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Comicverfuehrer

Jahrelang träumte der Finne Ville Ranta vom Star-Erfolg in Paris – jetzt verrät er pikante Details der französischen Comic-Branche

Illustration: Ville Ranta - Reprodukt
Illustration: Ville Ranta - Reprodukt

Hier haben wir eine richtige kleine Rarität: Einen für Normalverbraucher sehr unterhaltsamen Insiderbericht aus der Comic-Branche, schnell wegzulesen, munter gezeichnet, bitterkomisch. Haben Sie Lust? Der Band heißt: „Wie ich Frankreich erobert habe“ und stammt vom Finnen Ville Ranta.  


Ein Fuß in der Comictür


Die Geschichte ist simpel: Ranta träumt davon, es auf dem großen französischen Comic-Markt zu Weltruhm und Erfolg zu bringen. Für einen Finnen (schwer zugängliche Sprache, eher kleiner Comicmarkt) ein gewagter Traum, aber: Ranta hat einen Fuß in der Tür. Er hat es geschafft, Richart zu kontaktieren.

Illustration: Ville Ranta - Reprodukt
Illustration: Ville Ranta - Reprodukt

Richart ist der Topname auf dem französischen Markt, ihm reißen alle Verlage jeden Stoff aus der Hand, und er gibt Ranta ein halbfertige Story mit der aufmunternden Bemerkung: „Ich bin zu faul, sie zu zeichnen.“ Ranta ist geehrt und begeistert, macht aus der haarsträubenden Story einen brauchbaren Comic und darf am Erfolg schnuppern: Eine Woche Lesereise, Interviews – aber schon hier ist zu erkennen, dass Ranta nur im Schatten des großen Richart hinterherdackeln darf. Aber: Ein Anfang ist gemacht, und Ranta träumt jetzt von eigenen Alben.


Unverbindliches Kasten-Denken


Denn alle und jeder sagen ihm, wie gut er sei, vorzugsweise bei Champagner oder während Vorträgen über die Grandiosität von Paris. Aber, seltsam, seltsam, es kommt nicht zum Vertrag, keiner ruft zurück, die Weisen sagen abwechselnd, er solle lieber mit Kästchen ums Panel zeichnen oder auch ohne, die ganze Geschichte wird zu einer Abfolge von Demütigungen, Enttäuschungen und … bitte? Wieso das unterhaltsam ist? Vor allem durch einen einfachen Trick.

Illustration: Ville Ranta - Reprodukt
Illustration: Ville Ranta - Reprodukt

Ranta beginnt mit seinem verzweifelten letzten Versuch: Das heißt, dass wir Leser gar nicht mehr mit einem Erfolg rechnen. Also sind wir nicht enttäuscht, sondern verblüfft darüber, was jemand alles mit sich machen lässt. Es ist das Erfolgsrezept des verfilmten Buchs: „Er steht einfach nicht auf dich!“ Eine Komödie aus Frust-Zutaten. Aber Ranta packt noch mehr rein.


Der große Trondheim


Erstens: Realität. Rantas Geschichte ist größtenteils autobiografisch, hinter Richart verbirgt sich niemand geringeres als (der auch schon hier gelobte) Comic-Star Lewis Trondheim, der Band mit ihm entstand tatsächlich, hinter vielen Protagonisten stecken reale Verlagsfiguren, und auch Rantas verzweifeltes Ringen um französischen Erfolg hat’s gegeben. Und ja, der ganze Verlags-Bullshit ist außerordentlich glaubhaft…

Illustration: Ville Ranta - Reprodukt
Illustration: Ville Ranta - Reprodukt

Zweitens: Stil. Ranta zeichnet sehr zugänglich, er mischt Trondheims sauberen Funny-Animals-Look mit Joann Sfars lockerem Schmierstil aus „Klezmer“, dazu gibt’s frisch hingeschlabberte Farben (Aquarell? Tusche?) mit viel Weiß, vor allem in den „glanzvollen“ Erinnerungen.


Angouleme unangenehm

Drittens: Tempo. Man liest die 150 Seiten ratzfatz weg, das geht viel zu flott für Trübsinn. Ganz nebenbei erfährt man auch eine weniger erträgliche Seite von Angouleme, dem Comicfestival, das hier noch den Hintergrund für eine berührende Romanze abgab. Eine schöne kleine Perle, die mehr über den Comic verrät als eine Menge Sachbücher.

 


VILLE RANTA MIT ELINA KRITZOKAT AUF DEM SCHWARZEN SOFA DER LEIPZIGER BUCHMESSE         Foto: Comicverfuehrer.com
VILLE RANTA MIT ELINA KRITZOKAT AUF DEM SCHWARZEN SOFA DER LEIPZIGER BUCHMESSE Foto: Comicverfuehrer.com



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Die Outtakes (21): Mit einer rosa Alptraumfrau, Mangas für die Kurzstrecke und erfundenen Western von gestern

Illustration: Claus Daniel Herrmann - Reprodukt
Illustration: Claus Daniel Herrmann - Reprodukt

Heilsteinreich


Viel Gutes zieht mich in Claus Daniel Herrmanns „Pinke Monster“: Die schön simplen, zugleich kräftigen Zeichnungen aus Bleistift, Grau und Pink als Signalfarbe. Die Einfamilienhaus-Siedlungs-Location. Die reduzierten Figuren und die schlicht-gute Story: Teenie Frank lebt mit seiner Mutter und seinem depressiven Vater, er hat Liebesprobleme, und all das verkompliziert sich dadurch, dass er ahnt, dass schwul ist. Als Zündstoff gibt es eine matronige Wunderheilerin, die zu Papas Rettung gerufen wird und die Familie sofort mit Heilsteinen versorgt. Ab hier könnte alles exzellent werden, wird’s aber nicht: Zu sehr, zu schnell, zu eindeutig wird die Zauberbrumme als suspekt gezeigt, zu schnell ihre Macht eingeführt und ausgespielt, zu sehr ihre Ent-Machtung dann als Lösung präsentiert. Oder scheint mir das nur aus Erwachsenensicht so? Ist das womöglich für junge Menschen grade das Richtige? Oder soll man auch junge Leute nicht unterfordern? Müssen Sie wohl selber rausfinden.

 


Häppchenweise

Illustration: Naoki Urasawa - Carlsen Manga
Illustration: Naoki Urasawa - Carlsen Manga

Genervt von ewig langen Manga-Serien? Hier ist eine Gelegenheit für kurze Häppchen aus berufener Hand: „Hatschi!“ versammelt einige von Naoki Urasawas Kurzgeschichten. Da ist recht ulkiges Material darunter, etwa seine musikalischen Erinnerungen an Rockkonzerte seiner Helden (McCartney! Dylan!), auch eine nette Persiflage auf Japans Monster-unter Berücksichtigung der Eigenheit, dass all diese Monster immer ausgerechnet Japan heimsuchen müssen. Obendrein ist der Farbanteil im meist schwarz-weißen Genre unerwartet hoch. Aaaber: All das speist sich eher aus dem Interesse an Urasawa, und wer ihn nicht durch „Asadora!“ oder die „20th Century Boys“ kennt, dem kommt das Ganze womöglich weniger bedeutsam vor.

 


Canifflig einen an der Klatsche

Illustration: Ivan Kordej/Darko Macan - avant-verlag
Illustration: Ivan Kordej/Darko Macan - avant-verlag

Metaebene nennt man das wohl: „Texas Kid, mein Bruder“ ist ein Comic über Comics und ihre Zeichner, zugleich aber auch ein Vater-Sohn-Drama. In dem sich der Sohn mit seinem Übervater quält, der als berühmter Zeichner den Held „Texas Kid“ erschuf. Und dann: Mieser Vater, hat den Sohn nie lieb, ist immer streng, und plötzlich wird Texas Kid real und verdrängt den Sohn, kritisiert dessen mediokre Schöpfungen und Zeichnungen, kann alles viel besser, hmm. Die Story von Darko Macan und Ivan Kordej knarzt arg, hat zwar gelegentlich Momente, aber viel öfter leider nicht. Weil beide zu viel reinrühren: Zuviel Vatergeschichte, zu viel Sohngejammer, und die real gewordene Comicfigur ist weder brutal noch lustig genug, dass man darüber hinwegsehen könnte, dass sie eben erfunden ist. Weshalb der Sohn halt entweder einen an der Klatsche hat oder auf sehr hochgekünstlertem Niveau langatmig vor sich hin leidet. Und weshalb Kordejs canifflige Zeichenorgien den Verhau auch nicht retten können.




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Horror unterm Dach: „Böse Geister“ ist ein schaurig-traurig schöner Abgesang auf die Gebraucht-Comicläden des letzten Jahrhunderts

Illustration: Peer Meter/Gerda Raidt - Reprodukt
Illustration: Peer Meter/Gerda Raidt - Reprodukt

Okay, das trifft natürlich genau ins Herz: Nicht, weil das Thema „Comic“ im Comic auftaucht, das gibt’s ja öfter. Sondern weil’s auch noch sanft gruselig ist und nostalgisch und alles. Verantwortlich dafür ist der große, extrem zuverlässige Szenarist Peer Meter. „Böse Geister“ heißt dieses kleine Juwel aus dem Jahre 2013, illustriert von Gerda Raidt.


Staubiges Comic-Paradies


Die Story ist eigentlich simpel: Harry Wehrmann, ein Mann um die 60, kommt zurück in seine Heimatstadt, weil das Stadtviertel, in dem er aufgewachsen ist, abgerissen werden soll. Die Häuser sind schon geräumt, auch das, vor dem er stehen bleibt. Es ist das Haus, in dem er als Kind gewohnt hat. Ein kleines Ladengebäude, oben Wohnungen, unten ein Geschäft mit einem Schaufenster, drüber steht „Geffes Bücher-Börse – Ankauf – Verkauf – Tausch“. Und ruckzuck ist der alte Mann wieder in seiner Vergangenheit.

Illustration: Peer Meter/Gerda Raidt - Reprodukt
Illustration: Peer Meter/Gerda Raidt - Reprodukt

In dieser Vergangenheit ist er zehn oder zwölf, er mag Gruselcomics, und im anderen Zeitschriftenladen mault ihn die Verkäuferin an, weil er nicht alt genug ist und weil Comics Mist sind und ob seine Eltern davon wissen und, und, und. In der Schule darf man sich mit Comics nicht erwischen lassen, im Unterricht finden sie ohnehin nicht statt. Aber im Laden von Herrn Geffe unten im Haus, da ist das anders. Der fragt nicht blöd. Im Gegenteil, er freut sich, wenn Harry sich freut. Er sagt ihm, wenn neue Hefte angekommen sind, er lässt ihn stöbern, neu angekaufte Groschenromane sortieren und sich zur Belohnung ein paar Comics mitnehmen, die man sich dann im Sessel mit einer Flasche Cola reinschmökert. Doch dann stirbt plötzlich Harrys Vater…


Kontakt zum Totenreich


Eigentlich will ich gar nicht so viel verraten, es reicht die Andeutung, dass Harry versuchen wird, seinen toten Vater mit einer Beschwörung zurückzuholen, die aus den Comics stammt, oder? Viel bezaubernder ist dieses ganze Szenario. Oder kommt es nur mir so vor, weil auch meine Kindheitsgegenden gerade saniert, abgerissen, neugebaut werden? Möglich, vor allem aber mag ich das Thema, weil ich früher auch so ein Geschäft kannte wie das von Herrn Geffe.

Illustration: Peer Meter/Gerda Raidt - Reprodukt
Illustration: Peer Meter/Gerda Raidt - Reprodukt

Nicht nur eines, sondern mindestens drei. Klein, leicht staubig, es gab gebrauchte Bücher und gebrauchte Comics. Man trat ein und war voll Hoffnung, was es da wohl diesmal zu finden gäbe – zu einem erschwinglichen Taschengeldpreis. Die allermeisten dieser Geschäfte sind heute verschwunden. Plattenläden gibt’s noch ein paar, die sind sogar mit dem Vinyl-Comeback ein bisschen wiederauferstanden, aber Gebrauchtbuch- und Comic-Läden sind weg oder ins Internet abgewandert. Und jüngeren Lesern kann man versichern: Das Netz mag besser organisiert sein, aber analogen Zauber hat es nicht.


Raidts magischer Bleistift


Gerda Raidts Bleistiftzeichnungen tragen viel zur Vermittlung dieses Zaubers bei. Sie funktionieren hervorragend bei Harrys Jugend in den bedrückenden 50ern oder 60ern und genauso gut in dem todgeweihten, schuttstaubigen Abrisshaus. Aber zugleich machen sie Geffes Bücheroase zum gemütlich-entspannten Rückzugsort und Comic-Paradies. Man staunt ein bisschen, dass man von Raidt nicht schon öfter was gesehen hat, sie nutzt Meters Szenario nicht schlechter als Barbara Yelin drei Jahre vorher „Gift“. Aber Serienmord ist vermutlich einfach alterungsunabhängiger als diese kleine, feine NostalComiGrusel-Perle.

 




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