Enorm witzig, verblüffend einfühlsam: Josephine Marks Krankheits-Comic „Trip mit Tropf“ mischt extreme Härte mit extremer Niedlichkeit
Manche Comics sind so gut, dass man einfach sofort was dazu schreiben muss. Dieser Comic ist einer davon. Ich hab reingesehen, weil ich mal wieder was zum Thema Kindercomics machen will. Aber so lange kann Josephine Marks „Trip mit Tropf“ nicht warten. Und überhaupt: Wenn das ein Kindercomic ist, dann sind auch die „Peanuts“ Kinderkram…
Zwischen Krückenfuchs und Halswehhirsch
Wir befinden uns im Wald, in der Ambulanz für Tiere. Der Krückenfuchs kommt grade rein, der Halswehhirsch sitzt auf dem Wartebaumstamm, und die Maulwurfschwester sucht eine passende Vene für die Infusion des Kaninchens. All das ist so absurd wie niedlich, dass man’s sofort akzeptiert. Und noch was hilft ungemein: lakonische Dialoge. Sparsamst gefüllte Sprechblasen, die den darunter lauernden Humor so trocken machen wie einen Martini.
Dazu kommen ziemlich erwachsene Bitterstoffe. Am Tropf des Kaninchens hängen drei Infusionsbeutel, kein Schelm, wer Chemo dabei denkt. Kann das gut gehen? – und schon schmeißt der Wolf aus dem Nachbarabteil die Krankenschwester durchs Bild und näht sich supercool seine Schusswunde selber zu. Aber als er sich gerade ums leckere Kaninchen kümmern will, überfallen Jäger die Ambulanz.
Perfekt getimter Roadtrip
Wolf und Kaninchen fliehen, und weil eine Kugel vom Karnickel-Tropf abprallt und dem Wolf das Leben rettet, müssen beide zusammenbleiben, bis der Wolf seinerseits das Kaninchen gerettet hat. Indem er dafür sorgt, dass das Kaninchen nicht von Jägern erschossen wird. Und die ganzen mitgenommenen Medikamente ordnungsgemäß einnimmt.
Ein Roadtrip also. Gibt’s öfter. Was macht ihn so gut? Zum einen die geschickt kombinierten Charaktere. Das Kaninchen ist sanft, ängstlich, wehrlos. Der Wolf ist hart, rüde, reaktionsschnell. Aber er sorgt sich ums Kaninchen, und das macht ihn seltsam verletztlich. Zum anderen die Optik, der souverän leichte Umgang mit Farben und Licht: Egal, ob Herbstwald, Schneelandschaft, Nachtwanderung, man würde gern länger die Seiten anschauen – obwohl die rasante Geschichte mit den knappen Dialogen einen so verführerisch nach vorne zieht. Aber das Beste an „Trip mit Tropf“ ist das Timing.
Schlucken beim Lachen. Oder umgekehrt
Sagen wir, ein Kaninchen verheddert sich in den Schläuchen seines Tropfers. Wie lange soll der Wolf dabei genervt zusehen? Ein Bild? Zu kurz. Zwei Seiten? Zu lang. Mark entscheidet sich für vier Panels übereinander, aber alle seitenbreit – links der allmählich schäumende Wolf, rechts das Kaninchen-Knäuel. Bis er im letzten Bild endlich das Karnickel befreit. Und was sagt er dabei?
„Herrgott noch mal!“
Mehr nicht. Wozu auch? Da ist alles drin.
Oder: Nacht, Schneetreiben. Der Wolf kämpft sich mit dem Tropfer bergauf. Wie er schon fast rechts aus dem dritten Bild hinausverschwindet, taucht ganz links das Kaninchen auf. Man sieht kaum den Kopf. Wolf sieht zu, wie sich das Kaninchen hochkämpft. Im sechsten Bild kommt es noch nicht mal bis zur Bildmitte.
Wolf kehrt um. Trägt das Kaninchen.
Ganz schwer, da nicht zu schlucken.
Tragikomisch bis zum Anschlag
Mehrfach liest man, Josephine Mark hätte in „Trip mit Tropf“ ihre eigene Krebserkrankung verarbeitet. Wichtiger für den (zurecht mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichneten) Comic ist, dass sie dem inzwischen recht abgegriffenen Erzählstandard des unkonventionellen Kranken („Knocking on Heaven‘s Door“, „Der geilste Tag“) was Originelles und zugleich wesentlich Authentischeres entgegensetzt: die tapfer-bizarre Wehrlosigkeit und Leidensfähigkeit des Kaninchens, die sie mit dem schnoddrigen Wolf extrem komisch ausbalanciert. Und dass mit Josephine Mark endlich mal jemand nicht Tragödie und Komödie miteinander bis zur völligen Harmlosigkeit neutralisiert, sondern sie im Gegenteil bis zum Anschlag ausreizt. Im Wissen, dass man dem Kaninchen nur wünschen kann, dass es für immer bei dieser einen Chemo-Runde bleiben wird. Garantieren kann man's nicht.
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Ein erstaunlicher Comic-Hybrid der 70er erscheint erstmals auf deutsch: „Omaha The Cat Dancer“ ist eine Porno-Soap, bei der man Sex und Story gleichermaßen genießen kann
Sehr verwirrt ich bin. Vor mir liegt „Omaha“, ein Comic über eine nackt tanzende Katze, die der Verlag als „weibliche Antwort auf Fritz The Cat anpreist.“ Das ist eine ziemliche Hausnummer, allerdings die falsche: Mit Robert Crumbs opportunistisch-verlogenem Kater hat Omaha wenig zu tun. Aber „Omaha“ ist nichtsdestoweniger irgendwie… wie soll man sagen… gut. Und sehr, sehr anders.
Unter der Gürtellinie: ein bis zwei Schwänze
Aber der Vergleich mit Fritz liegt nahe, auch Omaha ist eine Katze. Aber Fritz und seine Freundinnen blieben unter der Gürtellinie ziemlich plüschig. Bei Omaha, ihren Freundinnen und Freunden ist da unterhalb des Katzenkopfs alles dran, je nach Geschlecht gibt es ein bis zwei Schwänze, alle voll funktionsfähig, und das wird nicht (wie bei Fritz) nur witzig angedeutet, sondern auch mehrfach lustvoll vorgeführt. Alles klar, kann man Porno nennen, oder? Aber hier wird’s eben spannend.
Denn für Porno ist „Omaha“ – wie soll man es ausdrücken – zu gut und zu aufwändig. Omaha redet mit ihren Gespielen vor dem Sex und nach dem Sex aber auch. Wo im Porno nach dem Orgasmus abgeblendet wird, geht die Szene bei „Omaha“ weiter. Und wenn zwei zur Tür reinkommen, dann vögeln sie nicht immer los, sondern essen auch mal was.
Mehr als nur eine Supermöse
Dazwischen trifft Omaha Freunde und kämpft um ihren Job, denn die Strip-Clubs der späten 70er sollen in einem konservativen Rollback dichtgemacht werden. Sowas kennt man im Porno schon auch, aber nur als Feigenblatt, etwa in den Schulmädchenreports und Lederhosenstreifen, die das lustvolle Sex-Entdecken hauptsächlich als gutverkäufliches Angebot zum Mitspannen verwerteten. Bei „Omaha“ versucht jemand sichtlich und erfolgreich, aus seiner Protagonistin mehr zu machen als eine Toptänzerin und Supermöse.
In unserer Schubladenwelt ist das eine sehr verwirrende Erfahrung, immer noch.
Ersonnen hat das Ganze der Amerikaner Reed Waller Ende der 70er Jahre. Die Inspiration dahinter war tatsächlich Fritz The Cat. Aber während Crumbs Kater eine bittere Abrechnung mit den Schwätzern und Abstaubern der sexuellen Revolution war, stellte Waller von Beginn an das Positive in der Vordergrund. „In meiner Generation konnte man erstmals frei wählen, ob man offen schwul leben wollte, alternative Beziehungen führen, Drogen nehmen“, erinnert er sich 2013 in einem Interview.
Die Suche nach der besseren Comic-Soap
Die Strip-Clubs, in denen Waller Omaha tanzen ließ, besuchte er selbst, für ihn war es gesellschaftlicher Fortschritt, dass man sich nicht mehr verstohlen hineinschleichen musste. Zugleich ist Waller aber auch ein enttäuschter Liebhaber des Comic-Soap-Genres: Die Zeichnungen waren ihm oft zu schlecht, die Dialoge zu gekünstelt. Das Resultat ist die Reaktion auf diese Enttäuschung.
Wenn Omaha backstage mit einem Verehrer streitet, kriegt man ein echtes, pfiffiges Gespräch, ein Rededuell mit Aggression und Missverständnissen, und jede Regung sitzt in punkto Mimik und Körperhaltung so wie wenige Seiten zuvor, als Omaha noch begeistert und schamfrei beim Tabledancen jede Menge Einblicke gewährte. Wenige Seiten später wird gevögelt, sorgfältig, aber definitiv irgendwie anders.
Aufregend und völlig unverklemmt
Das ist nicht die schwülstige Weichzeichnerei des Softpornos, auch nicht die ruppige Nüchternheit des Standardpornos. Es erinnert zuerst leicht an die Tijuana Bibles, die illegalen Porno-Parodien bekannter Zeitungsstrips der 30er. Aber nach und nach merkt man, was so seltsam ist: die Zuneigung, mit der Waller seine Figuren behandelt. Sie führt dazu, dass die Sexszenen zugleich aufregend, aber auch völlig unverklemmt und natürlich wirken.
Man sieht, liest und spürt einen Hauch von den spannend-entspannten Freiheiten und Möglichkeiten, die sich die sexuellen Revolutionäre erträumten, bevor letztlich Pornhub und Co. wieder den klammheimlichen Hausgebrauch nahelegten. Waller selbst stellte schon zu Beginn der 80er fest, dass ihm die Story-Ideen ausgingen. Es war eine Frau, die Omaha aus dem Dornröschenschlaf erweckte.
Hinter den Stories steckt eine Frau
Kate Worley, eine Arbeitskollegin, schlug Waller verschiedene Szenarien vor, und Omaha tanzte fortan wieder. Leider, soweit sich das nach dem ersten Band sagen lässt, mit deutlich erhöhtem Soap- und noch deutlicher reduziertem Sex-Anteil (einmal pro Heft). Das nimmt dem Ganzen etwas den besonderen Reiz, aber mindestens einen Band würde ich noch ausprobieren. Schon, weil bei Omaha immer noch eine sehr angenehme Duftnote aus der Zukunft mitweht: Terry Moores wunderschöne, jugendfreie Romantik-Serie „Strangers In Paradise“ nutzt viele jener erzählerischen Freiheiten und Möglichkeiten, die diese Striptease tanzende Mieze erstmals vorführte. Schnurr!
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
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Zwischen Gewaltfantasien und Rassismus: Kathrin Klingner hat ihre Arbeit als Moderatorin für Internet-Kommentare zu einem Comic verarbeitet - krass, komisch und knochentrocken
Oh, das ist guter Stoff. Richtich gutes Zeuch. Einige werden’s wieder mal nicht mögen, weil es so gekrakelt aussieht. Oder kein richtiger Feelgood-Comic ist. Trotzdem, geben Sie „Über Spanien lacht die Sonne“ von Kathrin Klingner eine Chance. Weil der Band verdammt unterhaltsam ist und – ja, das geht – trotzdem wichtig.
Social Media: Lieferanteneingang
Klingner erzählt ein Kapitel aus ihrem eigenen Leben: Sie jobbte 2014/2015 als Moderatorin von Online-Kommentaren, wie sie im Internet allgegenwärtig sind, auch unter Online-Artikeln wie diesem hier. Der Zeitraum ist derjenige, als die Flüchtlingswelle ihren Höhepunkt erreichte. Es ist nicht ganz klar, für welches Medium Kitty, Klingners Stellvertreterin im Comic, arbeitet, aber ihre Aufgabe ist: Sie soll aus den Kommentaren diejenigen herausfiltern, die nicht den Richtlinien entsprechen.
Schon Kittys Einweisung ist bezeichnend: „Jeder gelöschte Kommentar wird gespeichert und mit einem Kürzel versehen“, lernt sie. „OT“ für „off topic“, „KEB“ für „kein ernsthafter Beitrag“, … „FR2“ für „Rassistische Beleidigung“, „GFA“ für Gewaltfantasie.“ Dann zeigt Kittys Chef aufs Nachbarbüro: „Keine Ahnung, was die machen, halt auch irgendein Internetquark.“ Klingt nicht besonders, oder? Mir ist’s auch erst beim zweiten Durchlesen aufgefallen, was da falsch läuft.
Der Sprengstoff, auf dem wir alle sitzen
Es gibt also so viele Kommentare, dass man mehr Leute einstellen muss. Rassismus und Gewaltfantasien sind keine Ausrutscher, sondern sie tauchen so oft auf, dass sie Standardkürzel kriegen. Und die Aufsicht darüber haben Leute, die sagen, diese Aufsicht sei halt auch nur „irgendein Internetquark“. In nur sieben Panels beschreibt Klingner den Sprengstoff, auf dem wir alle inzwischen sitzen.
Ohne jede Betonung, ohne das starre Panelschema zu verlassen. Jedes Bild sagt „jaja, so ist das“, und gerade diese Beiläufigkeit macht die Szenerie, die ja unsere Realität ist, erst so richtig gespenstisch.
Abgestumpfte Moderatoren
Trockenheit ist Klingners stärkste Waffe. Sie arbeitet ohne jede Betroffenheit, ohne Häme, ohne Sarkasmus. „Wer sich über brennende Asylheime wundert, hat nichts! verstanden“, läuft über den Bildschirm, während Kitty nebenher Chips knuspert. „Die Entvolkung Deutschlands ist in vollem Gange“, liest eine Kollegin gleichmütig trinkend. Ob man derlei für schlimm hält, bleibt dem Leser überlassen, die Moderatoren zeigen längst keine Reaktion mehr, selbst die bizarrste Paranoia ist für sie Alltag.
Für mehr Aufsehen bei den Moderatoren sorgen da schon die abstrusen Reaktionen der Hetzer und Trolle: Ohne jede Chance auf Veröffentlichung ihrer Kommentare beginnen sie Privatkriege mit den Moderatoren, melden sich unter Mehrfachnamen an, verwenden in jedem Fall erstaunlich viel Zeit für dieses widersprüchliche Phänomen, das sich in Foren und Kommentarspalten immer wieder zeigt: Eine Art hasserfülltes Betteln um Aufmerksamkeit im Schutz der Anonymität, Aufmerksamkeit von irgendwem, und sei es die des Moderators, der doch den Text nicht mal freiwillig liest. Motto: Like mich, du Arschloch!
Nüchtern, reduziert und um so treffender
Erfreulich ist auch, dass Klingner nicht zu sehr auf die „Was-macht-soviel-Hass-mit-den-armen-Moderatoren“-Tube drückt. Sicher, die sagen mal, dass sie kaum noch Nachrichten gucken, dass sie nach Feierabend mit dem Internet nichts mehr zu tun haben möchten. Aber Klingners Tierfiguren im schwarz-weißen Minimalstil führen auch selbst ein seltsam emotionsloses Leben.
Manchmal wäre man froh, wenn man bei ihnen sowas wie einen „Wir-retten-die Demokratie“-Missionsgeist sähe, einen gerechten Zorn, gerade von Kitty, dem Neuling. Macht denn nicht jeder verhinderte Hasskommentar die Welt ein bisschen besser? Aber so billige Lösungen gibt’s bei Klingner nicht. Wo sollen die auch herkommen?
Großartig gekleckster Kaninchenkopf
Hier geht’s ja nicht um Recht und Gesetz, hier machen einige Moderatoren einen vorübergehenden Job, und wenn man den hinter sich hat, macht man halt einen anderen Internetquark. Kitty kriegt keinen Heulkrampf, sie geht bloß heim, kippt sich Rotwein in den (aus fünf Flecken großartig zurechtgeklecksten) Kaninchenkopf und versucht, einen Roman drüber zu schreiben.
Klingner selbst sieht die Problematik nüchtern. Aufmerksamkeit ist die Währung, die das Internet und auch den Hass am Laufen hält: „Solange Leute es sich anschauen, und auch wenn sie es nur tun, um sich darüber zu empören, wird es Hate Speech weiterhin geben“, sagt sie. Tatsächlich ließe sich das Internet zivilisieren – allerdings um den Preis der Anonymität. Klingners letztes Kapitel deutet diese Option an: Der Chef der Moderatoren beschließt eine „Versöhnungsfeier“ zu veranstalten, Moderatoren und die übelsten Hetzer der Website sollen im richtigen Leben aufeinandertreffen. Ohne Pseudonym, mit offenem Visier.
Wie’s ausgeht? Kaufen, lesen.
Kathrin Klingner, Über Spanien lacht die Sonne, Reprodukt, 20 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.