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Comicverfuehrer

Asterix, die 38.: „Die Tochter des Vercingetorix“ wirft Traditionen über Bord und klaut bei Klassikern der Serie

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ASTERIX: ANGELEHNT WIE EIN BÜGELBRETT Illustration: Didier Conrad/Jean-Yves Ferri - Egmont

(Beim Onlinegehen übersehen: Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online, verschlief aber den Umzug auf den Comicverführer-Blog - und wird hier aus aktuellem Anlass nachgereicht)


Neuer Asterix, neues Glück. Jetzt ist Band 38 erschienen, „Die Tochter des Vercingetorix“, der inzwischen vierte von Texter Jean-Yves Ferri und Zeichner Didier Conrad, und, um mit dem Kritikerkollegen Günter Netzer zu sprechen: „Ja, es ist ein Tiefpunkt.“ Hört, hört, denkt sich da womöglich der Leser, ein Tiefpunkt. Ein noch niedrigerer Tiefpunkt am Ende, gibt's das? Bei Asterix? Geht ja gar nicht, der Vermes sitzt wahrscheinlich gemütlich da und hat drei Weizenbier getrunken, und Niedermachen, das tun Kritiker ja immer besonders gern. Also: Kann das stimmen?


Die Story: Stückwerk aus dem Fundus


Sagen wir so: Drei Weizenbier wären sicher hilfreich. Weil ich selbst ja auch gern Spaß am neuen Asterix hätte, und mit drei Bier könnte man vielleicht über einiges hinwegsehen, was einem diesen Spaß nimmt. Wie zum Beispiel die hanebüchen geklaute Story: Das gallische Dorf soll auf Adrenaline aufpassen, die zwang- und sinnlos auftauchende Tochter des historischen Titelhelden. Julius Cäsar will sie nämlich als Geisel, um sie nach römischem Standard zu erziehen.

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Illustration: Didier Conrad/Jean-Yves Ferri - Egmont

Woher kennen wir das? Genau, „Asterix in Spanien“, eine Geschichte, deren Reiz darin besteht, dass Asterix trotz allen Zaubertranks keine Chance hat gegen die Launen eines störrisch-verzogenen Knirpses. Und okay, das könnte hier auch funktionieren, zumal sie das Mädchen fast 1:1 aus Grautvornix geklont haben („Asterix und die Normannen“), sie ist also im idealen Teenageralter.

Konfliktpotential: null


Doch da fängt's schon mal an: Asterix, Obelix und das zickige Gör haben praktisch nichts miteinander zu tun. Das Mädchen wohnt im Haus von Häuptling Majestix, Asterix und Obelix sollen sie eher be- und überwachen, und so verbringen beide große Teile des Hefts hinterhertappend. Konfliktpotenzial: null. Und der einzige erkennbare Vorteil ist, dass man als Running Gag einbauen kann, wie Asterix und Obelix versuchen, tarnungshalber „natürlich zu sein“.

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Illustration: Didier Conrad/Jean-Yves Ferri - Egmont

Der Gag ist freilich zurechtgeklaut aus „Asterix als Legionär („liebenswürdig sein“) und „Asterix und der Kupferkessel“ („unauffällig benehmen“), was nicht nur doppelt arm ist, sondern gleich dreifach, weil Ferri obendrein keine Notwendigkeit für die Tarnung einfiel: Adrenaline ist Bodyguards gewöhnt. Weshalb der sonst so clevere, reaktionsschnelle, einfallsreiche, improvisationsfreudige Asterix in diesem Band erstmals wirkt wie der Dorfdepp.


Gallien goes Maischberger


Derart verhunzt hat Ferri selbst auch keine Lust mehr, ihn einzusetzen. Wer mal nachzählt, merkt: Rund 350 Panels gibt es, Asterix und Obelix tauchen nur auf etwa 130 davon auf, Asterix selbst sogar nur auf 120, ein gefühlter Minusrekord. Stattdessen bekommt Adrenaline seitenlange Soloauftritte bei den Piraten (witzfrei, spannungsarm). Oder Miesetrix, der Schurke des Bands, muss - auch das eine Neuheit - die Motivation für sein Schurkentum bierernst mit Methusalix diskutieren: „Dein Vercingetorix“, jammert er, „konnte mich nie leiden.“ Prost, denkt man da beim vierten Bier, Gallien goes Maischberger.


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Illustration: Didier Conrad/Jean-Yves Ferri - Egmont

Statt des unbrauchbaren Asterix rührt Ferri nun munter neue Charaktere in die Suppe, in der Hoffnung, viel könnte viel helfen. Wo einst pro Band ein Gegenspieler und ein Gast aus fremden Landen genügten, kommen jetzt zu Adrenaline und Miesetrix die Gallier Mausklix und Monolitix, ein Zenturio ohne Namen, ein Galeerenkommandant, Flocircus mit seinem Sohn Ludwikamadeus, ein Love-Interest namens Letitbix, sowie, weil's eh schon wurscht ist, ein Kurzauftritt von Epidemais (wer erinnert sich?) und, für lange, fade Dialoge unter Teenagern, Aspix und Selfix, die bisher völlig unbekannten älteren Söhne von Automatix und Verleihnix.


Mimik eines Garagentors


Bringen tut der ganze Auftrieb nichts, vor allem weil Ferri keine Ahnung hat, wie Humor funktionieren könnte. Es fallen ihm vor allem Wortspiele ein: Wer Wein transportiert, „hat Schlagseite“, wer ins Wasser fällt „gerät ins Schwimmen“. In „Asterix bei den Goten“ bestand der Gag noch darin, dass sich der schlicht gewirkte Obelix seitenlang über das Wortspiel „er ist entfesselt“ wegschmeißt - heute schätzt Ferri seine Leser genau so ein. Zeichner Conrad ist leider keine Spur hilfreicher. Schon das Naheliegendste ist zu viel verlangt: Letitbix, der sehr schön „Imagine“ zitiert, sieht nicht aus wie der junge John Lennon. Adrenaline erhält mit je einem offen strahlenden und einem verschlossen schmollenden Gesichtsausdruck das Mienenspiel eines Garagentors. Und bei Actionszenen wird klar, dass Conrad auch das Zusammenspiel von Körperhaltung, Wucht, Schwung, ja, jedes physikalische Gesetz von Schlag und Wirkung nicht wirklich nachvollziehen kann.


Ganz nebenbei werden jede Menge Traditionen geringschätzig über Bord geworfen: Alesia, der Ort der gallischen Niederlage, den früher keiner kannte, wird zur Allerweltsfloskel. Dafür darf Vercingetorix' bisher stets unproblematischer Name auf einmal nur noch geflüstert werden. Asterix fängt plötzlich Pfeile Zentimeter vor seinem Gesicht auf - doch der Zaubertrank hat bislang nie Reaktionen beschleunigt. Nein, das hat mit Asterix nichts mehr zu tun, und was besonders wehtut, ist nicht, dass Ferri und Conrad es nicht könnten, sondern, dass es ihnen spürbar egal ist. Vor zwei Jahren konnte man auf Lewis Trondheim verweisen, der Micky Maus würdig fortsetzte, inzwischen ist Mawil dazugekommen, der sich um Lucky Luke verdient gemacht hat. Asterix wünscht man dringend dasselbe, statt diesen Rumpelfußball in Comicform.





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Joann Sfars träumerische Autobiografie „Die Synagoge“ ist auch eine warnende Bilanz nach jahrzehntelang kaum gebremstem Antisemitismus

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Illustration: Joann Sfar - avant-verlag

Oh Mann. Der Comic ist gut, und trotzdem wär’s mir lieber, Joann Sfar hätte den Band nicht rausgebracht. Nicht so, wenigstens. Dabei ist „Die Synagoge“ erzählerisch, zeichnerisch tadellos, erstklassiges unterhaltsames Sfar-Material, dazu gezeichnet im besonders angenehmen „Die Katze des Rabbiners“-Look. Wo also ist das Problem?


Flucht vorm Gottesdienst


Sfar ist diesmal autobiografisch unterwegs. Er erholt sich von einer schweren Corona-Infektion. Im Fieber begegnet er dem französischen Abenteuer-Romancier Joseph Kessel, aber er erinnert sich auch an seinen Vater, den Anwalt André Sfar und an seine eigene Jugend in den 90ern. Einen Großteil davon verbrachte er beim jüdischen Wachdienst vor der örtlichen Synagoge. Um sie vor Anschlägen zu schützen? Auch, aber vor allem, weil er die Gottesdienste so sterbenslangweilig findet, und bevor er sich noch einen einzigen antut, verbringt er die Zeit lieber wie Sonne, Regen und Wind vor der Tür. Sagt er.

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Illustration: Joann Sfar - avant-verlag

Tatsächlich setzt sich Sfar in dem ganzen Band mit Gewalt auseinander. Mit der Gewalt seines Vaters, der vor allem im Straßenverkehr gerne andere Autofahrer verprügelt. Mit der Gewalt der Juden und Araber. Und mit dem eigenen Wunsch nach Gewalt: Weil der kleine genauso wie der jugendliche Joann im französischen Nizza mitbekommt, wie sich jede Menge Antisemitismus und Neonazis breitmachen, seit den 80ern, seit den 90ern.


Ständer im Kampfanzug


Ungewöhnlich ist, wie liebenswert und dennoch präzise Sfar all das schildert: Eben noch haben Skinheads ihn aus einem Lokal vertrieben, auf der nächsten Seite übt er Kung Fu bei der hübschen blonden Trainer-Vertretung und hat keine größere Sorge als die, dass sie nichts von seiner Erektion im Kampfanzug mitkriegen möge. In diese Zeit fällt der Aufstieg des Rechtsradikalen Jean-Marie Le Pen, der 1993 den deutschen Alt-Nazi Franz Schönhuber nach Nizza holt – Sfar wird fassungslos Zeuge, wie die Franzosen im rappelvollen Saal dem SS-Mann zujubeln.

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Illustration: Joann Sfar - avant-verlag

Er engagiert sich, beobachtet, trifft ratlose Juden, gedankenlose, aber manchmal nicht unfreundliche Neonazis (die ihm im Fall der Fälle natürlich nicht helfen würden, sondern „Schade, der war eigentlich nicht so schlimm“ sagen…). Und all das, so klug gemacht es auch ist, verströmt zugleich eine enorme Resignation.


Gefahr im Verzug


„Dieser Zorn auf jüdische Menschen ist eine Konstante, ich würde fast sagen ein Bindeglied der westlichen Gesellschaften. Ich habe aufgehört zu kämpfen“, schreibt er im Nachwort, „ich erzähle jetzt. Ohne die geringste Hoffnung“. Für ihn mag das eine Lösung sein: Tatsächlich weicht Sfar bei Konflikten gerne ins Rührende oder ins Humorige, auch ins Bitterhumorige aus. Doch für eine Gesellschaft ist das keine hilfreiche Option.


Der Zustand einer Demokratie lässt sich an ihrem Umgang mit den Juden ablesen. Das ist ähnlich wie früher bei den Kanarienvögeln im Bergwerk: Werden sie leiser, ist Gefahr im Verzug.




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Auch wenn der neue Asterix „Die Weiße Iris“ meilenweit hinter den Klassikern bleibt: Der neue Texter Fabcaro setzt den schwachen Aufwärtstrend immerhin fort

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Illustration: Didier Conrad/Fabcaro - Egmont

Schauen Sie mal, wie gut der neue Asterix vom alten Zeichner Didier Conrad und neuen Texter Fabcaro sein könnte: Die vier Panels da oben, das ist erstaunlich nahe am Original. Der Gag ist gut aufgebaut, die Gestaltung sorgfältig. Und eine dramaturgische Funktion hat er auch: Asterix, der nur in Ruhe mit Obelix essen will, fühlt sich bedrängt und ist allmählich bereit, zu reagieren. Das ist so dicht an „Asterix als Legionär“, wo sich der kleine Held erst bereitwillig durch die römische Bürokratie fragt und dabei immer genervter wird. Nicht neu erfunden, aber sehr gut variiert. Das Erstaunliche: Dieser Gag, der so viel Asterix classic verströmt wie lange nicht, kommt im neuen Band „Die Weiße Iris“ überhaupt nicht vor.


Mehr Lacher als in 5 Bänden zuvor: einer


Und das, obwohl ihn viele Zeitungen als Beispiel zeigen (soviel zur Recherche). Den Gag gab es laut Verlag extra nur als Teaser. Als Appetithäppchen. Das in der Geschichte komplett fehlt (obwohl die den Gag dringend brauchen könnte). Seltsam? Unlauter? Kann man so sehen, es zeigt aber, dass die Macher wenigstens theoretisch wissen, worum es geht. Die Frage ist: Haben sie’s diesmal auch umgesetzt? Tatsächlich habe ich im neuen Band „Die Weiße Iris“ mehr gelacht als in allen fünf Bänden vorher zusammen. Zwar auch nur einmal, da aber kräftig. Immerhin.

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Illustration: Didier Conrad/Fabcaro - Egmont

Denn: Vieles ist weniger schlimm als vorher. Conrad kann zwar (außer im Teaser!) nach wie vor kein Wildschwein zeichnen, das halbwegs lecker gebraten aussieht. Aber irgendwie muss der neue Kollege seinen Ehrgeiz geweckt haben. Auf den Panels passiert jetzt gelegentlich nicht nur was im Vordergrund, mitunter ist nun sogar auch der Hintergrund ausgearbeitet, mal mit Gegend, mal mit Möbeln, mal macht dort sogar ein Legionär was. Action ist zwar noch immer nicht sein Ding, und in der Paradedisziplin „Prügelei mit Römern“ absolviert er auch den sechsten Band ohne eine nennenswerte eigene Idee, aber wenigstens kopiert er jetzt besser. Die größten Fortschritte finden sich hingegen in der Geschichte.


Rückkehr zu einem Plot, einem Gegenspieler


Es gibt wieder einen einzigen tragenden Plot, einen (leidlichen) Gegenspieler, ein halbwegs aktuelles Thema: Visusversus heißt der Mann, dem Asterix auf dem Cover völlig sinnfrei zuzwinkert. Er verspricht Cäsar, die unmotivierten Legionäre durch Positives Denken auf Vordermann zu bringen. Was zwar schon ein sehr alter Hut ist, aber Fabcaro wirft das einfach mit dem aktuellen Trend in einen Topf, Dicke nicht mehr dick und Dumme nicht mehr dumm zu nennen.

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Illustration: Didier Conrad/Fabcaro - Egmont

Sicher, das resultiert sehr oft in sowas wie „Männer um die 50 beömmeln sich darüber, was die junge Leute heute so machen“, funktioniert aber hin und wieder brauchbar, und einmal sogar exzellent: bei Gutemine, der Frau des Häuptlings Majestix. Sie ist um die 50, im frühherbstlichen Spätsommer des Lebens, wollte schon in Band 18 was Besseres werden, und hat einen Mann, der so sensibel und romantisch ist wie eine Dose Bierschinken.


Charakterrolle für Gutemine


Nun ist Gutemine kein Legionär, aber aus mühsam zurechtgewürgten Gründen hat der Schurke beschlossen, sein Positives Denken auch bei den Galliern anzuwenden. So wird also Gutemine klangvoll beschwatzt und daraus entsteht eine richtig gute Rolle für eine gern unterschätzte Serienfigur aus der zweiten Reihe. Weniger nachvollziehbar ist, dass auch die anderen Gallier für das Geseier empfänglich sind. Denn vernachlässigt und geringgeschätzt wie Visusversus' Standardkunden fühlen sich Leute selten, die jederzeit auf ein paar Römer einschlagen und/oder auch herabsehen können. Um also mit Hildegard Knef zu sprechen: Von nun an ging’s bergab.

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Illustration: Didier Conrad/Fabcaro - Egmont

Die Gallier beginnen zu flechten, sie meditieren, joggen, sie machen all das, was Fabcaro und Conrad schon seit den späten 80ern doof finden. Und damit’s jeder mitbekommt, vermisst die Identifikationsfigur Asterix auf einmal die gallische Kruppstahlhärte wie ein altgedienter NS-Gauleiter: „Unsere Freunde scheinen zu verweichlichen.“ Man wolle „unsere Wachsamkeit untergraben, um uns verwundbar gegen Angriffe der Römer zu machen“. Doppelt widersinnig, weil Visusversus‘ Sprüche die Römer überhaupt nicht verweichlichen, sondern in schmerzerduldende, kampfeslustige Prügelknaben verwandeln. Aber egal, ab hier hat Fabcaro an diesem Plot ohnehin kaum noch Interesse, Visusversus lässt Theorie Theorie sein, lockt/entführt Gutemine nach Lutetia und der Rest ist Verfolgungsjagd bis zum bitteren Festmahl mit gefesseltem Barden.


Asterix vermisst den Kruppstahl


Allerdings ist seit diesem Band fraglich, wozu der Barde überhaupt noch geknebelt wird: die „verweichlichten“ Gallier finden seine Musik nämlich akzeptabel. Was alle bis heute je gemachten Troubadixwitze in die Tonne tritt. Denn die funktionieren nur unter der Vorgabe, dass seine Musik unerträglich ist, und zwar für jeden Menschen mit Ohren (außer Grautvornix).

Und dennoch: Obwohl Lust- und Gedankenlosigkeit bei Conrad nach wie vor dazugehören, obwohl er es schafft, 36 entspannte Pferde in absolut identischer Pose und Frisur runterzuklopfen (Seite 32), und obwohl er den Zaubertrank gluckernden Asterix erstmals aussehen lässt wie eine freischwebend trinkende Marienerscheinung (Seite 26) – dieser Asterix ist tatsächlich einen zarten Hauch besser als die fünf zuvor.

Oder wie es Herr Habeck sagen würde: Die Talsohle ist durchschritten.



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