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Comicverfuehrer

Die Outtakes (24): Mit einem emanzipierten Grusel-Praktikum, einer Perle des Militär-Cartoons und einer sehr nachsichtigen KI-Kritik

Illustration: Noëlle Kröger - Reprodukt
Illustration: Noëlle Kröger - Reprodukt

Es feuchtenbergert


Los geht’s gut: Anfang des letzten/Ende des vorletzten Jahrhunderts beginnt eine Handvoll Studenten ihr Praxissemester – und eine einzelne Studentin. Die einen Job als Instituts-Helferlein kriegt, und zwar bei der Erforschung eines Werwolfs. Ein Superstart für Noëlle Krögers „Meute“: Emanzipations-Setting goes übernatürlich, und dann auch noch diese brachiale Optik. Die Menschen mit feinen Linien waechter-franziskabecker-haft skizziert, die Werwölfe und Wälder mit fetten, entschlossenen Kohlestrichen, oft energisch über den Panelrand hinausgeschmiert, die feuchtenbergergeschulte Masterarbeit hat ordentlich Power. Das Problem ist das Durchhalten. Optisch passt das, inhaltlich wird’s schnell dünn. Kröger will zu viel und kann sich bald nicht mehr entscheiden. Die Werwölfe sollen vom konsumierbaren Gruselelement zum Symbol für alle „Unsichtbaren der Gesellschaft“ werden, dieses Sichtbarmachen will sie diskutieren und auch noch die Rolle der armen Wissenschaftlerin, deren Benachteiligung man daran erkennt, dass sie als Anfängerin eher subalterne Jobs machen darf (was allerdings Anfängern genauso passiert). Kröger verdreht sich durch den Werwolf, die Story verliert bald den Drive: schade. Aber die Power-Panels sind trotzdem echte Hingucker.  

 


Kompetente Truppenbetreuung

AUTHENTISCH: WAS VON "ATTENTION!!" ÜBRIG BLIEB...         Illustration: Milton Caniff - Kitchen Sink Press
AUTHENTISCH: WAS VON "ATTENTION!!" ÜBRIG BLIEB... Illustration: Milton Caniff - Kitchen Sink Press

Ist das hier nur was für Spezialisten? Einerseits ja, andererseits nein, aber wenn Sie mal günstig drüber stolpern, nehmen Sie „Male Call“ besser mit. Milton Caniff ist eine Comic-Legende, in seinen Serien „Steve Canyon“ (1947-88) und „Terry And The Pirates“ (1934-46) setzte er Maßstäbe in der Kunst, nur mit Schwarz und Weiß Tiefe, Bewegung, Stimmung zu transportieren. Zusätzlich war Caniff ein exzellenter Texter, das Ergebnis waren tägliche Abenteuercomics auf Hollywood-Blockbusterniveau, witzig, spannend, aber auch einfühlsam und dramatisch, mit „Casablanca“-reifen Dialogen. „Male Call“ entwickelte Caniff während des Zweiten Weltkriegs: ein Comic nur für die Truppe(nzeitungen). Weshalb man hier auf engstem Raum (vier Panels pro Strip) nicht nur seine Kunst findet, sondern nebenbei Militär-, Sprach- und Sozialgeschichte. Die Heldin mit soldatengerechter Oberweite ist Miss Lace, die stets seltsam truppennah wohnt, mit Soldaten ausgeht, flirtet und allein entscheidet, ob sie freche Bemerkungen akzeptiert oder schlag-fertig retourniert. Ein Mix der Träume: von der sexy Kameradin zum Pferdestehlen, von ent-sexten Männern, die zugleich übertreiben und doch bei aller Lust die Regeln des Anstands einhalten. Erstaunlich/erfreulich ist, dass der heute kaum mehr denkbare Comic bei allem Verständnis gaff- und knutschwütigen Kerlen auch klarmacht, dass Frauen Avancen ganz anders empfinden könnten. Zudem ist „Male Call“ mit seiner Sympathie für die Untergebenen neben Will Eisners Lehrcomics für Soldaten ein zweiter gelungener Versuch, sich in die Köpfe der Truppe zu versetzen – was deren Gedankenwelt bis heute wiederum besser illustriert als manche Studie. Aber: Miss Laces Abenteuer gibt’s nicht auf deutsch, authentisch sind sie ohnehin nur auf englisch, und um sie günstig zu kaufen, muss man sie stets ein bisschen auf dem Schirm haben. Für die ca. 100 Strips werden derzeit gern 40 oder mehr Euro aufgerufen, ich kam bei Ebay mit etwas Glück mit 15 davon.

 


Zuviel Rücksicht auf Roboter

Illustration: Johannes Lott - Schwarzer Turm
Illustration: Johannes Lott - Schwarzer Turm

KI und die Zukunft des analogen Zeichenberufs – zweifellos gutes Material für Cartoon und Comic. Johannes Lott hat sich im schmalen Bändchen „real human art“ des Themas angenommen, der Erstveröffentlichungs-Plattform Instagram gemäß auf Englisch, und dabei ist es dann auch im Deutschen geblieben (kann man das eigentlich so sagen? Nee, oder? Also: ist in Deutschland gedruckt, aber auf englisch!). Handlung ist stets: der Dialog von Zeichner und Roboter. Was letztlich mit der Pointenqualität steht und fällt. Dafür ist aber Lott leider nicht der Richtige. Denn betrachtet man den Siegeszug des KI-Versprechens „Scheiße, aber gratis“, wäre tiefschwarze Bitterkeit angemessen, Lott hat aber zuviel Verständnis für Mensch und Maschine. Zu wenig Rücksichtslosigkeit macht ihn zwar zu einem sympathischeren Zeichner, aber zu einem schwächeren Satiriker. Schade.





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Endlich Neues von Aya! Die Saga um das clevere Mädchen von der Elfenbeinküste vermittelt erneut ihr einzigartiges Afrika-Bild: komödiantisch-leicht

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Illustration: Marguerite Abouet/Clément Oubrerie - Reprodukt

Was für ein erfreuliches Comeback: „Aya aus Yopougon“ kommt zurück. Wer’s kennt, darf sich freuen, wer nicht, um so mehr. Denn Aya bietet einen komplett einzigartigen, erfrischenden Blick auf Afrika, genauer gesagt: natürlich nur auf einen Teil Afrikas, nämlich die Elfenbeinküste – allerdings vor etwa 50 Jahren.


Vögelnder Chef mit dussligem Sohn


Die Elfenbeinküste der 70er war offenbar prowestlich, stabil und dabei trotz diverser Demokratie-Defizite liberal regiert. Was bedeutete, dass über einen längeren Zeitraum kaum jemand vor Dingen wie Hunger, Verfolgung oder einem Putsch fliehen musste. Dass sich eine stabile Gesellschaft mit leidlichem Wohlstand entwickelte – was Abouet zusammen mit Zeichner Clément Oubrerie zu einer munteren lokalen Soap-Burleske verarbeitete, mit drei jungen Mädchen im Zentrum: Aya, Adjoua und Bintou. Aber letztlich ist es auch und vor allem eine vergnügliche Ansammlung liebenswerter Dödel und Dödelinnen.

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Illustration: M. Abouet/C. Oubrerie - Reprodukt

Ayas Papa Hyacinthe schwankt ständig zwischen Kriechertum und Bedeutungshuberei, weil er einen guten Posten in der örtlichen Brauerei hat. Sein Chef ist der wild herumvögelnde Monsieur Sissoko, der verzweifelt versucht, aus seinem steindummen Sohn Moussa einen Nachfolger zu formen. Es werden idiotische Geschäftsideen entwickelt und Hexenmeister zur Lebensberatung und -steuerung herangezogen. Vor allem aber wird auch munter gebalzt. Wer mit wem, und wer macht wen an, und nachts trifft man sich zum Poppen auf dem Marktplatz, wo die leerstehenden Marktstände als Paarungspritschen dienen. Leider ist dabei im Dunkeln nicht nur gut Munkeln, sondern auch gut Verwechseln. Unterdessen hat es Innocent, schwul und naiv, nach Paris geschafft, wo er mal als Michael-Jackson-Kopie, mal als Prince-Imitat heimisch zu werden versucht.


Früh lesen können? Teufelswerk!


Darf man sowas? Eine afrikanische Tölpelparade inszenieren? Kulturelle Aneignung ist’s auf jeden Fall schon mal nicht, Szenaristin Marguerite Abouet wuchs an der Elfenbeinküste auf, sie verarbeitet ihre Erinnerungen. Zudem blendet sie ernste Themen nicht aus, sondern jubelt sie ihren Lesern so geschickt wie beiläufig unter. So werden die schlicht gewirkten Eltern auch deshalb zum Problem, weil ihr Einfluss auf die Lebensgestaltung der Kinder noch immer groß ist. Weil hier die Homosexualität des Sohnes eine genauso verhexte Katastrophe ist wie dass der kleine Enkel (3) schon lesen kann: Eine ganz finstere Krankheit steckt dahinter, sie nennt sich „Hochbegabung“. Weil hier die Jungs sich für Gottes Geschenk an die Menschheit halten und die Mädels es ihnen glauben – bis auf Aya natürlich, die Titelheldin, bei der als Einziger die Tassen im Schrank noch vollzählig zu sein scheinen. Aya, die was aus sich machen will und die sich nichts gefallen lässt.

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Illustration: M. Abouet/C. Oubrerie - Reprodukt

Clément Oubrerie, Abouets Ehemann, hat die Geschichten kongenial illustriert. Sonnig, extrem farbenfroh, mit besonderem Augenmerk auf afrikanisches Textildesign, auf Lebenslust und Kochkunst. Zudem liest sich „Aya“ ausgesprochen locker, die ständigen Schauplatzwechsel geben das Gefühl, man sei selber in diese ganzen schwurbeligen Zirkel integriert. Als wären all die normal-merkwürdigen Protagonisten Teil des eigenen Freundeskreises. Von dem man natürlich auch ständig wissen möchte, wie’s weitergeht. Einziges Manko für Neueinsteiger: Die ersten, genauso empfehlenswerten Teile der Serie liegen inzwischen so weit zurück, dass einige vergriffen sind. Reprodukt hat allerdings mit der Wiederveröffentlichung begonnen, Teil eins ist schon draußen, Teil zwei erscheint im November.





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Als Cartoonistin berühmt, aber als Autobiografin viel besser: Marie Marcks' grandiose Aufzeichnungen ihrer sehr deutschen Geschichte

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Illustration: Marie Marcks - Frauenbuch Verlag - Weismann Verlag

Heute wird’s günstig. Weil alt. Heißt: Sie werden sich möglicherweise (s.u.) auf dem Gebrauchtbüchermarkt bedienen müssen. Ja, sorry, ist halt so. Und eigentlich gar nicht sorry, denn Sie wissen doch: Comics bedeuten Kohlenstoff im Regal statt CO2 in der Atmosphäre. Alles klar? Gut. Thema heute: Marie Marcks. Und zwar ihre beiden autobiographischen Bände „Marie, es brennt!“ (1984) und „Schwarz-weiß und bunt“ (1989). Jaaa, sehr alt. Aber unglaublich lohnend.


Die Frau mit der Wärmepumpe


Ich kannte Frau Marcks bislang vor allem aus Rororo-Rotfuchszeiten, also vom Kinderbuch. In den 70ern machte sie comicartige Bildgeschichten aus dem Familienleben, in denen Kinder gegen Atomstrom demonstrierten, aber gerne den ganzen Tag das Licht brennen und den Wäschetrockner glühen ließen. Die Stories waren witzig, gut beobachtet, man erkannte sich als Erwachsener und als Kind wieder. Und, beim kürzlichen Wiederlesen, was fand ich da, fast 50 Jahre alt? Die Empfehlung einer Wärmepumpe. Nur mal so am Rande.

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Illustration: Marie Marcks - Frauenbuch Verlag - Weismann Verlag

Als letztes Jahr zu ihrem 100. Geburtstag alle an sie erinnerten, bestellte ich, was mir noch fehlte. Was zu einer großen Enttäuschung führte und zu einer noch größeren Entdeckung. Die Enttäuschung: Marcks‘ Cartoons waren oft mau. Sehr gut gemeint, aber arg platt, und der Unternehmer ist immer der böse Doofi. Umso besser, bewegender, treffender war Marcks als bebilderte Erzählerin.


Zwischen Karotten und Briketts


Besonders schön: Das funktioniert ohne Anlauf, wie schon der erste Halbsatz in „Marie, es brennt!“ zeigt, der sich ihrem Geburtsjahr widmet: „Mitten in der Inflation, als 1 Mohrrübe 10.000.- Mark kostete und sich meine Mutter ihren Unterricht in Briketts bezahlen ließ…“ Dazu gibt es: eine hübsche randlose Zeichnung der Mutter auf dem Rübenfeld, in einer Mondnacht, verstohlen Karotten rupfend. Und eine breites Bild des Zeichenunterrichts im zum Atelier umfunktionierten Esszimmer. Man sieht den Parkettboden, die Schüler mit den Briketts, den Kachelofen, die Tische, und alle mit der Marcksschen naiven Ernsthaftigkeit. Marcks zeichnet hier mit Buntstift, sympathisch, unaufwändig, Text und Bild greifen sich schön ergänzend ineinander und zeigen sofort Marcks‘ Stärke: der beiläufig wirkende, aber ungemein exakte Blick, die präzise, stimmungsvolle Zeichnung, der ironisch-treffende Kommentar, dessen Schärfe sie von mild bis beißend stufenlos regeln kann.

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Illustration: Marie Marcks - Frauenbuch Verlag - Weismann Verlag

Die Kindheit etwa, mit all ihren Peinlichkeiten, aber auch den konkurrierenden Jugendgruppen von evangelisch bis deutschnational, bekommt die milde Marie ab. Wohlgemerkt mild, nicht verklärend: Bei Marcks finden sich auch Raritäten wie diese Beschreibung der ersten Bombenangriffe 1943: „Ich muss gestehen, dass ich es unheimlich gut (damals: irrsinnig prima) fand, wenn es in der Nachbarschaft brannte, und der Angriff am 1. März war der tollste.“


Mit schmunzelnder Fassungslosigkeit


Marcks ist damals 21, sie verliebt sich gern und viel in einem Deutschland, das immer chaotischer, düsterer dem Zusammenbruch entgegentaumelt. Was man bis zur Wohnungsnot der Nachkriegsjahre in schmunzelnder Fassungslosigkeit verfolgt.

Vor diesem Hintergrund ist Marcks‘ Weg in die künstlerische Selbständigkeit in „Schwarz-weiß und bunt“ deutlich entspannter zu genießen. Was an Dramatik fehlt, ersetzt hier allerdings die optische Vielfalt. Nach dem Krieg suchte niemand Cartoonisten, dafür waren Gebrauchsgrafiker begehrt. Marcks, immer auf Arbeitssuche, deckte überraschend viele Stile ab. Wer (wie ich) nur mit ihren bekannten staksigen Figuren rechnet, staunt über die grafische Vielfalt, Schneide- und Drucktechniken, Federzeichnungen – chamäleonartig, gar nicht marcksig. Sie behauptet sich im Beruf, wobei ihr unterwegs ihr Hauptthema begegnet: die alleinerziehende Frau. Denn Marcks war nicht immer partnerschaftlich so auf- und eingeräumt, wie es damals üblich war. Fünf Kinder zieht sie groß, mal mit Patchwork, auch mal partnerlos.

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Illustration: Marie Marcks - Büchergilde Gutenberg

Angenehm ist dabei der Tonfall: zwar ist jederzeit klar, dass Marcks die Verteilung von Belastung, Bezahlung und Berufsaussichten höchst ungerecht findet, dennoch gibt’s statt Selbstmitleid die Rezepte „Mundaufmachen“ und „Wehren“. Ein Beispiel? Marcks soll die Beschriftung der Räume einer Wirtschaftshochschule entwerfen, die lukrative Beschriftung selbst soll an eine Malerfirma gehen. Argument: „Sie können sich doch nicht als Frau mit Malstock und Pinsel hinstellen und tausende Buchstaben malen.“ Marcks macht den Mund auf, kriegt den Auftrag und pinselt, „bis mir der Arm abfault“.


Eine unprätentiöse, aber auch unbequeme Zeitreise, die man einzeln gebraucht günstig kriegt. Wer etwas mehr Geld übrig hat, findet die Autobiographie auch in der zweibändigen Werkausgabe. Und kriegt eine Menge Marcks dazu







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