- 14. Juni
Früh muss man starten, um sich die ersten Blasen zu erlesen: Sieben Comic-Tipps für Kinder - mal sachlich, mal fantastisch, mal sogar tödlich

Ich hab ein gar nicht mehr so kleines Problem mit dem Kinderthema: Mein Testkind ist zu groß und zu alt. Trotzdem hat sich hier seit dem letzten Mal allerhand gesammelt, das ich von mittel bis gut finde. Ich kann bloß nicht mehr sagen, es sei kindgetestet. Also: Los geht's!
Die Dschungelbuchung

Nicht verkehrt, aber auch nicht superbesonders: In der Serie „Herr Elefant & Frau Grau“ reist das gleichnamige Liebespaar aus Elefant und Gazelle nach Deutschland. Das ist nur mittelabsurd, weil Szenarist Martin Baltscheit das ungleiche Paar und die afrikanische Herkunft lediglich für Reisehindernisse nutzt, ansonsten könnte da genausogut Dackel und Wiesel von Australien einreisen. Soviel genörgelt, aber das war's auch schon, denn kindertauglich ist es allemal. Weil Baltscheit superroutiniert Drolligkeiten und Kleingefahren einbaut. Max Fiedler zeichnet einen munteren Sfar-Stil, insofern: ordentliches Produkt, das auch beim zweiten Teil in der Qualität nicht nachlässt.
Kristallblaue Riesenschlange

Luke Pearsons Serie „Hilda und Hörnchen“ gehört mit zum Empfehlenswertesten, was ich so als Kindercomic kenne, und zwar für alle: Kind(er), Eltern, Unbeteiligte. Der Grund ist, dass Pearson nicht nur einen schönen lakonischen Humor hat, sondern auch eine sympathische Distanz zu seiner kleinen Heldin bewahrt, die gerne mal sehr von sich überzeugt ist und damit ihrer Umwelt auf die Nerven geht. Das Personal ist gleich: Hilda lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter in irgendeinem britischen Hochland oder so, geht mit ihrem Hirschfuchs Hörnchen spielen und findet meist leicht übernatürliche Wesen, In „Das Regenversteck“ ist es eine bezaubernd kristallblaue Riesenschlange. Was Pearson nicht nur zu allen Erzählvarianten von Grusel über Action bis Magie nutzt, sondern auch optisch ungemein attraktiv ausreizt. Jede Mange Panels in Posterqualität, reichlich Slapstick, und Mutter-Tochter-Gespräche – da fällt mir einfach nichts zu quengeln ein.
Künstlicher Kaiser

Neues aus Aachen: Karl der Kleine ist wieder unterwegs, aber ich weiß nicht genau, ob Kinder das diesmal gut finden. Denn noch nie war Karl so düster. Sein Kumpel Granus hat ihn grob gezeichnet und der KI zur Ausarbeitung überlassen. Also gibt’s Karl bald nicht nur doppelt, sondern auch in 3-D, schicker, und die Rechte des Zeichners Neufred lassen sich mit billigsten Namenstricks aushebeln. Diese Härte hält Neufred natürlich bzw. sinnvollerweise nicht durch, es kommt zu serienüblichen Zeitreise, wir lernen über den Nachrichtendienst-Erfinder Reuter und den Historienmaler Alfred Rethel kennen, und auch Neufreds Schluss ist versöhnlich (auch wenn der Grund für diesen Optimismus nicht ganz klar ist). Doch tatsächlich ist diesmal die launig erzählte Lokalgeschichte ein bisschen zum Fürchten. Interessant.

Freche Frau Franz: Die Strip-Serie „Drei aus der Zukunft“ aus „ZEIT LEO“ ist mir aus (obacht, Gag!) Zeit-Mangel durch die Lappen geschliddert. Gemerkt hab ich’s weil’s die Abenteuer jetzt auch gebunden und im anderen Format gibt – und ich muss sagen: ich hab schon mal weniger gelacht. Franz’ angeniedlichter, Max-und-Moritz-Preis-gekrönter Stil wirkt hier munter retrohaft, fix+foxi-like, die Gags sind schön dreist, dabei angenehm digitalkritisch, und so geht das Ergebnis in Richtung einer jugendverträglichen Variante von Fil und Klaus Cornfield. Könnte gut ankommen, sag ich mal, ich hab bloß kein Kind, an dem ich’s ausprobieren könnte.
Wenn Freund Hein mitermittelt

Der Tod hat Zeit. Sein Job ist, den Menschen im Augenblick des Sterbens zu erscheinen, die ihn erwarten. Aber weil der Tod heute oft verdrängt wird, langweilt er sich - und erscheint in seiner reichlichen Freizeit dem jungen Lukas. Warum? Weil Lukas nicht vor ihm wegläuft, denn wie der Tod sehr richtig feststellt: "Es ist schwer, sich mit jemandem zu unterhalten, der wegläuft." Der Viel-Szenarist Patrick Wirbeleit macht aus diesem Szenario einen sehr soliden Kinderkrimi, der nebenbei das Thema Trauer so kindgerecht wie einfühlsam in Szene setzt. Das von Matthias Lehmann gezeichnete Ergebnis ist nicht der Überhammer, aber ich habe mich absolut nicht gelangweilt. Und den Täter hab ich auch nicht erraten, aber darin bin ich sowieso immer mies.
Die neben dem Ork sitzt

Fun-Fantasy, diesmal für Kinder (aber nicht nur): Lewis Trondheim startet mit „Aurora und der Ork“ eine neue Serie. Der Inhalt: Aufgrund von Magie bekommt Schülerin Aurora einen neuen Sitznachbarn und Mitschüler – eben den Ork. Was aufgrund derselben Magie keiner seltsam findet, außer Aurora. Pro Seite gibt es eine Kurz-Episode auf sechs Panels, samt Pointe zum Schluss, Trondheim bespielt das Format allerdings so routiniert, dass der Ork nicht mal den niedlichen Hund fressen darf. Vermutlich, weil das Kinder nicht verkraften. Nett, solide (und Peng-Preis-nominiert!), aber für mich auch etwas schade, denn Trondheim kann unangepasster… Doch Kinder sehen das womöglich anders.
Hexenwerk, zurechtgesödert

„Grüna“ lässt mich etwas ratlos zurück: Die Geschichte ist Teil der Serie „Hexenkram“, ausgesprochen munter gezeichnet und, wenn nicht alles täuscht, geradezu erzkonservativ. Grüna ist elf und Tochter einer Hexe, also wird sie selber auch eine, nämlich irgendwann so mit elf, zwölf, soviel zur tiefen Symbolik. Grüna will aber keine Hexe werden, weil sie Angst hat, „anders als die anderen Mädchen“ zu werden. Sie will „einen Jungen kennenlernen, mich verloben und später heiraten“. Die alleinerziehende Mutti verzweifelt, die coole Oma verspricht, das Problem zu lösen. Sie zeigt Grüna ein paar Hexentricks, erklärt Grüna, sie habe nur deshalb keinen Vater, weil Mama ein „Sturkopf“ sei und „eines Tages“ beschlossen hat „ihn loszuwerden“. Und so lernt Grüna einen netten Jungen kennen, der Fußball spielt, bringt den Papa wieder zurück und dann ist auch die verbiesterte Mama wieder lieb – du lieber Himmel! Nichts gegen traditionelle Familienwelten, aber deswegen muss man ja nicht gleich die Botschaft senden, dass das Teenie-Leben einfacher und schöner wird, sobald man es mehrheitsfähig zurechtsödert. Und genaugenommen erfüllt das sogar alle wesentlichen Tatbestandteile vorsätzlicher Täuschung.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
- 25. Sept. 2024
Die Outtakes (19): Ein schlagkräftiger Nachfolger, ein geduldiger Gruselmanga und eine umständliche KI

Vererbter Job als Hauptfigur
Die Serie um den „Donjon“ hab ich schon mehrfach empfohlen: Sie ist witzig, ironisch, und das für Fantasy-Freunde und -Skeptiker zugleich. Außerdem lernt man immer neue Zeichner kennen. Trotzdem ist nicht jeder der bisher rund 60 Bände gleich gut. Ein prima Band funktioniert (für mich) auch ohne dass man die ganze lange Geschichte kennt (weshalb die Serie anfangs auch kreuz und quer durch die Erzählzeit springen konnte). Der neue Band „Programmänderung“ schafft das nicht. Ist auch schwer, weil der Band am bisherigen Ende des Zyklus spielt. Obendrein wird die Story durch einen Trugschluss geschwächt: Serienhauptfigur Herbert mochte man wegen seiner verschrobenen Schwächen, aber deswegen wird doch nicht gleich dessen Neffe, Sohn, Enkel oder sonstwas ebenfalls gleich als Hauptfigur interessant. So kann der Band trotz aufgeweckter, knallbunter Action leider die Erwartungen nicht recht erfüllen.
Lovekräftig

Also: Das hier mag garantiert jemand, nur ich bin’s leider nicht. Gou Tanabe macht derzeit aus dem Horror von H.P. Lovecraft sehenswerte Mangas – beispielsweise das hier abgebildete „Grauen von Dunwich“. Tanabe serviert das Ganze erfreulich düster und vor allem sehr, sehr geduldig, mit geschickten Verzögerungen und ausgesuchtem, aber nicht zu starkem Splattereinsatz. Ich habe allerdings leider oft ein Problem mit Lovecrafts Schwurbelhorror (auch wenn ich „Die Farbe aus dem All“ recht gut fand). Doch deshalb sollte man Tanabes atmosphärisch sehr passende Adaptionen hier keinesfalls unter den Tisch fallen lassen, gerade als Lovecraft-Fan. Ausprobieren!
Verpasste Vorteile

Ein ehrgeiziges Projekt, mit Tücken. IT-Unternehmer Laurent Daudet und Zeichner Appupen greifen das aktuelle Thema KI auf. Und weil Daudet aus der Branche kommt, stricken sie die einfachstmögliche Geschichte um sich selber: Ein junger KI-Unternehmer steht kurz vor der Übernahme durch einen der Big Player und diskutiert unter anderem mit einem Comic-Zeichner über die Zukunft. Ist KI gut oder schlecht, was kann schiefgehen, wer wird sie nutzen und wie? All das wird debattiert, die einzige Frage, die offenbleibt, ist: Warum als Comic? Denn die Vorteile des Mediums bleiben weitgehend ungenutzt, Appupen illustriert recht brav dem Text hinterher, und weil dieser auch die Richtung vorgibt, wird prompt sehr viel geredet und wenig gezeigt. Was dazu führt, dass man für diese Comicversion mehr Zeit braucht als für einen fundierten Essay desselben Inhalts. Aber, zugegeben: So gibt’s mehr Bilder.
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- 18. Aug. 2023
Die Outtakes (5): Einsame Gangster, halbe Leben und ein Déja vu – ab hier lesen Sie auf eigene Gefahr

Schwallender Schweiger
Ein stiller Mann fährt im Wohnmobil durch die Wüste, wo er sich bewaffnet in den Schatten setzt und wartet. „Die Schlange und der Kojote“ hat alles, was neugierig macht: Tolle Landschaft, Einöde, die Waffe, mit der er nicht gejagt wird, sondern gewartet. Weil jemand kommen wird. Dorthin, wo sonst niemand hinkommt. Was kann man jetzt noch falsch machen?
Man lässt dem Schweigsamen einen jungen Kojoten zulaufen, den er daraufhin zuschwallt. Dann gibt's noch FBI-Agenten, einen Marshal, und alle, alle erklären sich gegenseitig alles doppelt und dreifach. Zeichner Philippe Xavier kann nichts dafür, Szenarist Matz müllt ihm jede Atmosphäre mit Text zu, mit Text und nochmal Text. Schade drum.
Body-Sharing

Die Story an sich ist schön mysteriös: Der junge Lubin stellt plötzlich fest, dass ihm jeder zweite Tag komplett fehlt. Nach und nach bemerkt er: Eine zweite Persönlichkeit ist an diesen Tagen mit seinem Körper im Einsatz. Er beginnt mit ihr durch Zettel und Videos zu kommunizieren, er beginnt sich damit zu arrangieren, macht Kalender, wem der Körper wann gehört – und Moment mal! Das ist doch komplett blödsinnig. Wenn mir jemand mein halbes Leben klaut, arrangiere ich mich nicht, ich will’s zurück! Und wenn schon Lubin kein gesteigertes Interesse an seinem Leben hat, warum soll’s dann ich als Leser haben? Doch wenn Sie sich mit der Sharing-Idee bis hin zum Teilzeitkörper anfreunden können, klappt es vielleicht.
Zweiter Platz nach 20 Jahren

Haben Sie Steven Spielbergs „Artificial Intelligence“ gesehen? Dann wird es Ihnen wie mir gehen: Sie werden sich fragen, ob „Made in Korea“ der Comic zum Film ist. Ist er nicht, soviel vorweg. Und: Spielberg war nicht nur 20 Jahre schneller, er ist auch berührender. Doch die Geschichte von Jeremy Holt und George Schall holt sich trotzdem einen soliden zweiten Platz. Tatsächlich entdeckt Szenarist Holt in der Story um das Robotermädchen Jesse ein paar Optionen, die Spielberg nicht nutzte, etwa die Einsetzbarkeit als Terrormaschine. Man wundert sich jedoch, warum sich Holt nicht mehr Mühe gab (oder von der Redaktion nicht mehr gedrängt wurde), dem Film auszuweichen. Die zögerliche Annäherung der Eltern an die Idee eines Robo-Kinds, die Verführbarkeit und Naivität des klugen Maschinchens, all das ist so parallel zu Spielberg, das man es Holt einfach nicht anrechnet.
Daher bin ich für den Schlussbonus besonders dankbar: Sechs Kurzgeschichten anderer Autoren zum gleichen Thema, jede davon überraschender als der eigentliche Hauptteil.
