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Obamas Lieblingscomic

Kate Beatons „Ducks“ sorgt als Tipp des früheren US-Präsidenten für Furore – und verstört durch eine eigenwillige Erzählhaltung

Illustration: Kate Beaton - Reprodukt/Zwerchfell

Okay, das war eine harte Nuss: der Lieblingscomic von Barack Obama, nämlich „Ducks“ von der kanadischen Cartoonistin Kate Beaton. Und „harte Nuss“ heißt nicht „schwer zu lesen“, aber zu beurteilen. Kann am deutschen Blickwinkel liegen: Beaton erzählt von ihren zwei Arbeitsjahren in der kanadischen Ölsandindustrie – aber es geht kaum um die Umwelt.


Allein unter Männern


Die Story: Beaton schließt 2005 die Uni ab und will ihren Studiumskredit abzahlen. Sie sucht dazu einen gut dotierten Job und findet ihn in den kanadischen Frackingcamps in Alberta, in der Mitte des Nichts. Sie schildert kurz die Oberflächlichkeit der Sicherheitsvorkehrungen, die Scheinheiligkeit des Umweltschutzes, die Langeweile und die Problematik mit der indigenen Bevölkerung. Aber vor allem ist Kate praktisch allein unter Männern. Männer jeder Altersgruppe, sehr viele Männer mit geringer Bildung, die genau wie Kate bereit sind, für gut bezahlte Jobs in die Einöde zu kommen.

Illustration: Kate Beaton - Reprodukt/Zwerchfell

Kate wird begafft und beglotzt, die Männer machen idiotische Bemerkungen, reden Scheiße, benehmen sich wie Arschlöcher. Nicht alle, aber sehr viele, womöglich die meisten. Kate ist jung, lässt viel über sich ergehen, hält zunehmend dagegen, aber man merkt, wie anstrengend das ist. Zwei Mal wird sie vergewaltigt (bzw. zum Sex gedrängt, aber das macht’s kaum besser). Kate schweigt, legt sich „ein dickes Fell“ zu. Sie verlässt das Camp, verdient aber anderswo nicht genug, kehrt zurück. Sie zahlt ihren Kredit ab, beschwert sich abschließend bei ihrem Boss und geht dann endgültig. Und nun? Warum lässt mich die Story so ratlos zurück?


Die fehlende Wut


Vor allem, weil die Empörung fehlt. Beaton bremst sie sogar. Sie erzählt vieles beinahe distanziert, als beobachtete sie sich aus dem sicheren Abstand von fast 20 Jahren. Sie zeigt eine junge Frau, die rational zu bleiben versucht, ein „tough cookie“ sein möchte, sie heischt kein Mitleid. Am auffälligsten aber ist: Beaton nennt kaum Schuldige.


Illustration: Kate Beaton - Reprodukt/Zwerchfell

Sie urteilt bedächtig, berücksichtigt die schwere Arbeit in den Camps. Und sie lässt sogar eindeutige Mittäter unbehelligt: Die zweite Vergewaltigung passiert auf einer Party, bei der sie benommen/betrunken von der Toilette kommt und plötzlich alle Gäste weg sind – bis auf den Täter. Der sie bedrängt, bis sie den Sex geschehen lässt. Es kann kein Zufall sein, dass plötzlich alle Gäste, Männer und Frauen, gleichzeitig weg sind. Mit ihrem Verschwinden gaben sie nicht weniger als das Startsignal zur Tat. Beaton scheint das weder damals aufgefallen zu sein noch jetzt erwähnenswert. Wieso?


Wer nicht dabei war, versteht's nicht?


Näher kommt man der Antwort, wenn man Interviews mit Beaton sieht. Beaton scheint die Camps als eine Art abgeschlossene Außenwelt, eine Sondererfahrung zu betrachten. Was zu einer Formel führt, die in etwa besagt, dass der Abbau des Ölsands der Schuldige ist – und dass eigentlich keiner das richtig beurteilen könnte, der nicht dort war. Sowas hört man sonst nur von Opa aus dem Krieg.


Tatsächlich entsteht sogar der bizarre Eindruck, als würde sich Beaton auf seltsame Art mit den Tätern solidarisieren. Etwa wenn sie anführt, dass die Städter mit den guten Jobs, die im Bioladen einkaufen, keine Ahnung haben, wie es für Leute in der Provinz gewesen sei: Man habe keine Wahl, man gehe eben dort hin, wo die Jobs sind. Da ist man dann Firmen und Regierung ausgeliefert, und alle schliddern ins Unglück. Heißt: Die braven anständigen Männer werden zu Schweinen, die Frauen werden missbraucht, und Opfer sind sie alle zusammen.

Echt jetzt?

Illustration: Kate Beaton - Reprodukt/Zwerchfell

Man muss zurückspulen, weil man kaum glauben mag, was man da hört: Manche der Angestellten würden eben die Arbeitsbedingungen nicht gut verarbeiten. Was (gerade angesichts von Beatons Erfahrungen) kaum anders auslegbar ist als: Kein Wunder, wenn einige Männer dann rabiat Sex einfordern. So legt die Kombination Interview/Comic den Schluss nahe, dass da jemand erstaunliche Wege geht, um Schuldige zu entlasten. Wege, die man normalerweise nur bei Co-Abhängigen findet: „Mein Mann ist sonst nicht so. Nur, wenn er trinkt.“ Oder aufm Ölfeld arbeitet.


Zuhause ist Papa ganz anders


Aufzufallen scheint diese Co-Abhängigkeit nicht. Im erwähnten Interview wird Beaton auf ihre fehlende Wut im Comic zwar angesprochen. Aber Beaton sagt, dass alle den Druck gespürt hätten, und wenn jemand sie als Ventil belästigt hätte, hätte sie das zwar gehasst, aber eben auch die großen Zusammenhänge gesehen. Da seien eben „eine Menge Leute in einem System, das jeden verletzt.“ Worauf die Interviewerin beruhigt antwortet: „Das hast du gut ausgedrückt.“ Und dann freuen sich beide über einen Moment, in dem einer der Arbeiter ein Spielzeugauto von seinem Kind sieht und schön gerührt ist. Zuhause ist Papa ganz anders.


„Ducks“ ist eine eigenwillige Erfahrung. Und ich fürchte, das Verstörendste daran sind nicht die geschilderten Zustände. Übrigens: Wer heute die Website der Ölsand-Firma Suncor besucht, liest von ihren Bemühungen, den Frauenanteil in diesen Camps zu erhöhen.

Ist das jetzt eine gute Nachricht?


 


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