- vor 7 Tagen
Den Christbaum aufstellen ist leicht, aber Geschenke drunterlegen? Hier kommen sechs Richtige mit Zusatztipp – und nichts davon ist digital

Ja, die stade Zeit, wie es in Bayern heißt. Der herrliche Abschnitt des Jahres, in dem Sie behaglich mit einer Tasse Wunderpunsch in der Hand und je einer Packung Lebkuchen unterm Arm liebevoll die Gaben für die unvermeidlichen Mitmenschen und die unentrinnbare Verwandtschaft besorgen dürfen. Bzw. den Lieferungen hinterherlaufen, die Ihr Paketbote an den Wunschnachbarn in einer der Umlandgemeinden geliefert hat, wo alles 24/7 auf Sie wartet, heute jedoch nicht. Aber es geht auch anders: Hier gibt’s die passenden Comic-Tipps für fast jede Gelegenheit, die lassen Sie sich vom Buchhändler Ihres Vertrauens bestellen und holen sie ratzfatz ein- für allemal ab, fertig. Oder Sie schließen die Tür hinter sich zu, drehen die Heizung auf, stellen einen Bottich Glühwein auf den Herd und lesen alles selber. Stille Nacht allerseits!
Fürs Erinnern

Was für ein Finale! Teil 3 der (titelmäßig noch immer entsetzlich übersetzten) Serie „Madeleine, die Widerständige“ konzentriert sich auf das Ende des Zweiten Weltkriegs, das die kürzlich verstorbene Madeleine Riffaud in Gestapohaft erlebte. Und mit derselben brutalen Sachlichkeit, mit der sie bisher Madeleines Abtauchen und Kampf im Untergrund einfingen, destilliert das Duo JD Morvan (Text) und Dominique Bertail (Zeichnungen) jetzt die Folter- und Verhörmethoden der Gestapo aus Riffauds Erinnerungen. Was den Leser auch deshalb so rücksichtslos mitnimmt, weil beide eben nicht sagen wie schlimm das alles war – sondern es zeigen. Die Bilder gehen an die Grenze des Zumutbaren und sind dabei doch geschickt arrangiert: Immer wieder finden sich Reste von Mitgefühl in der bürokratisierten Unmenschlichkeit. Der Flic, der ihr Infos und ein Stück seines Pausenbrots zusteckt, die Mitgefangenen, die Riffaud aus dem Zug schubsen, der ins KZ fährt. Ebenfalls hilfreich: Morvan/Bertail stellen ihre Heldin möglichst wenig aufs Podest, obwohl das gar nicht so einfach ist. Wer käme schon auf die Idee, die eigene TBC-Vorerkrankung als Waffe einzusetzen? Ergebnis: Ein erzählerisches Feuerwerk in Bertails eigentümlichem, zwischen eis- und prachtblau kolorierten Stil, der in Frankreich für sechsstellige Verkaufszahlen sorgte. Wenn’s ein bisschen mehr sein darf: Verschenken Sie einfach Band 1 und 2 gleich mit.
Für Lesen ohne Lupe

Wie immer: Wenn's der Geldbeutel hergibt, bieten sich auch große Comics an. Der Taschen-Verlag wirft unermüdlich exzellent aufbereitete Titel auf den Markt, im doppeltgroßen Format, das nicht nur Zeichnungs-Details zeigt, sondern auch für Urgroßmütter und -väter jederzeit die Leselupe mit einbaut. Vorausgesetzt, es findet sich einer ihrer jungen Nachkommen bereit, das tablettgroße Teil auf einen geeigneten Tisch zu wuchten. Der neueste Coup der Kölner ist die „Disney Comic Library – Carl Barks’ Donald Duck“. Auf 636 Seiten sind fast viereinhalb Kilo Comics vom unangefochtenen Meisterzeichner der Anarcho-Ente versammelt, aus den Jahren 1942-1950. Liebevoll eingeleitet, aufwändig mit zusätzlichen Zeichnungen begleitet, durchgehend englisch. Was manche schätzen, manche eher skeptisch sehen, für die Barks' Meisterwerke nur in der Übersetzung von Erika Fuchs genießbar sind. Eindeutig Geschmackssache, aber vorm Verschenken sollte man’s bedenken und sich im Zweifelsfall auf andere, ähnlich wuchtige Taschen-Editionen verlegen: Mit den vergleichbar attraktiven Marvel-Ausgaben etwa umgeht man die Fuchs-Frage komplett. Ach so: Lesen muss man nicht unbedingt am Tisch: Ich empfehle eine große Tasse Kaffee und einen dicken Teppich in der Nähe der Heizung. Wenn’s dann außen auch noch schneit...aaah.
Für Gleichberechtigung

Wenn Ihnen schon bei der Weihnachtsgans der Gesprächsstoff ausgeht: Versuchen Sie's mit Hühnern. „Elmer“ ist eine erstaunliche Mentalknabberei auf vielen Ebenen. Gerry Alanguilan erzählt von einer Gegenwart, in der Hühner sprechen können und daher plötzlich als gleichberechtigte Menschen gelten. Haha, denkt man, Rassismus-Parodie – eben nicht: Rassismus-Parabel. Mit Hühnern?? Aber genau das ist das Irre: Viel öfter als nicht kriegt Alanguilan alles auf die Reihe. Durch eine Art Wunder können die Hühner plötzlich sprechen, argumentieren, den millionenfachen Mord an ihnen und ihren Eiern benennen. Hühnerterroristen kämpfen für ihre Rechte, Menschen sorgen sich um ihr broilerloses Auskommen, ihre gesellschaftliche Vorrangstellung, die Hühner entdecken, dass Reis lecker schmeckt, wenn man – Schwein dazu isst. Ab und zu geht was schief, aber es ist Wahnsinn, wie weit Alanguilan mit seinen geflügelten Hauptdarstellern kommt. Weshalb man nicht nur am Rassismusvergleich kaut, sondern auch darüber grübelt, ob man denn eigentlich mit allem Geschichten erzählen kann, bis hin zu Quallen, Pilzen und Bügeleisen? Antwort: Ja, wenn man’s kann. Und Alanguilan (1968-2019) konnte.
Für Krimi-Fans

Bei Krimis sind mir ja bestimmte Details wichtig. Aber wie das TV-Programm zeigt: Viele sehen das nicht so, und deshalb könnte „Criminal“ genau das richtige Geschenk für solche Fans sein. Ed Brubaker und Sean Phillips haben die harte Serie gestartet, die wie „Joe's Bar“ immer wieder um eine Kneipe kreist, in der sich die einzelnen Charaktere begegnen. Aber „Criminal“ ist weniger artsy. Einsame, vom Leben gebeutelte Männer begegnen mysteriösen Frauen, es geht um Rache und Gewalt und alles, was so dazugehört. Die Zeichnungen sind düster, mit viel Schwarz, eigentlich wie geschaffen, um in der Liga von „Sin City“ oder „100 Bullets“ mitzuspielen. So, und jetzt kommt’s: Für mich wird alles ein bisschen zu deutlich erklärt, und die einsamen Männer plakatieren mir ihre Einsamkeit viel zu langatmig. Aaaber: Genau das möchten viele andere Krimikonsumenten exakt so haben. Und wenn man das mag, dann ist „Criminal“ ein grandioser Knüller, insbesondere in der verschenk-idealen Deluxe-Edition, die drei Episoden in einem schweren Prachtband mit vielen Making-of-Seiten versammelt.
Für Goldgräber

Das hier sieht gut aus, oder? Und alt. Also, im Sinne von „als Vati noch jung war“. Genau das steckt hinter „Frank Cappa“: Eine Abenteuergeschichte aus den 80ern, mit einem Kriegsreporter als zynisch-abgebrühtem Helden. Gezeichnet und entwickelt vom deutschstämmigen Spanier Manfred Sommer. Und es fügt sich in eine Reihe mit Vatis Helden wie Corto Maltese, Buck Danny, na, das ganze Zeug eben, das er damals in „Zack“ oder so gelesen hat. Bloß… „Frank Cappa“ war damals eben nicht dabei. Ein paar Alben erschienen in den 80ern, und wer das nicht mitgekriegt hat, der hat die Serie eben verpasst. Bis heute: Weil der avant-verlag dieses Comic-Nugget wieder ausgebuddelt hat. Und Vati, der selbstverständlich vielleicht auch Mutti sein kann und andersrum, kann sie wiederentdecken, mit dem ganz zeittypischen Geschmack von Härte, von erstaunlich viel Ernsthaftigkeit und auch einem bisschen Naivität. Und nicht zuletzt überraschend: Dass Sommers dauerrauchender He-Man etwa eine komplette Story lang zu seiner sterbenden Mutter heimkehrt, wäre für Cappas Kollegen vom Schlag eines Michel Vaillant und Bruno Brazil undenkbar.
Für Musikfans

Ist tatsächlich schon wieder fast zehn Jahre her, dass David Prudhomme „Rembetiko“ rausgebracht hat, jetzt erscheint Teil 2, „Rembetissa“. Die Stärken sind dabei gleich geblieben: Prudhomme gelingt das Kunststück, dem Rembetiko, dieser Musikrichtung aus griechischen und orientalischen Elementen, einen passenden Sound zu zeichnen. Ein frecher, kleinkrimineller, stolzer Liebesdrogenblues, ein Überbleibsel der griechischen Besiedlung Kleinasiens, die nach dem gegenseitigen Bevölkerungssortieren in den 1920ern boomte und, wie hier im Comic erzählt, während der griechischen Diktatur ab 1936 verboten wurde. Was Prudhomme so grandios von der Hand geht, dass vor lauter Freude an Sonnenschein und sanftem Suff ein wenig das Interesse an den Musikern in den Hintergrund tritt. Ob Mann, ob Frau, letztlich wirken alle ähnlich hallodrihaft. Was dazu führt, dass die Einzelschicksale in sommerlichwarmen Bildern und heimeligem Kneipendunst etwas wehmütig-güldener glimmen, als sie womöglich tatsächlich gewesen sind. Aber: Ist das nicht für das harmonielastige Fest der Liebe genau das Richtige?
Für Sparfüchse

Ja, es gibt schönere Städte als Dortmund – aber wenn der Cowboy, der schneller zieht als sein Schatten, zum Besuch einlädt: Wer will da diskutieren? Der Schauraum Comic und Cartoon lädt zur Ausstellung rund um Lucky Luke, der nächstes Jahr 80 wird. Dahinter steckt (natürlich) der anekdotenfreudigste Comic-Historiker der Republik, Alexander Braun: Weshalb nicht nur erstmals Originale von Zeichner Morris zu sehen sind, sondern allerhand Rares, Sonderliches und Amüsantes. Zum Genießen muss man sich bekanntlich nur in einen Zug setzen und zum Dortmunder Hauptbahnhof fahren. Von da findet man problemlos in den Schauraum, selbst mit drei Glühwein intus: Es sind nämlich nur ca. 147 Schritte (je nach Gleis). Ach so: Selbst, wer beim Einsteigen das Geld vergessen hat, darf rein – die Ausstellung ist kostenlos. Und trotzdem so fundiert wie unterhaltsam, weil wir nämlich in einem Land leben, in dem der Staat manchmal Kultur fördert. Noch. Und wenn man mal drüber nachdenkt, ist das vielleicht das schönste Geschenk.
Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:
- 2. Juni 2024
Fußballcomics sind eine Seltenheit, doch zur EM muss das Runde gleich drei Mal ins eckige Format. Ein Triple-Test vorm Auftritt der Nagelsmänner

Am 14. Juni startet die EM! Und zur richtigen Vorbereitung gehören auch die richtigen Comics. Aber ein Blick ins Regal verrät: Es gibt gar nicht mal so viele. Denn das Spiel ist knifflig für Comics: Viele Spielzüge sind parallel laufende Leistungen mehrerer Spieler, es hat schon seinen Sinn, dass man sie aus der Totalen zeigt und nicht in Nahaufnahme. Aber wegen der enormen Beliebtheit wird's natürlich trotzdem immer wieder versucht: Neben einer Maradona-Biografie sind derzeit drei Titel halbwegs aktuell. Neugierig?
Mit den Ducks in die Entrunde

Nummer Eins, vermutlich auch vom Umsatz her, ist Donald Duck. Gleich zwei neue Titel gibt's im Rahmen der „Lustigen Taschenbücher“. Das geht in LTB 585 sogar sehr brauchbar los: Story 1 nutzt clever die einzige Einzelperson eines Fußballspiels – Donald wird Schiedsrichter. Aber schon die zweite Story nutzt die Kickbegeisterung von Mack und Muck nur noch als Hintergrund, und dann war's das hier mit Fußballthemen.

LTB Extra 8 hingegen widmet sich komplett dem Fußball, und da wird’s dann wirklich wahllos. Donald enthüllt seine Vergangenheit als Supertorwart, wird parallel lausiger Nebenberufs-Trainer, war als Kind Feldspieler (Trainer: Dagobert), gewinnt per Los ein ganzes Kickerteam (wird wieder Trainer, aber jetzt auf einmal super), wird Fußballreporter, Balljunge, als Phantomias Fußballdetektiv, erfindet mit Daisy in der Steinzeit das Fußballspiel. Und allein schon diese Auswahl wirft die Frage auf: Kann man mit Donald eigentlich einfach alles machen? Carl Barks hätte vermutlich „Nein!“ gesagt, aber wer ist schon Barks? Donald scheiterte früher an Pech, Faulheit oder auch, weil er zu gut war. Der Donald von 2024 scheitert an Arroganz, Blödheit, Ungeschick. Das ist nicht dasselbe.
Hingekrampft und aufgepropft
Hätte ich das alles als Kind einfach in mich reingelesen? Vielleicht, aber heute scheitern für mich die Stories, weil sie nichts mit Donald zu tun haben. Sie werden den Figuren einfach aufgepfropft. Nur so erklärt sich die krampfige Story mit dem armen, ignorierten Torwart, der angeblich im Schatten erfolgreicher Stürmer steht. Inhaltlich Quatsch, weil Torwarte (Kahn! Neuer! Donald selbst, s.o.) exzellente Helden ergeben. Aber scheißdrauf, jetzt ist die Story halt da, jetzt muss sie irgendwem passieren, ene mene muh, ticktricktrack, und es wird… Tick! Der Verdacht liegt nahe, dass die Macher denken: für Kinder reicht's. Und deshalb war Barks so einmalig: Weil er seine Leser so ernst nahm wie seine Figuren. Aber: Die Schiedsrichtergeschichte hätte ihm vermutlich gefallen. Weil Donald so gut und gerecht ist, dass sogar seine Neffen staunen – bevor die Geschichte dann ducktypisch eskaliert. Den Autor kann man sich mal merken: Aleksander Kirkwood Brown.
Die Fußball-Academy

Wie man’s besser macht, zeigt wieder mal der Mangamarkt. „Blue Lock“ heißt die Serie, und auch hier ist das Motiv weniger Liebe zum Fußball als der Bedarf, die Nische abzudecken. Aber die Japaner wissen, dass ihr Manga gegen Tausende anderer bestehen muss, und das zwingt zur Professionalität. Die Story: 2018 flog das Nationalteam bei der WM im Achtelfinale raus. Japans Fußballbund tagt. Lauter alte weiße Männer und eine Frau, der die Männer auf die Möpse starren (hat sowas eigentlich schon mal wer über den DFB gezeichnet?). Die einzige Idee im Raum hat – die Frau: Sie setzt einen bizarren Wissenschaftler durch, der die Akademie „Blue Lock“ gründet.

Vier Jahre lang sollen die 300 besten Jugendlichen gedrillt werden, nur einer von ihnen wird Japans neuer Superstürmer, alle anderen werden – umgebracht. Äh, nein, aber sie dürfen NIE PROFIS werden. Ab da gibt es Wettbewerbe ohne Ende. Wir lernen die Charaktere kennen, alle machen sich dauernd Gedanken, Mangaaction und -grübeln at its best. Durch die permanenten Qualifikationen wird das Spiel elegant auf Zweikämpfe reduziert und dadurch comictauglicher. Aber Texter Muneyuki Kaneshiro legt noch einen drauf.
Da wird „Manni der Libero“ neidisch
Runde Eins etwa besteht aus einem Wettbewerb der 25 Zwölfergruppen: Jede hat 136 Sekunden, um in einem Raum die elf Mitspieler anzuschießen. Wen der Ball zuletzt berührt, der ist raus. FÜR IMMER. Ein blöder Wettbewerb, oder? Was hat das mit Fußball zu tun? Aber das erklärt die Kick-Koryphäe hinterher per Monitor: Der Raum hat exakt die Größe des Hauptarbeitsplatzes eines Stürmers: des Strafraums vor dem Tor. 136 Sekunden sind die Durchschnittszeit, die jeder Spieler in 90 Minuten wirklich am Ball ist. Und Ziel ist nicht Teamwork, sondern Skrupellosigkeit. Überdrehte Spannung aus Fußballfakten, so lass' ich mir das gefallen. Es gibt Action-Einstellungen, Einzelschicksale, das Spiel wird in seiner Komplexität angedeutet. Gute Unterhaltung, von der „Manni der Libero“ nur träumen konnte.
Starkarriere mit angezogener Gagbremse

Eine der Möglichkeiten, was aus dem Fußball zu machen, ist: der Promi-Faktor. Community Editions versucht das mit dem Band „Ich bin Kylian“, eine Cartoon-Autobiografie des französischen Superstars Kylian Mbappé. Beraten von Comic-Künstler Faro (und vermutlich seinem Management) erzählt Mbappé sein Leben als Sohn eines Kameruners und einer Algerierin. Der Start lässt zwar nichts Gutes ahnen: eine zähe Reihe langatmiger Gags über ein Kind, das immer nur Fußball spielen will. Aber das bessert sich: Es gibt tatsächlich einige Einblicke, wer alles wie an einem Wunderkind herumzerrt, welche Verbände und Interessen um ihn kämpfen. Und je länger der Comic dauert, desto mehr wünscht man ihm, er würde die Gags reduzieren und sich mehr auf die Story verlassen. Aber gut: Man kann nicht alles haben, „Ich bin Kylian“ ist ein recht ordentlicher Comic, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
