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Comicverfuehrer

Einladend einfach: Die gesammelten „Parker“-Krimis entpuppen sich als ideale Gelegenheit zu einer Begegnung mit dem wundervoll vielseitigen Kanadier Darwyn Cooke

Illustration: Darwyn Cooke - Schreiber & Leser

Das ist mir schon lang nicht mehr passiert. Also: Dass man jemanden entdeckt, von dem man noch nie gehört hat. Und dass man sich dann durch seine Arbeiten wühlt und frisst und feststellt, dass alles von dem Jemand gut ist, mindestens, wenn nicht sogar exzellent. Der Jemand heißt: Darwyn Cooke, und am besten fangen Sie mit seiner Parker-Serie an. Denn mit diesem Krimi merken Sie sofort, ob Cooke auch was für Sie ist.


Die besten 60er seit „Mad Men“


Die Serie stammt aus den 60ern, wurde mehrfach verfilmt, mal mit Lee Marvin, mal mit Mel Gibson und zuletzt mit Jason Statham. Die Story: Berufsverbrecher Parker wird um seinen Anteil betrogen. Der Betrüger bezahlt mit dem Geld Schulden beim Syndikat. Parker will Rache – und sein Geld. Und wenn das Geld beim Syndikat ist, dann nimmt er’s eben mit der ganzen Organisation auf. Allein.


Warum die Story so oft verfilmt wurde, wird sofort klar: Die Figur des Einzelgängers Parker ist faszinierend kalt, nüchtern, methodisch, brutal, sie ermöglicht den Blick in die skrupellose, aber logische Schattenwelt des Verbrechens. Und eben weil die Story zu zuverlässig zündet, ist sie der ideale Einstieg in Darwyn Cookes eigenwilligen Retro-Stil.


Nostalgisch ausgeblichen


Cooke zeichnet mit wenigen, kräftigen, entschlossenen Strichen. Für Parker wählte er schwarz-weiß mit einer Ergänzungsfarbe, Blau, Blaugrau oder auch mal Braunbeige, was den Panels etwas Nostalgisch-Ausgeblichenes verleiht, ein wenig wie diese Werbefotos bei Friseuren, wenn sie zu lang im Schaufenster gestanden haben.


Illustration: Darwyn Cooke - Schreiber & Leser

Was Cooke aus diesem sparsamen Ansatz macht, ist nicht weniger als sensationell: Er wechselt so einfallsreich wie filmreif Blickwinkel und Einstellung, illustriert und inszeniert exzellent Dialoge. Arbeitet er ohne Text, zeigt er viele Details: Wie er dabei mit leichter Hand Gebäude, Autos, Möbel, Lampen, Werbeschilder, Kleidung der 60er zum Leben erweckt, hat man so vermutlich seit „Mad Men“ nicht mehr gesehen.


Obendrein ist Cooke ein wundervoller Weglasser: Er zeigt eben NICHT Parker, der frustriert eine Schnapsflasche an die Wand schmeißt. Sondern nur den leeren Hinterhof, und dann ZACK! – plötzlich die Flasche, die aus dem Fenster fliegt. Er zeigt nicht Parker, der eine Leiche mit dem Messer nachbehandelt. Sondern nur die Tote und dann die Hand, die das Messer erst nimmt und anschließend weglegt.


Zeichner, Erzähler, Regisseur


Dieses Talent hört nicht bei den Bildern auf: Denn Cooke muss ja die Romane, die er umsetzt, auch erzählerisch aufs Comic-Medium anpassen. Wo darf Parker aus dem Off erzählen? Wo ist es besser, ihn schweigen zu lassen, weil man alles besser nur mit Bildern zeigt? Ich habe mich lange nicht mehr so schnell einem Comic-Zeichner anvertraut, weil er so zuverlässig die richtigen Entscheidungen trifft.


Das Irritierendste für Neueinsteiger sind allenfalls Cookes Figuren, die er leicht karikiert, kantig anlegt, weshalb sie manchmal eine eigenwillige Hanna-Barbera-Aura bekommen, zu deutsch: einen Hauch Familie Feuerstein. Aber glauben Sie einem alten Feuerstein-Feind: Das schadet nicht! Weshalb ich sofort mehr von ihm besorgen musste. Und mit einem Titel hat er meine Bedenken dann restlos zerstreut.


Der Hinein-Fühler


Illustration: Darwyn Cooke - Panini

Cooke ist einer derjenigen Zeichner, die machen durften, was „Watchmen“-Schöpfer Alan Moore stets verweigert hatte: die Prequels zu seiner preisgekrönten Superhelden-Novel zu liefern. Cooke wählte auch hier den Zeitsprung und erzählte die Geschichte der „Minutemen“ aus den 40ern, ein extrem gefährliches Pflaster. Denn Moore hat in „Watchmen“ vieles geschickt angedeutet: simples Nacherzählen läuft Gefahr, das einfach nur zu verwässern. Cooke füllt die Lücken jedoch erstaunlich einfühlsam, elegant und erfreulich vorbildgetreu. Weshalb ich auch bei „Selinas großer Coup“ zugegriffen habe. Und da wurde es dann richtig beeindruckend.


Denn hier bediente sich Cooke nicht bei einem fertigen Roman oder arbeitete mit vorgegebenen Elementen wie in „Before Watchmen“. Cooke erzählt ein hübsches „Catwoman“-Prequel mit Gentleman-Gangster-Zutaten, eine komplett neue Geschichte. Es gibt im Comic viele gute Zeichner mit unterschiedlichen Spezialbegabungen, Autoren, Lektoren, Dramaturgen, aber es gibt nur wenige, die in allen Bereichen derart überdurchschnittlich sind wie Cooke. Cooke kann nur eines nicht: weitermachen.

Er ist nämlich leider tot.

Illustration: Darwyn Cooke - Panini

Der Kanadier ist vor knapp sechs Jahren gestorben, gerade mal mit Mitte 50. Und er kam erst relativ spät zum Comic, mit Ende 30. Weshalb es gar nicht mal sooo viel Cooke zu entdecken gibt. Aber wenn Sie was finden, bei dem er irgendwie beteiligt war: Lesen Sie’s!












Immer öfter bedienen sich Demokratie-Gegner bei Kabarett und Comics - gegen deren Willen. Jetzt wehrt sich der erste Superheld: der Punisher.

Illustration: Jason Aaron/Paul Azaceta/Jesús Saiz - Panini Comics

Eine der frustrierendsten Erscheinungen in der Kunst ist derzeit das Kunst-Kapern. Kunst-Kapern geht so: Man nimmt die Kunst und fährt mit ihr einfach woanders hin. Dem Kabarett widerfährt das beispielsweise seit längerem: Kritik an der Regierung wird flugs als Plädoyer für eine rechtslinksscheißegalene Wir-sind-das-Volksdiktatur umgedeutet. Bei Youtube sammeln sich etwa unter Beiträgen der eher unverdächtigen "Anstalt" oder unter älterem Material von Georg Schramm nach wenigen Zeilen Jubelkommentare hoffnungsvoller Reichstagsstürmer.


Die Gekaperten reagieren meist mit Schockstarre oder Wegschauen, Gegenreaktionen sind selten, kommen aber inzwischen vor: Volker Pispers hat sich eindeutig distanziert und ratlos zurückgezogen, Florian Schroeder hat sich von Querdenkern einladen lassen und ihnen dann live die Meinung gegeigt. Jetzt schlägt auch der erste Comic zurück – der Punisher.


Vom Antiheld zum Kapitolssturm-Logo


Dieser Antiheld begann als verbitterter Rächer, der den Mord an seiner Frau und seinen beiden Kindern vergelten will. Anschließend scheint er jedoch etwas beliebiger und damit universeller deutbar geworden zu sein, denn: „Reale Söldner und politisch extreme Gruppierungen eigneten sich in den USA das Logo von Marvels Bestrafer an“, heißt es unter Bezug auf den 6. Januar 2021 im Vorwort zum neuen Punisher-Band „Der König der Killer“. Deshalb sei „eine Neudefinition von Vergangenheit, Gegenwart und … der Symbolik“ der Figur nötig. Hat’s geklappt?


Sagen wir mal so: Entglorifiziert haben sie ihn tatsächlich. Der neue Punisher gerät in die Fänge der Mördergruppe "Die Hand", die ihn als Obermörder beschäftigen will. Normalerweise würde der Einzelgänger so was natürlich nie mitmachen, aber Autor Jason Aaron hat einen nicht ungeschickten Dreh gefunden: Die "Hand" hat dem Punisher mysteriöserweise seine tote Frau zurückgegeben. Und der Punisher macht weiter mit, weil als weitere Belohnung auch noch die Rückkehr seiner Kinder winkt.


Rechtsruck kaputt. Held auch.


Beides liefert durchaus Motive, um den Punisher weiter gehen zu lassen als je zuvor, bis er noch wahlloser tötet und sich tatsächlich als Marionette missbrauchen lässt. Der einsame Wolf mit dem ganz eigenen Wertesystem ist damit von Seite zu Seite mehr Geschichte, das Problem dabei ist: Damit wird genau das hinfällig, was den Punisher mal attraktiv gemacht hat. Und auch wenn man davon ausgehen darf, dass er das Spiel in absehbarer Zeit vermutlich durchschauen dürfte, so hat er bis dahin nicht nur seine eigenen Werte gründlich verraten.


Denn wir erleben einen Punisher, der mit einem Schwert reihenweise Leute köpft, von deren Schuld er sich nicht selbst überzeugt hat, sondern die ihm Die Hand zu Dutzenden anliefert. Wie immer die Geschichte ausgeht, danach wird man kaum sagen können: "Ach, da hatte er gerade eine schlechte Phase." Und je länger er braucht, um zu ahnen, dass da irgendwas seltsam ist, desto naiver wird er wirken. Um nicht zu sagen: Operation gelungen, Patient doof.


Was heißt, dass bislang auch für Superhelden die Florian-Schroeder-Lösung noch am besten funktionieren dürfte: Einfach mal deutlich sagen, zu welchem Verein man gehört - und zu welchem eben nicht. Weniger elegant, aber immerhin eindeutig.



Reportage im Rotlichtbezirk: "Hinterhof" wirft einen Blick hinter die Kulissen des SM-Geschäfts. Kann der Band die Vorteile des Comic-Journalismus nutzen?


Illustration: Mikkel Sommer/Anna Rakhmanko - Avant-Verlag

Die Sache mit dem Sex ist immer wieder drollig. Seriöse Auseinandersetzungen damit sind so schwierig wie die Herstellung von Qualitätspornografie, weil man so schwer an den Verstand und die Geilheit gleichzeitig appellieren kann. Einen mutigen Versuch startet jetzt der Avant-Verlag mit „Hinterhof“: eine Sex-Comic-Reportage über eine Berliner Domina.


Doch die eigentliche Frage heißt: Kann ein Comic was anderes erreichen als die Durchschnittsreportage von Pro 7, ZDF 37 Grad, RTL, Stern TV? Womöglich sogar mehr? Und die Antwort lautet: ja. Theoretisch.


Die TV-Konkurrenz ist limitiert


Denn die TV-Standardreportagen sind durch ihren Zwang zum Realbild stark eingeschränkt: Sie müssen filmen, was sie erzählen wollen. Also kann man ihre Inhalte inzwischen so zuverlässig auf- wie vorhersagen: Da wären das Studio und die Gerätschaften. Die Domina erzählt üblicherweise, wie sie zu ihrem Job kam. Sie zählt die Spielarten der BDSM-Szene auf, sagt, was das Schrägste war. Wir lernen denjenigen ihrer Besucher kennen, der sich filmen lässt. Sie spielen uns was Beispielhaftes vor, aber die Kamera stört beim Spiel. Dann sehen wir noch die Domina, wie sie sich daheim ein Ei in die Pfanne haut: Schau an, auch die Domina isst ein Omelette. Wie ein ganz normaler Mensch.


Der Comic-Journalist kann hingegen Inhalt und Bild getrennt recherchieren und verarbeiten. Er kann Bilder frei komponieren, und damit den Zauber sichtbar machen, wenn (ungewöhnlicher) Sex zwischen zwei Menschen funktioniert. In diesem Fall: Obwohl oder weil eine der beiden beteiligten Personen das auch noch beruflich moderiert. Was sich dann im Idealfall so auswirken könnte wie in „Brokeback Mountain“: Nichtschwule könnten verstehen, wie und warum zwei Typen, die ihre Lust normalerweise verstecken müssen, plötzlich aufblühen (oder scheitern). Das ist also der Hauptpreis, den „Hinterhof“ einheimsen könnte.

Und? Wird der Preis abgeholt?


Extraschlenker zur Prostitution


Naja. Wir sehen die Domina, ihre Gerätschaften, das Studio. Sie erklärt die Typen ihrer Besucher, wir lernen etwas mehr Besucher kennen als sonst. Einer hat einen besonders ungewöhnlichen Fetisch, er sieht gerne Zungen. Die Domina sagt, wie sie zu ihrem Job kam, dass sie ihn gerne macht. Sie kümmert sich aber auch gern um ihre Katzen, ihren Garten, sie macht gern Musik. Wie ein ganz normaler Mensch. Anna Rakhmanko stellt die üblichen Fragen, Mikkel Sommer zeichnet eher handelsübliche Bilder.


Das Ergebnis ist ausführlicher als der TV-Zehnminüter, gewiss, auch mit einem Extra-Schlenker zum heiklen Thema „Prostitution – ja/nein“. Aber das Aller-allermeiste hätte man auch mit einer Kamera machen können. Journalismus as usual. Nicht schlimm, nicht schlecht, aber eben auch eine verpasste Chance.




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