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Comicverfuehrer

Gut kopiert statt schlecht erfunden: Dieses Krimi-Duo klaut bei Klassikern - und macht dabei den Originalen alle Ehre

Illustration: Kieran/Doug Headline/Richard Stark - Schreiber & Leser
Illustration: Kieran/Doug Headline/Richard Stark - Schreiber & Leser

Das passiert auch nicht so oft: Guter Krimistoff, teils sogar sehr gut – und das gleich im Doppelpack. Beide Comics bauen übrigens auf bewährten Vorbildern auf, was sie zwar ein bisschen weniger originell macht, aber dafür zugänglicher. Heißt: Sie brauchen praktisch keinerlei Eingewöhnungszeit, das rutscht ins Blut wie Traubenzucker.


Grundlos gute Krokodile

Illustration: Bastien Vivès - Schreiber & Leser
Illustration: Bastien Vivès - Schreiber & Leser

Band 1 stammt vom großen Bastien Vivès, der hier wieder einmal sehr kunstbefreit einfach losspielt. Diesmal ist es eine Abenteuergeschichte, die sich – wenn nicht alles täuscht – ungehemmt an den Tauchklassiker „Die Tiefe“ anlehnt. In „Honeymoon“ macht ein gut aussehendes Paar ohne Kinder (bei Oma!) Urlaub am Mittelmeer, wird von einem Bekannten zu einer Party eingeladen, die auf einer Luxusyacht stattfindet. Doch dort sind die Gäste samt und sonders Gangster, Waffenschieber, üble Gestalten, die Party wird rasch unangenehm und kurz nachdem das Paar es knapp vom Schiff geschafft hat, fliegt es in die Luft und sinkt.

Illustration: Bastien Vivès - Schreiber & Leser
Illustration: Bastien Vivès - Schreiber & Leser

Im Schiffsrumpf eingeschlossen ist ein Escortgirl, weshalb unser Paar beschließt, sie zu retten. Vivès macht sich all das bewundernswert leicht: Hier sollen Sommer und Sonne und Meer zusammenkommen, es soll Action rein, deswegen müssen im Mittelmeer gigantische Haie herumpaddeln, es kommt noch ein mysteriöser antiker Giftfalter dazu und überhaupt greift er komplett spielfreudig zu jeder Menge Klischees. Aber all das kann man ihm recht leicht verzeihen, weil’s a) schön aussieht, b) Vivès jedesmal, wenn man sich „Hä?“ denkt, einfach mit Action und Gewalt drüberbügelt.

Illustration: Bastien Vivès - Schreiber & Leser
Illustration: Bastien Vivès - Schreiber & Leser

Dialoge gibt’s nur sparsam. Das ist so rücksichtslos durchgezogen, dass sich im Vorsatzpapier sicherheitshalber auch noch Krokodile einfinden, die im Comic gar nicht vorkommen – ein Prinzip, das Vivès schon bei der (gleichermaßen empfehlenswerten) „Olympia“ nutzte. Aber wer oberlehrern will: ein titelgebender „Honeymoon“ ist ja genauso wenig zu erkennen: Prädikat „Wenn schon, denn schon!“

 


Wortkarg, pragmatisch und supercool

Illu: Kieran/D. Headline/R. Stark - Schreiber & Leser
Illu: Kieran/D. Headline/R. Stark - Schreiber & Leser

Noch deutlicher am Vorbild klebt Band 2: „Eine Falle für Parker“ bezieht sich direkt auf Darwyn Cookes kongeniale Umsetzungen der „Parker“-Romane von Richard Stark („Payback“ ist der bekannteste, meistverfilmte). Die Romane spielen im US-Gangstermilieu der 60er/70er Jahre, zeigen einen eigenen, harten und wortkargen Kodex, ungeschönte Brutalität und pragmatischen Geschäftssinn. Der früh verstorbene Cooke setzte das in eine sparsame-coole Schwarz-weiß-Optik samt einer Schmuckfarbe vorbildlich um, Zeichner Kieran und Szenarist Doug Headline (eigentlich Tristan Jean Manchette) machen genau hier weiter, die Vorlage stammt von Stark (eigentlich Donald E. Westlake), denn es sind noch reichlich Parker-Romane nicht umgesetzt.


Suchen ohne Google


Diese Parkerwelt hat ihre eigene Faszination: Diesmal wird der Titelheld nach einem Bankraub um die Beute betrogen, der Betrüger setzt sich ab und Parker muss ihn mühsam in den Prä-Internet-USA suchen. Headline lässt dabei wie Cooke seinen Parker wenig sagen und viel Härte zeigen.

Illustration: Kieran/Doug Headline/Richard Stark - Schreiber & Leser
Illustration: Kieran/Doug Headline/Richard Stark - Schreiber & Leser

Wie Cooke nutzt auch Kieran (eigentlich Sebastien Kieran) das Szenario zum Schwelgen in diesem kalt-eleganten 60er/70er-Design, in dem man dauernd erwartet, dass Steve McQueen oder Alain Delon um die Ecke kommen. In dem Häuser schräg verwinkelt sind und große Glasflächen haben, in Wohnungen überall Whisky herumsteht und Autos so schwarz und kantig daherbrummen wie gigantische, schwebende Dominosteine. Kieran bleibt beim bewährten Schwarz-weiß-blaugrau, seine auffälligste Zutat sind eigenwillige Schattierungen mittels unterschiedlich groß aufgeblasener Fingerabdrücke, wie man sie von Michael Mathias Prechtl kennt. Zugegeben: Nichts davon ist neu ausgedacht, aber Cooke hätte angesichts der Werk- und Vorbildtreue sicher keine Einwände. Außer, dass er's lieber selbst gemacht hätte.






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Dieses verfluchte erwachsene Leben: Bastien Vivès verwirrt zwei eigentlich zufriedene Menschen mit einer Festival-Liebelei in Angouleme

Illustration: Bastien Vivès - Schreiber & Leser

Wenn er will, dann macht ihm keiner was vor. Und gerade will er wieder: Bastien Vivès. In „Letztes Wochenende im Januar“ verlässt er sich wieder einmal auf sein unbestritten sensibles Beobachtungs- und Einfühlungsvermögen. Herausgekommen ist: eine bittersüße Romanze, die schwer zu Herzen geht.


Die Schöne und der Zeichner


Vivès siedelt sie in Angouleme an, wo an jedem letzten Wochenende im Januar das berühmteste Comic-Festival der Welt stattfindet. Der Zeichner Denis Choupin trifft ein, ein Mann irgendwo zwischen 40 und 50, Haare noch dunkel, aber dünner werdend. Beatlesfrisur, furchtbarer Schnurrbart, Pilotenbrille, ein Hingucker ist Choupin nicht. Und das Festival ist für ihn Routine, fast schon Langeweile, als eine hübsche Ärztin sich einen Band von ihm signieren lässt: für ihren Mann.

Illustration: Bastien Vivès - Schreiber & Leser

Später wird Choupin vom (Comic-Rennfahrer Michel Vaillant ähnelnden) Ehemann angesprochen, der sich bedankt und ihn zum Essen einlädt. Choupin sagt zu und verguckt sich dabei in die zurückhaltende Frau. Man hätte ab hier auch eine schöne Komödie draus machen können: Man könnte Choupin zwischen Hoffen und Bangen zeigen können. Kennt man doch: Immer kommt irgendwas dazwischen, und dann macht er sich zum Narren für diese Schöne, von der er noch nicht mal weiß, ob’s zu was führt. Aber Vivès wählt die schwierigere Variante.


„Ihr seht aus wie irgendwie Vintage“


Er zeigt den Messe-Alltag, die Einsamkeit, die „Mensch-du-auch-hier?!“-Szene. Die totzuschlagende Zeit zwischen den Veranstaltungen. Natürlich laufen Ehepaar und Zeichner sich in der kleinen Festiwelt wieder über den Weg. Und damit die Ärztin dem faden Zeichner näherkommt, nutzt Vivès einen einfachen Trick: Der Ehemann tanzt nicht gern und quatscht lieber mit den allgegenwärtigen Comic-Künstlern. Choupin hingegen tanzt: „Sehr schlecht, aber sehr gern.“ Beide seilen sich ab, fremdeln mit Party-Jungvolk, trauen sich dann doch auf die Tanzfläche. Sie kriegen sogar sowas wie ein Kompliment: „Ich finde euch beide einfach goldig, ihr seht aus wie irgendwie Vintage. Aus den 70ern.“ Derart gelobt gehen sie durch die Nacht, es gibt einen intensiven Kuss – dann findet sich Michel Vaillant wieder ein und entschwindet mit seiner Frau in der Dunkelheit.

Illustration: Bastien Vivès - Schreiber & Leser

Vivès zeigt den Abend mit wenigen Worten, vielen Blicken, Momenten. Das verlegene Herumstehen, das zaghafte Gucken und Plaudern, das allmähliche Tanzen, immer wieder begeistert, wie Vivès Bewegungen und Stimmungen einfängt und auf ein paar Striche und Schatten reduziert. Ein Minimum an Zeichnung, ein Maximum an Wirkung.


Minimale Zeichnung, maximale Wirkung


Der Zauber dieser Nacht ist unwiderstehlich: Natürlich ist Choupin verheiratet, so glücklich, wie es gar nicht mal so normal ist. Und auch die Ärztin denkt nicht im Geringsten daran, ihren Mann zu verlassen. Außerdem muss Choupin zum Zug. Aber die Leichtigkeit des Festivals, dieser plötzliche Einbruch des Unerwarteten, die Sehnsucht nach dem Neuen oder Anderen oder doch wenigstens nach der Unschuld und Unverbindlichkeit der Jugend – all das packt Vivès in die kommenden 60 Seiten, ohne dabei sehr auf die Tränendrüse zu drücken: Und vielleicht macht gerade das es so schwer, bis zum Finale trockenen Auges durchzuhalten.



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  • 25. Jan. 2023

Skandalfreie Meisterleistung: „Nationalfeiertag“ zeigt Frankreich als ein vom Terror verängstigtes Land und den Comic-Star Bastien Vivès von seinen besten Seiten


Illustration: Bastien Vivès/Martin Quenehen - Schreiber & Leser

Es gibt Neues von Bastien Vives! Und damit sind nicht die unschönen Vorwürfe gemeint, die ihn vor kurzem in den Ruch des Bad Boy brachten: „Nationalfeiertag“ hat wenig bis nichts mit Sex zu tun. Der Comic zeigt stattdessen, was an der Kunst des 38-jährigen Franzosen so großartig ist – und warum man es mit seinen Geschichten dennoch meist nicht leicht hat.


Die Grande Nation nach Nizza und Bataclan


„Nationalfeiertag“ hat Vivès zusammen mit dem Szenaristen Martin Quenehen entwickelt. Was zunächst wirkt wie ein Regionalkrimi, entpuppt sich als spannende Analyse eines verunsicherten Landes: Wir sind in einem französischen Bergdorf, wo der junge Polizist Jimmy gerade seinen Vater beerdigt. Woran der starb, weiß man nicht, aber Jimmy macht sich Vorwürfe. Es könnte damit zusammenhängen, dass wir im Frankreich nach den Terroranschlägen vom November 2015 sind, nach dem Anschlag von Nizza 2016. Die Polizei ist dauernervös, und Jimmy besonders. Er kann nicht abschalten, nicht schlafen.


Als der Maler Vincent mit seiner jungen Tochter in die Stadt zieht, beobachtet Jimmy ihn – nicht zuletzt, weil er erfahren hat, dass Vincent gerade seine Frau bei einem Attentat verloren hat. Jimmy beschattet Vincent , als der eines Nachts in einer Migranten-Siedlung eine Bombe legen will. Er entschärft die Bombe und redet Vincent ins Gewissen. Was man da noch nicht ahnt: Jimmy ist selbst migrationsskeptisch…

Die Magie des besten Moments

Es sind vor allem zwei Dinge, die diesen Comic so gut machen: Erstens natürlich die Bilder. Vivès zeichnet zuverlässig mit minimalem Aufwand. Wunderschöne Ortsansichten, Berge, Marktplätze im Sonnenlicht. Grandiose Porträts in punktgenauen Posen. Das Panel eines Comics zeigt ja immer nur einen Moment einer Bewegung, weshalb die Qualität des Bildes nicht nur davon abhängt, ob einer zeichnen kann, sondern auch davon, welchen Moment er wählt. Im Herausfiltern des effektvollsten Augenblicks, der authentischsten, typischsten Mimik, Gesten, Haltungen, da findet sich derzeit schwer jemand, der besser ist.


Bild: B. Vivès/M. Quenehen - Schreiber & Leser

Sein reduzierter Stil unterstützt diese Stärke: Ein paar Linien, ein paar Flächen, und blitzschnell ist alles da und zugleich nur angedeutet, so dass der Betrachter unwillkürlich seine eigenen Erfahrungen anzapft. Vivès arbeitet dabei (wie schon öfter) nur mit Schwarz-Weiß und Grautönen, und was er mit diesem Mini-Material an sommerlichen oder nächtlichen Lichteffekten fabriziert, da kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus. Wer schon mal Urlaub in der französischen Provinz gemacht hat, findet ständig angenehme Erinnerungen und kriegt Lust auf Rotwein und Baguette mit Camembert.

Blockbuster-Elemente im Regionalambiente

Nicht zu vergessen: Action kann Vivès auch. Schießereien, Explosionen, Stürze, Motorräder, Verfolgungsjagden, Vivès macht aus nichts großes Kino im Comicformat. Doch diesmal nutzt er sein Talent nicht zum Blockbuster-Entertainment wie etwa in der „Großen Odaliske“. Stattdessen erzählt er hier eine erwachsene, nachdenkliche Geschichte. Mit seiner zweiten Stärke: Der Fähigkeit, Geschichten nicht sauber aufzuräumen, sondern für Mehrdeutigkeiten zu öffnen.


Die Sympathie der Leser gehört hier natürlich dem jungen, eindeutig idealistischen Jimmy, aber zugleich auch die Skepsis, wohin dieser Idealismus führen kann. Denn Jimmy ist vom Kampf zwischen Rechts und Links und Religion genauso verstört wie die ganze Grande Nation, die sich beim Umgang mit ihren zahlreichen Migranten weder durch Ideen noch durch besonderes Engagement hervorgetan hat. Und die auch heute noch oft lieber rechts wählt, als den Karren aus dem Dreck zu ziehen, in den man ihn selbst hineingeritten hat.


Geschickt eingesetzte Mehrdeutigkeit

Eine Auflösung, was gegen Ende genau passiert, liefert Vivès nicht. Er gibt die Verunsicherung an die Leser weiter und lässt sie damit allein, eine Technik, die er öfter und gerne anwendet – und die ihre Risiken hat. Hier geht die Rechnung auf: Denn die Themen in „Nationalfeiertag“ lassen sich unbefangener diskutieren als die Themen jener Titel, die ihn im Dezember ins Gerede brachten.



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