top of page

Comicverfuehrer

Die Outtakes (20): Ein Gruß vom Altmeister, eine Ebbe im Altmärchens und eine Mixtur mit Alt-Dichtung

Illustration: Bernie Wrightson - Splitter Verlag
Illustration: Bernie Wrightson - Splitter Verlag

Abschied mit Frankenstein


Das also ist das Abschiedswerk des 2017 kurz vor Fertigstellung verstorbenen Grusel-Altmeisters Bernie Wrightson: „Frankenstein Alive, Alive!“. Traditionalisten werden sich wohl dran stören, dass das sonst gut verschraubte, klobige Monster diesmal als eine Mischung aus einem sehr verschlankten Swamp Thing und Iron Maidens Maskottchen Eddie daherkommt. Mir ist die Geschichte der weiteren Karriere des Monsters etwas zu rührselig geraten, aber dafür kommt sie recht opulent daher. Wrightson gönnt sich viele Splashes, und die sind nicht nur einfach aufgeblasen, sondern akribisch zugezeichnet, wie sich’s bei Laboratorien und Bibliotheken anbietet. Effektstark ausgeleuchtet, in düsterem schwarz-weiß, das wirkt schon sehr gut, aber der Story des Kurzgrusel-Experte tut der viele Platz nicht gut. Dass die Erzählerrolle mit dem oft wenig eloquenten Monster auch ein bisschen arg gegen den Typ besetzt ist, ist zwar vorlagengetreuer als manche andere Version, macht die Sache nicht unbedingt einfacher. Trotzdem: Atmosphäre satt.

 


Bilder-Buch

Illustration: Rébecca Dautremer/Lewis Carroll - Splitter Verlag
Illustration: Rébecca Dautremer/Lewis Carroll - Splitter Verlag

Da hab‘ ich aber mehr erwartet: Rébecca Dautremer hat zuletzt mit einer fantastischen Version von John Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“ überzeugt: Sie hat den kompletten Roman illustriert und damit brillant erweitert. Und das erhoffte ich mir auch von „Alice im Wunderland“ – aber diesmal ist’s tatsächlich nur ein bebildertes Buch geworden. Schön bebildert, gewiss, aber eben nur ein bisschen bebildert und, noch viel schader: äußerst konventionell. Während sie in den „Mäusen“ durch eine wahre Bilderflut die Gedankenwelt der Protagonisten frei ausbreitete und zeigte, was ein illustrierter Roman zu leisten imstande ist, sind’s hier erwartbare Illustrationen in einer Bilderebbe. Wer „Alice“ noch nicht im Schrank hat, mag zugreifen, ansonsten entsteht hier leider kein Zusatznutzen.

 

Mehrdeutig oder orientierungslos?


Illustration: Maren Amini - Carlsen Verlag
Illustration: Maren Amini - Carlsen Verlag

Ambivalenz ist oft gut. Aber Maren Aminis Berthold-Leibinger-prämiertes Einwanderer-Epos „Ahmadjan und der Wiedehopf“ fabriziert eindeutig so viel des Guten, das geht schon Richtung Orientierungslosigkeit. Ahmadjan (der Vater der Autorin) lernt im Kabul der 70er westliche Lebensart kennen und wandert nach Deutschland aus. In Berlin malt er, entdeckt noch mehr Kunst, all das ist optisch sehr hübsch, karikaturistisch an Sempé angelehnt. Das Problem ist hier schon der Humor, der so niedlich-lieb und schmerzfrei ist, dass er praktisch nicht mehr stattfindet. Was fatal ist, sobald Ahmadjan ausgewiesen und nach Afghanistan zurückgeschickt wird: Amiri schafft es nicht, den harmlosen Tonfall der verfinsterten Story anzupassen, und das beeinträchtigt Pointen und Betroffenheit zugleich. Alles mit einer alten persischen Dichtung zu überlagern/unterfüttern macht den Stoff zudem nicht beherrschbarer. Das Resultat: Viel Gutgemeintes, immerhin sehr oft von ansehnlichen Seiten aufgelockert. Und: Wer Probleme gern watteweich verpackt mag, liegt hier richtig.

 




Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:






  • 18. Juli 2024

Die Outtakes (16): Eine ansehnliche Familiengeschichte, ein finsterer Serienkiller und eine etwas zu gute Goldgräberin

ree
Illustration: Peer Meter/ David von Bassewitz - Carlsen

Wiederholungstäter

True Crime-Nachschub aus der Mottenkiste: In den 2010er Jahren (als es noch gar nicht so schick war) verfasste Peer Meter gleich drei empfehlenswerte Szenarios über Serienmörder. Nämlich „Gift“ über die Bremerin Gesche Gottfried mit der (hier bleistiftgrau-sig guten) Barbara Yelin, „Haarmann“ über den gleichnamigen Männermörder (mit Isabel Kreitz), und zuletzt „Vasmers Bruder“ über den unbekanntesten der drei, Karl Denke. Letzteren Band habe ich gerade erst gelesen, der finsterste von allen, auch weil Meter die Geschichte hier in die Gegenwart verlängert und David von Bassewitz sie so zappendüster illustriert, dass man kaum die Hand vor Augen sieht. Zu den Outtakes muss sie leider dennoch, aus zweierlei Gründen: Erstens ist sie knapp zehn Jahre alt, zweitens nicht mehr lieferbar: Sie müssen ein bisschen bei Medimops, Rebuy, Booklooker oder auch in Ihrer Bibliothek stöbern, aber sparen dafür auch etwas Geld.



Zergrübelt

ree
Illustration: Kerstin Wichmann - Edition Moderne

Sehr hübsche, zarte Zeichnungen. Sehr grüblerische Herangehensweise. Kerstin Wichmann blickt in „Auf schwankendem Boden“ schlaglichthaft in ihre Familiengeschichte. Aber so gut das aussieht, so rasch geht es in der eigenen Nachdenklichkeit unter. Was man erst an der Episode mit dem Großvater merkt: Der hat einen eigenwilligen Schwimmstil, und Wichmann lüftet geschickt das Rätsel darum. Aber genau dieses Geschick ist es, was meist fehlt. Und das ist ausgesprochen schade: Weil man so dankbar für jeden guten Grund wäre, noch mehr Zeit in den schönen Meer-Küste-Brandung-Ungemütlichkeit-Zeichnungen zu verbringen.



Holzgeschnitzte Wölfin

ree
Illustration: Núria Tamarit - Reprodukt

Sieht hübsch aus, ist frauenaffin, umweltbewusst – und trotzdem hebt Núria Tamarits „Die Polarwölfin“ nicht recht ab. Dabei sind die Zutaten reizvoll: Wir sind halbvermutlich in Nordamerika, zur Zeit des Goldrauschs. Die junge Joana investiert ihr letztes Geld, um an einer Goldgräber-Expedition teilzunehmen, aber die Männer lassen sie sitzen. Joana folgt ihnen auf eigene Faust. Die Männer sind überhaupt fies zu den Frauen der Expedition: zu Führerin Tala, zur alten Medizinfrau Opal. Männer sind auch schuld daran, dass Joana so am Hund ist, weil sie ihre alte Heimat abgefackelt und ihre Familie umgebracht haben. Und ein Mann ist schuld, dass Joanas dreibeiniger Hund so am Hund ist, weil er ihm die Pfote zertrümmert hat. Es sind auch die Männer, die beim Goldgraben bedenkenlos die Natur kaputtmachen, wohingegen die drei Frauen immer versuchen, nur das Nötigste aus der Natur zu nehmen. Weshalb sie auch von der gigantischen titelgebenden Polarwölfin verschont bleiben, die immer wieder für die Natur Rache nimmt, und, hm… liest sich das verärgert? Dabei nimmt man Tamarits Geschichte doch gern in der Hand: Die sternklaren Nächte, das eisige Alaska-Elend kontrastiert mit sonnenbunten Rückblenden ins Farmerparadies, die dämonische Wölfin, die flammenden Infernos, all das sieht einfach sehr gut aus. Aber die Haudrauf-Inhalte nerven. Wenn Joana so gut allein klarkommt, warum zog sie nicht gleich allein los? Und ja, Männer sind oft fies, aber dass ALLE Arschlöcher sind und zugleich auch noch Umweltsäue und ALLE Frauen vernünftig und auch noch nachhaltig, geht’s noch holzschnittartiger?

 




Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:




Drei neue Comics thematisieren „Sexuelle Identität“. Doch am cleversten für Verständnis und Normalisierung wirbt ausgerechnet: ein alter, weißer Mann


ree
IIllustration: Ralf König - Ehapa Comic Collection

Das Reiz- oder Trendthema „Sexuelle Identität“ ist längst im Comic angekommen, wahrscheinlich sogar mehr als in Buch oder Film: Erstens ist die Community der Comic-Künstler- und -LeserInnen recht aufgeschlossen, zweitens ist sie durch Mangas exzellent eingearbeitet. Die decken nämlich längst mit großer Lust und Freude im Rahmen ihrer flächendeckenden Erotikberichterstattung jede Spielart ab, und das in der gesamten Bandbreite von dezent bis deftig. Der einzige Nachteil: die Schwerpunkte liegen auf „Knistern“ und „Knattern“. Was inzwischen vielen Menschen nicht ernsthaft genug ist. Drei Titel, die zuletzt für Aufmerksamkeit sorgten, versuchen derzeit dieses Defizit zu beheben.


Schubladenhüter

ree
Illustration: Maia Kobabe - Reprodukt

Verbieten muss und kann und darf man „Genderqueer“ natürlich nicht. Doch genau das geschieht derzeit häufig mit Maia Kobabes Graphic Novel, die der Verlag Reprodukt reaktionsschnell als meistzensiertes Buch der USA bewirbt. Nicht zu Unrecht: Denn die American Library Association zählt, wie häufig organisierte Gruppen das Verbot/die Entfernung eines Buches aus einer Bibliothek fordern (und oft auch bewilligt bekommen). „Genderqueer“ ist hier die Nummer Eins, schon das dritte Jahr in Folge. Und eben diesen Comic gibt’s jetzt auch auf deutsch. Lohnt sich’s?


Glück ist: Wie andere von dir denken


Kommt drauf an, ob Sie es mögen, wenn ein Mensch 240 Seiten lang darüber nachdenkt, was in seiner Hose ist und ob er damit glücklich ist und was Andere von ihm denken und was er, aber vor allem auch die Anderen besser machen können. Ich kenne keine Patentwege zum Glück, aber ich behaupte mal: Sich von den Gedanken und dem Verhalten anderer abhängig zu machen, ist mit Sicherheit keiner davon. Daher ergeben viele Überlegungen in „Genderqueer“ etwa so viel Sinn, als verlangten Frauen im Kampf um gerechtere Bezahlung erst mal eine eigene Währung.


Die Suche nach dem Glück ist bei Kobabe eine endlose Suche nach der richtigen Schublade, in der man sich selbst einsortieren kann. Und die stets wiederkehrende Kränkung darüber, dass nicht alle Leute diese Schublade genauso gut (an)erkennen. Selbstironie oder überhaupt einen Funken Humor sucht man vergebens. Überhaupt liest sich alles so freudlos, dass sich der Eindruck aufdrängt, ein Großteil des Vergnügens bestünde im Eintauchen in die Opferrolle. Denn, wohlgemerkt, Kobabe erzählt nicht etwa von (real existierenden) Verfolgungen der LGBTQ-Gemeinde, sondern vor allem von einer Sorte Ärger, die zum Beispiel auch Leute kennen, deren Namen dauernd falsch ausgesprochen wird.



Erschlagen vom Namedropping

ree

Kennen Sie Rudi Dutschke? Ja? Und Elmar Altvater? Nicht? Genau das ist das Problem mit „United Queerdom“. Oder eines der Probleme von Kate Charlesworths Max-und-Moritz-bepreistem Graphic-Memoir-Queerstory-Hybridcomic. Charlesworth (Jahrgang 1950) erzählt einerseits ihr eigenes lesbisches Leben, und dazwischen in Einschüben die weltweite Geschichte der LGBTQ-Community. Das klappt insgesamt eher mittelgut und bei ihrem Leben noch am ehesten: In Jugend und Kindheit zeichnet sie mit optischer und erzählerischer Selbstironie die Entdeckung der geschlechtlichen Merkwürdigkeiten nach. Doch je älter sie wird, desto mehr verwirren die Dialoge: Wer meint jetzt was? Und warum ist das wichtig? Und so ertappe ich mich zunehmend beim Gedanken: „Muss man wohl dabei gewesen sein.“ Was auch beim historischen Teil gilt.


Das Schwerste ist das Weglassen


Da erschlägt Charlesworth uninformiertere Leser mit allem, was in Kultur und Politik für Schwule und Lesben hilfreich war. Das ist dann, wie wenn Altlinke feuchten Auges erklären, dass 1968 irgendwo auch Elmar Altvater dabei gewesen sei. Wer damals kein Nürnberger war, weiß nicht: Altvater war eine Art fränkischer Dutschke, ein junger, gut aussehender Vordenker. Denkt der neutrale Leser zu Recht: Hm, dann reicht mir eigentlich der Dutschke.

Fokussieren hätte also geholfen. Doch wie jüngst bei „Columbusstraße“ ahnt man auch hier: Charlesworth steckt zu tief drin, will zu viel und keinen vernachlässigen. Das ist aber der Haken bei solchen Projekten: das Schwerste und Wichtigste ist nicht die Vollständigkeit, sondern gerade eben das Weglassen. Und es ist jammerschade, wenn sich jemand viel Mühe gibt, mich zu informieren und dann vor lauter Erinnerung vergisst, dass ich nicht dabei war.

 


Allmählich stellt sich aber die Frage: Kann ich mir selber noch trauen? Ich bin immerhin ein alter weißer Mann, und ist doch nicht auszuschließen, dass ich nicht diese Comics seltsam finde, sondern die Genderei. Ich habe doch auch über „Ducks“ geschimpft und über Liv Strömquist. Hat mir denn überhaupt schon mal was gefallen? Und just in diesem Moment erscheint mit „Harter Psücharter“ der neue Band von Ralf König.


Einfach, kompliziert, lustvoll, frustriert und: komisch

ree
Illustration: Ralf König - Ehapa Comic Collection

König ist seit über 40 Jahren im Geschäft, so lang, dass man inzwischen gerne mal übersieht, was dieser Mann da eigentlich leistet. König zeichnet ausschließlich Comics aus der Perspektive einer durch ihre sexuelle Identität definierten Minderheit. Was bei 40 Jahren übrigens auch bedeutet, dass König noch die Zeiten gesetzlicher Verfolgung kennt (der § 175 wurde wann abgeschafft? 1994!). König hat seither Gut- und Bestseller geschrieben. Und was passiert in denen? Jammern seine Schwulen dauernd, wie blöd es ist, dass sie einen Schwanz in der Hose haben? Dass man sie nicht als richtige Männer ansieht? Dass die Heteros doof zu ihnen sind? Dass niemand sie ernst nimmt?


Die Gagbrücke zum Perspektivwechsel


Wer Königs Geschichten liest, lernt über die Gagbrücke die schwule Perspektive kennen, die zugleich komplett anders ist und komplett genauso. Er taucht schmunzelnd in diese einfache, komplizierte, lustvolle, frustrierte Welt, und wer nicht komplett verklemmt ist, der kann danach schwule Nachbarn unmöglich noch als Bedrohung oder Affront sehen. Dabei spart König kein Thema aus: Einsamkeit, Tod, Alter, Aids, sämtliche erotischen Spielformen, alles ist dabei. Übrigens auch das Entdecken seiner eigenen Schwulheit, das ich wesentlich nachvollziehbarer und unterhaltsamer in Erinnerung habe als jede Seite von „Genderqueer“.

ree
Illustration: Ralf König - Ehapa Comic Collection

Und, noch bemerkenswerter, König passt seine Protagonisten nicht an. Bei König gibt's kein schwul-light. Mal kriegen Konrad und Paul bei einem befreundeten Pärchen ein selbstgemachtes Faustfick-Video vorgeführt, im neuen Band entdeckt Paul, dass er Duftkosmetik für Männer durchaus gern riecht, vorausgesetzt sie kommt „auf den Bart, nicht auf die Rosette!“ Da ist nichts angedeutet, das knallt hart wie eine Bratpfanne, und genauso macht man Humor, der tatsächlich was bewegen kann.


Verführerischer Mix: Sex und Humor


Ein Geheimrezept Königs sollte man dabei nicht verschweigen: Er kann den Humor so stufenlos runterregeln, dass Sex trotz seiner Karikaturfiguren spannend und, hm, interessant wirkt. Und, verdammt nochmal, das ist doch der Grund, warum man Königs Schwule so mag: Weil man fast schon neidisch zusieht, wie sie Spaß mit sich und anderen haben und von ihrer Umgebung nur eine Kleinigkeit verlangen. Nämlich dass man sie beim Spaß bitte nicht stört.  


Mehr Wumms mit Konrad, Paul und Mangas


Was umgekehrt die Frage stellt, warum gerade die weniger vertrauten sexuellen Identitäten so oft auf die Opferrolle setzen und so selten Leben und Lebensfreude ins Schaufenster stellen. Denn das ist doch das Erfolgsmodell hinter König, Mangas und Christopher Street Day: nicht lang diskutieren, sondern ausleben, fantasieren, mitmachen lassen. Und, nein, das heißt auch nicht, dass jede Lesbe jetzt den König machen soll. Man kann sich auch was drittes einfallen lassen, wie beispielsweise Stephen Appleby mit „Dragman“.

 

 

Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:




Suchwortvorschläge
Kategorien

Keinen Beitrag mehr verpassen!

Gute Entscheidung! Du wirst keinen Beitrag mehr verpassen.

News-Alarm
Schlagwörter
Suchwortvorschläge
Kategorie
bottom of page