top of page

Comicverfuehrer

Früh muss man starten, um sich die ersten Blasen zu erlesen: Sieben Comic-Tipps für Kinder - mal sachlich, mal fantastisch, mal sogar tödlich

Illustration: Patrick Wirbeleit/Matthias Lehmann - Kibitz Verlag
Illustration: Patrick Wirbeleit/Matthias Lehmann - Kibitz Verlag

Ich hab ein gar nicht mehr so kleines Problem mit dem Kinderthema: Mein Testkind ist zu groß und zu alt. Trotzdem hat sich hier seit dem letzten Mal allerhand gesammelt, das ich von mittel bis gut finde. Ich kann bloß nicht mehr sagen, es sei kindgetestet. Also: Los geht's!

Die Dschungelbuchung

Illustration: Martin Baltscheit/Max Fiedler - Kibitz Verlag
Illustration: Martin Baltscheit/Max Fiedler - Kibitz Verlag

Nicht verkehrt, aber auch nicht superbesonders: In der Serie „Herr Elefant & Frau Grau“ reist das gleichnamige Liebespaar aus Elefant und Gazelle nach Deutschland. Das ist nur mittelabsurd, weil Szenarist Martin Baltscheit das ungleiche Paar und die afrikanische Herkunft lediglich für Reisehindernisse nutzt, ansonsten könnte da genausogut Dackel und Wiesel von Australien einreisen. Soviel genörgelt, aber das war's auch schon, denn kindertauglich ist es allemal. Weil Baltscheit superroutiniert Drolligkeiten und Kleingefahren einbaut. Max Fiedler zeichnet einen munteren Sfar-Stil, insofern: ordentliches Produkt, das auch beim zweiten Teil in der Qualität nicht nachlässt.

 


Kristallblaue Riesenschlange

Illustration: Luke Pearson - Reprodukt
Illustration: Luke Pearson - Reprodukt

Luke Pearsons Serie „Hilda und Hörnchen“ gehört mit zum Empfehlenswertesten, was ich so als Kindercomic kenne, und zwar für alle: Kind(er), Eltern, Unbeteiligte. Der Grund ist, dass Pearson nicht nur einen schönen lakonischen Humor hat, sondern auch eine sympathische Distanz zu seiner kleinen Heldin bewahrt, die gerne mal sehr von sich überzeugt ist und damit ihrer Umwelt auf die Nerven geht. Das Personal ist gleich: Hilda lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter in irgendeinem britischen Hochland oder so, geht mit ihrem Hirschfuchs Hörnchen spielen und findet meist leicht übernatürliche Wesen, In „Das Regenversteck“ ist es eine bezaubernd kristallblaue Riesenschlange. Was Pearson nicht nur zu allen Erzählvarianten von Grusel über Action bis Magie nutzt, sondern auch optisch ungemein attraktiv ausreizt. Jede Mange Panels in Posterqualität, reichlich Slapstick, und Mutter-Tochter-Gespräche – da fällt mir einfach nichts zu quengeln ein.

 


Künstlicher Kaiser

Illustration: Neufred - Granus Verlag
Illustration: Neufred - Granus Verlag

Neues aus Aachen: Karl der Kleine ist wieder unterwegs, aber ich weiß nicht genau, ob Kinder das diesmal gut finden. Denn noch nie war Karl so düster. Sein Kumpel Granus hat ihn grob gezeichnet und der KI zur Ausarbeitung überlassen. Also gibt’s Karl bald nicht nur doppelt, sondern auch in 3-D, schicker, und die Rechte des Zeichners Neufred lassen sich mit billigsten Namenstricks aushebeln. Diese Härte hält Neufred natürlich bzw. sinnvollerweise nicht durch, es kommt zu serienüblichen Zeitreise, wir lernen über den Nachrichtendienst-Erfinder Reuter und den Historienmaler Alfred Rethel kennen, und auch Neufreds Schluss ist versöhnlich (auch wenn der Grund für diesen Optimismus nicht ganz klar ist). Doch tatsächlich ist diesmal die launig erzählte Lokalgeschichte ein bisschen zum Fürchten. Interessant.  

 



Illustration: Aisha Franz - Reprodukt
Illustration: Aisha Franz - Reprodukt

Freche Frau Franz: Die Strip-Serie „Drei aus der Zukunft“ aus „ZEIT LEO“ ist mir aus (obacht, Gag!) Zeit-Mangel durch die Lappen geschliddert. Gemerkt hab ich’s weil’s die Abenteuer jetzt auch gebunden und im anderen Format gibt – und ich muss sagen: ich hab schon mal weniger gelacht. Franz’ angeniedlichter, Max-und-Moritz-Preis-gekrönter Stil wirkt hier munter retrohaft, fix+foxi-like, die Gags sind schön dreist, dabei angenehm digitalkritisch, und so geht das Ergebnis in Richtung einer jugendverträglichen Variante von Fil und Klaus Cornfield. Könnte gut ankommen, sag ich mal, ich hab bloß kein Kind, an dem ich’s ausprobieren könnte.

 


Wenn Freund Hein mitermittelt

Illustration: Patrick Wirbeleit/Matthias Lehmann - Kibitz Verlag
Illustration: Patrick Wirbeleit/Matthias Lehmann - Kibitz Verlag

Der Tod hat Zeit. Sein Job ist, den Menschen im Augenblick des Sterbens zu erscheinen, die ihn erwarten. Aber weil der Tod heute oft verdrängt wird, langweilt er sich - und erscheint in seiner reichlichen Freizeit dem jungen Lukas. Warum? Weil Lukas nicht vor ihm wegläuft, denn wie der Tod sehr richtig feststellt: "Es ist schwer, sich mit jemandem zu unterhalten, der wegläuft." Der Viel-Szenarist Patrick Wirbeleit macht aus diesem Szenario einen sehr soliden Kinderkrimi, der nebenbei das Thema Trauer so kindgerecht wie einfühlsam in Szene setzt. Das von Matthias Lehmann gezeichnete Ergebnis ist nicht der Überhammer, aber ich habe mich absolut nicht gelangweilt. Und den Täter hab ich auch nicht erraten, aber darin bin ich sowieso immer mies.



Die neben dem Ork sitzt


Illustration: Lewis Trondheim - Reprodukt
Illustration: Lewis Trondheim - Reprodukt

Fun-Fantasy, diesmal für Kinder (aber nicht nur): Lewis Trondheim startet mit „Aurora und der Ork“ eine neue Serie. Der Inhalt: Aufgrund von Magie bekommt Schülerin Aurora einen neuen Sitznachbarn und Mitschüler – eben den Ork. Was aufgrund derselben Magie keiner seltsam findet, außer Aurora. Pro Seite gibt es eine Kurz-Episode auf sechs Panels, samt Pointe zum Schluss, Trondheim bespielt das Format allerdings so routiniert, dass der Ork nicht mal den niedlichen Hund fressen darf. Vermutlich, weil das Kinder nicht verkraften. Nett, solide (und Peng-Preis-nominiert!), aber für mich auch etwas schade, denn Trondheim kann unangepasster… Doch Kinder sehen das womöglich anders.

 


Hexenwerk, zurechtgesödert

Illustration: Marie Desplechin/Magali Le Huche - Reprodukt
Illustration: Marie Desplechin/Magali Le Huche - Reprodukt

„Grüna“ lässt mich etwas ratlos zurück: Die Geschichte ist Teil der Serie „Hexenkram“, ausgesprochen munter gezeichnet und, wenn nicht alles täuscht, geradezu erzkonservativ. Grüna ist elf und Tochter einer Hexe, also wird sie selber auch eine, nämlich irgendwann so mit elf, zwölf, soviel zur tiefen Symbolik. Grüna will aber keine Hexe werden, weil sie Angst hat, „anders als die anderen Mädchen“ zu werden. Sie will „einen Jungen kennenlernen, mich verloben und später heiraten“. Die alleinerziehende Mutti verzweifelt, die coole Oma verspricht, das Problem zu lösen. Sie zeigt Grüna ein paar Hexentricks, erklärt Grüna, sie habe nur deshalb keinen Vater, weil Mama ein „Sturkopf“ sei und „eines Tages“ beschlossen hat „ihn loszuwerden“. Und so lernt Grüna einen netten Jungen kennen, der Fußball spielt, bringt den Papa wieder zurück und dann ist auch die verbiesterte Mama wieder lieb – du lieber Himmel! Nichts gegen traditionelle Familienwelten, aber deswegen muss man ja nicht gleich die Botschaft senden, dass das Teenie-Leben einfacher und schöner wird, sobald man es mehrheitsfähig zurechtsödert. Und genaugenommen erfüllt das sogar alle wesentlichen Tatbestandteile vorsätzlicher Täuschung.

 




Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:







  • 28. Apr. 2020

Für Kinder ist Corona besonders fad. Was könnte man noch sehen, noch lesen? Zum Beispiel: Kinder-Comics. Julia, 8, hat für uns die neunte Kunst entdeckt – und unbestechlich kritisiert


Was tun, wenn die Schule dicht ist und alle Hausaufgaben gemacht? Julia ist langweilig und acht Jahre alt. Und was tut Gott? Er schickt mich vorbei, der einen Zentner voller Kindercomics vorliegen hat und eine kompetente Co-Kritikerin braucht. Also starten wir ein Projekt: Julia, die Comics bisher eigentlich wenig bis nicht liest, kriegt jeden Tag einen neuen Band zum Ausprobieren. Und los!



Tag 1: Manno von Anke Kuhl

ree
Illustration: Anke Kuhl - Klett Kinderbuch

Kuhls Erinnerungen sind frech, funny und normal: Kein Superabenteuer, nur Anke und ihre Schwester Eva im Alltag der 70er. Kuhl ist Jahrgang 1970, ihre Mama fuhr die erste Polo-Generation, die mit runden Lüftungsdeckeln hinten. Es gab kein Handy, Pranks waren noch Telefonstreiche. Julia liest 130 Seiten ratzfatz durch. Fehlende Handys sind ihr egal, denn Julia mag Rittergeschichten und sagt: „Da gibt’s auch kein Handy.“



Tag 2: Mira von Sabine Lamire und Rasmus Bregnhoi

ree
Illustration: Sabine Lamire/Rasmus Bregnhoi - Klett Kinderbuch

Eine Mädchengeschichte: Aber die Welt ist hier weniger heil, Lamire/Bregnhoi suchen die größere Geschichte statt Episoden. Mira hat Geburtstag, will Bloggerin werden, einen Instagram-Account und nicht mehr so kindisch sein. Und „Mira“ zeigt unterhaltsam, wie zweischneidig das Erwachsenwerden ist. Finde ich gut. Aber Julia mag Mira nicht sehr. Das Thema „Verlieben“ ist in der dritten Klasse noch nicht so interessant. Die kleine Zeichenschule am Schluss hilft auch nicht: Das kennt sie, einmal hat sie es ausprobiert, aber da ging es um einen Stegosaurus, und der ist spannender. Julias Urteil: „Manno“ ist besser.



Tag 3: Hugo & Hassan, von Rasmus Bregnhoi und Kim Fupz-Aakeson (ab 21. August )

ree
Illustration: Kim Fupz- Aakeson/Rasmus Bregnhoi - Klett Kinderbuch

Nicht so meins. Hassan und Hugo lernen sich kennen, machen sich an und erkennen daran, dass sie – Freunde sind. Dann erleben sie einige Episoden, recht zeitgemäß: Die Jungs ballern vor allem am Bildschirm auf Nazis. Naja. Aber es ist genau Julias Ding: kürzere Geschichten. Weil man jede neu anfangen kann und nicht alles wissen muss, was bisher geschah. Jungs-Geschichten sind sogar besser, weil es um Fußball geht, Julia mag Sport und Bouldern: „Hugo & Hassan“ also an Manno und Mira vorbei auf die Eins.



Tag 4: Dorothée de Monfreid, Die Hundebande in Paris

ree
Illustration: Dorothée de Monfreid - Reprodukt

Die „Hundebande“ ist nett, straight erzählt, mit einem soliden Gag am Schluss. Sie ist von allen Bänden bisher am brävsten gezeichnet: beinahe konventionell. Julia sieht das anders: Sie mag Tiere, und Hunde sind die besten Tiere. Sie behält superviel vom Inhalt und strahlt hinterher wie Tschernobyl! Einiges gelernt hat sie auch, obwohl sie es noch nicht weiß: Denn die Hunde besuchen alle berühmten Bauten. Wie der Turm heißt, den die Hunde ersteigen, weiß sie noch nicht – aber sie wird ihn wiedererkennen, wenn sie ihn sieht. Und plötzlich sind „Hugo und Hassan“ auf der Zwei.




Tag 5: Luke Pearson, Hanna im Steinwald

ree
Illustration: Luke Pearson - Reprodukt

Um Hanna habe ich Angst: Hanna verlangt mehr vom Leser. Wegen der schnelleren, erwachsenentauglichen Pointen, und auch grafisch. Pearson schneidet Szenen parallel gegeneinander, er zeigt oft nur Details, man muss erschließen, was man grade sieht, es sprechen Charaktere aus dem Off. Julia findet das gut. Sie kriegt alles mit, auch den Schluss, als Hilda verspricht, sich zu bessern, und ihre Mama sagt, sie soll so bleiben, wie sie ist. Und Julia hat ihren Spaß, obwohl die Geschichte lang ist. An die Hundebande kommt Hilda trotzdem nicht ran, aber sie kämpft mit „Hugo und Hassan“ um Platz zwei – und gewinnt.





Tag 6: Marguerite Abouet/Mathieu Sapin, Akissi – „Vorsicht, fliegende Schafe“

ree
Illustration: Mathieu Sapin/Marguerite Abouet - Reprodukt

Spannend, weil fremd: Akissi ist ein Mädchen aus der Elfenbeinküste. Sie schläft in einer Baracke, auf Matratzen am Boden mit fünf Geschwistern. Macht sie Streiche, schwingen Erwachsene keine Fäuste, sondern Macheten. Und der Lehrer prügelt Kinder. Julia stört das nicht: Es fällt ihr auf, dass manches anders ist, dass man da von Schlangen gebissen werden kann. Aber sie mag Schlangen, die kommen hinter Hunden und Raubkatzen auf Platz drei. Weshalb „Akissi“ zwar „Hilda“ überholt, aber nicht die „Hundebande“.



Tag 7: Emmanuel Guibert/Marc Boutavant, Ariol – Mach die Fliege, Surrsula

ree
Bild: Emmanuel Guibert/Marc Boutavant - Reprodukt

Ich fand den kleinen Esel schon früher mal arg brav, aber die Abenteuer sind vergleichbar mit denen von „Hugo und Hassan“. Julia liest sich genauso begeistert durch: Die Story vom Abziehbild-Tattoo, mit dem Ariols Freund den Apotheker schocken will, dann aber selbst verladen wird, etwa. Trotzdem bleiben „Hugo und Hassan“ vorn – außer bei der Frage, mit welchem der Comic-Helden Julia am liebsten zur Schule gehen würde. Ariol überholt alle. Hunde dürfen nicht in die Schule.







Tag 8: Matthias Picard, Jim Curious – Streifzug durch den Dschungel

ree
Illustration: Matthias Picard/Jim Curious - Reprodukt

Ein Sonderfall: Jim Curious ist ein Bilderbuch mit 3D-Brille. Hier geht’s ums Gucken, und zu sehen gibt es (auch für Erwachsene!) viel. Man kann sich drin verlieren. Aber für Julia ist es zu wenig a) Geschichte und b) Text, nämlich keiner. Ohne Text ist für Julia schwerer zu lesen, weil man so viel gucken muss, um herauszufinden, auf was es dem Zeichner gerade ankommt. Umso erstaunlicher, dass „Hilda“ so weit nach vorn kommt. Und „Jim Curious“ sich noch an „Mira“ vorbeimogelt.



Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.




Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:



Suchwortvorschläge
Kategorien

Keinen Beitrag mehr verpassen!

Gute Entscheidung! Du wirst keinen Beitrag mehr verpassen.

News-Alarm
Schlagwörter
Suchwortvorschläge
Kategorie
bottom of page