf mit dem ganz eigenen Wertesystem ist damit von Seite zu Seite mehr Geschichte, das Problem dabei ist: Damit wird genau das hinfällig, was den Punisher mal attraktiv gemacht hat. Und auch wenn man davon ausgehen darf, dass er das Spiel in absehbarer Zeit vermutlich durchschauen dürfte, so hat er bis dahin nicht nur seine eigenen Werte gründlich verraten.


Denn wir erleben einen Punisher, der mit einem Schwert reihenweise Leute köpft, von deren Schuld er sich nicht selbst überzeugt hat, sondern die ihm Die Hand zu Dutzenden anliefert. Wie immer die Geschichte ausgeht, danach wird man kaum sagen können: "Ach, da hatte er gerade eine schlechte Phase." Und je länger er braucht, um zu ahnen, dass da irgendwas seltsam ist, desto naiver wird er wirken. Um nicht zu sagen: Operation gelungen, Patient doof.


Was heißt, dass bislang auch für Superhelden die Florian-Schroeder-Lösung noch am besten funktionieren dürfte: Einfach mal deutlich sagen, zu welchem Verein man gehört - und zu welchem eben nicht. Weniger elegant, aber immerhin eindeutig.



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