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Ohne Worte

Nur ein Bild pro Tag, kein Text: So veröffentlichte Lewis Trondheim den Webcomic "Das verrückte Unkraut". Jetzt zeigt auch die Druck-Version: Manchmal ist weniger wirklich mehr


Illustration: Lewis Trondheim - Reprodukt

Es ist nicht einfach herauszufinden, warum „Ralph Azham“ nicht so recht zünden mag. Die Serie enthält doch alles, was man von Lewis Trondheim kennt und schätzt: Ein misanthropischer Held mit abstrusen, kaum nutzbaren Kräften (sieht den Menschen Kinder und Schwangerschaften an), absurde, auch peinliche Momente, der funny-animal-Look, irgendwie ist die Serie stets kurz vorm Abheben – und tut es doch nicht. Aber während ich noch rätsele, fällt mir „Das verrückte Unkraut“ in die Finger. Stammt auch von Trondheim, ist grade frisch erschienen, ganz ähnlich und doch ganz, ganz anders. Denn mit dem verrückten Unkraut fällt plötzlich das Staunen wieder leicht.


Ein Bändchen wie eine Schachtel Eiskonfekt


Das „Unkraut“ ist klein. Ein dickes Bändchen, etwa so groß wie eine Schachtel Eiskonfekt im Kino. Es ist das Ergebnis eines Jahres auf Instagram: Trondheim hat die Geschichte im Tempo von einem Bild pro Tag erzählt, und dieses Bild gab’s jeden Tag auf seinem Account dort, als Foto direkt aus seiner Kladde. Diese hübsche authentische Note geht im Eiskonfektschachtelbuch leider verloren, da gibt’s nur die Bilder und man sieht nicht, mit welchen Stiften Trondheim gerade malt, aber das Leseerlebnis ist dafür natürlich erheblich komfortabler. Wenn man von lesen reden kann.


Trondheim hat nämlich nach langer Zeit wieder mal den Stummcomic ausgegraben. Er macht das öfter, einen seiner ersten großen Erfolge hat er damit gelandet: „Die Fliege“, deren Abenteuer ohne jede Sprechblase so gut funktionierten, dass gleich eine Trickfilmserie draus gemacht wurde. Mit Thierry Robin hat Trondheim das Album „Hallo, kleiner Weihnachtsmann“ stumm durchgezogen, und der Miniband „Nein, nein, nein“ war eine sehr unterhaltsame stumme Fingerübung. Wobei „stumm“ übrigens nicht bedeutet, dass nichts gesagt wird: Der Leser liest und hört es aber nicht, alle Informationen müssen sich für ihn aus dem Bild ergeben. Was doppelt herausfordernd ist, denn im „Verrückten Unkraut“ gibt es eine Menge Rätselhaftes.


Eine Stadt verdschungelt


Trondheim lässt seinen bewährten Helden Herr Hase durch eine Großstadt spazieren, die plötzlich zuzuwuchern beginnt. Gigantische Bäume, Schlingpflanzen, Büsche übernehmen die Straßen und Häuser, zugleich sind die Menschen verschwunden. Es gibt auch Monster, aber keine richtige Erklärung für all das und obendrein eine unerklärliche Blase, die durch die verdschungelte Stadt treibt. In dieser Blase ist alles wie früher, die Stadt noch Stadt, das Telefon funktioniert, und auch wenn es Herrn Hase nicht gelingt, in dieser Blase zu bleiben, so schafft er es doch, dort seinen Freund Richard auf seine Notlage aufmerksam zu machen.


Es sind verschiedene Aspekte, die sofort viel Freude machen. Da wäre schon mal die bizarre Ausgangssituation, skurril, gruselig, eine harmlose Angelegenheit wie Pflanzen wird auf einmal bedrohlich, das ZDF hätte früher sowas mit dem „Der fantastische Film“-Vorspann versehen. Zweitens ist die Aufgabe ein erkennbarer Ansporn für Trondheim: Nur ein Bild am Tag, das ist gar nicht so leicht, weil es seine eigenen Zwänge mitbringt.


Wie erzählt man mit nur einem Bild?


Man muss die Handlung voranbringen, den Faden vom Vortag in der Hand halten, außerdem kann man ein Bild pro Tag nicht behandeln wie irgendein Panel auf einer Comic-Seite. Es muss für sich selbst stehen können, es ist also mehr so was wie ein Heftcover am Tag und sollte auch anders komponiert werden. Es braucht eine Vordergrund, eine andere Perspektive.


Blicke über die Schulter sind eine Möglichkeit, Actionsequenzen aus starker Untersicht, mit all diesen Anforderungen schubst sich Trondheim aus seiner zeichnerischen Komfortzone, und das Ergebnis ist tatsächlich so, dass man sich eben nicht einfach durchblättert. Gut, manchmal mogelt Trondheim und macht halt doch einfach drei kleine Panel für einen Tag, aber auf den meisten Seiten bleibt man an einem komplexeren Bild hängen und nach der letzten Seite ist man tatsächlich so sattgelesen, als hätte man ein betextetes Album hinter sich. Vielleicht erklärt das auch die Zwiespältigkeit mit Ralph Azham.


Vermisst Trondheim den "Donjon"?


Azham hat bei allem Einfallsreichtum auch etwas Alltägliches, Routiniertes. Es gibt immer wieder nette Momente, aber letztlich bleibt der Eindruck, als hätte Trondheim den „Donjon“-Epos nur widerwillig eingestellt, weil sein Kumpel Joann Sfar keinen Bock mehr hatte – und sich dann eben Azham ausgedacht. Das ist dann wohl ein bisschen wie weiland Genesis nach dem Ausstieg von Peter Gabriel: Schon noch sehr okay, aber zugleich auch sehr berechenbar. Man macht mit Sicherheit nichts falsch, wenn man zu „Ralph Azham“ greift. Aber „Das verrückte Unkraut“ zeigt, was Lewis Trondheim aus sich rausholen kann, wenn er gefordert wird.



Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.



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