top of page

Cringe to the Max

  • Autorenbild: Timur Vermes
    Timur Vermes
  • 21. Sept.
  • 3 Min. Lesezeit

Fremdschämen oder Mit-Leiden? „Hallimasch“ ist das schmerzhaft komische Porträt einer ganz gewöhnlichen Lebensmitte

Illustration: Max Baitinger - Reprodukt
Illustration: Max Baitinger - Reprodukt

Oha. Das hier ist sehr, sehr gut.

Nicht für alle, doch für viel mehr als man denkt. Ich sag mal: Feuchtenberger meets Stromberg. Und wenn Sie grad im Laden stehen: die ersten sechs Seiten reichen, um rauszufinden, ob Sie „Hallimasch“ von Max Baitinger mögen.


Oberlehrer trifft nassen Sack


Erste Doppelseite: Ein Judo-Studio, zwei junge Kämpfer stehen sich gegenüber. Krakelig, aber die japanische Wandtapete ist präzise. Der Kampf: Die Krakel-Figuren verschmelzen, aber trotzdem erkennt man alles superklar, das typische Ziehen, Zerren, Schieben. Judofans sehen's gleich, alle anderen drei Panels später: Der Coach trennt die zwei und oberlehrert auf sie ein. Wie er sie am Kragen zieht, wie sie kindertrotzig zum nassen Sack werden, wie er er seine abgedroschen rhetorischen Fragen stellt, wie sie kaum leserlich die xmal geübte Antwort nuscheln, das ist sehr, sehr komisch – und das perfekte Intro für den Trainer: Dieter.

Illustration: Max Baitinger - Reprodukt
Illustration: Max Baitinger - Reprodukt

Den muss man sich so vorstellen: Vollbart, zu große Brille, geradezu atemberaubend unwitzig. Baitinger zeigt ihn als nächstes beim Telefonieren, superlässig die Hand in der Hosentasche, drunter diese Plastikpantoffeln, endlos sülzt er auf der Terrasse vor Einfamilienhaus und Grill und Trampolin, bis wir merken, dass er nur einen AB vollquarkt. Er wird „den Volker abholen“ und dann werden sie ihren alten Kumpel Acki in Leipzig besuchen. Das klingt alles nach wenig, aber vor allem eines: phänomenal cringe!


Grusel-Gesten an der Kaffeemaschine


Dieters Grusel-Gesten (das Bedienen der Kaffeemaschine, Trommeln auf dem Lenkrad), die präzise abgelauschten Phrasen, das ist irrsinnig gut, lustig, bitter und wird nur noch von Baitingers zeichnerischer Sparsamkeit übertroffen. Wo andere zwei Linien setzen, reicht Baitinger eine halbe, wenn er sie nicht weglässt und durch ein bisschen wässrige Grauschattierung ersetzt. Was wiederum Baitingers finsteren Humor ideal stützt: Die Kargheit vermittelt den Eindruck, als hätte man Details und Pointen in einem Suchbild selbst entdeckt. Kann natürlich nicht stimmen, wirkt so aber doppelt überraschend.

War’s das?

Noch lang nicht.

Illustration: Max Baitinger - Reprodukt
Illustration: Max Baitinger - Reprodukt

Ich hab noch nicht von seiner munteren Kameraführung gesprochen, Draufsicht, Untersicht – alles vorhanden, aber nie übertrieben, stets szenendienlich. Actionpassagen, obwohl die ganze Handlung null Action hergibt. Die grandiose Charakterkombination, denn der abzuholende Volker ist ein passend wortkarger Frontalstoffel, die ideale Ergänzung, zu Dieter, der in seiner Abwaschbarkeit verzweifelt versucht, mit dem Spitznamen „der Dietz“ Profil zu gewinnen.


Das vorgefertigte Leben


Wie Baitinger diese Figur zeichnet, die alles gekauft hat, was man kaufen muss, und die trotz Frau und zwei Töchtern ein deprimierend hohles, vorgefertigtes Leben absolviert, das ist zum Heulen komisch. Weil Baitinger eine Sache konsequent richtig macht.

Illustration: Max Baitinger - Reprodukt
Illustration: Max Baitinger - Reprodukt

Baitinger wirft Dieter sein Lebensmodell nicht vor. Aber er zeigt, wie „der Dietz“ selbst darunter leidet. Wie er sich sein Leben selbst zulärmt, weil er den stillen Momenten ausweichen will. Wie er Gesprächspausen zuquatscht, seine Familie inhaltslos anruft, sich einsam betrinkt, ewig und fortwährend die ollsten Kamellen reproduziert, wie er sogar dankbar ist, wenn plötzlich sein Chef am Handy ist. Wie er überhaupt den ganzen Trip zu Acki nach Leipzig offenkundig nur anleiert, weil das normale Leben…? Denn der legendäre Acki hat sich auf seine Anrufe und seine AB-Sermone praktisch noch nie zurückgemeldet.


Ich hab „Hallimasch“ eingesaugt. Gott, war das gut!


 


Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:









 

Schlagwörter
Kategorien

Keinen Beitrag mehr verpassen!

Gute Entscheidung! Du wirst keinen Beitrag mehr verpassen.

Empfehlenswert
Katrin Parmentiers Minzweb
Heiner Lünstedts Highlightzone
Tillmann Courth
News
Schlagwörter
Suchwortvorschläge
Kategorie
Kategorien
bottom of page