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Comicverfuehrer

So hilfreiche Comics zu nervigen Themen könnte man öfter brauchen: die nachdenkliche Metzgererzählung „Fleischeslust“

Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne
Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne

Fleisch essen ist … problematisch. Kriegt man eine Grillparty schneller gesprengt als mit diesem Satz? Schon klar, bei Vegetariern rennt man offene Scheunentore ein, aber bei allen anderen? Und genau das ist doch das Problem: Will man sachlich drüber reden, was und wieviel sich ändern sollte/könnte, muss man viel dringender die vielen anderen erreichen. Martin Oeschs „Fleischeslust“ fängt schon mal genau richtig an: mit einem attraktiven Bild.


Der schönste Blick ist: auf die Theke


Eine Wursttheke hat er aufs Cover gesetzt, eine attraktive Wursttheke. Und das ist schon mal ein großer Schritt auf die Nichtvegetarier zu: Da ist einer, der akzeptiert, das Wurst eine leckere Sache sein kann. Mit dem kann man sich unterhalten. Sogar wenn er mit einem Fleischalptraum einsteigt.

Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne
Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne

Seine Hauptfigur ist Erwin Merz, letzter richtiger Metzger in der City einer Schweizer Stadt. Merz hat (ja, ein bisschen platt) Alpträume wegen der geschlachteten Tiere. Aaaber: zeichnerisch sind diese Alpträume sehr, sehr ansehnlich. Und Merz’ Arbeitsalltag wird durchaus positiv geschildert: Er macht gerne Würste, gerne Rollbraten, er ist stolz auf seine Arbeit. Aber er sieht auch, was alles nicht mehr so ist, wie er es einmal mochte.


Ein Fleischer mit Charakter


Er schlachtet nicht mehr selbst, kauft das Fleisch aus dem Schlachthof zu, weil es dann billiger ist – und seinen Kunden ist es nie billig genug. Die Därme hat früher ein Fachmann zugeliefert, heute kommen sie aus China. Irgendwie müsste es anders gehen, aber Erwin ist kein Revolutionär, sondern ein ganz normaler Metzger.

Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne
Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne

Martin Oesch begleitet Erwin auf seinem Tag, wir gehen in die blitzsaubere Metzgerei, in den Großmarkt, den Schlachthof, und Oesch verteufelt nichts. Selbst das größte Gemetzel im Schlachthof zeichnet er knallbunt, lebhaft und doch vorurteilsfrei. Es ist eine Industrie, aber sie existiert, weil der Kunde es will. Wir sind auch nicht in einem verdreckten Ausbeuterschlachthof, weil Erwin da nicht einkaufen würde. Man kann sich beim Angucken empören, aber nur, wenn man selbst die Empörung mitbringt – die Bilder geben sie per se nicht her.


Held mit Nitritpökelsalz


Überhaupt die Bilder: Flächig, bunt, kraftvoll, sie erinnern an Brecht Evens, vor allem, wenn Oesch richtig loslegt und beispielsweise die Metzgerei und ihre Räume geradezu escherhaft ineinander verschachtelt. Er will neugierig machen, uns hinter die Kulissen eines Traditionshandwerks mitnehmen. Überhaupt kann man den leicht meisterederigen Erwin in seiner Sperrigkeit und seine mit ihm gealterte Margrit gut nachvollziehen. Selbst, wenn sie Nitritpökelsalz für unverzichtbar halten, vielleicht sogar eben deshalb. Und dann?

Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne
Illustration: Martin Oesch - Edition Moderne

Klar, Merz begegnet einem Ökobauern, lernt Alternativen kennen. Wird er sich deshalb ändern? Oder eher in den Ruhestand gehen? Oesch verrät es nicht. Er will ja auch nicht aus Merz seinen Wunschmetzger formen. Sondern die Leser in die Fleischwelt mitnehmen. Mit welchen Konsequenzen? Das ist das Stärkste an Oeschs Band: Es gibt keine Vorgaben.






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Härtetest für Kindercomics (9): „Hände weg von unserem Wald!“ behandelt Umwelt kindgerecht. Julia (11) findet überraschende Vorteile

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Illustration: Nora Dåsnes - Klett Kinderbuch

Ich habe kein richtig gutes Gefühl bei Nora Dåsnes' „Hände weg von unserem Wald!“: Zu lieb, zu gut gemeint, alles ein bisschen „Sei deine eigene Greta Thunberg“. Andererseits: Könnte auch im Trend liegen, also wer weiß?


„Die übertreibt manchmal!“


Die Geschichte ist zeitgemäß: An Baos Schule soll der nahe Wald abgerissen werden, um einen Parkplatz für Eltern und Lehrer zu bauen. Bao sitzt zwar als Schülervertreterin im Beirat, wird aber überstimmt. Und organisiert dann den Protest: Mit „Banner aufhängen“ auf dem Schuldach und allem drum und dran. Dann wird der Wald besetzt, die Eltern helfen mit, und es findet sich ein Fehler im Gutachten, wegen dem der Bau schließlich abgeblasen wird. Schön und gut gemeint, aber insgesamt schon sehr viel Schema F, denke ich. Und dass Bao in ihrer Spaßbremsenhaftigkeit der echten Greta ziemlich nahe kommt, mag zwar realistisch sein, fördert aber nicht meine Lesefreude.


Julia schlägt sich interessanterweise nicht komplett auf Baos Seite. Sie will zwar auch keinen Parkplatz, sagt aber: „Die übertreibt manchmal!“ Auf Dächer klettern würde Julia nicht. Und noch etwas übertreibt Bao: Sie textet soviel am Handy, und diese ganzen Chatverläufe fand Julia eindeutig langweilig.


Auch im Comic gibt's Filmfehler


Überhaupt gab’s bei Bao wenig zu lachen, dafür einige Fehler zu finden: Für ihre Klettertour braucht Bao ein Seil, um hoch zur Feuerleiter zu kommen. Aber kaum hängt sie an der Leiter, ist das Seil weggepackt. In die Hosentasche? Einarmig? Julia klettert selbst in der Halle und weiß: Das geht nicht. Und als Bao in den angeschwollenen Bach fällt, wird sie von ihren Freundinnen gerettet, die erst am Ufer stehen – zwei Bilder später ist das Ufer eine Insel.


Sieht nicht gut aus, denke ich – doch dann kommt plötzlich Lob: „Das Beste war Baos Klimabericht“. Leicht verständlich, prägnant, mit einleuchtenden Zeichnungen. Es ist eindeutig, dass Julia sich für ihre Referate was davon abgucken wird.


Die beste Stelle: Der Klimabericht.

Die niedlichste Stelle: Es wird nicht so richtig niedlich.



Julias Entscheidung


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Selbstporträt: Julia

Klimabericht hin oder her, „Alldine“ hat an der Spitze nichts zu befürchten. Auch „Zack!“ zittert nicht, erst bei „Boris, Babette...“ wird es interessant, und das führt dazu, das...




  • 1. Alldine & die Weltraumpiraten

  • 2. Das unsichtbare Raumschiff

  • 3. Zack!

  • 4. Hugo & Hassan forever

  • 5. Boris, Babette und lauter Skelette

  • 6. Hände weg von unserem Wald!

  • 7. Trip mit Tropf

  • 8. Willkommen in Oddleigh

  • 9. Karl der Kleine: Printenherz

  • 10. Superglitzer




... wird natürlich fortgesetzt



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Mit „Die alten Knacker“ und „Ins kalte Wasser“ versuchen sich zwei Comics am Thema „Alter“ – aber nur einer besteht die Reifeprüfung


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YVONNE: ZU LÄSSIG FÜRS HEIM Illustration: Victor L. Pinel/Séverine Vidal - Splitter Verlag

Mit dem Altern ist das so eine Sache: Nichts daran ist schön, etliches daran macht Angst, und vermeiden kann man’s nur, indem man jung stirbt. Verdrängen ist eine Option, aber tatsächlich suchen wir nach Trost, Informationen oder auch nur dem Gefühl, mit dem Problem nicht alleine zu sein. Deshalb ist auch das Cover der Graphic Novel „Ins kalte Wasser“ so gut.


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Illustration: V. Pinel/S. Vidal - Splitter Verlag

Es zeigt Yvonne, 80, allein, in einem Sessel sitzend, unter Wasser, und ihr Blick ist: beklommen. Denn Yvonne wird umziehen, ins Altersheim. Und der beklommene Blick sagt alles. Verlust an Autarkie, Verlust des alten Zuhauses, und all das nicht freiwillig, sondern weil einen diese beschissene Realität namens Körper dazu zwingt. Ein grandioses Cover. Aber so gut wie auf dem Cover wird der Comic von Séverine Vidal und Victor L. Pinel bis zum Schluss nicht mehr – weil beiden der Mut fehlt, die Geschichte ernst zu nehmen. Diese Angst beginnt schon bei ihrer Yvonne.


Die Titelheldin ist 80, ein bisschen moppelig, aber gut in Schuss, das sieht man daran, wie sie geht und steht: Sie braucht keinerlei Hilfe. Warum zieht sie also ins Heim? Einziger Schluss: Sie ist zieht bewusst früh ins Heim und könnte jetzt (mit dem Heim als Sicherheitsnetz) alles tun, was sie noch kann. Sie tut: nichts, fühlt sich bevormundet und rebelliert. Wogegen eigentlich?


Hauptproblem: Die Not ist un-nötig


Natürlich muss man nicht begeistert sein, wenn man mit anderen Alten Scrabble spielen soll. Und niemand muss die Therapiesitzungen oder die Gruppenbespaßung super finden. Aber Yvonne könnte stattdessen jederzeit einen Bus nehmen, ins Museum gehen, in den Zoo, ein Beet anlegen, irgendwas anderes machen. Yvonne ist fit und das Heim ist kein Knast.


Das Problem ist: Vidal/Pinel wollen von einer bitteren Zwangslage erzählen, wählten dazu aber leider eine völlig untaugliche Protagonistin. Ungeschicklichkeit? Möglich, aber wahrscheinlicher ist, dass ihnen der Mumm fehlte, der Leserschaft eine passend malade, unattraktive Yvonne zu vorzusetzen. Mit der hätte man dann womöglich auch den Abschnitt „Sex im Altersheim“ nicht mehr so einfach runtererzählen können.


Böse Heimleiterin aus der Klischeekiste


Anstelle einer brauchbaren Hauptfigur konstruiert „Ins kalte Wasser“ dann lieber ein Heim irgendwo zwischen „Sein letztes Rennen“ und „Einer flog über das Kuckucksnest“. Ein Heim, in dem nicht nur der oben erwähnte Sex superheimlich stattfinden muss, sondern auch die böse Heimleiterin die Bewohner zum Rapport bestellt, wenn sie abends auf dem Zimmer noch ein Glas Wein trinken und tanzen. Das ist denkbar in einem Heim, in dem das Personal sich um lauter schwerkranke, extrem Pflegebedürftige kümmern muss. Aber in Yvonnes Heim sind die Bewohner so aktiv, dass jede Leitung froh wäre, wenn die sich gegenseitig bei Laune halten. Sie sind so aktiv, dass Yvonne für ihre duften, superrüstigen Freunde einen munteren Ausflug organisieren kann.


Es bleibt der Eindruck, dass Vidal/Pinel eigentlich nur eine gefühlige Altersheimgeschichte stricken wollten, Motto: „Schön, dass wir mal über irgendsowas geredet haben.“ Tatsächlich ertränken Vidal und Pinel das brisante Thema derart in ihrer Sensibelsoße, dass Betroffene sich nicht ernst genommen fühlen und Interessierte einen völlig unzutreffenden Eindruck bekommen. Was auch deshalb so ärgerlich ist, weil andere ganz nebenbei zeigen, dass man mit dem Thema viel geschickter umgehen kann.


Wer nimmt das Thema ernst? Die Komiker


Seit meinem letzten Besuch bei den „Alten Knackern“ sind zwei weitere Bände der Serie von Wilfried Lupano und Paul Cauuet erschienen. Und obwohl auch diese beiden vom Cover her den furchtbarsten Klamauk befürchten lassen, setzen sie sich unter dem Comedy-Deckmantel ernsthafter mit dem Alter auseinander als Vidal/Pinel auf ihren 80 Seiten. Indem wir etwa dem Altrevoluzzer Pierrot begegnen, der so langsam pinkelt, dass ihm der Bewegungsmelder auf dem Kneipenklo fortwährend das Licht ausknipst.


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Illustration: Wilfried Lupano/Paul Cauuet - Splitter Verlag

Pierrot lebt auch in einer reichlich verwahrlosten Altmännerwohnung, es geht bei ihm und seinen Freunden Antoine und Mimile um verpasste Chancen, Sturheit, Versöhnung. Es geht um die blöde moderne Zeit, das verzweifelte Festhalten an alten Ritualen, es geht auch Umweltschutz und Demokratie, und das alles klappt deshalb, weil Pierrot, Antoine, Mimile noch in einem brauchbaren Zustand sind.

Und das ist exakt der von Yvonne.







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