top of page

Comicverfuehrer

Spannend, komisch, historisch aufschlussreich: Das Buchmaultier von Córdoba ist ein unterhaltsames Plädoyer fürs Bücherlesen

Illustration: Wilfried Lupano/Léonard Chemineau - Splitter Verlag

Gibt es den eierlegenden Wollmilchcomic? Jawohl, und er heißt „Das Buchmaultier von Córdoba“. Er ist spannend, komisch, ausgesprochen ansehnlich und geradezu brandaktuell, letzteres auch noch im Wortsinn. Und er fängt seine Leser sofort ein. Mit dem ersten Panel.

Ein kleiner, dicker Orientale tappt durch eine endlose Säulenhalle. Zierliche Säulen, wunderhübsch gestreifte Bögen, wer’s kennt, weiß sofort: Spanien, im Süden, da wo die Mauren herrschen.


Panorama-Blicke wie bei Asterix


Schon auf der nächsten Seite sehen wir den Dicken panisch durch eine große Ansicht des Gartens der Bibliothek von Córdoba rennen. Der Dicke ist jetzt ganz klein, und an seinen Staubwölkchen folgt ihm das Auge durch das Tor, an den Statuen vorbei und an den kühlen Wasserbecken in der sonnigen Hitze. Das erinnert sofort (und später noch öfter) an Albert Uderzos akribische Panorama-Ansichten im Asterix: Lutetia von oben, Rom von oben, verführerisches Augenfutter, das um so angebrachter ist, weil der Hintergrund der Geschichte alles andere als erfreulich ist.

Illustration: Wilfried Lupano/Léonard Chemineau - Splitter Verlag

Der Dicke ist der Bibliothekar Tarid, und er hat gerade mitbekommen, dass der Großwesir die weltberühmte Bibliothek unter religiösen Gesichtspunkten durchkämmen wird. Zwei Generationen lang haben die Kalifen von Córdoba Wissen aus aller Welt gesammelt. Sie ließen es übersetzen, kopieren und sahen die Zukunft des Islam in Forschung und Bildung. Der Großwesir will sich hingegen an die Macht putschen, und dazu mobilisiert er jene, die sich von Forschung und Bildung bedroht fühlen: Ungebildete und vor allem Religiöse. Sie werden alle wissenschaftlichen und philosophischen Bücher brennen lassen, eine Woche lang. Der Dicke wird versuchen, die wertvollsten Bücher zu retten. Seine einzigen Helfer: eine Kopistin, ein Dieb und ein störrisches Maultier.


Thema „Bücherverbrennung“ - fast ohne Zeigefinger


Bei „Bücherverbrennung“ klingeln natürlich gerade in Deutschland die Alarmglocken. Weil: Darf man das? Und wenn, dann nur mahnend, mit ragendem Zeigefinger mindestens bis in den zweiten Stock. Szenarist Wilfried Lupano hingegen verlässt sich auf seine Kunst, mit der er schon in der Serie „Die alten Knacker“ das ernste Altersthema unterhaltsam und angemessen zugleich verarbeitet hat.


Lupano zeigt beispielsweise Tarid beim Bücherklauen, und weil das dem Dicken extrem schwerfällt, ist das zugleich komisch, aber es zeigt auch, wie sehr ihm die Bücher am Herzen liegen. Oder: Er zeigt, wie der bewusstlose Dieb Marwan im Garten vor der Bücherei aufwacht, weil es regnet, und zwar: Bücher. POF. Und PLAF. Und dann immer mehr, weil über ihm die Schergen des Großwesirs bereits die aussortierten Bücher aus den Fenstern schmeißen. „Aussortiert“ bedeutet dabei: praktisch alle.


Ungewöhnliche Bildformate


Illustration: Lupano/Chemineau - Splitter Verlag

Es hilft Lupano, dass er sich auf den Zeichner verlassen kann: den bislang mir unbekannten, aber ausgesprochen vielseitigen Léonard Chemineau. Cartoonig kann er, wie man am Einsatz des dicken Tarid sieht. Aber er illustriert Tarids blaugraue Alpträume auch passend schauerlich, und am schurkischen Großwesir ist absolut nichts mehr karikiert. Und noch was kann er meisterlich: mit Panels umgehen.


Die Wache am Tor in der mondhellen Nacht seitenhoch, die endlose Wanderung mit dem mit Büchern überladenen Maultier schön breit, eine Rückblende in der Form alter Handschriften, eine andere Rückblende garniert mit den Zutaten mittelalterlicher Bucheinbände. Zudem beherrschen beide ihr Slapstick-Handwerk: Sie zeigen etwa Marwans letzten gescheiterten Einbruch: wie er bereits die Beute in der Hand, eine Vase umwirft. Neben der Vase eine wacklige Staffelei, neben der ein aufgerollter Teppich an einem halb zusammengeklappten Paravent lehnt, der wiederum neben einem mannshohen Gong steht und zwei meterhohen Stapeln mit Porzellantellern. Und direkt daneben, schläft eine Wache. Noch. Nächstes Bild? Natürlich Marwan vor dem Scharfrichter, weil niemand das Lärmchaos so gut zeichnen könnte wie es sich der Leser selbst ausmalt.


Prädikat: „Der Name der Rose“


Unterwegs lernt man außerdem eine Menge. Nicht nur vom bildungsaffinen Kalifat. Woraus haltbare Tinte damals bestand, was Bücher wert waren, Schriftarten, Sklavenhandel, wie man Eunuchen produziert... Das ist schon alles, was man dem Band vorwerfen kann: Es ist manchmal fast zuviel, und am Schluss konnte auch Lupano den Zeigefinger nicht ganz weglassen. Aber bis dahin erlebt man eine optisch hinreißende, aufregende Ode an Bücher und Wissen, die es durchaus mit „Der Name der Rose“ aufnehmen kann.


Wilfried Lupano/Léonard Chemineau, Das Buchmaultier von Córdoba, Splitter Verlag, 39,80 Euro


 


Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:


 



Karl der Kleine macht sehr viel richtig: Gute Ideen, Interessantes aus der Regionalgeschichte. Fragt sich nur: sieht Julia (11) das ähnlich?


Illustration: Neufred - Granusverlag

Erstmals bin ich richtig voreingenommen: „Karl der Kleine“ ist mir einfach sympathisch. Ein Aachener Regionalcomic, der sich aber nicht so liest, als ob ihn die örtliche Tourismuszentrale in Auftrag gegeben hätte. Was daran liegen könnte, dass der kleine Karl Teil einer Serie ist, man also nicht krampfhaft alle Aachener Details in einen Band stopfen muss. Und daran, dass Zeichner Neufred, der tatsächlich Alfred Neuwald heißt, selbst Comic-Fan ist und keine zwangsverpflichtete Grafikagentur.


Aus Granus wird Granini


Sein Serienheld heißt Karl der Kleine, natürlich ein Historikerwitz, weil Karl der Große ja immer noch seinen Thron in Aachen hat. Karl muss mit seiner bärtigen Freundin in die Vergangenheit reisen: Früher hieß sie Granus und war Comicstar, heute aber heißt sie Granini und ist eine Frau, weshalb ihr die alten Comics unangenehm sind.


All das ist natürlich nur ein Vorwand für eine Reise in die Stadtgeschichte, mit einer ziemlich überzeugenden Reiseleitung: Neufred ist ein penibler und erfreulich versierter Zeichner, der Gebäude so gut hinbekommt wie die alte Aachener Pferdebahn, die bunten Autos der 60er Jahre. Ich habe kürzlich in einem namhaften Verlag einen Zeichner am VW-Bully mehrfach jämmerlich scheitern sehen, aber bei Neufred ist nicht nur der Bully eine Freude, sondern auch der VW 1600 sofort erkennbar, oder der Ford Taunus P3.


Seltsam: Was eben super war, ist heute mau


Enttäuschenderweise zündet das bei Julia nicht recht. In Geschichte ist sie erst bei den alten Griechen, weit vorm großen Karl. Die wunderschönen alten Autos, die Bahn, bei der man bergauf mitschieben muss, um dem Pferd zu helfen, die wunderliche historische Figur des Lennet, ein gutgelauntes Stadtoriginal, das vom Eingeladenwerden lebte... all das klappt nicht so recht. Und was bei „Alldine“ noch aufging, Figuren, die wissen, dass sie in einem Comic sind und damit spielen, hier begeistert das Julia weniger. Ist's das Regionale? Wäre München besser? „Mmmh. Ein bisschen“, sagt sie.


Die beste (weil schönste) Stelle:

Wie Granini und Karl in den Comic schlüpfen. Diese ganze Seite begeistert Julia absolut: „Wie die Comicfiguren am Rand der Seite stehen. Und wie die beiden dann reingezogen werden!“


Neufred, Karl der Kleine: Printenherz, Granus Verlag, 15 Euro


Julias Entscheidung


Selbstporträt: Julia

Es ist klar: Die beiden Spitzenplätze sind ungefährdet. Bei „Boris, Babette“ kommt Julia erstmals ins Grübeln. Lustig ist gut, lustig ist Printenherz schon irgendwie auch, aber es fehlt offenbar das Überdrehte, Aufgekratzte...







  • 1. Alldine & die Weltraumpiraten

  • 2. Zack!

  • 3. Boris, Babette und lauter Skelette

  • 4. Karl der Kleine: Printenherz

  • 5. Superglitzer




... wird natürlich fortgesetzt



Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:


 

Weiterlesen auf eigene Gefahr heute: „Die Lesereise“, „Corto Maltese Nacht in Berlin“ und „Der Mann im Pyjama“


Der Mann mit der Ersatzmütze


Illustration: Juan Díaz Canales/Rubén Pellejero - Schreiber & Leser

Ein Geständnis: Ich kannte Corto Maltese nicht. Den Klassiker von Hugo Pratt. Ehrlich. Daher habe ich mir – um den neuen Corto Maltese-Band von Juan Díaz Canales und Rubén Pellejero einschätzen zu können, aus der Münchner Stadtbibliothek eine Originalgeschichte besorgt. Das Resultat war ernüchternd: Eine Menge hübscher Bilder mit einem noch hübscheren Segelschiff, und dazu: eine sterbenslangsame Handlung. Und endloses Geschwafel. Das soll eine Abenteuerserie sein? Aber gut: Neuer Szenarist, neuer Zeichner, viel langweiliger kann's nicht werden, oder?


Optisch nicht: Den titelgebenden Abenteurer verschlägt es nach Berlin, und Pellejero holt soviel Babylon Berlin-Atmosphäre raus, wie's nur geht. Inhaltlich rumpelt das Ganze jedoch auf vertrauten Pfaden. Maltese muss einen Mord aufklären, und das geht ja bekanntlich im Brandenburgischen am unauffälligsten in einer Kapitänsuniform, für die offenbar auch noch beliebig viele Ersatzmützen im Seesack stecken. Naja. Augen auf und durch.


Juan Díaz Canales/Ruben Pellejero, Daniel Nogueira (Üs.), Resel Rebiersch (Üs.), Corto Maltese - Nacht in Berlin, Schreiber & Leser, 24,80 Euro


Gelassen in die Abwärtsspirale


Illustration: Andi Watson - Schaltzeit Verlag

Der Schaltzeit-Verlag macht gerade eine Menge spannender Sachen wie „Dragman“ und die Kinderserie „Alldine“. Andi Watsons „Die Lesereise“ fällt verglichen damit leider etwas ab. Obwohl der Band viele gute Ansätze hat: Ein Autor soll auf einer Reise sein Buch vorstellen, aber eine Signierstunde nach der anderen entpuppt sich als völlige Pleite. Niemand kommt, die Hotels werden immer schäbiger, die Reise mündet in einer geradezu kafkaesken Abwärtsspirale mit absurden Dialogen, die zarten Schwarz-Weiß-Zeichnungen illustrieren schön die Verlassenheit in einer fremden Stadt, aber – nichts eskaliert. Auch, weil (anders als bei Kafka) Watsons reisender Autor nicht aufbegehrt, sondern alles eher duldsam hinnimmt. Ich finde: Irgendwer sollte sich schon aufregen, damit’s aufregend wird.

Andererseits: Der Tagesspiegel hat sich daran nicht gestört und „Die Lesereise“ zum Comic des Jahres erklärt.


Andi Watson/Ruth Keen (Üs.), Die Lesereise, Schaltzeit Verlag, 25 Euro



Schlaf im Anzug


Illustration: Paco Roca - Reprodukt

Ich war neugierig auf Paco Roca, weil ich bereits zwei seiner Comics außerordentlich mochte. Jetzt erscheint mit Der Mann im Pyjama eine Sammlung seiner ganzseitigen Cartoon-Strips aus der Zeitung Las Provincias, und da muss man schon mal sagen: Cartoons sind nicht seine Stärke. Dass jemand zu vielem Ja sagt, weil ihm das Ablehnen so schwer fällt, dass er gerne im Schlafanzug daheim sitzt und arbeitet, das mag in Vor-Corona-Zeiten mal skurril gewesen sein, aber ganz ehrlich: Hin und wieder eine Pointe wäre schon nett.


Paco Roca, André Höchemer (Üs.), Der Mann im Pyjama, Reprodukt, 29 Euro.



 

Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:


 

Keinen Beitrag mehr verpassen!

Gute Entscheidung! Du wirst keinen Beitrag mehr verpassen.

News-Alarm
Schlagwörter
Kategorie
bottom of page