Kein Schwein ruft sie an
In Lena Steffingers beklemmend-bunter Parabel „Alles Gute“ erwartet ein bizarres Urlaubsparadies gutgelaunt die kommende Katastrophe
Merkwürdig. Denkwürdig. Dabei sieht „Alles Gute“ gar nicht so aus. Sondern viel mehr wie ein weiterer, prinzipiell gutartiger Comic aus dem gleichfalls prinzipiell recht gutartigen Jaja-Verlag. Buntstiftig gezeichnet, knallige Farben, Blümchen, alles wirkt so harmlos, dass man’s sofort gelangweilt weglegen möchte. Wäre aber ein großer Fehler. Und das erste Indiz dafür ist, wie Lena Steffinger ihre Geschichte verseltsamt.
Warten auf die Besuchung
Eine junge Frau fährt in einen Ort am Meer, die Gegend ist hübsch, sonnig, naja, die Blumen sind ein bisschen groß (ist mir anfangs garnicht aufgefallen bzw. ich hab's für ein Stilmittel gehalten). Und das Ortsschild sagt: „Paradisen. Mehr als Sie je erträumen werden.“ Was irgendwie ungelenk klingt, aber was soll‘s. Kurz darauf trifft die Frau eine andere junge Frau. Sie wird die Andere offenbar ablösen, der Job ist wohl nicht ganz unproblematisch, denn die Andere sagt: „Wird schon gut gehen, die letzte Besuchung war recht mild.“ Hä? Besuchung?
Was ist eine Besuchung? Und wenn die auch unmild sein kann, warum fährt man dann da überhaupt hin? Wie Steffinger ab jetzt mit all diesen Fragen spielt, ist mit jeder Seite eine immer hellere Freude. Die junge Frau wird das Sorgentelefon des Ortes betreuen. Als Ortsfremde, die völlig neu angekommen ist? Sie wird ein Katastrophen-Kit bekommen, und alle werden ihr sagen, wie brutal hart ihr Job sein wird. Aber tatsächlich wird sie in einem vollverglasten Büro über der Stadt thronen, in dem keine Sau anruft.
Ungenutzte Kummernummer
Ich sag’s gleich: Wenn Sie’s lieber präzise mögen, wird das kein schönes Lesen für Sie. Aber wenn Sie’s kafkaesk mögen, ist „Alles Gute“ einfach grandios. Die „Besuchungen“ sind offenbar Katastrophen, die den Ort alle sieben Jahre heimsuchen. Sie sind jedes Mal anders, sie sind zugleich Bedrohung, aber auch Touristenattraktion, und je näher das Datum rückt, desto mehr wird gerätselt, was es wohl diesmal sein könnte. Es ist eine eigenwillige Form von sorgloser Lustangst, die den Ort erfüllt, den wunderlicher Weise auch niemand verlässt.
Verraten will ich nicht all zu viel, man kann’s auch bei diesem Rätsel belassen – aber man kann selbstverständlich auch ins Symbolische abdriften, sobald man den Eindruck hat, dass es einem womöglich bekannt vorkommt, wie Leute sehenden Auges in eine Katastrophe gleiten. Steffinger ließ sich von der Corona-Pandemie inspirieren, aber herausgekommen ist etwas wesentlich breiter Deutbares. Das einen auch deshalb so beklommen macht, weil es eben nicht in den handelsüblich Finsterfarben daherkommt, sondern so leuchtend sonnig, mit grünen Parks, freundlichen Menschen, interessanten Häusern und weitestgehend schurkenfrei. Ich würde da jederzeit Urlaub machen, aber natürlich nicht, wenn ich mit Besuchungen rechnen muss.
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